Bundesgerichtshof, Urteil vom 11.12.2012, Az. VI ZR 314/10

6. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 588

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

URHEBER- UND MEDIENRECHT BUNDESGERICHTSHOF (BGH) POLITIKER PERSÖNLICHKEITSRECHT PRESSE VERDACHTSBERICHTERSTATTUNG STASI

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Persönlichkeitsrechtsverletzende Presseberichterstattung über eine angebliche frühere Tätigkeit eines Politikers als inoffizieller Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR


Leitsatz

Die Presse darf Verlautbarungen des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der DDR ein gesteigertes Vertrauen entgegenbringen.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 7. Zivilsenats des [X.] vom 12. Oktober 2010 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Unterlassung der Berichterstattung über seine angebliche Tätigkeit als inoffizieller Mitarbeiter (IM) für das [X.] der ehemaligen [X.] ([X.]) in Anspruch.

2

Der Kläger war Professor an der [X.], Fraktionsvorsitzender der [X.] ([X.]) im [X.] und Spitzenkandidat dieser Partei für die [X.] am 19. September 2004. Die Beklagte verlegt die [X.]ungen "[X.]", "[X.]" und "[X.] am Sonntag". In diesen [X.]ungen wurde in der [X.] vom 8. bis 17. August 2004 in fünf Artikeln über den Verdacht berichtet, der Kläger habe seit 1970 als inoffizieller Mitarbeiter "IM [X.]" mit dem [X.] zusammengearbeitet und dabei insbesondere seine damalige Freundin und jetzige Frau bespitzelt.

3

Der Kläger sieht sich durch die Veröffentlichungen in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt. Er behauptet, er habe keine Kenntnis davon gehabt, dass das [X.] ihn als "IM [X.]" geführt habe. Er sei ohne sein Wissen "abgeschöpft" worden.

4

Das [X.] hat die Beklagte zur Unterlassung der Verbreitung verschiedener Passagen der Artikel verurteilt. Die Berufung der Beklagten war erfolglos. Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe

I.

5

Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die vom Kläger beanstandeten Textpassagen seien jeweils Teil einer unzulässigen Verdachtsberichterstattung und verletzten den Kläger in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Ihre [X.] sei insbesondere nicht deshalb zulässig, weil die darin als Verdacht geäußerten Behauptungen zutreffend seien. Es sei nicht erwiesen, dass der Kläger wissentlich und willentlich mit dem Staatssicherheitsdienst der [X.] zusammengearbeitet habe. Die Beweislast für die Wahrheit der Behauptungen liege bei der [X.]. Der Beweis sei durch die vorgelegten Dokumente der [X.] [X.] der [X.] (nachfolgend: [X.]) und die Aussagen der Zeugen nicht erbracht worden. Zwar bleibe ein erheblicher Verdacht, dass die Behauptung des [X.], nicht gewusst zu haben, dass die Zeugen Mitarbeiter des [X.] gewesen seien, nicht zutreffe. Denn den vorgelegten Unterlagen und den Aussagen der Zeugen sei zu entnehmen, dass der Kläger über Jahre vielfach und unter konspirativen Umständen Kontakt mit Mitarbeitern des [X.] gehabt und er diesen gegenüber höchst private und politisch brisante Einzelheiten über Freunde, Bekannte und seine damalige Lebensgefährtin berichtet habe. Sie ließen aber nicht den zwingenden Schluss zu, dass dem Kläger bekannt gewesen sei, wer seine Gesprächspartner waren. Der Möglichkeit, dass der Kläger unwissentlich mit Vertretern der [X.] ([X.]) gesprochen habe, stehe insbesondere nicht zwingend entgegen, dass die [X.] im Jahre 1970 für den Kläger eine Karteikarte mit dem Decknamen "IM [X.]" angelegt habe und dass in der Aktennotiz des [X.] vom 5. März 1984 festgehalten worden sei, dass der Kläger bei der [X.] positiv erfasst sei und zuverlässig arbeite. Hieraus ergäben sich zwar erhebliche Verdachtsmomente. Eine Gewissheit über eine positive Kenntnis des [X.] bestehe hingegen nicht.

6

Die Berichterstattung sei auch nicht etwa deshalb zulässig, weil es sich um die Verbreitung eines Verdachts gehandelt habe. Ihre Zulässigkeit scheitere jedenfalls daran, dass die Beklagte, die ihre Informationen ausschließlich Berichten des Nachrichtenmagazins "[X.]" entnommen habe, vor der [X.] keine eigenen Recherchen durchgeführt habe. In Anbetracht der Konsequenzen, die der Vorwurf, der Kläger sei als "IM" der "[X.]" tätig gewesen, für diesen hätte haben müssen, habe die Beklagte selbst die im Nachrichtenmagazin "[X.]" auszugsweise zitierten Dokumente der [X.]n überprüfen und den Verfasser der darin enthaltenen Berichte, den [X.], zu den Umständen ihrer Entstehung befragen müssen. Die Tatsache, dass sich der Kläger im Landtagswahlkampf befunden habe, stehe dem nicht entgegen, sondern habe im Gegenteil wegen der absehbaren schwerwiegenden Folgen für den Kläger zu einer genaueren Überprüfung führen müssen. Die Beklagte habe sich nicht gänzlich auf die Einschätzung der [X.]n verlassen dürfen, die die Voraussetzungen für eine Herausgabe der Unterlagen an die Presse für gegeben hielt, sondern die ihr zur Verfügung stehenden eigenen Recherchemöglichkeiten nutzen müssen. Die Beklagte habe nicht vorgetragen, dass sie irgendein Dokument der [X.]n in den Händen gehabt habe.

7

In der Abhaltung einer Pressekonferenz am 19. August 2004 durch den Kläger liege keine Einwilligung in die [X.]en. Da sie erst nach dem Erscheinen der Beiträge stattgefunden habe, entfalle durch sie nicht die Rechtswidrigkeit der Berichterstattung. Es bestehe auch weiterhin Wiederholungsgefahr, zumal die Beklagte nicht konkret vorgetragen habe, zu welchen konkreten Äußerungen der Kläger sich mit welchen Worten in dieser Pressekonferenz geäußert habe.

II.

8

Diese Erwägungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Die Revision wendet sich mit Erfolg gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, dem Kläger stehe gegen die Beklagte wegen der angegriffenen Äußerungen ein Unterlassungsanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB, § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 [X.] zu.

9

1. Das Berufungsgericht hat allerdings zu Recht angenommen, dass die angegriffenen Äußerungen einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des [X.] darstellen. Es hat den Sinngehalt der beanstandeten Äußerungen zutreffend erfasst, indem es angenommen hat, die Beklagte habe dadurch in jeweils unterschiedlichen Formen den Verdacht geäußert, der Kläger habe als informeller Mitarbeiter (IM) mit dem Ministerium für Staatssicherheit der [X.] ([X.]) zusammengearbeitet und "[X.]" erbracht. Es hat die Äußerungen auch zu Recht als Tatsachenbehauptungen eingestuft. Die Äußerung des Verdachts, mit dem [X.] zusammengearbeitet zu haben, ist geeignet, sich abträglich auf das Ansehen des [X.], insbesondere sein Bild in der Öffentlichkeit, auszuwirken (vgl. [X.] 114, 339, 346; [X.] 119, 1, 24, jeweils mwN; siehe auch Senatsurteil vom 25. Oktober 2011 - [X.], [X.], 66 Rn. 20 f.; [X.], [X.], 562 Rn. 56; [X.], NJW 2012, 1058 Rn. 83).

2. Die Revision wendet sich aber mit Erfolg gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, das allgemeine Persönlichkeitsrecht des [X.] werde durch die angegriffenen Äußerungen in rechtswidriger Weise verletzt.

a) Wegen der Eigenart des Persönlichkeitsrechts als eines Rahmenrechts liegt seine Reichweite nicht absolut fest, sondern muss erst durch eine Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Belange bestimmt werden, bei der die besonderen Umstände des Einzelfalles sowie die betroffenen Grundrechte und Gewährleistungen der [X.] interpretationsleitend zu berücksichtigen sind. Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ist nur dann rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt (Senatsurteile vom 8. Mai 2012 - [X.], [X.], 994 Rn. 35; vom 30. Oktober 2012 - [X.], z.[X.]., Rn. 10, jeweils mwN).

Im Streitfall sind das durch Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 [X.], Art. 8 Abs. 1 [X.] gewährleistete Interesse des [X.] auf Schutz seiner Persönlichkeit und seines guten Rufs mit dem in Art. 5 Abs. 1 [X.], Art. 10 [X.] verankerten Recht der [X.] auf Meinungs- und Medienfreiheit abzuwägen (vgl. Senatsurteile vom 25. Oktober 2011 - [X.], [X.], 66 Rn. 24; vom 22. November 2011 - [X.], [X.], 192 Rn. 14, jeweils mwN; [X.], NJW 2012, 756 Rn. 18; NJW 2012, 1500 Rn. 33). Bei Tatsachenbehauptungen wie im vorliegenden Fall hängt die Abwägung zwischen den widerstreitenden Interessen vom Wahrheitsgehalt ab. Wahre Tatsachenbehauptungen müssen in der Regel hingenommen werden, auch wenn sie nachteilig für den Betroffenen sind, unwahre dagegen nicht (vgl. Senatsurteile vom 8. Mai 2012 - [X.], [X.], 994 Rn. 37; vom 30. Oktober 2012 - [X.], z.[X.]., Rn. 12, jeweils mwN; [X.], [X.], 480 Rn. 62 mwN; NJW 2012, 1500 Rn. 39). Außerhalb des Schutzbereichs des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 [X.] liegen aber nur bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen und solche, deren Unwahrheit bereits im Zeitpunkt der Äußerung feststeht. Alle übrigen Tatsachenbehauptungen mit Meinungsbezug genießen den Grundrechtsschutz, auch wenn sie sich später als unwahr herausstellen (vgl. Senatsurteil vom 22. April 2008 - [X.], [X.], 175 Rn. 34; [X.], [X.], 480 Rn. 62, jeweils mwN).

b) Die Revision wendet sich mit Erfolg gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, die angegriffenen Äußerungen seien nicht (erweislich) wahr.

aa) Die Revision macht allerdings ohne Erfolg geltend, bei der Wiedergabe der gegen den Kläger erhobenen Vorwürfe durch die Beklagte handele es sich nicht um eine Verdachtsberichterstattung, sondern um eine wahrheitsgemäße und deshalb zulässige Berichterstattung über das Zeitgeschehen, nämlich über die Berichterstattung des Nachrichtenmagazins "[X.]" und die bis zu diesem Zeitpunkt vorliegenden Ergebnisse der [X.]n. Denn die Beklagte hat sich die Erkenntnisse des "[X.]" bzw. der [X.]n über den Verdacht einer [X.] des [X.] jeweils zu Eigen gemacht. Sie hat die jeweiligen Artikel selbst verfasst und sich mit den fremden Äußerungen identifiziert, so dass sie als eigene erscheinen; sie hat sie zum Bestandteil eigener Verdachtsberichterstattungen gemacht (vgl. Senatsurteile vom 30. Juni 2009 - [X.], [X.], 1417 Rn. 19; vom 17. November 2009 - [X.], [X.], 220 Rn. 11; vom 27. März 2012 - [X.], [X.], 992 Rn. 11; [X.], NJW 2004, 590, 591 jeweils mwN).

bb) Mit Erfolg rügt die Revision aber die tatrichterliche Würdigung des Berufungsgerichts, die Beklagte habe nicht bewiesen, dass die von ihr als Verdacht geäußerten Behauptungen wahr seien. Das Berufungsgericht ist zwar im Ausgangspunkt zutreffend davon ausgegangen, dass die Beweislast für die Wahrheit der Tatsachenbehauptungen nach der über § 823 Abs. 2 BGB in das Deliktsrecht transformierten [X.] des § 186 StGB der auf Unterlassung in Anspruch genommenen [X.] als Äußernden obliegt (vgl. Senatsurteile vom 30. Januar 1996 - [X.], [X.], 13, 23; vom 22. April 2008 - [X.], [X.], 175 Rn. 21; vom 28. Februar 2012 - [X.], [X.], 502 Rn. 13; [X.] 114, 339, 352). Wie die Revision jedoch zu Recht beanstandet, beruht die Annahme des Berufungsgerichts, die Beklagte habe nicht bewiesen, dass der Kläger wissentlich und willentlich mit dem Staatssicherheitsdienst zusammengearbeitet habe, auf einer Verletzung von § 286 Abs. 1 ZPO.

(1) Nach dieser Vorschrift hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten ist. Diese Würdigung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. An dessen Feststellungen ist das Revisionsgericht nach § 559 ZPO gebunden. [X.] ist lediglich zu überprüfen, ob sich der Tatrichter mit dem Prozessstoff und den [X.] umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Würdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt (vgl. Senatsurteile vom 20. Dezember 2011 - [X.], [X.], 454 Rn. 13 mwN; vom 10. Juli 2012 - [X.], [X.], 1261 Rn. 28 mwN, zur [X.] in [X.]Z bestimmt).

Der revisionsrechtlichen Überprüfung unterliegt ferner das [X.]. Nach § 286 ZPO hat der Tatrichter ohne Bindung an [X.]n und nur seinem Gewissen unterworfen die Entscheidung zu treffen, ob er an sich mögliche Zweifel überwinden und sich von einem bestimmten Sachverhalt als wahr überzeugen kann. Jedoch setzt das Gesetz eine von allen Zweifeln freie Überzeugung nicht voraus. Das Gericht darf keine unerfüllbaren [X.] stellen und keine unumstößliche Gewissheit bei der Prüfung verlangen, ob eine Behauptung wahr und erwiesen ist. Vielmehr darf und muss sich der [X.] in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, der den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (vgl. Senatsurteile vom 8. Juli 2008 - [X.], [X.], 1265 Rn. 22; vom 19. Oktober 2010 - [X.], [X.], 223 Rn. 21; [X.], Urteile vom 17. Februar 1970 - [X.], [X.]Z 53, 245, 255 f.; vom 14. Januar 1993 - [X.], NJW 1993, 935, 937; vom 13. März 2003 - [X.], [X.], 507, 508, jeweils mwN). Zweifel, die sich auf lediglich theoretische Möglichkeiten gründen, für die tatsächliche Anhaltspunkte nicht bestehen, sind nicht von Bedeutung (vgl. Senatsurteil vom 8. Juli 2008 - [X.], aaO).

(2) Diese Grundsätze hat das Berufungsgericht nicht hinreichend beachtet.

(a) Die Beweiswürdigung ist unvollständig und verstößt gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze. Die Revision beanstandet zu Recht, dass die Deutung der in den Akten des [X.] verwendeten Begriffe durch das [X.], auf dessen Würdigung das Berufungsgericht Bezug genommen hat, zum Teil weit hergeholt und mit dem natürlichen Sprachempfinden kaum in Einklang zu bringen ist. So rügt die Revision mit Erfolg, dass das Berufungsgericht, das insoweit auf die Würdigung des [X.]s Bezug genommen hat, den Bericht der [X.] des [X.] vom 9. März 1984 als mit dem Vortrag des [X.], er sei lediglich ohne sein Wissen "abgeschöpft" worden, vereinbar angesehen hat. Der Bericht vom 9. März 1984 betrifft nach den Feststellungen des Berufungsgerichts die erste Kontaktaufnahme der [X.] mit dem Kläger, der bis zu dieser Zeit nur bei der [X.] ([X.]) als inoffizieller Mitarbeiter erfasst war. In diesem Bericht führt [X.] von der [X.] aus: "Entsprechend der Mitteilung der [X.] konnte mit diesem IM die Verbindung zur zeitweiligen Nutzung aufgenommen werden. Dazu wurden die Telefonnummer des IM und ein Erkennungswort mitgeteilt. Die Verbindungsaufnahme zum IM erfolgte telefonisch und geschah ohne Schwierigkeiten." Die Revision beanstandet mit Recht, dass die Würdigung des [X.]s, unter dem Erkennungswort könne auch der Arbeitsname zu verstehen sein, unter dem alle durch den Kläger erlangten Informationen zwischen der Hauptverwaltung und der [X.] auszutauschen seien, unvertretbar ist. Sie trägt insbesondere dem anerkannten Grundsatz nicht Rechnung, wonach der Sinngehalt von Erklärungen unter Berücksichtigung des Wortlautes und des Zusammenhangs zu erfassen und hierbei das übliche Verständnis der betroffenen Verkehrskreise zu berücksichtigen ist. Nach dem Gesamtzusammenhang der Äußerung erfolgte die Mitteilung des [X.] an die Bezirksverwaltung gemeinsam mit der Bekanntgabe der Telefonnummer des IM zum Zwecke der Kontaktaufnahme mit diesem. Im unmittelbar auf die Verwendung des [X.] folgenden Satz wird mitgeteilt, dass die Kontaktaufnahme telefonisch erfolgt und ohne Schwierigkeiten geschehen sei. Weshalb in diesem Zusammenhang das Erkennungswort den Arbeitsnamen bezeichnen soll, unter dem die Informationen zwischen der Hauptverwaltung und der Bezirksverwaltung auszutauschen waren, ist schlechterdings nicht nachvollziehbar. Dies gilt umso mehr, wenn man die Aussage der Mitarbeiterin der [X.]n in der Sitzung des [X.] des [X.] vom 10. Januar 2006 berücksichtigt, wonach es üblich gewesen sei, zur Herstellung des Kontakts mit einem dem inoffiziellen Mitarbeiter bislang unbekannten Offizier des [X.] Kennwörter zu vereinbaren.

(b) Die Revision rügt auch mit Erfolg, dass das Berufungsgericht die Anforderungen an die richterliche Überzeugung überspannt hat. Das [X.] hat rechtfehlerhaft eine mathematische, jede Möglichkeit eines abweichenden Geschehensablaufs ausschließende Gewissheit gefordert. Es hat die Hinweise in den Unterlagen des [X.] jeweils isoliert gewürdigt und theoretische Erklärungen dafür gefunden, warum es nicht "gänzlich undenkbar", "nicht unmöglich" oder "nicht gänzlich unplausibel" sei, dass die Darstellung des [X.] zutreffend sei und er nicht gewusst habe, dass er seine umfassende Spitzeltätigkeit tatsächlich für den Staatssicherheitsdienst erbrachte. Die erheblichen Verdachtsmomente wiesen nicht "zwingend" darauf hin, dass der Kläger Kenntnis von der Identität seiner Gesprächspartner gehabt habe.

Das Berufungsgericht hat zwar zutreffend ausgeführt, dass für die richterliche Überzeugungsbildung ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit genüge, der Zweifeln Schweigen gebiete, ohne sie völlig auszuschließen. In der Sache hat es aber keine geringeren Anforderungen an die Überzeugungsbildung als das [X.] gestellt. Es hat sich uneingeschränkt dessen rechtsfehlerhafter Beweiswürdigung angeschlossen und ebenfalls darauf abgestellt, dass die "durchaus erheblichen Verdachtsmomente" nicht den "zwingenden" bzw. "alleinigen Schluss" auf eine Kenntnis des [X.] zuließen bzw. seiner Unkenntnis "nicht zwingend entgegen" ständen.

c) Die Revision wendet sich darüber hinaus mit Erfolg gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, die angegriffenen Äußerungen seien auch nicht nach den Grundsätzen der Verdachtsberichterstattung zulässig.

aa) Soweit die Berichterstattung in den Artikeln vom 9., 10., 11. und 17. August 2004 betroffen ist, rügt die Revision zu Recht, dass das Berufungsgericht entscheidungserheblichen Vortrag der [X.] bei seiner Entscheidungsfindung nicht berücksichtigt hat. Die Beklagte hatte in der Klageerwiderung unter Benennung eines Zeugen und unter Verweis auf Anlagen vorgetragen, dass sich der Kläger in einer Pressekonferenz vom 8. August 2004, zu der sämtliche Medien eingeladen worden seien, ausführlich zu den angekündigten [X.]-Enthüllungen und den darin enthaltenen Verdachtsmomenten geäußert habe. Er habe insbesondere ausgeführt, dass er keine [X.]-Vergangenheit als IM [X.] habe, "nie bewusst" mit dem [X.] zusammengearbeitet und "nie wissentlich" einen [X.]offizier getroffen habe. Zu dem - unter Bezugnahme auf den Bericht in den [X.]-Unterlagen erhobenen - konkreten Vorwurf, dass er als IM [X.] über eine Lesung der Autorin [X.] berichtet habe, habe er spekuliert, bei seinen "öffentlichen Reden über diese Veranstaltung" von der [X.] "abgeschöpft" worden zu sein. Die Beklagte hatte darüber hinaus in der Klageerwiderung vorgetragen, die vom Kläger als Fraktionschef gesteuerte [X.] habe in ihrem Internetportal eine Meldung vom 8. August 2004 zum Abruf bereit gehalten, in der u.a. Folgendes ausgeführt gewesen sei: "Der [X.]-Fraktionschef im [X.], [X.], hat [X.]-Vorwürfe zurückgewiesen. … Nach einem Bericht des Nachrichtenmagazins "[X.]" soll [X.] von Mai 1970 bis in die 80er Jahre als "IM [X.]" der [X.] - Auslandsspionage Informationen geliefert und außerdem seine damalige Freundin und heutige Ehefrau [X.] bespitzelt haben."

Dieser Vortrag der [X.] ist entscheidungserheblich. Die Beklagte hat damit geltend gemacht, der Kläger habe sich - vor der Berichterstattung durch die Beklagte in den Artikeln vom 9., 10., 11. und 17. August 2004 - gezielt an die Öffentlichkeit gewandt, um seine Reaktion auf die Vorwürfe bekannt zu geben, und über die [X.] eine Berichterstattung veranlasst, in der die angegriffenen [X.] bereits verbreitet worden seien. Dieses Verhalten des [X.] kann entweder als eine die Rechtswidrigkeit ausschließende Einwilligung in die Berichterstattung der [X.] zu werten sein oder jedenfalls dazu führen, dass sein Interesse an einem Schutz seiner Persönlichkeit im Rahmen der Abwägung hinter dem Interesse der [X.] an einer Berichterstattung zurückzutreten hat (vgl. zur Einwilligung in eine Persönlichkeitsbeeinträchtigung: [X.] 106, 28, 45 f.; Senatsurteile vom 28. September 2004 - [X.], [X.], 83 mwN; vom 19. Oktober 2004 - [X.], [X.], 84, 86; [X.], [X.], 766 f.; siehe auch [X.], [X.], 598, 599; [X.], ZUM 2007, 915, 916; [X.], [X.] 2008, 309; [X.], Medienrecht, 1999, Rn. 249; vgl. zur Berücksichtigung bei der Abwägung: Senatsurteile vom 3. Mai 1977 - [X.], NJW 1977, 1288, 1289, insoweit in [X.]Z 68, 331 nicht abgedruckt; vom 26. Mai 2009 - [X.], [X.], 1085 Rn. 26; [X.], [X.], 365 Rn. 32; [X.]K 9, 54, 62). Denn haben der Kläger bzw. auf seine Veranlassung und mit seinem Wissen die [X.] sich mit den für seine [X.]-Vergangenheit sprechenden Verdachtsmomenten öffentlich auseinandergesetzt, kann es der Presse nicht untersagt sein, diese Vorwürfe anschließend zum Gegenstand einer Berichterstattung zu machen.

bb) Die Revision rügt auch mit Erfolg, dass das Berufungsgericht bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit der in den Artikeln vom 10., 11. und 17. August 2004 enthaltenen Äußerungen die Anforderungen an eine zulässige Verdachtsberichterstattung überspannt hat.

(1) Das Berufungsgericht ist im Ansatz allerdings zutreffend davon ausgegangen, dass eine Tatsachenbehauptung, deren Wahrheitsgehalt ungeklärt ist und die eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Angelegenheit betrifft, demjenigen, der sie aufstellt oder verbreitet, solange nicht untersagt werden darf, wie er sie zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für erforderlich halten darf (Art. 5 [X.], § 193 StGB). Eine Berufung hierauf setzt voraus, dass der auf Unterlassung in Anspruch Genommene vor Aufstellung oder Verbreitung der Behauptung hinreichend sorgfältige Recherchen über den Wahrheitsgehalt angestellt hat (vgl. Senatsurteile vom 30. Januar 1996 - [X.], [X.], 13, 23 mwN; vom 22. April 2008 - [X.], [X.], 175 Rn. 35; [X.] 114, 339, 353; [X.], [X.], 480 Rn. 62). Erforderlich ist ein Mindestbestand an [X.], die für den Wahrheitsgehalt der Information sprechen und ihr damit erst "[X.]" verleihen. Die Darstellung darf keine Vorverurteilung des Betroffenen enthalten, also durch eine präjudizierende Darstellung den unzutreffenden Eindruck erwecken, der Betroffene sei der ihm vorgeworfenen Handlung bereits überführt. Auch ist vor der [X.] regelmäßig eine Stellungnahme des Betroffenen einzuholen. Schließlich muss es sich um einen Vorgang von gravierendem Gewicht handeln, dessen Mitteilung durch ein Informationsbedürfnis der Allgemeinheit gerechtfertigt ist (vgl. Senatsurteil vom 7. Dezember 1999 - [X.], [X.]Z 143, 199, 203 f. mwN).

(2) Die Revision beanstandet mit Recht, dass das Berufungsgericht den erforderlichen Mindestbestand an [X.], die für den Wahrheitsgehalt der angegriffenen Äußerungen sprechen, verneint und zu hohe Anforderungen an die von der [X.] einzuhaltende Sorgfalt gestellt hat.

(a) Die Pflichten zur sorgfältigen Recherche über den Wahrheitsgehalt richten sich nach den [X.]. Sie sind für die Medien strenger als für Privatleute. An die Wahrheitspflicht dürfen im Interesse der Meinungsfreiheit keine Anforderungen gestellt werden, die die Bereitschaft zum Gebrauch des Grundrechts herabsetzen und so den freien Kommunikationsprozess einschnüren. Andererseits ist aber auch zu berücksichtigen, dass die Wahrheitspflicht Ausdruck der Schutzpflicht ist, die aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht folgt. Je schwerwiegender die Äußerung das Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt, umso höhere Anforderungen sind deshalb an die Erfüllung der Sorgfaltspflichten zu stellen. Allerdings ist auch das Interesse der Öffentlichkeit an derartigen Äußerungen zu berücksichtigen (vgl. [X.], [X.], 480 Rn. 62 mwN, sowie Senatsurteil vom 7. Dezember 1999 - [X.], [X.]Z 143, 199, 203 f.; [X.] 114, 339, 353 f.; [X.]K 9, 317, 321; [X.]K 10, 485, 489; siehe auch [X.], [X.], 1015 Rn. 66; NJW 2006, 1645 Rn. 78; NJW 2012, 1058 Rn. 82).

(b) Die Revision beanstandet zu Recht, dass das Berufungsgericht die Stellungnahme des Pressesprechers der [X.]n, [X.], vom 9. August 2004 rechtsfehlerhaft nicht als privilegierte Quelle gewertet hat, der die Beklagte ein gesteigertes Vertrauen entgegenbringen durfte. Wie die Beklagte in der Klageerwiderung geltend gemacht und was das Berufungsgericht durch Bezugnahme auf die entsprechenden Ausführungen des [X.]s seiner Entscheidung als unstreitig zugrunde gelegt hat, hatte der Pressesprecher der [X.]n erklärt, aus den gefundenen Unterlagen gehe zweifelsfrei hervor, dass der Kläger als "IM [X.]" für den Staatssicherheitsdienst tätig gewesen sei.

Bei dem [X.]n handelt es sich gemäß § 35 Abs. 1 Satz 1 [X.] um eine Bundesoberbehörde. In der Rechtsprechung und im Schrifttum ist anerkannt, dass den Verlautbarungen amtlicher Stellen ein gesteigertes Vertrauen entgegengebracht werden darf (vgl. [X.], [X.], 365 Rn. 35; [X.], [X.], 86; [X.], [X.], 145, 147; NJW-RR 1993, 733, 734; KG, [X.], 302, 303; [X.] 2011, 468, 472; [X.], NJW-RR 1993, 732, 733; [X.], NJW 2004, 1181, 1183; [X.], [X.], 79, 80; siehe auch [X.], [X.], 1015 Rn. 72; NJW 2012, 1058 Rn. 105; [X.], NJW 1997, 1334, 1336; [X.]/[X.], Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 5. Aufl., [X.]. 6 Rn. 136; Damm/Rehbock, Widerruf, Unterlassung und Schadensersatz in den Medien, 3. Aufl., Rn. 986). Denn Behörden sind in ihrer Informationspolitik unmittelbar an die Grundrechte, namentlich das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen, gebunden und zur Objektivität verpflichtet (vgl. [X.], Urteil vom 17. März 1994 - [X.], NJW 1994, 1950, 1951; [X.], NJW-RR 2010, 1195 Rn. 35; [X.], Art. 20 [X.] Rn. 156 ff. [Stand: 1. Oktober 2012]).

Der Berücksichtigung der Auskünfte steht nicht entgegen, dass es sich dabei nur um sekundäre Quellen handelt. Der [X.] ist für solche Auskünfte besonders kompetent und kann das Vorliegen einer [X.] in aller Regel besser beurteilen als Presseorgane. Die Unterrichtung der Öffentlichkeit, die gemäß § 37 Abs. 1 Nr. 5 [X.] zu seinen Aufgaben und Befugnissen gehört, setzt fundierte und umfassende Kenntnisse über den Staatssicherheitsdienst und seinen Wirkungsbereich voraus (vgl. [X.]/[X.] in [X.]/[X.], [X.], 2. Aufl., § 37 Rn. 15). Deshalb ist beim [X.]n auch eine Forschungsabteilung gebildet worden ([X.]/[X.], [X.], 1. Aufl., § 37 Rn. 11).

III.

Das Berufungsurteil ist aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit es die erforderlichen Feststellungen treffen kann (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass die Unterlagen des [X.] der freien Beweiswürdigung unterliegen; im Einzelfall kann ihnen durchaus ein hoher Beweiswert zukommen (vgl. [X.], Urteile vom 23. September 1998 - 2 L 5/96, S. 12 mwN, und vom 18. November 1998 - 2 L 76/97, juris Rn. 20; [X.], Urteil vom 13. November 2007 - 10 UF 161/07, juris Rn. 32; [X.] in [X.]/[X.], [X.], 2. Aufl., § 19 Rn. 69; siehe auch [X.] 96, 189, 202 f.; [X.], 257, 265; [X.], [X.] 1995, 298, 299 f.). Vorsorglich weist der Senat auch darauf hin, dass der Tenor des [X.]surteils zu weit gefasst ist. Ein Verbot der angegriffenen Äußerungen setzt eine Abwägung zwischen dem Recht des [X.] auf Schutz seiner Persönlichkeit und dem Recht der [X.] auf Meinungs- und Medienfreiheit unter Berücksichtigung des Kontextes der Äußerungen voraus. Ein Verbot ohne Bezugnahme auf den Kontext geht daher grundsätzlich zu weit (vgl. auch [X.], ZUM 2010, 606, 609; für die Zulässigkeit von [X.] vom 13. November 2007 - [X.], [X.]Z 174, 262 Rn. 13 f.; vom 6. Oktober 2009 - [X.], [X.], 1675 Rn. 7 mwN).

Galke                            Zoll                               [X.]

                Pauge                         von [X.]

Meta

VI ZR 314/10

11.12.2012

Bundesgerichtshof 6. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, 12. Oktober 2010, Az: 7 U 89/08

Art 1 Abs 1 GG, Art 2 Abs 1 GG, Art 5 Abs 1 GG, § 823 Abs 1 BGB, § 1004 Abs 1 S 2 BGB, § 37 Abs 1 Nr 5 StUG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 11.12.2012, Az. VI ZR 314/10 (REWIS RS 2012, 588)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 588

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

VI ZR 315/10 (Bundesgerichtshof)


VI ZR 314/10 (Bundesgerichtshof)


VI ZR 494/17 (Bundesgerichtshof)

Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch Äußerungen in einer von dem Bundesbeauftragten für die Unterlagen des …


VI ZR 4/12 (Bundesgerichtshof)

Persönlichkeitsrechtsverletzung: Zulässigkeit des Bereithaltens eines Beitrags über ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen einen namentlich benannten Manager …


VI ZR 4/12 (Bundesgerichtshof)


Literatur & Presse BETA

Diese Funktion steht nur angemeldeten Nutzern zur Verfügung.

Anmelden
Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.