Bundesgerichtshof, Beschluss vom 06.04.2017, Az. I ZB 39/16

1. Zivilsenat | REWIS RS 2017, 12728

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Gegenstand

Entziehung des Schutzes für eine IR-Marke: Unterscheidungskraft einer dreidimensionalen Marke in Form einer Ware; Auswirkungen des Vertriebs einer Ware auf die Branchenüblichkeit einer Warenform - Schokoladenstäbchen III


Leitsatz

Schokoladenstäbchen III

1. Bei der Prüfung, ob eine dreidimensionale Marke, die in der Form einer Ware besteht, Unterscheidungskraft aufweist, weil ihre Gestaltung erheblich von der Norm oder Branchenüblichkeit abweicht, ist auf ihren Gesamteindruck abzustellen.

2. Die Frage, ob der Vertrieb einer Ware Auswirkungen darauf hat, ob und in welcher Weise der Verkehr eine Warenform im Zeitpunkt der Markenanmeldung oder der Schutzerstreckung als branchenüblich ansieht, ist nach den gesamten Gegebenheiten des betroffenen Marktsegments - etwa den dort bestehenden Marktanteilen, den erzielten Umsätzen, der räumlichen und zeitlichen Ausdehnung des Vertriebs und sonstigen Vertriebsumständen - zu beantworten.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Markeninhaberin wird der am 22. April 2016 an [X.] Statt zugestellte Beschluss des 25. Senats ([X.]) des [X.] aufgehoben, soweit zum Nachteil der Markeninhaberin erkannt worden ist.

Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den 29. Senat ([X.]) des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Für die Markeninhaberin ist seit dem 7. September 2005 die dreidimensionale [X.]. 869 586

Abbildung

für die Waren der Klasse 30

Cacao, chocolat, produits de chocolaterie

eingetragen. In der Beschreibung der Marke heißt es:

La marque est constituée par la forme du produit évoquant un sarment de vigne.

2

Seit dem 15. Dezember 2005 ist der Schutz auf [X.] erstreckt. Der Eintragung liegt die im [X.] Markenregister enthaltene Ausgangseintragung Nr. 02 3188047 zugrunde, die im [X.] Markenregister wie folgt dargestellt ist:

Abbildung

3

Die Antragstellerin hat beim [X.] die Schutzentziehung für [X.] beantragt. Die Marke sei freihaltebedürftig und nicht unterscheidungskräftig. Außerdem genüge sie nicht dem Bestimmtheitsgebot. Die Markeninhaberin hat dem Schutzentziehungsantrag widersprochen.

4

Das [X.] hat den Antrag auf Schutzentziehung zurückgewiesen. Auf die Beschwerde der Antragstellerin hat das [X.] den Beschluss des [X.]s aufgehoben und der [X.] mangels Bestimmtheit den Schutz für [X.] entzogen ([X.], [X.], 283). Auf die Rechtsbeschwerde der Markeninhaberin hat der [X.] diesen Beschluss aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen ([X.], Beschluss vom 28. Februar 2013 - [X.], [X.], 929 = [X.], 1194 - [X.]). Im wiedereröffneten Beschwerdeverfahren hat das [X.] den Beschluss des [X.]s erneut aufgehoben, soweit der Schutzentziehungsantrag in Bezug auf die Waren der Klasse 30 "chocolat" und "produits de chocolaterie" zurückgewiesen worden ist, der [X.] insoweit den Schutz für [X.] entzogen und die Beschwerde im Übrigen zurückgewiesen ([X.], [X.], 52 = [X.] 2017, 42). Hiergegen wendet sich die Markeninhaberin mit der vom [X.] zugelassenen Rechtsbeschwerde. Die Antragstellerin beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen.

5

II. Das [X.] hat angenommen, die angegriffene Marke sei zwar bezogen auf die Ware "cacao" hinreichend unterscheidungskräftig und nicht freihaltebedürftig. Jedoch fehle der Marke für die Waren "chocolat" und "produits de chocolaterie" die notwendige Unterscheidungskraft im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 [X.]. Dazu hat es ausgeführt:

6

Die angesprochenen Verkehrskreise - die Allgemeinheit der Verbraucher - nähmen die angegriffene dreidimensionale Gestaltung nicht als betrieblichen Herkunftshinweis für die Waren "chocolat" und "produits de chocolaterie" wahr. Auf dem Warengebiet der Schokolade und [X.] gebe es eine große und nahezu unüberschaubare Vielfalt von [X.], die nicht auf geometrische Grundformen oder gegenständliche Darstellungen beschränkt sei. Für die herkunftshinweisende Wahrnehmung einer Warenform bedürfe es einer besonderen, sich vom vielgestaltigen [X.] unterscheidenden Ausgestaltung, die die angegriffene Marke nicht aufweise. Ihre einzelnen Merkmale seien dem bekannten [X.] entnommen und wichen weder einzeln noch in ihrer Kombination erheblich vom [X.] ab.

7

III. Die zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Die Annahme des [X.]s, der angegriffenen Marke sei mit Blick auf die Waren "chocolat" und "produits de chocolaterie" mangels hinreichender Unterscheidungskraft der Schutz für [X.] zu entziehen, hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

8

1. Die ohne Beschränkung auf einen abgrenzbaren Teil zugelassene Rechtsbeschwerde eröffnet dem Rechtsbeschwerdegericht die volle rechtliche Nachprüfung des angefochtenen Beschlusses, ohne dass es auf die Entscheidung der als Zulassungsgrund angeführten Rechtsfrage beschränkt ist (vgl. [X.], Beschluss vom 17. Oktober 2013 - [X.], [X.], 376 Rn. 9 = [X.], 449 - [X.]; Beschluss vom 22. Mai 2014 - [X.], [X.], 376 Rn. 6 = [X.], 449 - [X.]; Beschluss vom 9. November 2016 - [X.], [X.], 186 Rn. 9 = [X.], 183 - [X.]).

9

2. Das [X.] ist zunächst zu Recht davon ausgegangen, dass einer nach dem [X.] Markenabkommen ([X.]) international registrierten Marke der Schutz für [X.] zu entziehen ist, wenn die Marke nicht hinreichend unterscheidungskräftig ist.

Die Schutzentziehung gemäß § 107 Abs. 1, § 115 Abs. 1, § 50 Abs. 1 und 2 [X.] einer im Ursprungsland vorschriftsmäßig eingetragenen [X.] setzt nach Art. 5 Abs. 1 [X.] voraus, dass ein in Art. [X.]. [X.] bis 3 [X.] genannter Grund vorliegt (vgl. [X.], Beschluss vom 5. April 1990 - [X.], [X.]Z 111, 134, 135 - [X.] FE; Beschluss vom 17. November 2005 - [X.], [X.], 589 Rn. 12 = [X.], 900 - Rasierer mit drei Scherköpfen; [X.], [X.], 929 Rn. 10 - [X.]). Nach Art. [X.]. [X.] 1 Nr. 2 [X.] darf einer Marke der Schutz entzogen werden, wenn sie jeder Unterscheidungskraft entbehrt.

Der für diese Prüfung anzulegende Maßstab stimmt mit demjenigen der §§ 3, 8 Abs. 2 [X.] überein. Dies folgt daraus, dass einerseits durch diese Vorschriften die Art. 2 und 3 der [X.] 2008/95/[X.] umgesetzt worden und sie daher richtlinienkonform auszulegen sind, es aber andererseits nach dem 13. Erwägungsgrund zur [X.] erforderlich ist, dass sich deren Vorschriften in vollständiger Übereinstimmung mit der [X.] befinden (vgl. [X.], Beschluss vom 25. März 1999 - [X.], [X.], 728, 729 = [X.], 858 - [X.]; Beschluss vom 14. Dezember 2000 - [X.], [X.], 413, 414 = [X.], 405 - [X.]; Beschluss vom 4. Dezember 2003 - [X.]/00, [X.], 329 = [X.], 492 - Käse in Blütenform I; vgl. auch - zum Bestimmtheitserfordernis - [X.], [X.], 929 Rn. 14 - [X.]).

3. Das [X.] ist weiter zutreffend davon ausgegangen, dass der Antrag auf Schutzentziehung wegen fehlender Unterscheidungskraft gemäß § 115 Abs. 1 [X.] erfolgreich ist, wenn im [X.]punkt der internationalen Registrierung der Marke am 7. September 2005 keine Unterscheidungskraft bestand und dieses Schutzhindernis im Entscheidungszeitpunkt noch fortbesteht.

Im Falle eines gegen eine [X.] Marke gerichteten Nichtigkeitsverfahrens (§ 50 Abs. 1 [X.]) ist für die Prüfung, ob einem Zeichen für die angemeldeten Waren oder Dienstleistungen jegliche Unterscheidungskraft fehlt oder gefehlt hat und es daher von der Eintragung nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 [X.] ausgeschlossen oder entgegen § 8 Abs. 2 Nr. 1 [X.] eingetragen worden ist, auf das Verkehrsverständnis im [X.]punkt der Anmeldung des Zeichens abzustellen ([X.], Beschluss vom 18. April 2013 - [X.], [X.], 1143 Rn. 15 = [X.], 1478 - Aus Akten werden Fakten). Eine Löschung darf gemäß § 50 Abs. 2 [X.] aber nur erfolgen, wenn die Marke auch im [X.]punkt der Entscheidung über den Löschungsantrag keine hinreichende Unterscheidungskraft aufweist.

Nach § 115 Abs. 1 [X.] tritt an die Stelle des Löschungsantrags wegen absoluter Schutzhindernisse gemäß § 50 [X.] der Antrag auf Schutzentziehung. Nach § 112 Abs. 1 [X.] hat die internationale Registrierung einer Marke, deren Schutz nach Artikel 3ter [X.] auf das Gebiet [X.]s erstreckt worden ist, dieselbe Wirkung, wie wenn die Marke am [X.]. 3 Abs. 4 [X.] zur Eintragung in das vom Patentamt geführte Register angemeldet und eingetragen worden wäre. Für die Prüfung des absoluten Schutzhindernisses fehlender Unterscheidungskraft ist danach im Streitfall auf den [X.] am 7. September 2005 abzustellen.

4. Das [X.] ist weiter zutreffend davon ausgegangen, dass die [X.] Ausgangseintragung der Beurteilung zugrunde zu legen ist. Grundlage für die Beurteilung der Schutzfähigkeit einer international registrierten Marke ist ihre Eintragung im Ursprungsland. Das folgt aus Art. 3 Abs. 1 Halbs. 2 [X.]. Danach bescheinigt die Behörde des Ursprungslandes, dass die Angaben in dem Gesuch um internationale Registrierung denen des nationalen Registers entsprechen (vgl. [X.] [X.], 929 Rn. 16 - [X.]).

5. Auf der Grundlage der vom [X.] getroffenen Feststellungen kann das Schutzhindernis fehlender Unterscheidungskraft nicht bejaht werden.

a) Unterscheidungskraft im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 [X.] ist die einer Marke innewohnende (konkrete) Eignung, vom Verkehr als Unterscheidungsmittel aufgefasst zu werden, das die in Rede stehenden Waren oder Dienstleistungen als von einem bestimmten Unternehmen stammend kennzeichnet und die Waren oder Dienstleistungen damit von denjenigen anderer Unternehmen unterscheidet. Da allein das Fehlen jeglicher Unterscheidungskraft ein Eintragungshindernis begründet, ist ein großzügiger Maßstab anzulegen, so dass jede auch noch so geringe Unterscheidungskraft genügt, um das Schutzhindernis zu überwinden. Dabei ist auf die mutmaßliche Wahrnehmung eines normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers der fraglichen Waren oder Dienstleistungen abzustellen ([X.], [X.], 376 Rn. 11 - [X.]; [X.], Beschluss vom 19. Februar 2014 - [X.], [X.], 569 Rn. 10 = [X.], 573 - [X.]; Beschluss vom 10. Juli 2014 - [X.], [X.], 173 Rn. 15 = [X.], 195 - for you; [X.], [X.], 186 Rn. 29 - [X.], jeweils mwN). Dieser großzügige Maßstab steht entgegen der Auffassung des [X.]s mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] im Einklang, wonach sich die Prüfung nicht auf ein Mindestmaß beschränken darf, sondern streng und umfassend sein muss ([X.], Urteil vom 6. Mai 2003 - [X.]/01, [X.]. 2003, [X.] = [X.], 604 Rn. 59 - [X.]; Urteil vom 12. Februar 2004 - [X.]/99, [X.]. 2004, [X.] = [X.], 674 Rn. 123 - Postkantoor; Urteil vom 21. Oktober 2004 - [X.]/02, [X.]. 2004, [X.] = [X.], 1027 Rn. 45 - DAS [X.] DER BEQUEMLICHKEIT). Dieses Erfordernis besagt nur, dass alle Gesichtspunkte umfassend zu würdigen sind und nicht nur eine summarische Prüfung erfolgen darf; es bezieht sich auf den Prüfungsumfang und nicht auf den Prüfungsmaßstab ([X.], Beschluss vom 22. Januar 2009 - [X.], [X.], 949 Rn. 11 = [X.], 963 - My World; Beschluss vom 9. Juli 2009 - [X.], [X.], 138 Rn. 23 = [X.], 260 - [X.]). Deshalb reicht auch nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] ein Minimum an Unterscheidungskraft aus, um das Schutzhindernis zu überwinden ([X.], Urteil vom 29. April 2004 - [X.]/01 und [X.]/01, [X.]. 2004, [X.] = [X.]. 2004, 631 Rn. 37 - [X.]/[X.] [Dreidimensionale Tablettenform I]; Urteil vom 21. Januar 2010 - [X.]/08, [X.]., 2010, [X.] = [X.], 228 Rn. 39 - [X.]/[X.] [Vorsprung durch Technik]; ebenso EuG, Urteil vom 19. September 2001 - [X.]/99, [X.]. 2001, [X.] Rn. 44; Urteil vom 13. Juni 2007 - [X.]/05, [X.]. 2007, [X.] = [X.]. 2007, 856 Rn. 55 - [X.]/[X.]).

Diese Grundsätze finden auch bei der Beurteilung der Unterscheidungskraft dreidimensionaler Marken Anwendung, die aus der Form der Ware bestehen. Bei ihnen sind die Kriterien für die Unterscheidungskraft keine anderen als diejenigen, die für die übrigen Markenkategorien gelten (vgl. [X.], Urteil vom 22. Juni 2006 - [X.]/05, [X.]. 2006, [X.] = [X.]. 2006, 842 Rn. 24 - [X.]/[X.]; [X.], Beschluss vom 24. Mai 2007 - [X.], [X.], 71 Rn. 23 = [X.], 107 - Fronthaube). Wie bei jeder anderen Markenform ist auch bei der dreidimensionalen, die Ware selbst darstellenden Markenform allein zu prüfen, ob der Verkehr in dem angemeldeten Zeichen für die in Rede stehenden Waren einen Herkunftshinweis sieht. Eine dreidimensionale Marke, die allein aus der Form der Ware besteht, wird allerdings vom Verkehr nicht notwendig in gleicher Weise wahrgenommen wie eine herkömmliche Wort- oder Bildmarke, die ein gesondertes Zeichen darstellt und vom Erscheinungsbild der gekennzeichneten Ware unabhängig ist. Gewöhnlich schließen Verbraucher daher aus der Form der Ware oder ihrer Verpackung nicht auf die betriebliche Herkunft (vgl. [X.], Urteil vom 7. Oktober 2004 - [X.]/02, [X.]. 2004, [X.] = [X.]. 2005, 135 Rn. 30 - Maglite; [X.], [X.]. 2006, 842 Rn. 25 - [X.]/[X.]; [X.], Beschluss vom 15. Dezember 2005 - [X.], [X.]Z 166, 65 Rn. 17 - [X.]; [X.], [X.], 71 Rn. 24 - Fronthaube; [X.], [X.], 138 Rn. 24 f. - [X.]).

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] kommt einer Marke, die in der Form einer Ware besteht, nur Unterscheidungskraft zu, wenn sie erheblich von der Norm oder Branchenüblichkeit abweicht (vgl. [X.], Urteil vom 12. Januar 2006 - [X.]/04, [X.]. 2006, [X.] = [X.], 233 Rn. 31 - Standbeutel; [X.], [X.]. 2006, 842 [X.]. 26 - [X.]/[X.]). Mit dem Merkmal der erheblichen Abweichung ist jedoch nur gemeint, dass die Besonderheiten, die die beanspruchte Form gegenüber üblichen Gestaltungen aufweist, geeignet sein müssen, vom Verkehr als Herkunftshinweis verstanden zu werden (vgl. [X.]Z 166, 65 Rn. 17 - [X.]; [X.], [X.], 71 Rn. 24 - Fronthaube; [X.], [X.], 793, 794).

Die der Prüfung der Unterscheidungskraft zugrundeliegende Feststellung des [X.] liegt im Wesentlichen auf tatrichterlichem Gebiet. Sie kann daher im Rechtsbeschwerdeverfahren nur darauf überprüft werden, ob der Tatrichter einen zutreffenden Rechtsbegriff zu Grunde gelegt und entsprechend den Denkgesetzen und der allgemeinen Lebenserfahrung geurteilt hat und das gewonnene Ergebnis von den getroffenen Feststellungen getragen wird (vgl. [X.], Beschluss vom 21. Juli 2016 - [X.], [X.], 1167 Rn. 19 = [X.], 1364 - Sparkassen-Rot).

b) Das [X.] hat angenommen, das angegriffene Zeichen habe für die Waren "chocolat" und "produits de chocolaterie" keine hinreichende Unterscheidungskraft. Zwar gebe es auf dem Markt kein mit diesem Zeichen identisches Produkt. Auf dem Warengebiet der Schokolade und [X.] gebe es jedoch eine große und nahezu unüberschaubare Vielfalt von [X.], die nicht auf geometrische Grundformen oder gegenständliche Darstellungen beschränkt sei. Es bedürfe daher einer besonderen Ausgestaltung von Schokoladenprodukten, um sie aus dem [X.] in einer die Herkunft kennzeichnenden Weise herauszuheben. Die Merkmale des angegriffenen Zeichens seien dem bekannten [X.] entnommen und wichen weder einzeln noch in ihrer Kombination erheblich von der Branchenüblichkeit ab. Die wesentlichen Merkmale des Zeichens - insbesondere die dünne, längliche Grundform und der runde Durchmesser - lägen auch bei den Produkten "[X.]", "[X.]" und "[X.]" vor, auf die die Parteien in einem Hinweisbeschluss hingewiesen worden seien. Diese Produkte seien zu berücksichtigen, auch wenn sie nicht vollständig aus Schokolade gefertigt seien. Oberflächengestaltung und Wellenform des angegriffenen Zeichens seien ebenfalls bekannt. [X.] seien etwa die seit Jahrzehnten verkauften "Katzenzungen". Das angegriffene Zeichen hebe sich nur unerheblich darin vom vorbekannten [X.] ab, dass das im Verhältnis von Querschnitt und Länge sehr dünne Stäbchen stärker gewellt sei als andere Produkte. Die Antragstellerin habe im [X.]punkt vor der Schutzrechtserstreckung [X.] vertrieben, die mit dem angegriffenen Zeichen mit Ausnahme des runden Querschnitts nahezu identisch gewesen seien, und hierdurch das Verkehrsverständnis dahingehend beeinflusst, dass solche Gestaltungen als branchenüblich angesehen würden.

Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

c) Ohne Erfolg wendet sich die Rechtsbeschwerde allerdings gegen die Einbeziehung der Produkte "[X.]", "[X.]" und "[X.]" in den Produktvergleich.

aa) Für die Beurteilung der Frage, ob der Verkehr eine Produktgestaltung als branchenüblich ansieht, ist in erster Linie auf den betroffenen [X.] abzustellen (vgl. [X.], [X.], 138 Rn. 24 - [X.]). Hierbei können allerdings auch Gestaltungsformen aus benachbarten [X.] berücksichtigt werden, wenn aufgrund der konkreten Umstände mit einer Übertragung der Verkehrsanschauung auf den betroffenen [X.] zu rechnen ist (vgl. [X.], [X.], 138 Rn. 26 f. - [X.]; [X.], Urteil vom 10. November 2016 - [X.], [X.], 730 Rn. 25 = [X.], 811 - [X.]). Die tatrichterliche Feststellung des [X.]s, dass die Gestaltungsformen von nicht vollständig aus Schokolade hergestellten Keksprodukten auf das Verkehrsverständnis im Bereich der Schokolade und [X.] hinüberwirken, unterliegt danach keinen rechtlichen Bedenken.

bb) Die Heranziehung der genannten Produkte ist - entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde - auch nicht deshalb zu beanstanden, weil das [X.] diese Produkte mittels bildlicher Darstellung im Anhang zur Terminsladung selbst zum Gegenstand der Erörterung gemacht hat. Im Verfahren vor dem [X.] gilt gemäß § 73 Abs. 1 [X.] der Amtsermittlungsgrundsatz. Nach § 73 Abs. 2 Satz 1 [X.] hat der Vorsitzende oder ein von ihm zu bestimmendes [X.] schon vor der mündlichen Verhandlung alle Anordnungen zu treffen, die notwendig sind, um die Sache möglichst in einer mündlichen Verhandlung zu erledigen. Sofern das Gericht vorbereitende Recherchen tätigt, ist den Parteien das Ergebnis der Recherche zur Verfügung zu stellen und ihnen hierzu rechtliches Gehör zu gewähren (vgl. [X.], Beschluss vom 28. August 2003 - [X.], [X.], 77, 78 f. = WRP 2003, 1445 - [X.]). Diesen Erfordernissen ist im Streitfall Genüge getan.

d) Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg, weil das [X.] bei seiner Prüfung einen unrichtigen rechtlichen Maßstab angewendet und zu hohe Anforderungen an das Vorliegen von Unterscheidungskraft im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 [X.] gestellt hat.

aa) Der Ausgangspunkt des [X.]s, wegen der unüberschaubaren Formenvielfalt im Sektor der Schokolade und [X.] bedürfe es für die Annahme eines Herkunftshinweises einer besonderen Ausgestaltung, überspannt die Anforderungen an die Unterscheidungskraft. Besteht eine Vielzahl an üblichen Gestaltungen, so setzt die Annahme der herkunftshinweisenden Funktion eines Zeichens eine erhebliche Abweichung von branchenüblichen Gestaltungen voraus (vgl. [X.], [X.], 233 Rn. 31 - Standbeutel; [X.]. 2006, 842 Rn. 26 - [X.]/[X.]). Hierfür kann es ausreichen, dass der Verkehr in der jeweiligen Gestaltung eine willkürliche Formgebung erkennt, die sich von anderen Gestaltungen durch wiederkehrende charakteristische, also identitätsstiftende Merkmale unterscheidet (vgl. [X.], Beschluss vom 10. April 1997 - [X.], [X.], 527, 529 = [X.], 755 - [X.]; [X.], [X.], 329, 330 - Käse in Blütenform I). Lediglich bloße Varianten handelsüblicher Formen werden - auch auf dem Süßwarensektor - in der Regel nicht als Herkunftshinweis aufgefasst (vgl. [X.], [X.]. 2006, 842 Rn. 29 f. - [X.]/[X.]; [X.], [X.], 138 Rn. 27- [X.]).

bb) Mit der vom [X.] gegebenen Begründung kann der Streitmarke danach eine hinreichende Unterscheidungskraft nicht abgesprochen werden.

(1) Im Streitfall spricht schon der vom [X.] festgestellte, aber zu Unrecht für unmaßgeblich erachtete Umstand, dass - abgesehen von den Produkten der am Verfahren Beteiligten und ihrer Schwesterunternehmen - kein identisches oder nahezu identisches Produkt auf dem Markt angeboten wurde und wird, für die Unterscheidungskraft des angegriffenen Zeichens.

(2) Bei der Beurteilung der Abweichungen vom branchenüblichen [X.] hat das [X.] die Prüfung sodann in rechtsfehlerhafter Weise auf isolierte, nach Auffassung des [X.]s branchenübliche Merkmale des angegriffenen Zeichens eingeengt, ohne seinen Gesamteindruck zu berücksichtigen.

Mit Blick auf die Vergleichsprodukte "[X.]", "[X.]" und "[X.]" hat das [X.] lediglich die dünne, längliche Grundform und den runden Durchmesser als wesentliche Merkmale der Streitmarke angesehen. Gleichermaßen augenfällig und den optischen Gesamteindruck maßgeblich mitbestimmend ist jedoch die in [X.] vorhandene Wellenform, die die Streitmarke von den durch das [X.] herangezogenen Vergleichsprodukten "[X.]", "[X.]" und "[X.]" unterscheidet. Diese sind zylindrische, also gerade verlaufende Stäbchen.

Mit Blick auf das Vergleichsprodukt "Katzenzungen" und dessen unregelmäßige, leicht wellige Form hat das [X.] auch die Wellenform der Streitmarke als branchenüblich angesehen. Hierbei hat es jedoch verkannt, dass die Gesamtheit der Merkmale der Streitmarke einen vollständig anderen optischen Eindruck vermittelt als die Gestaltung der "Katzenzungen", die durch einen geschwungenen Linienverlauf vom schmaleren Mittelteil zu den breiteren Abrundungen an beiden Enden des [X.]s gekennzeichnet ist.

Stellt man auf den Gesamteindruck der Streitmarke ab, der durch die Kombination einer länglichen, wellenförmigen Gestaltung mit einem rundem Durchmesser geprägt wird, so bestehen deutliche, für ein Mindestmaß an Unterscheidungskraft sprechende Abweichungen zu den Gestaltungen der genannten Vergleichsprodukte.

(3) Die Annahme des [X.]s, die Wellenform der angegriffenen Marke entspreche mit Blick auf die Gestaltung der im angefochtenen Beschluss genannten Vergleichsprodukte der Branchenüblichkeit, wird zudem von den durch das [X.] getroffenen Feststellungen nicht getragen. Der vom [X.] allein herangezogene Umstand, dass sich eine unregelmäßige, leicht wellige Form auch bei den bekannten, seit Jahrzehnten verkauften "Katzenzungen" finde, rechtfertigt die Annahme nicht, die Wellenform der angegriffenen Gestaltung sei allgemein branchenüblich. Die Annahme, eine wellenförmige Gestaltung sei branchenüblich, kann im Regelfall nicht ohne weiteres mit der Bezugnahme auf nur ein einziges Produkt innerhalb eines großen und in der Formgebung vielgestaltigen Produktmarktes begründet werden, wenn - wie im Streitfall - Feststellungen zur Marktbedeutung des Vergleichsprodukts fehlen.

(4) Die Annahme des [X.]s, die Streitmarke weiche schon deshalb nicht erheblich von branchenüblichen Gestaltungen ab, weil die Antragstellerin vor der Schutzerstreckung der Streitmarke am 7. September 2005 ab April 2005 das Produkt "[X.]" über die Supermarktkette [X.] vertrieben habe, das der Streitmarke mit Ausnahme des runden Querschnitts nahezu identisch gewesen sei, wird durch die vom [X.] getroffenen Feststellungen nicht getragen.

Das [X.] hat angenommen, der bis zum 31. August 2005 erzielte Verkauf von 2.423.000 Packungen des Produkts "[X.]" mit einem Umsatz von 2.205.363 € habe die Verkehrsanschauung dahingehend beeinflusst, dass von einer Branchenüblichkeit dieser Produktgestaltung gesprochen werden könne. Hierfür erscheine ausreichend, dass ein Produkt über eine große Supermarktkette vertrieben und ein Umsatz von über 2 Mio. € erzielt werde, ohne dass es darauf ankomme, welcher Anteil am Gesamtmarkt, gemessen in Tonnen, dem Produkt der Antragstellerin zuzurechnen sei.

Diese Feststellungen rechtfertigen nicht die Annahme, das Verkehrsverständnis sei durch den Vertrieb des genannten Produkts maßgeblich beeinflusst worden. Die Frage, ob der Vertrieb einer Ware Auswirkungen darauf hat, ob und in welcher Weise der Verkehr eine Warenform im [X.]punkt der Markenanmeldung oder der Schutzerstreckung als branchenüblich ansieht, kann regelmäßig nicht allein unter Hinweis auf absolute Vertriebsdaten eines einzelnen Anbieters beantwortet werden. Vielmehr sind hierfür die gesamten Gegebenheiten des betroffenen Marktsegments - etwa die dort bestehenden Marktanteile, die erzielten Umsätze, die räumliche und zeitliche Ausdehnung des Vertriebs und sonstige Vertriebsumstände - in den Blick zu nehmen. Bei einem - wie im Streitfall - nur kurze [X.] andauernden, nicht das gesamte [X.] erfassenden Produktvertrieb über nur einen Filialisten sind dabei keine geringen Anforderungen an eine Beeinflussung der Verkehrsauffassung zu stellen. Diesen Anforderungen werden die Feststellungen des [X.]s nicht gerecht, so dass sie die Annahme nicht tragen, der Vertrieb des Produkts "[X.]" habe das Verkehrsverständnis der branchenüblichen Formgebung von Schokolade und [X.] vor der Schutzerstreckung der Streitmarke maßgeblich beeinflusst.

IV. Die Rechtsbeschwerde kann vom Senat auch nicht aus anderen Gründen zurückgewiesen werden. Das [X.] hat keine tatsächlichen Feststellungen zum von der Antragstellerin ebenfalls geltend gemachten Schutzhindernis der freihaltebedürftigen beschreibenden Angabe (§ 8 Abs. 2 Nr. 2 [X.]) getroffen.

V. Die Entscheidung des [X.]s kann danach nicht aufrechterhalten werden. Sie ist aufzuheben und die Sache an das [X.] zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 89 Abs. 4 Satz 1 [X.]). Der erkennende Senat macht hierbei in entsprechender Anwendung der § 563 Abs. 1 Satz 2, § 577 Abs. 4 Satz 3 ZPO von der im Falle einer Häufung von Sachfehlern bestehenden Möglichkeit Gebrauch, die Sache an einen anderen Senat des [X.]s zurückzuverweisen (vgl. [X.], Beschluss vom 20. Dezember 1988 - [X.], [X.], 346, 348; [X.], [X.], 77, 79 - [X.]; Fezer, Markenrecht, 4. Aufl., § 89 Rn. 10).

Büscher     

      

Schaffert     

      

[X.]

      

Schwonke     

      

[X.]     

      

Meta

I ZB 39/16

06.04.2017

Bundesgerichtshof 1. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend BPatG München, 22. April 2016, Az: 25 W (pat) 8/09, Beschluss

§ 3 MarkenG, § 8 Abs 2 Nr 1 MarkenG, § 50 MarkenG, § 107 Abs 1 MarkenG, § 112 Abs 1 MarkenG, § 115 Abs 1 MarkenG, Art 6quienquies Abschn B S 1 Nr 2 PVÜ

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 06.04.2017, Az. I ZB 39/16 (REWIS RS 2017, 12728)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 12728


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. I ZB 39/16

Bundesgerichtshof, I ZB 39/16, 06.04.2017.


Az. 25 W (pat) 8/09

Bundespatentgericht, 25 W (pat) 8/09, 22.04.2016.

Bundespatentgericht, 25 W (pat) 8/09, 22.09.2011.

Bundespatentgericht, 25 W (pat) 8/09, 21.07.2011.

Bundespatentgericht, 25 W (pat) 8/09, 15.09.2010.


Az. I ZB 56/11

Bundesgerichtshof, I ZB 56/11, 28.02.2013.

Bundesgerichtshof, I ZB 56/11, 30.11.2011.


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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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