Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 21.03.2012, Az. 1 BvR 2492/08

1. Senat 1. Kammer | REWIS RS 2012, 7939

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

ÖFFENTLICHES RECHT POLIZEI- UND ORDNUNGSRECHT BUNDESVERFASSUNGSGERICHT (BVERFG) GRUNDRECHTE VERFASSUNGSBESCHWERDE DEMONSTRATIONEN VERSAMMLUNGEN

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Mangels Fortbestehens des Rechtsschutzinteresses und im Hinblick auf die Substantiierungspflicht unzulässige Verfassungsbeschwerde gegen das Bayerische Versammlungsgesetz (juris: VersammlG BY)


Gründe

I.

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft das [X.]. Sie wendet sich sowohl gegen die ursprüngliche Fassung des Gesetzes vom 22. Juli 2008 (GVBl S. 421; im Folgenden: [X.] a.[X.]), das sie - mit Ausnahme der [ref=4b88c76c-05a8-47e8-930f-959f797396ca]Art. 15 Abs. 2 Nr. 1a und 2, Abs. 3 [X.][/ref] a.[X.] - insgesamt angreift, als auch gegen einzelne Vorschriften dieses Gesetzes in der Fassung, die diese durch das Gesetz zur Änderung des [X.] vom 22. April 2010 (GVBl S. 190; im Folgenden: [X.]) erhalten haben.

2

1. Im Zuge der Föderalismusreform ging die Gesetzgebungskompetenz für das [X.] auf die Länder über (vgl. das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 28. August 2006, [X.]). Mit dem am 1. Oktober 2008 in [X.] getretenen Bayerischen Versammlungsgesetz vom 22. Juli 2008 machte der [X.] von dieser Kompetenz als erstes [X.]land Gebrauch.

3

Gegen die ursprüngliche Fassung dieses Gesetzes erhoben die Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde und stellten zugleich Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 32 [X.]. Mit Beschluss vom 17. Februar 2009 gab der [X.] dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung teilweise statt (vgl. [X.] 122, 342). Zum einen machte der [X.] konkrete Vorgaben, nach welchen Maßgaben Art. 9 [X.] a.[X.] einstweilen anzuwenden sei. Zum anderen setzte er mehrere Bußgeldvorschriften des Art. 21 [X.] a.[X.] betreffend die Art und Weise der Bekanntgabe oder Einladung zu einer Versammlung (Art. 3 Abs. 3 [X.] a.[X.]), betreffend die Leiterpflichten bei gewalttätigem Verlauf (Art. 4 Abs. 3 [X.] a.[X.]), betreffend das [X.](Art. 7 Abs. 2 [X.] a.[X.]) und betreffend die unzureichende Anzeige einer Versammlung bei der zuständigen Behörde sowie die Nichtmitteilung beziehungsweise unzureichende Mitteilung von Änderungen der anzuzeigenden Angaben ([[X.]. 13 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 3 [X.][/ref] a.[X.]) einstweilen außer [X.].

4

In der Folge erließ der [X.] Gesetzgeber, auch unter Berücksichtigung der tragenden Gründe des [X.]sbeschlusses ([X.] 122, 342 <360 ff.>), das Gesetz zur Änderung des [X.] vom 22. April 2010, welches am 1. Juni 2010 in [X.] trat. Dabei gab der [X.] Gesetzgeber die einstweilen außer [X.] gesetzten Bußgeldvorschriften - mit einer Ausnahme, betreffend die gänzlich unterbliebene Mitteilung von (nunmehr allerdings nur noch wesentlichen) Änderungen der anzuzeigenden Angaben - völlig auf und änderte auch die die Versammlungsfreiheit beschränkenden Vorschriften der Art. 3 bis 16 [X.] a.[X.] teils weitgehend ab. Aufgegeben wurde insbesondere die Pflicht des Leiters zur Verhinderung von Gewalttätigkeiten (Art. 4 Abs. 3 [X.] a.[X.]). Wesentlich abgeändert wurden vor allem die Möglichkeiten der Polizeibehörden zu Bild- und Tonaufnahmen oder -aufzeichnungen, die nunmehr ausschließlich offen zu erfolgen haben (Art. 9 [X.]) sowie die Anzeige- und Mitteilungspflichten (Art. 13 [X.]) und das [X.] (Art. 16 [X.]), welche weitgehend auf den Regelungsgehalt der vor Inkrafttreten des [X.] gültigen §§ 14 und 17a des Versammlungsgesetzes des [X.] (Gesetz über Versammlungen und Aufzüge des [X.] in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. November 1978, zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes zur Zusammenführung der Regelungen über befriedete Bezirke für Verfassungsorgane des [X.] vom 8. Dezember 2008 - im Folgenden: [X.]; diese Vorschriften galten übergangsweise in [X.] als [X.]recht fort, vgl. [ref=b237f941-d2ae-474a-ad48-2c302a556f07]Art. 125a Abs. 1 [X.]]) zurückgeführt wurden.

5

2. Ungeachtet dieser Änderungen halten die Beschwerdeführer an ihrer Verfassungsbeschwerde gegen die ursprüngliche Fassung des Gesetzes fest und [X.] eine Verletzung ihres Grundrechts der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG durch das Bayerische Versammlungsgesetz a.[X.] als Ganzes (mit Ausnahme der Art. 15 Abs. 2 Nr. 1a und 2 und Abs. 3 [X.] a.[X.]) und durch Art. 3, Art. 7, Art. 8, Art. 9, Art. 10, Art. 13, Art. 15, Art. 16, Art. 20 Abs. 2 Nrn. 1, 2, 4, 6, 7, 8, 9 und Art. 21 Nrn. 7, 8, 10, 11, 13, 14, 15, 16 [X.] a.[X.] im Besonderen. Ferner [X.] sie eine Verletzung ihres Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG durch Art. 9, Art. 10, Art. 13 Abs. 5 und Abs. 6, Art. 16 [X.] a.[X.]

6

Darüber hinaus wenden sie sich gegen die Änderung des [X.] und [X.] eine Verletzung ihres Grundrechts aus Art. 8 Abs. 1 GG durch die Art. 2, Art. 7, Art. 8 Abs. 1, Art. 9, Art. 10, Art. 13, Art. 14, Art. 15 Abs. 2 Nr. 1b, Art. 16 [X.] in ihrer neuen Fassung nebst den entsprechenden [X.] in Art. 20 und Art. 21 [X.], ferner eine Verletzung ihres Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG durch Art. 9, Art. 10, [ref=46b47928-dfb9-4ad8-9c58-70fbcde85c88]Art. 13 Abs. 5 und 6 [X.][/ref] sowie eine Verletzung ihres Rechts auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG durch Art. 16 [X.].

7

3. Die [X.] und das [X.]verwaltungsgericht haben zu der Verfassungsbeschwerde Stellung genommen.

8

1. Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, da Annahmegründe im Sinne des § 93a Abs. 2 [X.] nicht vorliegen. Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu. Ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der von den Beschwerdeführern als verletzt bezeichneten Grundrechte angezeigt. Denn die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig.

9

a) Unzulässig ist die Verfassungsbeschwerde zunächst insoweit, als sich die Beschwerdeführer nach wie vor gegen Vorschriften der ursprünglichen Fassung des Gesetzes, die zwischenzeitlich durch das Gesetz vom 22. April 2010 abgeändert worden sind, wenden. Denn insoweit fehlt es nach dem Beschwerdevortrag an einem fortbestehenden Rechtsschutzbedürfnis. Die Beschwerdeführer haben nicht hinreichend dargelegt, inwiefern die geänderten Vorschriften des [X.] a.[X.] sie weiterhin beschweren. Weder legen sie dar, dass die gerügten Beeinträchtigungen noch fortwirken (vgl. [X.] 91, 125 <133>), noch dass eine relevante Gefahr der Wiedereinführung dieser Regelungen gerade durch den [X.]n Gesetzgeber besteht (vgl. [X.] 91, 125 <133>). Dass - wie von den Beschwerdeführern vorgetragen - möglicherweise andere [X.]länder die Einführung gleich oder ähnlich lautender Regelungen planen, ist bereits deshalb unerheblich, weil ein Rechtsschutzbedürfnis stets aus einem speziellen Grundrechtseingriff eines bestimmten Hoheitsträgers resultiert, verschiedene [X.]länder aber verschiedene Hoheitsträger sind (vgl. [X.] 13, 54 <77 f.>). Auch ein sonstiges nachträgliches Feststellungsinteresse (vgl. etwa [X.] 103, 44 <58>; 104, 220 <233>) ist nicht erkennbar. Soweit sich die Beschwerdeführer gegen das [X.] a.[X.] als Ganzes wenden, genügt dies darüber hinaus nicht den Anforderungen des § 92 [X.]. Bei Rechtsnormen reicht es regelmäßig nicht aus, das gesamte Gesetz zum Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde zu machen. Notwendig ist vielmehr die exakte Bezeichnung der im Einzelnen angegriffenen Vorschriften (vgl. [X.] 109, 279 <305>).

b) Soweit sich die Beschwerdeführer gegen aktuell gültige Vorschriften des [X.] wenden, ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig.

aa) Hinsichtlich Art. 2, Art. 7 Nr. 2, Art. 9 Abs. 1, Art. 10 Abs. 3 und Abs. 4, [[X.]. 13 Abs. 1 Satz 3, Abs. 5, Abs. 6 und Abs. 7 [X.][/ref] sind die Beschwerdeführer mangels unmittelbarer Betroffenheit nicht beschwerdebefugt.

Art. 2 [X.] enthält keinerlei selbständige Rechtsfolgen. Die Vorschriften der Art. 10 Abs. 3 und Abs. 4 und [ref=ff54aab8-e7c5-4e12-a7a9-6262859b1391]Art. 13 Abs. 1 Satz 3, Abs. 5, Abs. 6 und Abs. 7 [X.][/ref] berühren den Rechtskreis der Beschwerdeführer unmittelbar nicht. Konkrete rechtliche Folgen bekommen sie erst nach Maßgabe eines eigenständigen Hoheitsakts. Die in Art. 13 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 7 [X.] normierten Pflichten sind darüber hinaus nicht straf- oder bußgeldbewehrt, so dass es den Beschwerdeführern insofern vor Erhebung einer Rechtssatzverfassungsbeschwerde grundsätzlich zuzumuten ist, zunächst einen Vollzugsakt abzuwarten und sodann um fachgerichtlichen Rechtsschutz nachzusuchen (vgl. [X.] 81, 70 <82 f.>; 122, 342 <356 f.>). Dies gilt nunmehr auch für das in [ref=254737de-7d68-495f-a1ab-f7c2e7807843]Art. 7 Nr. 2 [X.][/ref] geregelte Militanzverbot, dessen Bußgeldbewehrung mit dem Änderungsgesetz entfallen ist. An einer unmittelbaren Betroffenheit fehlt es in Folge der Neuregelung auch hinsichtlich der in Art. 9 [X.] geregelten polizeilichen Befugnisse zur Datenerhebung und zur Anfertigung von Bild- und Tonaufzeichnungen. Denn anders als in der ursprünglichen Fassung (vgl. [X.] 122, 342 <357>) haben jetzt sämtliche Maßnahmen offen und damit für den einzelnen Betroffenen wahrnehmbar zu erfolgen, so dass auch insoweit zunächst um fachgerichtlichen Rechtsschutz nachgesucht werden kann (vgl. [X.] 100, 313 <354>; 109, 279 <306 f.>).

bb) Nicht beschwerdebefugt sind die Beschwerdeführer ferner, soweit sie - bezogen auf Art. 16 [X.] - [X.], in ihrem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verletzt zu sein. Denn dieses Grundrecht knüpft an die körperliche Integrität des Menschen an und setzt daher gemäß Art. 19 Abs. 3 GG zwingend voraus, dass der Beschwerdeführer eine natürliche Person ist (vgl. etwa [X.], in: [X.]/[X.], GG, Art. 2 Abs. 2 Rn. 21 m.w.N.; [X.]/[X.], GG, 11. Aufl. 2011, Art. 2 Rn. 84 m.w.N.). Bei den Beschwerdeführern handelt es sich aber ausschließlich um Personenvereinigungen.

cc) Soweit sich die Beschwerdeführer gegen Art. 7 Nr. 1, Art. 8 Abs. 1, Art. 13 Abs. 1 bis 4, Art. 14 und Art. 16 [X.] und die jeweils dazugehörigen Straf- und Bußgeldvorschriften der Art. 20 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Nr. 5, Art. 21 Abs. 1 Nrn. 2, 7, 8 und 9, Abs. 2 Nrn. 4, 6 und 7 [X.] wenden, genügt die Verfassungsbeschwerde nicht den Anforderungen der [[X.]-6076-4250-963a-469a594d4042]§§ 23 Abs. 1 Satz 2, 92 [X.][/ref]. Nach diesen Vorschriften muss die Verfassungsbeschwerde substantiiert darlegen, mit welchen verfassungsrechtlichen Anforderungen die angegriffene Maßnahme kollidiert; die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung ist deutlich zu machen (vgl. [X.] 108, 370 <386 f.>; 120, 274 <298>). Dies gilt in besonderem Maße, wenn das [X.]verfassungsgericht zu den von den Beschwerdeführern aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragen bereits Maßstäbe entwickelt hat (vgl. etwa [X.] 77, 170 <214 ff.>; 101, 331 <345 f.>; [X.]K 1, 227 <228>; 3, 213 <216>).

(1) Zum in Art. 7 Nr. 1 [X.] normierten Uniformierungsverbot und den dazugehörigen Bußgeldvorschriften des [ref=080b81aa-1a1b-41db-9299-b3233d845992]Art. 21 Abs. 1 Nr. 2 [X.][/ref] tragen die Beschwerdeführer lediglich vor, dass die Vorschrift des Art. 7 Nr. 1 [X.] unbestimmt, aufgrund der überragenden Bedeutung der Versammlungsfreiheit eine verfassungskonforme Auslegung nicht möglich und dass die Vorschrift insbesondere bei nichtöffentlichen Versammlungen unverhältnismäßig sei. Die Beschwerdeführer setzen sich dabei jedoch weder mit der Vorgängervorschrift des § 3 Abs. 1 [X.], die einen beinahe identischen Regelungsgehalt aufwies und auch bei nichtöffentlichen Versammlungen Anwendung fand, noch mit der korrespondierenden Strafvorschrift des § 28 [X.] und der hierzu bereits ergangenen Rechtsprechung des [X.]verfassungsgerichts (vgl. Beschluss des [X.] vom 27. April 1982 - 1 BvR 1138/81 -, NJW 1982, S. 1803) und der Fachgerichte (vgl. etwa [X.], Urteil vom 29. November 1983 - 5 StR 811/83 -, NStZ 1984, [X.]; [X.] Oberstes Landesgericht, Urteil vom 20. Januar 1987 - [X.] -, NStZ 1987, [X.]; [X.], Urteil vom 7. März 1983 - (34) 172/81 KLs -, NStZ 1983, [X.]) auseinander und erläutern auch im Übrigen nicht näher, warum die Vorschrift die Anforderungen, die sie an den Einzelnen stellt, nicht hinreichend erkennen lassen soll. Insbesondere lässt die Verfassungsbeschwerde jede substantielle Auseinandersetzung mit der insoweit maßgeblichen Frage vermissen, inwieweit das weitere Tatbestandsmerkmal im 2. Halbsatz des Art. 7 [X.] ("sofern dadurch eine einschüchternde Wirkung entsteht") geeignet ist, etwaigen als unverhältnismäßig erscheinenden Anwendungsfällen des [X.] - insbesondere bei nichtöffentlichen Versammlungen, denen in der Regel keine massensuggestive Wirkung zukommt (vgl. [X.], Urteil vom 29. November 1983 - 5 StR 811/83 - juris, Rn. 8 und 10) - hinreichend entgegenzuwirken. Dass dieses Tatbestandsmerkmal hierfür durchaus geeignet sein kann, ist entgegen dem Vortrag der Beschwerdeführer jedenfalls nicht schon grundsätzlich ausgeschlossen (vgl. nur [X.] 69, 315 <349 ff.>; 85, 69 <72 ff.>).

(2) Auch hinsichtlich Art. 8 Abs. 1 [X.] ([X.]) und der zugehörigen Bußgeldvorschrift des [ref=bcca4372-4325-4113-b5ad-61294b9956ff]Art. 21 Abs. 2 Nr. 4 [X.][/ref] setzen sich die Beschwerdeführer nur unzureichend und fehlerhaft mit den Vorgängervorschriften des § 2 Abs. 2 [X.] und des § 29 Abs. 1 Nr. 4 [X.] auseinander. Insbesondere gehen die Beschwerdeführer fälschlicherweise davon aus, dass Art. 8 Abs. 1 [X.] und Art. 21 Abs. 2 Nr. 4 [X.] eine erhebliche Verschärfung der Vorgängervorschriften des Versammlungsgesetzes darstellen. Der [X.] Landesgesetzgeber hat die Tatbestandsvoraussetzungen der §§ 2 Abs. 2, 29 Abs. 1 Nr. 4 [X.] vielmehr inhaltsgleich übernommen und darüber hinaus gerade im Gegenteil die bisherige, ergänzende Strafvorschrift des § 21 [X.] bei groben Störungen aufgegeben. Insbesondere befassen sich die Beschwerdeführer auch nicht ausreichend mit der Frage und der hierzu ergangenen Rechtsprechung des [X.]verfassungsgerichts, in welchem Umfang die Störung von Versammlungen vom Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG umfasst ist (vgl. [X.] 84, 203 <210>). Dass sich auf den Schutz der Versammlungsfreiheit auch derjenige berufen kann, der den in der Versammlung geäußerten Meinungen kritisch oder ablehnend gegenübersteht (vgl. [X.] 84, 203 <209>), wird entgegen dem Beschwerdevorbringen durch die angegriffenen Vorschriften hingegen nicht in Frage gestellt. Darüber hinaus ist nach dem Beschwerdevorbringen auch fraglich, inwieweit die Beschwerdeführer durch Art. 8 Abs. 1, [ref=716f8b20-1102-431c-b86e-9acd31785377]Art. 21 Abs. 2 Nr. 4 [X.][/ref] selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen sind (vgl. [X.] 79, 1 <14 f.>). Die Beschwerdeführer tragen weder vor, inwieweit sie gegenwärtig oder künftig durch das Verbot, eine ordnungsgemäße Durchführung von Versammlungen im Sinne des Art. 8 Abs. 1 [X.] zu verhindern, betroffen sein können, noch setzen sie sich auch nur ansatzweise mit der schwierigen Frage auseinander, ob es ihnen aufgrund dessen, dass die Störung von Versammlungen lediglich im Falle wiederholter Zurechtweisung bußgeldbewehrt ist, im Falle der erstmaligen Zurechtweisung zuzumuten wäre, zunächst um fachgerichtlichen Rechtsschutz nachzusuchen.

(3) Auch hinsichtlich der in Art. 13 Abs. 1 bis 4 [X.] geregelten Anzeigepflicht für Versammlungen unter freiem Himmel und der zugehörigen Bußgeldvorschrift des Art. 21 Abs. 1 Nr. 7 [X.] verkennen die Beschwerdeführer, dass der [X.] Landesgesetzgeber mit der geänderten Fassung des Art. 13 [X.] nunmehr den Regelungsgehalt der Vorgängervorschrift des § 14 [X.] in seiner Auslegung durch das [X.]verfassungsgericht im [X.] ([X.] 69, 315 ff.) weitestgehend übernommen hat, die anzeigepflichtigen Angaben auf die zur Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und der ordnungsgemäßen Durchführung der Versammlung wesentlichen Informationen (vgl. [X.]/[X.]/Kniesel, Versammlungsgesetz, 16. Aufl. 2011, § 14 Rn. 14 ff.) zurückgeführt hat und anders als noch in § 26 Nr. 2 [X.] die Durchführung einer nichtangezeigten (vormals nichtangemeldeten) Versammlung nunmehr nicht mehr strafbewehrt, sondern lediglich noch bußgeldbewehrt ist. Sowohl zu [ref=4efb72fb-66dc-48b8-8a96-d12af1ac47cf]§ 14 [X.][/ref] als auch zu § 26 Nr. 2 [X.] hat das [X.]verfassungsgericht aber ausdrücklich festgestellt, dass diese Vorschriften den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen, wenn sie im Einzelfall unter Berücksichtigung der grundsätzlichen Bedeutung der Versammlungsfreiheit ausgelegt und angewendet werden (vgl. [X.] 69, 315 <347 ff.>; 85, 69 <72>). Warum dies bei den nahezu inhaltsgleichen, auf der Sanktionsebene sogar weniger einschneidenden Vorschriften nicht mehr gelten soll, haben die Beschwerdeführer nicht hinreichend dargelegt; eine Auseinandersetzung mit den genannten Entscheidungen des [X.]verfassungsgerichts findet insoweit nicht statt. Insbesondere legen die Beschwerdeführer insofern auch nicht hinreichend dar, warum bei Klein- oder Kleinstversammlungen, von denen - wie die Beschwerdeführer grundsätzlich zutreffend ausgeführt haben - regelmäßig weitaus geringere Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehen als von größeren Versammlungen, im Einzelfall eine Auslegung im Lichte der Versammlungsfreiheit nicht möglich sein soll, zumal Verstöße gegen die Anzeigepflicht nunmehr lediglich noch bußgeldbewehrt sind, die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten aber anders als die Verfolgung von Straftaten gemäß [ref=37df6415-31e1-4b13-a9b0-738f9980f877]§ 47 Abs. 1 Satz 1 OWiG[/ref] stets im Ermessen der [X.] liegt und auch Art. 21 [X.] als Ermessensnorm ausgestaltet ist.

Soweit die Beschwerdeführer im Besonderen noch [X.], dass die in Art. 13 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 [X.] geregelte Pflicht zur Angabe der persönlichen Daten des Veranstalters und des Leiters im Sinne von Art. 10 Abs. 3 Satz 1 [X.] das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und die Versammlungsfreiheit verletze, verkennen sie, dass die Angabe der identitätsbestimmenden persönlichen Daten des Veranstalters und gegebenenfalls des von diesem bestimmten Leiters auch nach bisheriger Rechtslage grundsätzlich als anmeldepflichtig angesehen worden ist (vgl. [X.]/[X.]/Kniesel, Versammlungsgesetz, 16. Aufl. 2011, § 14 [X.]), und beschränken sich letztlich darauf, festzustellen, dass ein Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und die Versammlungsfreiheit vorliegt, ohne hinreichend auf die Frage einer möglichen Rechtfertigung hierfür zu Zwecken der Sicherstellung eines störungsfreien Versammlungsverlaufs (vgl. [X.] 85, 69 <74>) einzugehen.

Zu einer etwaigen Verfassungswidrigkeit des Art. 13 Abs. 2 Satz 2 [X.] und der dazugehörigen Bußgeldvorschrift des Art. 21 Abs. 2 Nr. 6 [X.] fehlt jeglicher Vortrag.

(4) Bezüglich Art. 14 [X.] setzen sich die Beschwerdeführer insbesondere nicht damit auseinander, dass die dort normierte Kooperationspflicht der Veranstalter gerade auf die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung zurückgeht (vgl. [X.] 69, 315 <355 ff.>). Soweit sie anmahnen, dass es im Gegenzug an einer Kooperationspflicht der Behörden fehle und eine solche eingeführt werden "sollte", belassen sie es bei dieser schlichten Forderung und legen nicht näher dar, inwiefern das damit sinngemäß gerügte gesetzgeberische Unterlassen einer Grundrechtsverletzung gleichkommen kann.

(5) Auch bezüglich Art. 16 [X.] und den zugehörigen Straf- und Bußgeldvorschriften der Art. 20 Abs. 2 Nr. 5, Art. 21 Abs. 1 Nrn. 8 und 9, Abs. 2 Nr. 7 [X.] genügen die Beschwerdeführer nach der Änderung dieser Vorschriften durch das Gesetz zur Änderung des [X.] vom 22. April 2010 den Substantiierungsanforderungen nicht mehr. Die bloßen Hinweise darauf, dass bereits gegen die Vorgängervorschrift des § 17a [X.] verfassungsrechtliche Bedenken bestanden und in Einzelfällen einfach- und verfassungsrechtlich problematische Verurteilungen erfolgt seien, dass die Vermummung sowie das Mitführen von [X.] eine Versammlung nicht unfriedlich machten und dass sich auch friedliche Versammlungsteilnehmer vor rechtswidriger Polizeigewalt schützen können müssten, reichen für einen hinreichend substantiierten Angriff dieser Norm nicht aus und zeigen als solche insbesondere nicht hinreichend deutlich auf, mit welchen konkreten, sich aus [ref=a18c1c89-82f3-4b18-bade-5da7b4798534]Art. 8 Abs. 1 [X.]] ergebenden verfassungsrechtlichen Maßstäben Art. 16 [X.] kollidiert. Die Beschwerdeführer erwähnen insoweit [ref=992975eb-76b4-[X.]-676cbc3465bb]Art. 8 Abs. 1 [X.]] nur am Rande, stützen ihre Rüge diesbezüglich argumentativ aber ausschließlich auf das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, das ihnen gemäß Art. 19 Abs. 3 GG nicht zur Seite steht (siehe oben [X.]). Aber auch wenn man den Maßstab der Versammlungsfreiheit zugrunde legt, verfängt das von den Beschwerdeführern in den Mittelpunkt gerückte Argument, dass die Versammlungsteilnehmer sich vor Polizeigewalt schützen können müssten, nicht, da sie nicht darlegen, warum und inwieweit der Gesetzgeber im Rahmen einer solchen Regelung ein rechtswidriges polizeiliches Vorgehen unterstellen müsste. Auch das Argument, dass die Vermummung und das Mitführen von [X.] nicht zur Unfriedlichkeit einer Versammlung führen würden, vermag eine mögliche Verletzung des Art. 8 Abs. 1 GG nicht plausibel zu machen. Denn dies begründet lediglich, dass der Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG eröffnet sein mag, nicht aber auch, dass das Vermummungs- und [X.]verbot verfassungsrechtlich ungerechtfertigt ist. Darüberhinaus setzen sich die Beschwerdeführer auch hier nicht mit der in Art. 16 Abs. 3 [X.] normierten Möglichkeit auseinander, Verbotsausnahmen zuzulassen; insbesondere fehlt eine Auseinandersetzung mit der Frage, inwieweit durch eine verfassungskonforme Auslegung und Anwendung im Einzelfall (vgl. [X.] 69, 315 <349 ff.>; 85, 69 <72 ff.>) unverhältnismäßige Beeinträchtigungen, insbesondere auf der Sanktionsebene, vermieden werden können.

([X.]) Soweit sich die Beschwerdeführer gegen Art. 15 Abs. 2 Nr. 1b [X.] wenden, haben sie die Verfassungsbeschwerde nicht innerhalb der Jahresfrist des § 93 Abs. 3 Alt. 1 [X.] begründet. Die nicht vom Änderungsgesetz betroffene Vorschrift ist am 1. Oktober 2008 in [X.] getreten. Mit der Vorschrift inhaltlich auseinandergesetzt haben sich die Beschwerdeführer erstmals mit Schriftsatz vom 2. Juli 2010.

2. Obwohl die Verfassungsbeschwerde in Folge der Änderung des [X.] unzulässig geworden ist, ist den Beschwerdeführern gemäß § 34a Abs. 3 [X.] ein Teil ihrer notwendigen Auslagen zu erstatten. Denn der [X.] Landesgesetzgeber hat erst auf die Verfassungsbeschwerde hin die beschriebenen Änderungen des [X.] vorgenommen und damit der ursprünglich gerügten Beschwer von sich aus in Teilen abgeholfen. Da keine anderweitigen Gründe hierfür ersichtlich sind, kann davon ausgegangen werden, dass er das Begehren der Beschwerdeführer in diesem Umfange selbst für berechtigt erachtet hat. Es ist daher billig, den Beschwerdeführern insoweit die Erstattung ihrer Auslagen zuzusprechen (vgl. [X.] 85, 109 <114 f.>; 87, 394 <397>; 91, 146 <147>). Im Verhältnis zu den unzulässigen [X.] erscheint wie bereits im einstweiligen [X.](vgl. [X.] 122, 342 <342 f.>) die Erstattung der Auslagen im Umfange von einem Drittel billig.

3. Die Befugnis der Kammer zur Entscheidung über die Nichtannahme ergibt sich aus § 93b Satz 1 Alt. 1 [X.]. Dies gilt unabhängig davon, dass über den gleichzeitig gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung der [X.] entschieden hat. Denn das Verfahren über vorläufigen Rechtsschutz und das Verfahren über die Hauptsache sind selbständige, voneinander getrennte Verfahren (vgl. ebenso schon [X.], Beschluss des [X.] vom 15. September 1994 - 1 BvR 1651/94 -, NJW 1995, [X.] und Beschluss der [X.] des [X.] vom 14. März 2001 - 1 BvR 1651/94 -, NJW 2002, [X.]).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvR 2492/08

21.03.2012

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 1. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend BVerfG, 17. Februar 2009, Az: 1 BvR 2492/08, Einstweilige Anordnung

§ 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 90 Abs 1 BVerfGG, § 92 BVerfGG, Art 2 VersammlG BY vom 22.04.2010, Art 3 Abs 3 VersammlG BY vom 22.07.2008, Art 4 Abs 3 VersammlG BY vom 22.07.2008, Art 7 VersammlG BY vom 22.04.2010, Art 7 Abs 2 VersammlG BY vom 22.07.2008, Art 8 Abs 1 VersammlG BY vom 22.04.2010, Art 9 VersammlG BY vom 22.04.2010, Art 9 Abs 2 S 1 VersammlG BY vom 22.07.2008, Art 9 Abs 2 S 2 VersammlG BY vom 22.07.2008, Art 9 Abs 4 S 1 Nr 2 VersammlG BY vom 22.07.2008, Art 10 VersammlG BY vom 22.04.2010, Art 13 Abs 1 VersammlG BY vom 22.07.2008, Art 13 Abs 2 VersammlG BY vom 22.07.2008, Art 13 Abs 5 VersammlG BY vom 22.04.2010, Art 13 Abs 5 VersammlG BY vom 22.04.2010, Art 14 VersammlG BY vom 22.04.2010, Art 15 Abs 2 Nr 1b VersammlG BY vom 22.04.2010, Art 16 VersammlG BY vom 22.04.2010, Art 20 VersammlG BY vom 22.04.2010, Art 21 VersammlG BY vom 22.04.2010, Art 21 Nr 1 VersammlG BY vom 22.07.2008, Art 21 Nr 2 VersammlG BY vom 22.07.2008, Art 21 Nr 7 VersammlG BY vom 22.07.2008, Art 21 Nr 13 VersammlG BY vom 22.07.2008

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 21.03.2012, Az. 1 BvR 2492/08 (REWIS RS 2012, 7939)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 7939 BVerfGE 122, 342-374 REWIS RS 2012, 7939


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 1 BvR 2492/08

Bundesverfassungsgericht, 1 BvR 2492/08, 01.08.2012.

Bundesverfassungsgericht, 1 BvR 2492/08, 21.03.2012.

Bundesverfassungsgericht, 1 BvR 2492/08, 02.02.2010.

Bundesverfassungsgericht, 1 BvR 2492/08, 17.02.2009.


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