Bundesverfassungsgericht, Ablehnung einstweilige Anordnung vom 30.10.2018, Az. 2 BvQ 90/18

2. Senat | REWIS RS 2018, 2286

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

PARTEIEN POLITIK BUNDESVERFASSUNGSGERICHT (BVERFG) STAATSRECHT UND STAATSORGANISATIONSRECHT POLITIKER ALTERNATIVE FÜR DEUTSCHLAND (AFD) NEUTRALITÄTSGEBOT CHANCENGLEICHHEIT

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Gegenstand

Grundsätzlich kein vorbeugender Rechtsschutz im Wege der einstweiligen Anordnung (§ 32 Abs 1 BVerfGG) - hier: erfolgloser isolierter eA-Antrag einer politischen Partei sowie einer Bundestagsfraktion bzgl Äußerungen des Bundesinnenministers im Rahmen eines Interviews


Tenor

1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Gründe

1

Die Antragstellerinnen sehen sich durch Äußerungen des Antragsgegners im Rahmen eines am 14. September 2018 auf der Homepage des [X.], für Bau und Heimat veröffentlichten Interviews in ihrem Recht auf Chancengleichheit im Wettbewerb der politischen Parteien aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG verletzt.

2

1. Am 14. September 2018 veröffentlichte das [X.], für Bau und Heimat auf seiner Internetseite ein Interview des Antragsgegners mit der [X.]. Das Interview ist überschrieben mit:

[X.] versteht die Aufregung nicht: [X.] arbeitet <>. Ein Interview mit [X.] Horst [X.] zur Großen Koalition ([X.]).

3

In dem Interview äußert sich der Antragsgegner wie folgt über die Antragstellerinnen:

Die stellen sich gegen diesen Staat. Da können sie 1000 Mal sagen, sie sind [X.]. Das haben sie am Dienstag im [X.] miterleben können mit dem Frontalangriff auf den Bundespräsidenten. Das ist für unseren Staat hochgefährlich. Das muss man scharf verurteilen. Ich kann [X.] nicht im [X.] hinstellen und wie auf dem Jahrmarkt den [X.]. Das ist staatszersetzend.

4

2. Mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung begehren die Antragstellerinnen, dass dem Antragsgegner bis auf Weiteres untersagt wird, in seiner Eigenschaft als Bundesminister zu äußern, die Antragstellerinnen oder einzelne Mitglieder der Antragstellerin zu 2. stellten sich gegen diesen Staat, seien in Wahrheit gegen die demokratische Staatsform eingestellt, würden aber zugleich die Öffentlichkeit über diesen Umstand arglistig täuschen und sie seien oder verhielten sich "staatszersetzend".

5

Die Antragstellerinnen sind der Auffassung, der Antragsgegner habe durch diese Äußerungen gegen das Neutralitätsgebot verstoßen und sie in ihrem Recht auf Chancengleichheit gemäß Art. 21 Abs. 1 GG verletzt. Der Antragsgegner nehme mit der Verbreitung seines Interviews - in dem er ausdrücklich als Bundesminister und in keiner anderen Funktion agiere - über die Homepage des von ihm geführten [X.] in Anspruch, die ihm allein aufgrund seines [X.] zur Verfügung stünden und politischen Wettbewerbern verschlossen seien. Damit habe er die Grenzen der zulässigen Teilnahme des Inhabers eines Regierungsamtes am politischen Meinungskampf überschritten.

6

3. Das [X.], für Bau und Heimat teilte mit Schreiben vom 11. Oktober 2018 mit, dass das Interview des Antragsgegners bereits seit dem 1. Oktober 2018 nicht mehr von seiner Homepage abgerufen werden könne. Ein Verstoß gegen das Neutralitätsgebot werde allerdings nicht gesehen. Inhaber eines Regierungsamtes seien im Rahmen von Interviews nicht verpflichtet, sich auf die Regierungstätigkeit betreffende Aussagen zu beschränken. Auch stelle allein die Veröffentlichung eines Interviews einer Presseagentur unter Angabe des Datums der Veröffentlichung und der beteiligten Journalisten auf der Internetseite eines [X.] keine spezifische Inanspruchnahme der Autorität des [X.] dar.

7

4. Die Antragstellerinnen erhalten ihren Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach Übersendung der Stellungnahme vom 11. Oktober 2018 aufrecht. Der Antrag beziehe sich nicht nur auf die Löschung des Interviews, sondern sei bewusst umfassend formuliert, da die Entfernung von der Homepage des [X.] nur erfolgt sei, damit der Antragsgegner seine Anwürfe auf anderen, nicht explizit verbotenen Kanälen umso öfter wiederholen könne.

8

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg.

9

1. a) Nach § 32 Abs. 1 [X.] kann das [X.] im Streitfall - auch schon vor Anhängigkeit eines Verfahrens zur Hauptsache (vgl. [X.] 3, 267 <277>; 11, 339 <342>; 16, 236 <238>; 35, 193 <195>; 71, 350 <352>; stRspr) - einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei müssen die Gründe, welche für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Maßnahme sprechen, außer Betracht bleiben, es sei denn, die Hauptsache erwiese sich als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet (vgl. [X.] 89, 344 <345>; 92, 130 <133>; 118, 111 <122>; 145, 348 <356 Rn. 28>; stRspr).

Im [X.]verfahren bedeutet der Erlass einer einstweiligen Anordnung einen Eingriff des [X.]s in die Autonomie eines anderen Verfassungsorgans. Bei Prüfung der Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 [X.] ist deshalb grundsätzlich ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. [X.] 104, 23 <27>; 108, 34 <41>; 118, 111 <122>; 145, 348 <356 f. Rn. 29>; stRspr). Der Erlass kann allein der vorläufigen Sicherung des streitigen organschaftlichen Rechts der Antragsteller dienen, damit es nicht im Zeitraum bis zur Entscheidung der Hauptsache durch Schaffung vollendeter Tatsachen überspielt wird (vgl. [X.] 89, 38 <44>; 96, 223 <229>; 98, 139 <144>; 108, 34 <41>; 118, 111 <122>). Das Verfahren nach § 32 [X.] ist nicht darauf angelegt, möglichst lückenlos vorläufigen Rechtsschutz zu bieten (vgl. [X.] 94, 166 <216>).

b) Die Zulässigkeit eines [X.]s setzt grundsätzlich voraus, dass die gerügte Maßnahme oder Unterlassung (§ 64 Abs. 1 [X.]) objektiv vorliegt (vgl. [X.], in: [X.]/Schmidt-Bleibtreu/[X.]/[X.], [X.], § 64 Rn. 15 f. ). Entsprechendes gilt im Verfahren der einstweiligen Anordnung, da es andernfalls an einem "Streitfall" im Sinne des § 32 Abs. 1 [X.] fehlt (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 23. Januar 2004 - 1 BvQ 38/03 -, Rn. 2). Für vorbeugenden Rechtsschutz ist demgemäß im Verfahren des § 32 [X.] grundsätzlich kein Raum (vgl. [X.], in: [X.]. , [X.], 2018, § 32 Rn. 12; [X.], in: [X.]./Grünewald, [X.], [X.], Stand: 1. Juni 2018, § 32 Rn. 20). Ausnahmen von diesem Grundsatz kommen allenfalls in Betracht, wenn dem Antragsteller ohne eine (vorläufige) vorbeugende Regelung effektiver Rechtsschutz nicht mehr gewährt werden könnte (vgl. [X.] 131, 47 <52>; 134, 366 <391 Rn. 34>; [X.], Beschlüsse der [X.] des Zweiten Senats vom 11. März 1999 - 2 BvQ 4/99 -, Rn. 11 und vom 12. Oktober 2017 - 2 BvQ 66/17 -, Rn. 3).

c) Voraussetzung der Zulässigkeit eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist ferner das Vorliegen eines Rechtsschutzbedürfnisses im Zeitpunkt der Entscheidung des [X.]s (vgl. [X.] 23, 33 <39 f.>; 23, 42 <48 f.>).

2. Nach diesen Maßstäben ist für den Erlass einer einstweiligen Anordnung kein Raum.

a) Ein [X.] auf Antrag der Antragstellerin zu 2. wäre in der Hauptsache - auf der Grundlage ihres Vorbringens - unzulässig, so dass der Erlass einer einstweiligen Anordnung schon deshalb ausscheidet. [X.] sind zwar als notwendige Einrichtungen des Verfassungslebens (vgl. [X.] 2, 143 <160>; 20, 56 <104>; 43, 142 <147>; 140, 115 <138 Rn. 56>) zur Geltendmachung eigener Rechte befugt, wenn diese in der Verfassung verankert sind (vgl. [X.] 70, 324 <350 f.>; 124, 161 <187>; 139, 194 <220 Rn. 96>), und sie sind berechtigt, im [X.] die Verletzung oder unmittelbare Gefährdung von Rechten des gesamten [X.] geltend zu machen (vgl. [X.] 45, 1 <28 f.>; 67, 100 <125>; 68, 1 <69>; 140, 115 <138 f. Rn. 56>). Als im [X.] [X.] eigene Rechte von Fraktionen kommen aber nur solche im innerparlamentarischen Raum in Betracht (vgl. [X.] 91, 246 <250 f.>; 100, 266 <270>; 124, 161 <187>). Das Recht auf Chancengleichheit im Wettbewerb der politischen Parteien aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG, das die Antragstellerin zu 2. geltend macht, kann sie deshalb im [X.] weder als eigenes Recht gegenüber dem Antragsgegner verfolgen, noch steht es dem [X.] in seiner Gesamtheit zu.

b) Soweit das Begehren der Antragstellerin zu 1. darauf gerichtet ist, dem Antragsgegner aufzugeben, sein Interview mit der [X.] vom 14. September 2018 von der Homepage des [X.], für Bau und Heimat zu entfernen, fehlt das Rechtsschutzbedürfnis für eine einstweilige Anordnung, weil diesem Begehren bereits Rechnung getragen ist. Das Interview des Antragsgegners kann seit dem 1. Oktober 2018 von der Homepage des von ihm geführten [X.] nicht mehr abgerufen werden. Eine einstweilige Anordnung, die dem Antragsgegner aufgeben würde, das Interview von der Homepage zu entfernen, könnte nicht vollzogen werden (vgl. [X.] 23, 33 <39>; 23, 42 <48>), sondern ginge ins Leere.

c) Soweit das Begehren der Antragstellerin zu 1. darauf gerichtet ist, dem Antragsgegner in seiner Funktion als [X.] eine Wiederholung der im Interview vom 14. September 2018 getätigten Äußerungen in sonstiger Weise zu verbieten, betrifft der Antrag künftige Handlungen des Antragsgegners und ist damit auf die von Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, §§ 64 ff. [X.] und mithin auch von § 32 [X.] grundsätzlich nicht umfasste Gewährung vorbeugenden Rechtsschutzes gerichtet. Dabei ist auf der Grundlage des Vorbringens der Antragstellerinnen auch nicht ersichtlich, dass die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung erfordert.

Dem steht bereits entgegen, dass es an konkreten Anhaltspunkten dafür fehlt, dass der Antragsgegner beabsichtigt, die angegriffenen Äußerungen unter Rückgriff auf die Autorität seines Regierungsamtes zu wiederholen. Hiervon kann angesichts der Löschung dieser Äußerungen auf der Homepage des [X.] nicht ohne Weiteres ausgegangen werden. Die Antragstellerinnen haben zwar vorgetragen, dass das Interview des Antragsgegners vom 14. September 2018 von der Homepage des [X.], für Bau und Heimat nur entfernt worden sei, damit der Antragsgegner die angegriffenen Äußerungen auf allen anderen, noch nicht verbotenen Kanälen umso öfter wiederholen könne. Dabei handelt es sich aber um eine bloße Mutmaßung, die mit keinerlei Tatsachen unterlegt ist. Auch aus dem Umstand, dass das [X.], für Bau und Heimat die [X.] und deren vorübergehende Veröffentlichung auf der Homepage des [X.] als mit dem Neutralitätsgebot vereinbar ansieht, ergibt sich nichts anderes. Dabei handelt es sich um die Betonung eines Rechtsstandpunktes vor dem Hintergrund eines möglichen Hauptsacheverfahrens. Daraus kann nicht abgeleitet werden, dass der Antragsgegner seine angegriffenen Aussagen unter Einsatz der Autorität seines Regierungsamtes zu wiederholen gedenkt, ohne die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten.

Meta

2 BvQ 90/18

30.10.2018

Bundesverfassungsgericht 2. Senat

Ablehnung einstweilige Anordnung

Sachgebiet: BvQ

nachgehend BVerfG, 9. Juni 2020, Az: 2 BvE 1/19, Urteil

Art 21 Abs 1 S 1 GG, Art 93 Abs 1 Nr 1 GG, §§ 64ff BVerfGG, § 32 Abs 1 BVerfGG, § 64 Abs 1 BVerfGG

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Ablehnung einstweilige Anordnung vom 30.10.2018, Az. 2 BvQ 90/18 (REWIS RS 2018, 2286)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 2286


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 2 BvE 1/19

Bundesverfassungsgericht, 2 BvE 1/19, 09.06.2020.


Az. 2 BvQ 90/18

Bundesverfassungsgericht, 2 BvQ 90/18, 30.10.2018.


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