Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 05.12.2018, Az. 2 BvR 2257/17

2. Senat 1. Kammer | REWIS RS 2018, 850

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Stattgebender Kammerbeschluss: "Durchentscheiden" zweier im relevanten Zeitpunkt höchst streitiger Rechtsfragen im PKH-Verfahren sowie mangelnde Differenzierung im Entscheidungsmaßstab zwischen PKH- und Hauptsacheentscheidung verletzt jeweils den Anspruch auf Rechtsschutzgleichheit (Art 3 Abs 1 GG iVm Art 19 Abs 4 S 1 GG) - keine Berücksichtigung von Änderungen in der Beurteilung der Erfolgsaussichten nach Bewilligungsreife des PKH-Antrags zu Lasten des Rechtsschutzsuchenden - Gegenstandswertfestsetzung


Tenor

Das Urteil des [X.] vom 26. Juni 2017 - 3 A 1454/16 As SN - verletzt die Beschwerdeführer in ihren Grundrechten aus Artikel 3 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 des Grundgesetzes, soweit darin der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe abgelehnt wird.

Das Urteil wird aufgehoben, soweit darin der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe abgelehnt wird. Insoweit wird die Sache an das [X.] zurückverwiesen.

Das [X.] hat den Beschwerdeführern ihre notwendigen Auslagen im [X.] zu erstatten.

Der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit wird für das [X.] auf 10.000 € (in Worten: zehntausend Euro) festgesetzt.

Gründe

1

Das Verfahren betrifft die Versagung von Prozesskostenhilfe für eine Aufstockungsklage [X.] Asylbewerber durch das [X.].

2

1. Die Beschwerdeführer sind [X.]sangehörige. Sie reisten am 15. April 2016 in die [X.] ein, wo sie am 13. Mai 2016 Asylanträge stellten. Zur Begründung gaben sie an, dass sie [X.] wegen des [X.] verlassen hätten. Der am 8. Februar 1978 geborene Beschwerdeführer zu 1. habe zum [X.] antreten müssen, er wolle jedoch keine unschuldigen Menschen töten. Zudem habe er sich als Kurde in [X.] diskriminiert gefühlt. Die Beschwerdeführer zu 1. und zu 2. hätten zu Beginn der Revolution an Demonstrationen teilgenommen und seien dabei fotografiert worden. Die Fotos seien auf [X.] verbreitet worden.

3

Mit Bescheid vom 31. Mai 2016 erkannte das [X.] den Beschwerdeführern jeweils den subsidiären Schutzstatus zu und lehnte ihre Asylanträge im Übrigen ab.

4

2. Gegen diesen Bescheid erhoben die Beschwerdeführer am 16. Juni 2016 Klage beim [X.], mit der sie die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begehrten. Zugleich beantragten sie unter Beifügung entsprechender Unterlagen, ihnen Prozesskostenhilfe zu gewähren. Dieser Antrag und die zugehörigen Unterlagen gingen ebenfalls am 16. Juni 2016 beim Verwaltungsgericht ein. Ihnen sei die Flüchtlingseigenschaft bereits deshalb zuzuerkennen, weil sie illegal aus [X.] ausgereist seien und Asylanträge gestellt hätten. Der Beschwerdeführer zu 1. sei in [X.] als Reservist militärdienstpflichtig, wolle den [X.]dienst jedoch nicht antreten. Dies werde als oppositionelle Haltung verstanden und sanktioniert werden. Zudem seien die Beschwerdeführer zu 1. und 2. gegen das [X.]. Als säkularem Moslem drohe dem Beschwerdeführer zu 1. politische Verfolgung nicht nur durch das syrische Regime, sondern auch durch Islamisten.

5

3. Mit Urteil vom 26. Juni 2017 wies das Verwaltungsgericht die Klage der Beschwerdeführer ab und lehnte im [X.] zugleich den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe ab. Zur Begründung der Klageabweisung führte es unter Berücksichtigung verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung bis März 2017 an, dass den Beschwerdeführern nicht bereits wegen ihrer Ausreise aus [X.], der Asylantragstellung und des Auslandsaufenthalts bei einer Rückkehr nach [X.] politische Verfolgung drohe. Dies gelte auch nicht vor dem Hintergrund des in [X.] anhaltenden [X.]. Es sei festzustellen, dass der [X.] trotz der Bedrängnis durch oppositionelle Gruppierungen kein allgemeines Reiseverbot für syrische Bürger verhängt und im Jahr 2015 800.000 Reisepässe ausgestellt habe. Der Gefahr, dass sich im Ausland eine machtvolle Opposition bilden könne, habe der [X.] demnach keine ausschlaggebende Bedeutung beigemessen. Eine besondere Rückkehrgefahr folge auch nicht aus dem Umstand, dass der Beschwerdeführer zu 1. aufgrund seines Alters noch wehrdienstpflichtig sei. Er habe seinen Wehrdienst bereits von 2004 bis 2006 bei einem Club unterhalb der [X.]s abgeleistet. Der Beschwerdeführer zu 1. habe nicht dargelegt, dass er sich mit seiner Ausreise aus [X.] einer konkret bevorstehenden erneuten Einberufung entzogen habe, zumal er legal mit einem Reisepass ausgereist und ab 2012 berufsbedingt zwischen dem [X.] und dem [X.] gependelt sei. Mit einer Festnahme bei Wiedereinreise nach [X.] habe der Beschwerdeführer zu 1. nicht zu rechnen. Er habe auch nicht dargelegt, dass er im Falle einer erneuten Einberufung zum [X.] eine Bestrafung als Deserteur in Kauf nehmen werde, um dem Wehrdienst zu entgehen. Auch die Teilnahme an Demonstrationen begründe für die Beschwerdeführer zu 1. und 2. keine Verfolgungsgefahr. Angesichts des Umstands, dass sie über Reisepässe verfügten und [X.] mehrfach verlassen hätten, sei diesen Aktivitäten keine besondere Bedeutung beizumessen. Am Ende der Entscheidungsgründe stellte das Verwaltungsgericht fest, dass der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe wegen der fehlenden Erfolgsaussicht des [X.] abzulehnen gewesen sei.

6

4. Gegen die Ablehnung ihres [X.] erhoben die Beschwerdeführer Anhörungsrüge. Das Verwaltungsgericht habe ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, weil es den Beschluss des [X.] vom 14. November 2016 - 2 BvR 31/14 -, nach dem die Frage der Verfolgung aller [X.] eine ungeklärte Rechtsfrage darstelle, nicht berücksichtigt habe. Es habe zudem verkannt, dass die Verfolgung von Rückkehrern, die sich dem Wehrdienst entzogen hätten, eine ebenfalls schwierige und ungeklärte Frage sei. Der angegriffene Beschluss verstoße zudem gegen das Gebot der [X.].

7

Mit Beschluss vom 12. Juli 2017 wies das Verwaltungsgericht die Anhörungsrüge zurück. Es habe den Vortrag des Beschwerdeführers zu 1. bezüglich einer potentiellen Einberufung zum [X.]dienst unter Bezugnahme auf obergerichtliche Rechtsprechung bewertet. Die Frage, ob einem [X.] Asylbewerber allein wegen seiner illegalen Ausreise, der Asylantragstellung und des längeren Auslandsaufenthalts die Flüchtlingseigenschaft zuzusprechen sei, sei nicht offen, sondern aus Sicht des [X.] geklärt. Sowohl die erkennende Kammer als auch diverse - in der Entscheidung im Einzelnen ausgeführte - näher benannte Obergerichte verneinten eine asylrelevante Verfolgung wegen illegaler Ausreise aus [X.]. Daher habe das Verwaltungsgericht die Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Verweis auf die Urteilsgründe ablehnen können. Die vorliegende prozessuale Konstellation unterscheide sich von derjenigen, die dem Beschluss des [X.] vom 14. November 2016 zugrunde gelegen habe. Die aus Sicht der Beschwerdeführer fehlerhafte rechtliche Bewertung könne nicht mit der Anhörungsrüge angegriffen werden.

8

5. Die Beschwerdeführer beantragten die Zulassung der Berufung. Diesen Antrag lehnte das [X.] mit Beschluss vom 18. September 2017 wegen unzureichender Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung ab. Der Beschluss des [X.] vom 14. November 2016 habe die Situation betroffen, dass innerhalb der obergerichtlichen Rechtsprechung auf identischer Tatsachengrundlage unterschiedliche rechtliche Schlussfolgerungen gezogen worden seien. Da der Beschwerdeführer zu 1. legal aus [X.] ausgereist sei, hätten die Beschwerdeführer eine grundsätzliche Bedeutung der Frage einer Verfolgung wegen einer Wehrdienstentziehung nicht dargelegt.

9

Die Beschwerdeführer haben gegen die Ablehnung ihres [X.] durch das Urteil des [X.] am 11. Juli 2017 Verfassungsbeschwerde erhoben. Sie rügen die Verletzung ihrer Rechte aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 und Art. 19 Abs. 4 GG.

Das Verwaltungsgericht habe im Prozesskostenhilfeverfahren über schwierige, ungeklärte Fragen entschieden und damit unter Verletzung des Gebots der [X.] die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Entscheidung über Prozesskostenhilfe verkannt. So sei die Frage ungeklärt, ob [X.] aus [X.] allein aufgrund der illegalen Ausreise, der Asylantragstellung und des längeren Auslandsaufenthalts die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen sei. Dies zeige - von den Beschwerdeführern im Einzelnen zitierte - verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung aus dem Jahr 2016. Auch die Frage, ob einer Person, die sich dem [X.]dienst entzogen habe, im Falle ihrer Rückkehr nach [X.] politische Verfolgung drohe, sei in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung ungeklärt. Eine Vielzahl von Verwaltungsgerichten nehme für Personen im wehrdienstpflichtigen Alter von 18 bis 42 Jahren eine Verfolgungsgefahr an. Über beide Fragen habe das Verwaltungsgericht bereits im Prozesskostenhilfeverfahren entschieden. Dies verstoße zudem gegen das Willkürverbot und den Anspruch auf [X.] in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG.

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung der Grundrechte der Beschwerdeführer aus Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG angezeigt. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen hat das [X.] bereits geklärt (vgl. [X.] 81, 347 <356 f.>). Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist in einer die Entscheidungskompetenz der Kammer eröffnenden Weise offensichtlich begründet. Das Urteil des [X.] verletzt die Beschwerdeführer in ihrer durch Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG grundrechtlich geschützten [X.], soweit es den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe ablehnt.

1. Das Recht auf effektiven und gleichen Rechtsschutz, das für die öffentlich-rechtliche Gerichtsbarkeit aus Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG abgeleitet wird, gebietet eine weitgehende Angleichung der Situation von [X.] und [X.]n bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes (vgl. [X.] 78, 104 <117 f.>; 81, 347 <357> m.w.N.). Es ist dabei verfassungsrechtlich grundsätzlich unbedenklich, die Gewährung von Prozesskostenhilfe davon abhängig zu machen, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint.

Die Auslegung und Anwendung des § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO (hier [X.]. § 166 VwGO) wie auch des jeweils anzuwendenden einfachen Rechts obliegt hierbei in erster Linie den zuständigen Fachgerichten, die dabei den - verfas-sungsgebotenen - Zweck der Prozesskostenhilfe zu beachten haben. Das [X.] kann nur eingreifen, wenn Verfassungsrecht verletzt ist, insbesondere wenn die angegriffene Entscheidung Fehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der durch das Grundgesetz verbürgten [X.] beruhen.

Die Fachgerichte überschreiten ihren Entscheidungsspielraum, wenn sie die Anforderungen an das Vorliegen einer Erfolgsaussicht überspannen und dadurch den Zweck der Prozesskostenhilfe, dem [X.]n den weitgehend gleichen Zugang zum Gericht zu ermöglichen, deutlich verfehlen (vgl. [X.] 81, 347 <357 f.>). Die Prüfung der Erfolgsaussicht soll nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen (vgl. [X.] 81, 347 <357>; vgl. [X.]/[X.], in: [X.]/ [X.], Linien der Rechtsprechung des [X.], Band 2, S. 241 <258 ff.>). Eine Auslegung von § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO dahin, dass ein Rechtsschutzbegehren hinreichende Erfolgsaussichten hat, wenn die Entscheidung von der Beantwortung einer schwierigen und noch nicht geklärten oder von einer in hohem Maße streitigen Rechtsfrage abhängt, wird dem Gebot der in Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG verbürgten [X.] gerecht. Prozesskostenhilfe ist allerdings nicht bereits zu gewähren, wenn die entscheidungserhebliche Frage zwar noch nicht höchstrichterlich geklärt ist, ihre Beantwortung aber im Hinblick auf die einschlägige gesetzliche Regelung oder die durch die bereits vorliegende Rechtsprechung gewährten Auslegungshilfen nicht in dem genannten Sinne als "schwierig" erscheint. Ein Fachgericht, das § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO dahin auslegt, dass auch schwierige und noch nicht geklärte oder hoch streitige Rechtsfragen im Prozesskostenhilfeverfahren "durchentschieden" werden können, verkennt jedoch die Bedeutung der verfassungsrechtlich gewährleisteten [X.] (vgl. [X.] 81, 347 <359>). Denn dadurch würde dem unbemittelten Beteiligten im Gegensatz zu dem bemittelten die Möglichkeit genommen, seinen Rechtsstandpunkt im Hauptsacheverfahren darzustellen und von dort aus in die höhere Instanz zu bringen (vgl. [X.], 279 <282>; 8, 213 <217>). Legt ein Fachgericht § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO zwar in dem vorgenannten, die [X.] wahrenden Sinne aus, sieht es die entscheidungserhebliche Rechtsfrage aber als einfach und/oder geklärt beziehungsweise unstreitig an, obwohl dies erheblichen Zweifeln begegnet, und beantwortet sie deswegen schon im Prozesskostenhilfeverfahren zum Nachteil des [X.]n, hängt es vor allem von der Eigenart der jeweiligen Rechtsmaterie und der Ausgestaltung des zugehörigen Verfahrens ab, ob dadurch der Zweck der Prozesskostenhilfe, dem [X.]n den weitgehend gleichen Zugang zum Gericht zu ermöglichen, deutlich verfehlt wird. So sind etwa die Voraussetzungen (Kostenvorschusspflicht, Anwaltszwang) und weitere Modalitäten (Schriftlichkeit oder Mündlichkeit des Verfahrens, Amtsermittlung, weiterer Rechtsmittelzug) des jeweiligen Rechtsschutzwegs zu berücksichtigen (vgl. [X.] 81, 347 <359 f.>).

Aus diesem verfassungsrechtlichen Ausgangspunkt der [X.] folgt, dass Änderungen in der Beurteilung der Erfolgsaussichten, die nach der Bewilligungsreife des [X.] eintreten, grundsätzlich nicht mehr zu Lasten des [X.] zu berücksichtigen sind (vgl. in jeweils unterschiedlichen Konstellationen [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 26. Juni 2003 - 1 BvR 1152/02 -, NJW 2003, S. 3190 <3191>; Beschluss der [X.] des [X.] vom 13. Juli 2005 - 1 BvR 175/05 -, NJW 2005, S. 3489; [X.]K 8, 213 <216 ff.>; Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 8. Juli 2016 - 2 BvR 2231/13 -, NJW-RR 2016, S. 1264 <1266>; Linke, NVwZ 2003, S. 421 <423 ff.>). Denn der vernünftig abwägende Rechtsschutzsuchende kann die Entscheidung über die Klageerhebung - jedenfalls in einem Rechtsgebiet wie dem Asylrecht, in dem ein isolierter [X.] vielfach als unzulässig angesehen wird (vgl. kritisch und m.w.[X.], in: [X.]/[X.], VwGO, 5. Aufl. 2018, § 166 Rn. 29) - nur innerhalb des Laufs der Rechtsbehelfsfristen treffen. Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen entspricht zwischenzeitlich auch die Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte, wobei es verfassungsrechtlich unerheblich ist, ob für die Beurteilung der hinreichenden Erfolgsaussichten generell auf den Zeitpunkt der Bewilligungsreife des [X.] abgestellt wird (vgl. [X.], Beschluss vom 7. April 2017 - 7 ZB 16.498 -, juris, Rn. 1; [X.], Beschluss vom 29. Juni 2012 - 12 PA 69/12 -, juris, Rn. 2) oder jedenfalls dem entscheidenden Gericht zuzurechnende Verzögerungen bei der Entscheidung über den [X.] nicht zu Lasten des [X.] berücksichtigt werden (vgl. [X.], Beschluss vom 9. März 2012 - 18 E 1326/11 -, juris, Rn. 19; [X.], Beschluss vom 2. September 2014 - 2 PA 93/14 -, juris, Rn. 3; jeweils zu der Frage des zwischenzeitlich rechtskräftigen Abschlusses des Hauptsacheverfahrens; a.A. und auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abstellend noch [X.], Beschluss vom 27. Juli 2004 - 2 P[X.]76/04 -, [X.], S. 34).

2. Gemessen an diesen Maßstäben hält das angegriffene Urteil, soweit es den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe versagt, einer verfassungsgerichtlichen Überprüfung offensichtlich nicht stand.

a) Das Verwaltungsgericht hat die Bedeutung des Gebots der [X.] verkannt, indem es in einem einheitlichen Urteil die Klage abgewiesen und unter Verweis auf die Begründung der Klageabweisung die Gewährung von Prozesskostenhilfe versagt hat.

Zwar ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn zur Begründung der Versagung von Prozesskostenhilfe auf die Begründung einer Sachentscheidung Bezug genommen wird (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 8. Juli 2016 - 2 BvR 2231/13 -, juris, Rn. 13). Allerdings unterliegen die Entscheidung über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und diejenige über das Begehren in der Sache unterschiedlichen Maßstäben, die im Einzelfall eine separate Begründung der Ablehnung der Prozesskostenhilfe erforderlich machen kann (vgl. [X.], a.a.[X.], Rn. 14).

Diesen Anforderungen ist das Verwaltungsgericht nicht gerecht geworden. Ein Verfassungsverstoß folgt nicht bereits aus dem Umstand, dass über den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe gemäß § 166 VwGO, § 146 Abs. 2 VwGO, § 127 Abs. 1 ZPO durch Beschluss zu entscheiden ist. Allerdings hat das Verwaltungsgericht im Prozesskostenhilfeverfahren und im Hauptsacheverfahren die gleichen Prüfungsmaßstäbe angewendet. Dabei hat es die Möglichkeit außer [X.] gelassen, dass Prozesskostenhilfe dann zu gewähren ist, wenn die Klage lediglich in einer ex-ante-Perspektive hinreichende Erfolgsaussichten hat. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe im [X.] abgelehnt und diese Ablehnung am Ende der Entscheidungsgründe lediglich damit begründet, dass wegen der - in der Begründung der Klageabweisung dargelegten - fehlenden Erfolgsaussichten des [X.] der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe abzulehnen sei. Selbstständige Erwägungen des [X.] hinsichtlich des [X.] aus einer [X.] ergeben sich daraus nicht.

b) Zudem hat das Verwaltungsgericht zwei höchst streitige Fragen im Prozesskostenhilfeverfahren durchentschieden, indem es sowohl die Verfolgung allgemein aus [X.] ausgereister potentieller Rückkehrer als auch die Verfolgung von Wehrdienstverweigerern im wehrpflichtigen Alter verneint hat.

aa) Zu der entscheidungserheblichen Frage, ob unverfolgt ausgereisten [X.]n bei einer unterstellten Rückkehr nach [X.] allein aufgrund der Ausreise, der Asylantragstellung im Ausland und des längeren Auslandsaufenthaltes politische Verfolgung droht und ihnen deshalb die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist, gab es zum maßgeblichen Zeitpunkt im Juni 2016 keine aktuelle Entscheidung des dem Verwaltungsgericht übergeordneten [X.] [X.]. Dieses hatte sogar im Gegensatz zu der im angegriffenen Urteil des [X.] vertretenen Auffassung noch mit Beschluss vom 24. April 2014 ([X.].: 2 L 16/13, juris) die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft für unverfolgt ausgereiste [X.] bejaht.

Diese Frage war zum maßgeblichen Zeitpunkt auch in der übrigen verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung ungeklärt. Die Obergerichte gaben entsprechenden Klagen zu diesem Zeitpunkt sogar eher statt (vgl. [X.], Beschluss vom 27. Januar 2014 - 3 A 917/13.Z.A -; [X.], Beschluss vom 29. Oktober 2013 - [X.] S 2046/13 -, juris). Die erstinstanzliche Entscheidungspraxis war darüber hinaus sehr uneinheitlich. Die vom Verwaltungsgericht in dem angegriffenen Urteil zitierten Entscheidungen, die die Flüchtlingszuerkennung für unverfolgt ausgereiste [X.] verneinen, sind zudem nach dem hier maßgeblichen Zeitpunkt im Juni 2016 ergangen und durften nicht zu Lasten des Beschwerdeführers berücksichtigt werden.

bb) Auch die Frage, ob [X.] Staatsangehörigen im wehrdienstfähigen Alter wegen einer Wehrdienstentziehung Verfolgung droht, war im Juni 2016 in der Rechtsprechung des übergeordneten [X.] [X.] ungeklärt. Dieses hat die Frage erst mit Urteil vom 21. März 2018 ([X.].: 2 L 238/13, juris) - zugunsten der Beschwerdeführer - beantwortet. Auch in der übrigen Rechtsprechung war die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bei Wehrdienstentziehung ungeklärt. Erst nach dem hier entscheidenden Zeitpunkt im Juni 2016 gab es zu dieser Frage - divergierende - Entscheidungen der Obergerichte (die Flüchtlingseigenschaft bejahend [X.], Urteil vom 12. Dezember 2016 - 21 B 16.30372 -; [X.], Urteil vom 14. Juni 2017 - [X.] S 511/17 -; [X.], Urteil vom 6. Juni 2017 - 3 A 3040/16.A -; die Flüchtlingseigenschaft verneinend etwa [X.], Urteil vom 4. Mai 2017 - 14 A 2023/16.A -; [X.], Urteil vom 27. Juni 2017 - 2 LB 91/17 - und Beschluss vom 12. September 2017 - 2 LB 750/17 -; [X.], Urteile vom 18. Mai 2017 - 2 A 176/17 - und vom 22. August 2017 - 2 A 262/17 -; [X.], Urteil vom 16. Dezember 2016 - 1 A 10922/16.OVG - alle juris). Damit lag jedenfalls eine klärungsbedürftige [X.] bezüglich der Verfolgungsgefahr für diese Gruppe in [X.] vor, die durch das Verwaltungsgericht nicht im Prozesskostenhilfeverfahren zu Lasten der Beschwerdeführer entschieden werden durfte.

cc) Die Versagung von Prozesskostenhilfe hat die Beschwerdeführer als [X.] schlechter gestellt als Bemittelte und ihnen die Chance genommen, ihre Auffassung in der mündlichen Verhandlung und in der zweiten Instanz weiter zu vertreten.

3. Das Urteil des [X.] ist aufzuheben, soweit es den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe ablehnt und die Sache ist insoweit dorthin zurückzuverweisen, da nicht auszuschließen ist, dass das Verwaltungsgericht bei Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Maßgaben zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre.

Das Land [X.] hat den Beschwerdeführern gemäß § 34a Abs. 2 [X.]G die notwendigen Auslagen zu erstatten. Die Festsetzung des Werts des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG.

Meta

2 BvR 2257/17

05.12.2018

Bundesverfassungsgericht 2. Senat 1. Kammer

Stattgebender Kammerbeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend VG Schwerin, 26. Juni 2017, Az: 3 A 1454/16 As SN, Urteil

Art 3 Abs 1 GG, Art 19 Abs 4 S 1 GG, § 93c Abs 1 S 1 BVerfGG, § 14 Abs 1 RVG, § 37 Abs 2 S 2 RVG, § 166 VwGO, § 114 Abs 1 S 1 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 05.12.2018, Az. 2 BvR 2257/17 (REWIS RS 2018, 850)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 850

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

2 BvR 2513/17 (Bundesverfassungsgericht)

Stattgebender Kammerbeschluss: Verletzung des Anspruchs auf Rechtsschutzgleichheit (Art 3 Abs 1 GG iVm Art 19 …


2 BvR 1050/17 (Bundesverfassungsgericht)

Stattgebender Kammerbeschluss: Verletzung des Anspruchs auf Rechtsschutzgleichheit (Art 3 Abs 1 GG iVm Art 19 …


2 BvR 902/17, 2 BvR 940/17, 2 BvR 1702/17 (Bundesverfassungsgericht)

Stattgebender Kammerbeschluss: Verletzung des Anspruchs auf Rechtsschutzgleichheit durch Versagung von PKH für Asylverfahren unter Durchentscheidung …


2 BvR 2374/17 (Bundesverfassungsgericht)

Stattgebender Kammerbeschluss: Parallelentscheidung


2 BvR 451/17, 2 BvR 520/17, 2 BvR 613/17, 2 BvR 614/17, 2 BvR 665/17 (Bundesverfassungsgericht)

Stattgebender Kammerbeschluss: Frage der Flüchtlingseigenschaft unverfolgt ausgereister, im Ausland um Asyl nachsuchender Syrer ist infolge …


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.