Bundesgerichtshof, Beschluss vom 24.03.2015, Az. VI ZR 179/13

6. Zivilsenat | REWIS RS 2015, 13583

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Gegenstand

Nichtberücksichtigung von Parteivorbringen durch das Gericht: Nichteingehen auf Parteivortrag in den Entscheidungsgründen; Wirkung des Vorbringens eines Streitgenossen für alle anderen; hilfsweises Zueigenmachen von günstigen Umständen aus der Beweisaufnahme


Tenor

Die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten zu 4 wird als unzulässig verworfen.

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten zu 1 bis 3 wird das Urteil des 5. Zivilsenats des [X.] vom 27. März 2013 im Kostenpunkt - mit Ausnahme der Entscheidung hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 5 und 6 - und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten zu 1 bis 3 erkannt worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde - mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 4, die dieser zu tragen hat -, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Gegenstandswert: 1.636.134 €

Gründe

I.

1

1. Der Kläger nimmt - soweit im [X.] noch von Interesse - die [X.] zu 1 und 2 auf Zahlung von rund 4,5 Mio. € Schadensersatz und den [X.] zu 3 auf Feststellung einer entsprechenden Schadensersatzforderung zur Tabelle wegen [X.] bei der Errichtung der Kläranlage "[X.]" in [X.]     in Anspruch. Hinsichtlich des [X.] zu 4 ist der Rechtsstreit in der Berufungsinstanz übereinstimmend für erledigt erklärt worden.

2

Die Beklagte zu 1 wurde - unter anderer Firmierung - am 10. Mai 1991 vom Rechtsvorgänger des [X.] mit der Planung der Kläranlage "[X.]" beauftragt. Der Beklagte zu 2 war damals Geschäftsführer der [X.] zu 1. Der Beklagte zu 3 ist Konkursverwalter über das Vermögen der früheren [X.]-          GmbH & Co. KG (nachfolgend: [X.]          ). Der Beklagte zu 4 war Geschäftsführer der Komplementärin der [X.]         , welche die Kläranlage im Auftrag des Rechtsvorgängers des [X.] errichtete. Dem am 1. November 1991 zu einem Pauschalpreis von netto 21,35 Mio. DM erteilten Auftrag war eine beschränkte Ausschreibung vorangegangen.

3

Der Kläger behauptet insbesondere, es sei eine lediglich vorgetäuschte beschränkte Ausschreibung durchgeführt worden. Auf Weisung des [X.] zu 4 seien im Büro der [X.]          für die pro forma neben der [X.]         beteiligten drei weiteren Unternehmen Leistungsverzeichnisse mit einem höheren Endpreis ausgefüllt worden, welche der Zeuge [X.] den zwei weiteren beteiligten Unternehmen, welche dann tatsächlich ein Angebot abgegeben haben, persönlich zur Unterschrift und zur Anfertigung eines Begleitschreibens vorbeigebracht habe. Der Submissionsvorschlag sei anschließend aus dem Büro der [X.]         über die [X.] zu 1 und 2 an den Rechtsvorgänger des [X.] weitergeleitet worden. Durch die Machenschaften der [X.] sei es zu einem weit überhöhten Gesamtpreis gekommen.

4

Die [X.] behaupten unter anderem, dass es an einem Schaden fehle, da die Kläranlage zu einem deutlich niedrigeren Preis pro Einwohnergleichwert gebaut worden sei als vergleichbare Anlagen.

5

2. Das [X.] hat die Klage abgewiesen, da der hypothetische [X.] bei keiner Art der Kostenermittlung (nach [X.], nach Leistungsverzeichnis und nach Selbstkosten) unter dem submittierten Preis liege. Auf die Berufung des [X.] hat das Berufungsgericht in Abänderung des erstinstanzlichen Urteils die [X.] zu 1 und 2 zum Schadensersatz in Höhe von ca. 1,6 Mio. € und den [X.] zu 3 zur Feststellung einer entsprechenden Forderung aus unerlaubter Handlung zur Tabelle verurteilt. Nach der Kostenentscheidung haben die [X.] zu 1 bis 4 gesamtschuldnerisch 1/3 der Kosten des Rechtsstreits mit Ausnahme der erstinstanzlichen außergerichtlichen Kosten der ehemaligen [X.] zu 5 und 6 zu tragen. Das Berufungsgericht ist dabei von einem von den [X.] zu 2 und 4 als Organen der [X.] zu 1 und der [X.]           gemeinschaftlich begangenen Submissionsbetrug ausgegangen. Den Schaden hat es als Differenz zwischen dem submittierten Preis (21,35 Mio. DM netto) und einem hypothetischen [X.] (18,15 Mio. DM netto) auf 3,2 Mio. DM (= 1.636.134 €) geschätzt.

II.

6

1. Die Beschwerde des [X.] zu 4 ist nicht statthaft. Auch wenn wie im Streitfall eine Entscheidung nach § 91a ZPO als Teil einer Kostenmischentscheidung im Rahmen eines - auch gegen weitere Beklagte in der Hauptsache ergangenen - Urteils getroffen wurde, ist hiergegen nur das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gem. § 91a Abs. 2 ZPO eröffnet, nicht jedoch das Hauptsacherechtsmittel ([X.], Beschluss vom 19. März 2013 - [X.], NJW 2013, 2361 Rn. 18 ff. [X.]) bzw. eine auf dessen Zulassung abzielende Nichtzulassungsbeschwerde.

7

Der von dem [X.] zu 4 erhobene Rechtsbehelf kann allerdings auch nicht als sofortige Beschwerde (§ 567 ZPO) oder als Rechtsbeschwerde (574 ZPO) gegen die Kostenentscheidung des Berufungsgerichts aufgefasst werden. Zwar gilt im Verfahrensrecht der Grundsatz, dass eine fehlerhafte Parteihandlung in eine zulässige und wirksame umzudeuten ist (analog § 140 BGB), wenn deren Voraussetzungen eingehalten sind, die Umdeutung dem maßgeblichen Parteiwillen entspricht und kein schutzwürdiges Interesse des Gegners entgegensteht (Senatsbeschluss vom 1. Juli 2013 - [X.], NJW 2013, 3181 Rn. 25 [X.]). Eine sofortige Beschwerde gegen eine auf § 91a ZPO beruhende Entscheidung eines [X.] wäre aber ebenfalls unstatthaft ([X.], Urteil vom 24. Oktober 2005 - [X.], NJW-RR 2006, 566 Rn. 7; § 567 Abs. 1 ZPO). Eine Rechtsbeschwerde wiederum wurde weder vom Berufungsgericht zugelassen noch ist deren Statthaftigkeit im Gesetz ausdrücklich bestimmt (§ 574 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

8

2. Im Übrigen hat die Nichtzulassungsbeschwerde Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.

9

a) Allerdings fehlt es - wie die Nichtzulassungsbeschwerde selbst ein- räumt -, am Vorliegen eines Zulassungsgrundes i.S.d. § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO, soweit das Berufungsgericht die Zeugenaussagen bewertet und sich davon überzeugt hat, dass der Zeuge T.    im Auftrag des [X.] zu 4 Scheinangebote von [X.] eingeholt, dass der Beklagte zu 2 von der manipulierten Ausschreibung, insbesondere der Submissionsabsprache, gewusst und sich hieran beteiligt hat, und dass mit Wissen des [X.] zu 2 nicht nur die wesentliche Planung, sondern auch der (Blanko-)Vergabevorschlag von der [X.]          erstellt worden ist, um die Ausschreibung zu ihrem Vorteil zu manipulieren.

b) Das Berufungsgericht hat jedoch den Anspruch der [X.] zu 1 bis 3 auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG in entscheidungserheblicher Weise verletzt, indem es erheblichen Sachvortrag der [X.] zur Frage des Vorliegens eines Schadens und der Schadenshöhe nicht berücksichtigt hat.

aa) Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Art. 103 Abs. 1 GG ist allerdings erst verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist. Denn grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Gerichte das von ihnen entgegengenommene [X.] zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Sie sind dabei nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Deshalb müssen im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist ([X.] 65, 293, 295 f. [X.]; [X.] 70, 288, 293; [X.] 86, 133, 146; vgl. auch [X.], Beschluss vom 27. März 2003 - [X.], [X.]Z 154, 288, 300 f. [X.]). Geht das Gericht auf [X.] des [X.] zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Beschlüsse vom 27. Juni 2007 - [X.], [X.]Z 173, 47 Rn. 31, und - [X.], [X.]Z 173, 40 Rn. 8; ebenso bereits [X.] 86, 133, 146 [X.]).

bb) So verhält es sich im Streitfall.

(1) Das Berufungsgericht hat zum einen das Vorbringen der [X.] übergangen, dass der hypothetische [X.] über 21,35 Mio. DM beträgt. Mit Schriftsatz vom 10. Januar 2012 haben die [X.] zu 3 und 4 ausführlich und unter Beantragung einer erneuten Anhörung des Sachverständigen vorgetragen, dass zur Ermittlung des hypothetischen [X.] nicht ein "Marktpreis" der Kläranlage von 18,15 Mio. DM herangezogen werden könne, sondern dass dieser Preis vielmehr - schon nach den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen - über 21,35 Mio. DM liege. Dennoch hat das Berufungsgericht der Schadensermittlung als maßgebliche Größe einen vom Sachverständigen nach Leistungsverzeichnis ermittelten "[X.]" von 18,15 Mio. DM zugrunde gelegt.

Zwar haben nur die [X.] zu 3 und 4 den vorstehend genannten Vortrag gehalten. Nach der Rechtsprechung des [X.] ist jedoch in der Regel davon auszugehen, dass von einem Streitgenossen geltend gemachte Angriffs- oder Verteidigungsmittel für alle Streitgenossen vorgetragen sind, soweit sie alle angehen und die Übrigen nicht selbst eine Erklärung abgeben ([X.], Urteil vom 29. März 1961 - [X.], [X.] ZPO § 61 Nr. 1; vgl. auch [X.]/Vollkommer, ZPO, 30. Aufl., § 61 Rn. 3, und [X.]/Jonas/Bork, ZPO, 23. Aufl., § 61 Rn. 9). In eine gegenteilige Richtung deutende Anhaltspunkte sind hier nicht ersichtlich.

Obwohl der Vortrag der [X.] damit die für das Verfahren zentrale Frage der Schadensentstehung und -höhe sowie explizit den vom Berufungsgericht herangezogenen Wert betroffen hat, hat sich dieses mit den entsprechenden Einwänden der [X.]seite überhaupt nicht auseinandergesetzt.

(2) Zum anderen hat das Berufungsgericht das [X.]vorbringen nicht zur Kenntnis genommen, dass die sog. Baustellenergebnislisten nicht aussagekräftig genug seien, um hieraus Rückschlüsse auf den hypothetischen [X.] zu ziehen. In der Berufungserwiderung vom 28. November 2011 haben die [X.] zu 3 und 4 auf Ausführungen des Sachverständigen in dessen Anhörung am 31. März 2009 Bezug genommen. Dort hatte dieser angegeben, dass ohne eine detaillierte Aufschlüsselung sämtlicher Kosten keine Rückschlüsse von den Listen auf den hypothetischen [X.] möglich sind.

Eine Partei macht sich bei einer Beweisaufnahme zutage tretende ihr günstige Umstände regelmäßig zumindest hilfsweise zu Eigen (st. Rspr.; vgl. zuletzt Senatsbeschluss vom 14. Januar 2014 - [X.], [X.], 632 Rn. 11 [X.]). Davon kann hinsichtlich der [X.] zu 1 bis 3 - erst recht bezüglich des [X.] zu 3, der ausdrücklich auf die Beweisaufnahme Bezug genommen hat - ausgegangen werden. Denn die Ausführungen des Sachverständigen zur mangelnden Aussagekraft der Baustellenergebnislisten waren ihnen günstig. Dennoch hat das Berufungsgericht aus den fortgeführten Baustellenlisten zumindest ein Indiz für einen durch den Submissionsbetrug erzielten Mehrerlös in Höhe von mindestens 15 % des submittierten Betrages abgeleitet, ohne sich mit den seiner Sichtweise widersprechenden Ausführungen des Sachverständigen auseinanderzusetzen.

Die Frage, ob sich aus den Baustellenergebnislisten folgern lässt, dass die [X.]           einen (erheblichen) Gewinn erzielt hat, betrifft einen für das Verfahren zentralen Punkt. Schließlich ist das Vorhandensein eines solchen Gewinns ein starkes Indiz für einen gegenüber dem hypothetischen [X.] überhöhten Submissionspreis. Nicht zuletzt deshalb haben sich sowohl Land- als auch Berufungsgericht - allerdings ohne den vorgenannten Gesichtspunkt zu beachten - mit dieser Thematik auseinandergesetzt.

cc) Die Gehörsverletzungen sind entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung des übergangenen Sachvortrags der [X.] zu einer anderen Beurteilung gelangt wäre (vgl. Senatsbeschluss vom 17. Dezember 2013 - [X.], [X.], 586 Rn. 7 [X.]).

c) Die übrigen [X.] der Nichtzulassungsbeschwerde hat der Senat geprüft und für nicht durchgreifend erachtet; von einer Begründung wird insoweit abgesehen (§ 544 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO).

Galke     

Richter am [X.]
Pauge ist mit Ablauf des 31. März 2015
in den Ruhestand getreten und daher
verhindert, seine Unterschrift beizufügen

Stöhr

Galke

Offenloch     

     [X.]     

Galke                   Richter am [X.]                  [X.]

                           Pauge ist mit Ablauf des 31. März 2015

                           in den Ruhestand getreten und daher

                           verhindert, seine Unterschrift beizufügen

                                             Galke

                 Offenloch                                        [X.]

Meta

VI ZR 179/13

24.03.2015

Bundesgerichtshof 6. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZR

vorgehend Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt, 27. März 2013, Az: 5 U 153/11

§ 61 ZPO, § 66 ZPO, Art 103 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 24.03.2015, Az. VI ZR 179/13 (REWIS RS 2015, 13583)

Papier­fundstellen: NJW 2015, 2125 REWIS RS 2015, 13583

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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