BT-Drucksache 16/7985

Keine Änderung des Stichtages im Stammzellgesetz - Adulte Stammzellforschung fördern

Vom 6. Februar 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/7985 (neu)
16. Wahlperiode 06. 02. 2008

Antrag
der Abgeordneten Priska Hinz (Herborn), Julia Klöckner, Dr. Herta Däubler-Gmelin,
Hans-Michael Goldmann, Daniela Raab, Jochen Borchert, Fritz Kuhn,
Dr. h. c. Wolfgang Thierse, Dr. Maria Böhmer, Kerstin Andreae, Dorothee Bär,
Sabine Bätzing, Volker Beck (Köln), Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen),
Cornelia Behm, Veronika Bellmann, Birgitt Bender, Dr. Axel Berg, Grietje Bettin,
Peter Bleser, Alexander Bonde, Wolfgang Bosbach, Michael Brand, Georg
Brunnhuber, Cajus Caesar, Gitta Connemann, Hubert Deittert, Ekin Deligöz,
Marie-Luise Dött, Dr. Thea Dückert, Maria Eichhorn, Dr. Stephan Eisel, Ilse Falk,
Hans-Josef Fell, Elke Ferner, Ingrid Fischbach, Dr. Maria Flachsbarth, Klaus-Peter
Flosbach, Erich G. Fritz, Hans-Joachim Fuchtel, Kai Gehring, Norbert Geis,
Dr. Edmund Peter Geisen, Ralf Göbel, Josef Göppel, Katrin Göring-Eckardt,
Dr. Wolfgang Götzer, Ute Granold, Reinhard Grindel, Markus Grübel, Wolfgang
Gunkel, Heike Hänsel, Anja Hajduk, Michael Hartmann (Wackernheim), Britta
Haßelmann, Bettina Herlitzius, Winfried Hermann, Peter Hettlich, Ulrike Höfken,
Bärbel Höhn, Joachim Hörster, Klaus Hofbauer, Dr. Anton Hofreiter, Franz-Josef
Holzenkamp, Thilo Hoppe, Hubert Hüppe, Brunhilde Irber, Andreas Jung
(Konstanz), Hans-Werner Kammer, Steffen Kampeter, Ulrich Kasparick, Bernhard
Kaster, Volker Kauder, Jürgen Klimke, Monika Knoche, Ute Koczy, Hellmut
Königshaus, Norbert Königshofen, Karin Kortmann, Hartmut Koschyk, Sylvia
Kotting-Uhl, Renate Künast, Dr. Hermann Kues, Markus Kurth, Undine Kurth
(Quedlinburg), Christine Lambrecht, Monika Lazar, Paul Lehrieder, Dr. Klaus
W. Lippold, Dr. Michael Luther, Nicole Maisch, Dr. Michael Meister, Dorothee
Menzner, Friedrich Merz, Maria Michalk, Hildegard Müller, Kerstin Müller (Köln),
Winfried Nachtwei, Henry Nitzsche, Michaela Noll, Omid Nouripour, Eduard Oswald,
Beatrix Philipp, Brigitte Pothmer, Peter Rauen, Klaus Riegert, Christel Riemann-
Hanewinckel, Johannes Röring, Kurt J. Rossmanith, Dr. Ernst Dieter Rossmann,
Claudia Roth (Augsburg), Dr. Christian Ruck, Krista Sager, Anita Schäfer (Saalstadt),
Hermann-Josef Scharf, Elisabeth Scharfenberg, Christine Scheel, Dr. Gerhard Schick,
Marianne Schieder, Karl Schiewerling, Georg Schirmbeck, Christian Schmidt (Fürth),
Dr. Andreas Schockenhoff, Bernhard Schulte-Drüggelte, Reinhard Schultz (Everswinkel),
Kurt Segner, Thomas Silberhorn, Johannes Singhammer, Jens Spahn, Rainder Steenblock,
Erika Steinbach, Silke Stokar von Neuforn, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Thomas Strobl
(Heilbronn), Hans-Christian Ströbele, Dr. Harald Terpe, Jörn Thießen, Hans Peter Thul,
Andrea Astrid Voßhoff, Peter Weiß (Emmendingen), Gerald Weiß (Groß-Gerau), Wolfgang
Wieland, Willy Wimmer (Neuss), Elisabeth Winkelmeier-Becker, Josef Philip Winkler,
Dr. Wolfgang Wodarg, Jörn Wunderlich, Uta Zapf, Wolfgang Zöller, Willi Zylajew

Keine Änderung des Stichtages im Stammzellgesetz –
Adulte Stammzellforschung fördern

Drucksache 16/7985 (neu) – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Standort Deutschland belegt international einen Spitzenplatz in der the-
rapieorientierten Forschung und Anwendung mit adulten Stammzellen. Diese
Forschung ist ethisch unbedenklich sowie deren Förderungswürdigkeit unum-
stritten. So gehen Pionierleistungen – etwa in der Herztherapie – von Deutsch-
land aus.

Hoffnung und Hilfe sind gerade für kranke Menschen wichtig. Aber wer Hilfe
verspricht, muss sie auch bieten können. Anfänglich vorhandene und über-
triebene Hoffnungen in die embryonale Stammzellforschung haben sich nicht
ansatzweise bewahrheitet. Auch nach neun Jahren weltweiter Forschung mit
Millionenbeträgen gibt es keinen Beleg, dass embryonale Stammzellen thera-
peutisch einsetzbar sind.

Erfreulich und vielversprechend sind dagegen die internationalen Fortschritte
hinsichtlich der Entwicklung von Zellen mit ähnlichen Eigenschaften wie em-
bryonale Stammzellen. Der ethisch unbedenkliche Vorteil: Es werden keine
Embryonen verbraucht oder Eizellen von Frauen benötigt. Kürzlich veröffent-
lichten Forscher aus Japan und USA bahnbrechende Ergebnisse, bei der
menschliche Hautzellen so reprogrammiert wurden, dass sie sich wie embryo-
nalen Stammzellen verhalten. Diese Forschung verdient Anerkennung und
öffentliche Unterstützung. Für einen Vergleich dieser reprogrammierten pluri-
potenten Zellen mit embryonalen Stammzellen nutzten die Forscher embryonale
Stammzelllinien, die auch in Deutschland auf der Basis des geltenden Stamm-
zellgesetzes zugelassen sind. Dies zeigt, dass diese Stammzelllinien auch in an-
deren Ländern von Forschern genutzt werden, selbst wenn sie auf neuere embry-
onale Stammzelllinien zurückgreifen könnten.

Das „Gesetz zur Sicherstellung des Embryonenschutzes im Zusammenhang mit
Einfuhr und Verwendung menschlicher embryonaler Stammzellen“ (das
Stammzellgesetz) wurde 2002 mit einem Stichtag versehen, der sicherstellt,
dass nur embryonale Stammzelllinien für die deutsche Forschung importiert
werden dürfen, wenn sie von Embryonen stammen, die bereits vor diesem Stich-
tag 1. Januar 2002 getötet wurden. Es bedarf keiner Ausweitung der Einfuhr-
regelung für embryonale Stammzellen. Grundlagenforschung ist mit den bishe-
rigen, in Deutschland verfügbaren, embryonalen Stammzelllinien nach wie vor
möglich. Es gibt auch keine Notwendigkeit, das Stammzellgesetz zu verändern,
um damit die adulte Stammzellforschung voranzutreiben. Diese hat bereits unter
den jetzigen Bedingungen bewiesen, dass sie bis zur therapeutischen Anwen-
dung gelangt: Adulte Stammzellen werden seit vier Jahrzehnten in Forschung
und Therapie eingesetzt und können große Erfolge in der Therapie von Krank-
heiten vorweisen wie zum Beispiel bei Leukämie, Leberkrebs, Herzinfarkt,
Inkontinenz, Hautschädigungen und Gelenkdegenerationen.

Mit Blick auf die im Gesetz verfolgten Schutzzwecke – Schutzrechte für Embry-
onen und für Paare, die Embryonen im Ausland für die Stammzellforschung zur
Verfügung stellen, Freiheitsrechte für die Forschung sowie Anspruchsrechte von
Patienten – liegen seit der Debatte um das Stammzellgesetz in den Jahren 2001/
2002 keine überzeugenden neuen wissenschaftlichen, rechtlichen oder ethischen
Argumente vor, die eine Änderung des Stammzellgesetzes und des Stichtages
begründen.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/7985 (neu)

II. Der Deutsche Bundestag bekräftigt,

● dass in Deutschland Spitzenforschung, klinische Studien und neue Therapien
mit therapeutisch aussichtsreichen und ethisch unbedenklichen adulten
Stammzellen im Interesse heutiger und zukünftiger Patienten, sowie im Inte-
resse der Forschung und Medizin öffentlich gefördert werden müssen,

● dass Grundlagenforschung mit nichtmenschlichen embryonalen Stammzel-
len eine wichtige Erkenntnisquelle ist, die weitere Unterstützung verdient,

● dass Grundlagenforschung mit menschlichen embryonalen Stammzellen
grundsätzlich verboten ist und nur ausnahmsweise unter den im Stammzell-
gesetz festgelegten Bedingungen (u. a. Hochrangigkeit und Alternativlosig-
keit) genehmigungsfähig ist, und

● dass eine Verschiebung oder Aufhebung des Stichtages sowie eine Auswei-
tung des Einfuhrzwecks im Stammzellgesetz abzulehnen ist.

III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

● Grundlagenforschung und therapeutische Anwendung in der Stammzellfor-
schung zu fördern, bei der ethisch unbedenkliche Stammzellen wie adulte
Stammzellen oder aus Nabelschnurblut genutzt werden,

● die Einrichtung öffentlicher Nabelschnurblutbanken zu Forschungszwecken
und für die Therapie zu unterstützen,

● sich auf europäischer und internationaler Ebene für die Förderung der thera-
peutisch aussichtsreichen Forschung mit adulten Stammzellen und für eine
ethisch begründete Ablehnung der verbrauchenden Embryonenforschung
einzusetzen, die Grundlage des deutschen Embryonenschutzgesetzes und
Stammzellgesetzes sind.

Berlin, den 6. Februar 2008

Priska Hinz (Herborn)
Julia Klöckner
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Hans-Michael Goldmann
Daniela Raab
Jochen Borchert
Fritz Kuhn
Dr. h. c.Wolfgang Thierse
Dr. Maria Böhmer
Kerstin Andreae
Dorothee Bär
Sabine Bätzing
Volker Beck (Köln)
Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen)
Cornelia Behm
Veronika Bellmann
Birgitt Bender
Dr. Axel Berg
Grietje Bettin
Peter Bleser
Alexander Bonde
Wolfgang Bosbach
Michael Brand
Georg Brunnhuber

Cajus Caesar
Gitta Connemann
Hubert Deittert
Ekin Deligöz
Marie-Luise Dött
Dr. Thea Dückert
Maria Eichhorn
Dr. Stephan Eisel
Ilse Falk
Hans-Josef Fell
Elke Ferner
Ingrid Fischbach
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Erich G. Fritz
Hans-Joachim Fuchtel
Kai Gehring
Norbert Geis
Dr. Edmund Peter Geisen
Ralf Göbel
Josef Göppel
Katrin Göring-Eckardt
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold

Reinhard Grindel
Markus Grübel
Wolfgang Gunkel
Heike Hänsel
Anja Hajduk
Michael Hartmann (Wackernheim)
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Winfried Hermann
Peter Hettlich
Ulrike Höfken
Bärbel Höhn
Joachim Hörster
Klaus Hofbauer
Dr. Anton Hofreiter
Franz-Josef Holzenkamp
Thilo Hoppe
Hubert Hüppe
Brunhilde Irber
Andreas Jung (Konstanz)
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Ulrich Kasparick
Bernhard Kaster

Drucksache 16/7985 (neu) – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Begründung

Stammzellforschung sollte sich vor allem auf therapeutisch aussichtsreiche und
ethisch unumstrittene Bereiche wie adulte Stammzellen und Stammzellen etwa
aus Nabelschnurblut konzentrieren. Deutschland hat in der adulten Stamm-
zellforschung schon heute einen internationalen Spitzenplatz inne und dieser
sollte im Interesse heutiger und zukünftiger Patienten weiter gestärkt und aus-
gebaut werden.

So kommt die Bundesregierung in ihrem zweiten Stammzellbericht aus dem
Jahr 2007 (Bundestagsdrucksache 16/4050, S. 7) zu ihrer positiven Einschät-
zung: „Somatische/adulte Stammzellen werden bereits erfolgreich zur Behand-
lung von Blutkrebserkrankungen und Immundefizienzen sowie mit Verfahren
des Tissue-Engineering bei Hautschädigungen und Gelenkdegenerationen ein-
gesetzt. Therapeutische Studien im Berichtszeitraum zeigen weitere Behand-
lungsperspektiven z. B. bei Herzinfarkt auf. Bei Geweben mit eingeschränktem
Regenerationspotential (wie z. B. Nervensystem und Herz) wird für eine auto-
loge therapeutische Nutzung an Alternativen z. B. unter Verwendung von Na-
belschnurblut oder Knochenmarkszellen gearbeitet“.

Adulte Stammzellen oder aus Nabelschnurblut werden seit vier Jahrzehnten er-
folgreich zur Behandlung von Patienten eingesetzt – so zum Beispiel bei Herz-
infarkt oder schwerer Herzinsuffizienz. Weltweit werden adulte Stammzellen
zur Therapie in über Tausend klinischen Studien eingesetzt.

In den vergangenen Jahren wurden pluripotente adulte Stammzellen entdeckt,
die sich in Zellen unterschiedlicher Gewebe entwickeln, für deren Gewinnung

Volker Kauder
Jürgen Klimke
Monika Knoche
Ute Koczy
Hellmut Königshaus
Norbert Königshofen
Karin Kortmann
Hartmut Koschyk
Sylvia Kotting-Uhl
Jürgen Kucharczyk
Renate Künast
Dr. Hermann Kues
Markus Kurth
Undine Kurth (Quedlinburg)
Christine Lambrecht
Monika Lazar
Paul Lehrieder
Dr. Klaus W. Lippold
Dr. Michael Luther
Nicole Maisch
Dr. Michael Meister
Dorothee Menzner
Friedrich Merz
Maria Michalk
Hildegard Müller
Kerstin Müller (Köln)
Winfried Nachtwei

Henry Nitzsche
Michaela Noll
Omid Nouripour
Eduard Oswald
Beatrix Philipp
Brigitte Pothmer
Peter Rauen
Klaus Riegert
Christel Riemann-Hanewinckel
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Claudia Roth (Augsburg)
Dr. Christian Ruck
Krista Sager
Anita Schäfer (Saalstadt)
Hermann-Josef Scharf
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Dr. Gerhard Schick
Marianne Schieder
Karl Schiewerling
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt (Fürth)
Dr. Andreas Schockenhoff
Bernhard Schulte-Drüggelte

Reinhard Schultz (Everswinkel)
Kurt Segner
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Rainder Steenblock
Erika Steinbach
Silke Stokar von Neuforn
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn
Thomas Strobl (Heilbronn)
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Jörn Thießen
Hans Peter Thul
Andrea Astrid Voßhoff
Peter Weiß (Emmendingen)
Gerald Weiß (Groß-Gerau)
Wolfgang Wieland
Willy Wimmer (Neuss)
Elisabeth Winkelmeier-Becker
Josef Philip Winkler
Dr. Wolfgang Wodarg
Jörn Wunderlich
Uta Zapf
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/7985 (neu)

jedoch weder Embryonen noch Eizellen von Frauen benötigt werden. So konn-
ten pluripotente adulte Stammzellen aus menschlichem Nabelschnurblut und
aus menschlichem Fruchtwasser gewonnen werden. Im Tierversuch konnten
sich aus Hoden gewonnene pluripotente adulte Stammzellen u. a. zu schlagen-
den Herzmuskelzellen entwickeln. Im Tierversuch gelang mehreren Arbeits-
gruppen der Nachweis, dass sich normale Hautzellen durch Zugabe von nur vier
Faktoren zu pluripotenten Zellen umwandeln lassen, die „von embryonalen
Stammzellen nicht zu unterscheiden sind“, so die Wissenschaftler. Dieser
Nachweis wurde inzwischen auch bei menschlichen Hautzellen erbracht. Damit
eröffnet sich ein Feld, welches ohne die Tötung von Embryonen auskommt und
bisher nicht erhoffte Aussicht auf therapeutische Anwendung stellt.

Der Gesetzgeber hat sich 2002 mit dem „Gesetz zur Sicherstellung des Em-
bryonenschutzes im Zusammenhang mit Einfuhr und Verwendung menschlicher
embryonaler Stammzellen“ (Stammzellgesetz) für ein grundsätzliches Verbot
der Einfuhr menschlicher embryonaler Stammzellen entschieden und gleich-
zeitig Kriterien für eine ausnahmsweise Genehmigung der Einfuhr und der Ver-
wendung menschlicher embryonaler Stammzellen aufgestellt. So dürfen nur
solche menschlichen embryonalen Stammzellen eingeführt und verwendet wer-
den, die am 1. Januar 2002 bereits vorhanden waren. Einfuhr und Verwendung
dürfen nur zu Forschungszwecken und zur Verfolgung hochrangiger For-
schungsziele erfolgen. Zudem muss die Forschung mit diesen menschlichen em-
bryonalen Stammzellen alternativlos sein, das heißt gleichwertige Erkenntnisse
sind mit tierischen Zellen oder anderen menschlichen Zellen nicht zu erreichen.

Mit der Entscheidung für den im Stammzellgesetz angelegten Kompromiss
haben die Parlamentarier seinerzeit zum Ausdruck gebracht, dass keine Em-
bryonen vernichtet oder speziell nur zu Forschungszwecken hergestellt werden
sollten, auch nicht im Ausland. Gleichzeitig haben sie Grundlagenforschung mit
zum Zeitpunkt des Gesetzgebungsverfahrens bereits vorhandenen embryonalen
Stammzellen in Deutschland unter bestimmten Bedingungen ermöglicht.

In beiden Erfahrungsberichten der Bundesregierung über die Durchführung des
Stammzellgesetzes (Bundestagsdrucksache 15/3639, Zeitraum 2002 bis 2003
sowie Bundestagsdrucksache 16/4050, Zeitraum 2004 bis 2005) kommt die
Bundesregierung zu dem Ergebnis, dass sich das Stammzellgesetz bewährt
habe.

Das Stammzellgesetz ist ein Gesetz zur Sicherstellung des Embryonenschutzes
im Zusammenhang mit der embryonalen Stammzellforschung. Intention des
Stammzellgesetzes ist nicht, die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands in der em-
bryonalen Stammzellforschung im Vergleich mit anderen Ländern sicher-
zustellen, sondern die Forschung mit humanen embryonalen Stammzellen als
Ausnahme zuzulassen. Wettbewerbsfähigkeit ist ein legitimes Ziel, sie ist jedoch
nur innerhalb ethischer Grenzen und verfassungsimmanenter Schranken ge-
rechtfertigt. Grenzen sind die Menschenwürde und das Recht auf Leben und
körperliche Unversehrtheit. Dies schließt eine uneingeschränkte Forschung mit
embryonalen Stammzellen, menschliches Klonen und die Degradierung von
Frauen zu Eizellen- oder Embryonenlieferantinnen aus.

Die embryonale Stammzellforschung kann heute wie 2002 keine dem Embryo-
nenschutz gleichwertige Hochrangigkeit oder gar therapeutische Erfolge für
sich beanspruchen. Weltweit gibt es weder klinische Studien noch Therapien mit
menschlichen embryonalen Stammzellen. Es sind zudem keinerlei Ergebnisse
vorhanden, die therapeutische Anwendungen in absehbarer Zeit denkbar er-
scheinen lassen – auch nicht in solchen Ländern, in denen der Import und die
Herstellung von embryonalen Stammzelllinien frei gegeben sind.. Mit der
menschlichen embryonalen Stammzellforschung konnte zudem kein Nutzen für
die adulte Stammzellforschung erbracht werden, was seinerzeit einer der

Drucksache 16/7985 (neu) – 6 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Gründe für eine eingeschränkte Forschung mit menschlichen embryonalen
Stammzellen angeführt wurde.

Probleme, die durch die Kultivierung von menschlichen embryonalen Stamm-
zellen entstehen wie genetische/epigenetische Veränderungen, treten bei allen
menschlichen embryonalen Stammzellkulturen auf. Embryonale Stammzellen
sind im Allgemeinen instabil. Um über genetisch/epigenetisch stabile Kulturen
zu verfügen, müssen diese regelmäßig ersetzt, also immer wieder neue Em-
bryonen getötet werden.

Auch weisen menschliche embryonale Stammzellen ein hohes Tumorrisiko auf;
außerhalb des Embryos sind embryonale Stammzellen Tumorzellen. Dement-
sprechend gibt es weltweit derzeit keine humanen embryonalen Stammzell-
linien, die zu therapeutischen Zwecken einsetzbar sind.

Embryonale Stammzellen sind darauf angelegt, innerhalb des intakten Embryos
zur Bildung sämtlicher Zelltypen der Gewebe und Organe beizutragen (Pluri-
potenz), nicht aber in einem ausgebildeten Organismus spezifische Reparatur-
funktionen zu erfüllen. Entfällt die koordinierende Umgebung des intakten Em-
bryos, tragen embryonale Stammzellen gerade aufgrund ihrer Pluripotenz zu
einer unkoordinierten Bildung sämtlicher Zelltypen bei, sie bilden Tumore. Dies
wird durch zahllose Tierstudien belegt. Im Gegensatz dazu sind adulte Stamm-
zellen darauf angelegt, spezifische Reparaturfunktionen in einem Organismus
zu erfüllen, nicht aber sämtliche Zelltypen zu bilden. Daher ist mit embryonalen
Stammzellen – anders als mit adulten Stammzellen – ein hohes Tumorrisiko ver-
knüpft.

Ebenso besteht ein hohes Immunabstoßungsrisiko, denn menschliche embryo-
nale Stammzellen sind für den Empfänger körperfremd. Diese Gefahren beste-
hen grundsätzlich, nicht nur bei den in Deutschland zugelassenen menschlichen
embryonalen Stammzellen. Grundlagenforschung ist mit den noch verfügbaren
menschlichen embryonalen Stammzellen in Deutschland weiterhin möglich.
Auch in anderen Ländern wird mit den in Deutschland zugelassenen mensch-
lichen embryonalen Stammzellen Grundlagenforschung betrieben. Eine Ver-
schiebung des Stichtags im Stammzellgesetz ist vor diesem Hintergrund nicht
erforderlich. Auch zeichnet sich bereits ab, dass Wissenschaftler, die mit em-
bryonalen Stammzellen forschen, eine einmalige Verschiebung des Stichtages
für nicht ausreichend halten, da auch neue embryonale Stammzelllinien durch
die Kultivierung genetische/epigenetische Veränderungen aufweisen und damit
unbrauchbar werden. Somit weist eine Gruppe des Nationalen Ethikrates in ihrer
Stellungnahme auch zu Recht darauf hin, dass nicht damit zu rechnen sei, dass
es bei einer einmaligen Verschiebung des Stichtages bleiben wird.

Die weitergehende Forderung nach einer Streichung des Stichtages aus dem
Stammzellgesetz oder eine Regelung, wonach automatisch alle international
entwickelten menschlichen embryonalen Stammzellen nach Deutschland im-
portiert werden können, wenn eine gewisse Frist nach ihrer Entwicklung ab-
gelaufen ist (roulierender Stichtag), führt im Ergebnis zu einer Aushöhlung der
derzeitigen normativen Grundlagen im Umgang mit menschlichen Embryonen.
Mittelfristig gesehen könnte eine Beteiligung deutscher Forscher an der Herstel-
lung menschlicher embryonaler Stammzellen im Ausland nicht mehr aus-
geschlossen werden. Dies würde der Intention des Stammzellgesetzes wider-
sprechen zu verhindern, dass von Deutschland aus eine Gewinnung embryonaler
Stammzellen oder eine Erzeugung von Embryonen zur Gewinnung embryonaler
Stammzellen veranlasst wird. Somit bedeutete eine Streichung des Stichtages
oder ein roulierender Stichtag ein Verstoß gegen die Grundintention des Stamm-
zellgesetzes und hätte eine Verschlechterung des Embryonenschutzes in
Deutschland zur Folge.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 7 – Drucksache 16/7985 (neu)

Weiterhin zeigt sich – auch als Ergebnis der Anhörung zum Stammzellgesetz am
9. Mai 2007 –, dass sich das ursprünglich vor Verabschiedung des Stamm-
zellgesetzes als hochrangig angeführte Ziel der embryonalen Stammzell-
forschung – Zellersatztherapie zur therapeutischen Behandlung von Patienten zu
entwickeln – geändert hat. Die neuen Ziele der embryonalen Stammzell-
forschung sind Toxizitätstests in der Wirkstoffentwicklung und die Unter-
suchung von Krankheitsmodellen auf Zellebene. Diese neuen Ziele der For-
schung mit menschlichen embryonalen Stammzellen müssen hinsichtlich ihrer
Hochrangigkeit und Alternativlosigkeit überprüft werden. So werden heute be-
reits in der Wirkstoffentwicklung der pharmazeutischen Industrie zu Toxizitäts-
tests Leberzellen eingesetzt, die aus pluripotenten Stammzellen des mensch-
lichen Nabelschnurblutes gezüchtet worden sind. Auch für die Untersuchung
von Krankheitsmodellen auf Zellebene stehen pluripotente adulte Stammzellen
zur Verfügung. Die Bedingung der Alternativlosigkeit menschlicher embryo-
naler Stammzellen ist hier also nicht erfüllt.

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