Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 31.05.2022, Az. 1 BvR 98/21

1. Senat 3. Kammer | REWIS RS 2022, 6280

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

ÖFFENTLICHES RECHT BUNDESVERFASSUNGSGERICHT (BVERFG) RECHTSEXTREMISMUS VERFASSUNGSBESCHWERDE EXTREMISMUS

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Erfolglose Verfassungsbeschwerde einer Gruppierung (Teil einer Studentenverbindung) gegen ihre Nennung im Verfassungsschutzbericht 2015 des Freistaates Bayern


Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

1

Die Beschwerdeführerin, ein Zusammenschluss der zur aktiven Beteiligung Verpflichteten einer burschenschaftlich organisierten Studentenverbindung, wendet sich gegen die Nennung im [X.] 2015 des [X.] im Unterabschnitt "Sonstige rechtsextremistische Organisationen" des Abschnitts "Rechtsextremismus".

2

Die Beschwerdeführerin beschritt gegen die Nennung im [X.] 2015 erfolglos den Verwaltungsrechtsweg. Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren legte das [X.] eine Übersicht über die Umstände vor, auf denen ihre Nennung beruhe, wie ihr Auftreten in der Öffentlichkeit, politische Aktivitäten und Veranstaltungen sowie die personelle Vernetzung mit Mitgliedern der [X.] ([X.]). Nach Auffassung des [X.] reichten die dokumentierten Aktivitäten als tatsächliche Anhaltspunkte für die Nennung im Bericht aus. Diese Aktivitäten seien nicht zufällig, sondern zielgerichtet gewesen. Die [X.] habe Funktionären einer verfassungsfeindlichen rechtsextremistischen Gruppierung die eigene Infrastruktur zur Verfügung gestellt und ein Forum geboten. Die Nennung im [X.] 2015 sei auch verhältnismäßig. Die Verwendung des Begriffs "rechtsextrem" sei - im Einklang mit der späteren Entscheidung des [X.] im [X.]-Verbotsverfahren ([X.] 144, 20) - nicht zu beanstanden. Die Berufung ließ das Gericht nicht zu. Einen Antrag auf Zulassung der Berufung lehnte der [X.]hof ab.

3

Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin im Wesentlichen eine Verletzung verschiedener Grundrechte der [X.]. Zudem seien ihre Mitglieder mittelbar in ihrem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG verletzt, da die Nennung im [X.] zu beruflichen Nachteilen führen könne. [X.] sei auch die in Art. 21 Abs. 1 GG geschützte Betätigungsfreiheit der [X.]en betroffen.

4

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen (§ 93a Abs. 2 [X.]). Soweit sie zulässig sind, greifen die [X.] nicht durch. Die Gerichte haben verfassungsrechtliche Maßgaben in den angegriffenen Entscheidungen nicht verkannt.

5

1. Die Verfassungsbeschwerde ist teilweise unzulässig. Soweit sie sich gegen den Beschluss des [X.]hofs richtet, genügt sie schon nicht den aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 [X.] folgenden Anforderungen an eine hinreichend substantiierte Begründung. Im Übrigen kann die hier beschwerdeführende [X.] weder die Rechte ihrer Mitglieder noch die Rechte einer von ihr unterstützten politischen [X.] geltend machen. Auch ist weder dargelegt noch erkennbar, inwiefern die Wissenschaftsfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 GG berührt sein sollte. Die Tatsache, dass es sich bei der im [X.] genannten [X.] um einen Teil einer Studentenverbindung handelt, genügt insoweit nicht.

6

2. Im Übrigen ist die Verfassungsbeschwerde jedenfalls unbegründet. Die Nennung der [X.] im [X.] und die diese rechtfertigenden gerichtlichen Entscheidungen sind verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

7

a) Die Nennung im [X.] greift zwar in die grundrechtlich geschützte Freiheit der Beschwerdeführerin ein. Es handelt sich um eine mittelbar belastende Sanktion, die ihr gegenüber eine Warnfunktion hat und zugleich ihre Wirkungsmöglichkeiten beeinträchtigt (vgl. zur Pressefreiheit [X.] 113, 63 <76 ff.>).

8

b) Dieser Eingriff ist jedoch verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Dabei kommt es nicht darauf an, ob darin ein Eingriff in die nach Art. 9 Abs. 1 GG geschützte [X.]sfreiheit, in die Meinungsfreiheit im Sinne des Art. 5 Abs. 1 GG oder in die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1, Art. 19 Abs. 3 GG) zu sehen wäre, denn die unterschiedlichen Grundrechte weisen kein für die Beurteilung des vorliegenden Falles relevantes unterschiedliches Schutzniveau auf (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom heutigen Tage - 1 BvR 564/19 -, Rn. 12 f.). Mit Blick auf Art. 5 Abs. 1 GG handelt es sich bei der Vorschrift, auf die sich die Nennung der Beschwerdeführerin im [X.] 2015 stützt, jedenfalls um ein allgemeines Gesetz im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG (vgl. dazu [X.] 113, 63 <78 f.>).

9

c) Soweit der [X.]hof die Nennung der Beschwerdeführerin im [X.] für gerechtfertigt hielt, hat er auch in der Sache grundrechtliche Schutzgehalte nicht verkannt.

aa) Das [X.] hat insofern allein die Aufgabe, gerichtliche Entscheidungen auf die Verletzung von Verfassungsrecht zu überprüfen (vgl. [X.] 18, 85 <92>; stRspr). Ein Grundrechtsverstoß, der zur Beanstandung von Entscheidungen führt, liegt nur dann vor, wenn übersehen worden ist, dass bei Auslegung und Anwendung der jeweils in Rede stehenden Vorschriften überhaupt Grundrechte zu beachten waren, wenn deren Schutzbereich unrichtig oder unvollkommen bestimmt wurde oder wenn ihr Gewicht unrichtig eingeschätzt worden ist (vgl. [X.] 106, 28 <45> m.w.N.; stRspr).

bb) Das ist hier nicht der Fall.

(1) Die Nennung der [X.] im [X.] 2015 des [X.] stützte sich auf Art. 15 Satz 1 des [X.] in der bis zum 31. Juli 2016 geltenden Fassung der Bekanntmachung vom 10. April 1997 (GVBl. [X.] - [X.]). Danach unterrichten das zuständige Staatsministerium und das [X.] die Öffentlichkeit über tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen und Tätigkeiten, die unter die [X.]. 3 Abs. 1 [X.] fallen. Danach hat der [X.] insbesondere Bestrebungen von Gruppierungen oder Einzelpersonen im Geltungsbereich des Grundgesetzes zu beobachten, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind.

(2) Es ist nicht erkennbar, dass die Fachgerichte in der Auslegung und Anwendung des Landesrechts die Grundrechte der Beschwerdeführerin verkannt hätten.

(a) Die Einwände der Beschwerdeführerin, diese Rechtsgrundlage für die Arbeit des [X.]es sei zu unbestimmt oder die Auslegung der Gerichte vage und daher nicht verfassungsgemäß, greifen nicht durch. Verfassungsrechtlich ist geklärt, was als "freiheitlich demokratische Grundordnung" geschützt ist (vgl. zuletzt [X.] 144, 20 <202 f. Rn. 528 ff.>).

(b) Desgleichen ist geklärt, dass sich rechtsextremistische Bestrebungen, insbesondere der [X.] (vgl. [X.] 144, 20 <246 ff. Rn. 635 ff.>), aber auch des [X.], mit dem die hier beschwerdeführende [X.] kooperiert (vgl. [X.], Urteil vom 6. Juli 2017 - 10 BV 16.1237 - Rn. 29 ff.), gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung richten.

(c) Ebenso wenig trägt der Einwand, bei der Nennung der Beschwerdeführerin im [X.] 2015 werde nicht an Tatsachen angeknüpft, sondern ihre Gesinnung verfolgt. Insofern ist die Arbeit des [X.]es an Sachlichkeit und weltanschaulich-politische Neutralität gebunden; er darf nicht an bloße Kritik an der bestehenden Ordnung anknüpfen oder politisch einseitig vorgehen. Die Berichterstattung ist daher auf Aktivitäten begrenzt, die eine aktiv-kämpferische Haltung indizieren und letztlich auf die Beseitigung der verfassungsmäßigen Ordnung gerichtet sind. Insoweit darf der [X.] aus Meinungsäußerungen und weiteren Aktivitäten zwar Schlüsse ziehen, aber erst dann gegen eine dafür verantwortliche [X.] vorgehen, wenn sich darin Bestrebungen manifestieren, die Grundordnung zu beseitigen (vgl. [X.] 113, 63 <81 f.>; zum [X.]verbot [X.] 144, 20 <219 ff. Rn. 571 ff.>; für [X.]sverbote [X.] 149, 160 <197 f. Rn. 107 f.>). Diese Maßgaben haben die Fachgerichte hier auch zugrunde gelegt. Eine Nennung im [X.]bereich wäre danach unverhältnismäßig, wenn nur vereinzelte oder wenig belastbare Erkenntnisse vorlägen (vgl. [X.], Urteil vom 6. Juli 2017 - 10 BV 16.1237 -, Rn. 45). Hier war das aber nicht der Fall. Vielmehr haben die Gerichte als konkrete Anhaltspunkte für eigene verfassungsfeindliche Bestrebungen der Beschwerdeführerin einen länger zurückliegenden Vortrag eines Funktionärs der [X.] gewertet, die Veranstaltung von Messen, auf denen der [X.] und einer mit dieser [X.] verbundenen Gruppierung sowie einem verfassungswidrigen Verein ein Forum zur Selbstdarstellung und Werbung geboten wurde, deren zunächst positive Begleitung in den [X.] Medien durch die Beschwerdeführerin und die Mitgliedschaft eines Verantwortlichen des Hausvereins der [X.] in der [X.].

(d) Dabei haben die Gerichte auch ausdrücklich berücksichtigt, dass die [X.] eine legale politische [X.] ist, die den Schutz des Art. 21 GG genießt. Zugleich stellten sie in nicht zu beanstandender Weise darauf ab, dass es sich auch ausweislich der Entscheidung des [X.] über den gegen sie gerichteten Verbotsantrag um eine [X.] handelt, die klar verfassungsfeindliche Positionen vertritt. Ein [X.]verbot war in ihrem Fall nur deshalb nicht zu rechtfertigen, weil es ihr an der hinreichenden Mächtigkeit im Sinne einer Potentialität fehlte, um solche Positionen durchzusetzen (vgl. [X.] 144, 20 <224 ff. Rn. 585 ff.>). Art. 21 GG schließt es dann zwar aus, diese [X.] zu verbieten, untersagt aber dem [X.] nicht, über [X.]en zu berichten, die mit ihr kooperieren.

(e) Schließlich greift auch der Einwand nicht durch, dass die Nennung im [X.] 2015 des [X.] deshalb unverhältnismäßig gewesen sei, weil sie nur in einem Jahr erfolgte. Vielmehr spricht dieser Umstand gerade für eine grundrechtssensible Handhabung. So zeigt sich gerade im Fall der Beschwerdeführerin, dass sie in Jahren, in denen sie insbesondere die Messe zur Werbung für verfassungsfeindliche Positionen nicht mehr durchgeführt hat, nicht mehr im [X.] genannt wurde.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvR 98/21

31.05.2022

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 3. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 6. April 2020, Az: 10 ZB 18.2223, Beschluss

Art 2 Abs 1 GG, Art 5 Abs 1 S 1 GG, Art 5 Abs 2 GG, Art 9 Abs 1 GG, Art 19 Abs 3 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 92 BVerfGG, Art 3 Abs 1 VerfSchutzG BY 1997 vom 10.04.1997, Art 15 S 1 VerfSchutzG BY 1997 vom 10.04.1997

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 31.05.2022, Az. 1 BvR 98/21 (REWIS RS 2022, 6280)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 6280 NJW 2022, 3627 REWIS RS 2022, 6280

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

M 30 K 16.3007 (VG München)

Erwähnung im Verfassungsschutzbericht


10 ZB 18.2223 (VGH München)

Nennung einer Studentenverbindung im Verfassungsschutzbericht


1 BvR 564/19 (Bundesverfassungsgericht)

Nichtannahmebeschluss: Erfolglose Verfassungsbeschwerde gegen Erwähnung eines eingetragenen Vereins im Verfassungsschutzbericht NRW 2013 - nachdrückliche Unterstützung …


10 BV 16.1237 (VGH München)

Voraussetzungen für die Erwähnung im Verfassungsschutzbericht


6 C 9/18 (Bundesverwaltungsgericht)

Waffenrechtliche Unzuverlässigkeit eines Funktions- bzw. Mandatsträgers der NPD


Referenzen
Wird zitiert von

10 CE 23.796

1 BvR 564/19

Zitiert

1 BvR 564/19

Literatur & Presse BETA

Diese Funktion steht nur angemeldeten Nutzern zur Verfügung.

Anmelden
Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.