Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20.06.2018, Az. 5 AZR 377/17

5. Senat | REWIS RS 2018, 7560

ARBEITSRECHT BUNDESARBEITSGERICHT (BAG) VERTRAGSRECHT ARBEITSVERTRAG ALLGEMEINE GESCHÄFTSBEDINGUNGEN (AGB) FRIST MINDESTLOHN

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Gegenstand

Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall - Ausschlussfristen - gesetzlicher Mindestlohn


Leitsatz

Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall kann in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns einer Ausschlussfrist nicht unterworfen werden.

Tenor

1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 4. Mai 2017 - 19 [X.] 1172/16 - wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und dabei insbesondere darüber, ob der Anspruch des [X.] nach einer tariflichen Ausschlussfrist verfallen ist.

2

Der Kläger war seit dem [X.] bei dem beklagten Bauunternehmen als gewerblicher Arbeitnehmer beschäftigt. Sein Stundenlohn betrug zuletzt 13,00 Euro brutto. Mit Schreiben vom 17. September 2015 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31. Oktober 2015. Nach Erhalt der Kündigung meldete sich der Kläger arbeitsunfähig krank und legte der Beklagten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor. Während die Beklagte dem Kläger für den Monat September 2015 Vergütung zahlte, verweigerte sie die Entgeltfortzahlung für den Folgemonat.

3

Mit einem der Beklagten am 18. Januar 2016 zugestellten Schriftsatz hat der Kläger Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für den Monat Oktober 2015 verlangt. Er hat vorgetragen, in diesem Zeitraum arbeitsunfähig krank gewesen zu sein und gemeint, der Anspruch sei nicht verfallen. Die zweistufige Ausschlussfristenregelung des für allgemeinverbindlich erklärten § 14 [X.], wonach - auf der ersten Stufe - alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, verfallen, wenn sie nicht innerhalb von zwei Monaten nach der Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich erhoben werden, sei unwirksam, weil sie den Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn nicht ausnehme.

4

Der Kläger hat - soweit für die Revision von Belang - erstinstanzlich beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 2.219,30 Euro brutto zu zahlen.

5

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und gemeint, der Anspruch auf Entgeltfortzahlung sei nach § 14 Nr. 1 [X.] verfallen, weil nicht rechtzeitig schriftlich geltend gemacht.

6

Das Arbeitsgericht hat der Klage teilweise stattgegeben und dem Kläger 1.525,75 Euro brutto als Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns zugesprochen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Das [X.] hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Die zunächst eingelegte Anschlussberufung hat der Kläger zurückgenommen. Mit der vom [X.] zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf vollständige Klageabweisung weiter, während der Kläger die Zurückweisung der Revision begehrt.

Entscheidungsgründe

7

Die Revision ist unbegründet. Das [X.] hat im Ergebnis zu Recht die Berufung der Beklagten gegen das der Klage auf Entgeltfortzahlung in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns stattgebende Urteil des Arbeitsgerichts zurückgewiesen.

8

I. Der Kläger hat für den Monat Oktober 2015 Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nach § 3 Abs. 1 Satz 1 iVm. § 4 Abs. 1 EFZG. Dass er in diesem [X.]raum entsprechend den ärztlichen Bescheinigungen tatsächlich arbeitsunfähig krank war und keine Fortsetzungserkrankung vorlag, stellt die Beklagte in der Revision nicht in Abrede.

9

1. Der Entgeltfortzahlungsanspruch des [X.] für die aufgrund von Arbeitsunfähigkeit ausgefallenen Arbeitsstunden ergibt sich allerdings nicht aus § 1 Abs. 1 und Abs. 2 [X.]. Denn für [X.]en ohne Arbeitsleistung begründet das [X.] keine unmittelbaren Ansprüche. Vielmehr entsteht der Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn nach § 1 Abs. 2 iVm. §§ 20, 1 Abs. 1 [X.] mit und für jede geleistete Arbeitsstunde ([X.] 25. Mai 2016 - 5 [X.] - Rn. 19, [X.]E 155, 202; seither [X.]Rspr., vgl. etwa [X.] 20. September 2017 - 10 [X.] - Rn. 24; 6. Dezember 2017 - 5 [X.] - Rn. 15 ff.).

2. Der Entgeltfortzahlungsanspruch des [X.] folgt aus § 3 Abs. 1 Satz 1 iVm. § 4 Abs. 1 EFZG.

a) Danach hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer für die [X.], die infolge krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit ausfällt, das Entgelt zu zahlen, das er ohne den Arbeitsausfall bei Erbringung der Arbeitsleistung erhalten hätte. Eine abweichende Bemessungsgrundlage des fortzuzahlenden Arbeitsentgelts ist nur durch Tarifvertrag nach Maßgabe von § 4 Abs. 4, § 12 EFZG zulässig ([X.]Rspr., zB [X.] 27. April 2016 - 5 [X.] - Rn. 22 ff., [X.]E 155, 70). Das hiernach maßgebliche Entgeltausfallprinzip verlangt, den Mindestlohn nach § 1 Abs. 2 Satz 1 [X.] als Geldfaktor in die Berechnung des Entgeltfortzahlungsanspruchs einzustellen, soweit nicht aus anderen Rechtsgründen ein höherer Vergütungsanspruch besteht ([X.] 6. Dezember 2017 - 5 [X.] - Rn. 17 mwN).

b) Eine von § 4 Abs. 1 EFZG abweichende Regelung trifft das [X.] nicht. Der gesetzliche Mindestlohn prägt damit mittelbar den Entgeltfortzahlungsanspruch. Weil der Arbeitnehmer so zu stellen ist, als hätte er gearbeitet, muss er auch unter den in § 3 Abs. 1 EFZG genannten Voraussetzungen und dem dort bezeichneten [X.]raum den Mindestlohn als untere Grenze des [X.] erhalten (im Ergebnis ebenso: [X.]/Nimmerjahn [X.] 2. Aufl. § 1 Rn. 25 ff.; HK-[X.]/[X.] 2. Aufl. § 1 Rn. 16 ff.; [X.] in Thüsing [X.]/[X.] 2. Aufl. § 1 [X.] Rn. 59; [X.]/[X.] 7. Aufl. § 1 [X.] Rn. 28; [X.]/[X.] 18. Aufl. § 1 [X.] Rn. 20; [X.]/Krause 4. Aufl. § 61 Rn. 15; [X.]/[X.] 8. Aufl. § 1 [X.] Rn. 8).

3. Gegen die Höhe der von den Vorinstanzen auf der Grundlage des Mindestlohns nach § 1 Abs. 2 Satz 1 [X.] als Geldfaktor und der tariflichen Arbeitszeit (§ 3 Nr. 1.2 [X.]) als [X.]faktor zugesprochenen Entgeltfortzahlung hat die Revision keine Angriffe erhoben.

II. Der Anspruch des [X.] auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ist in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns nicht verfallen, § 4 Abs. 1 EFZG iVm. § 3 Satz 1 [X.].

1. Zwischen den Parteien steht außer Streit, dass entsprechend den Feststellungen des [X.]s auf ihr Arbeitsverhältnis der für allgemeinverbindlich erklärte [X.] für das Baugewerbe ([X.]) Anwendung findet, der im Streitzeitraum in der Fassung vom 10. Dezember 2014 gegolten hat.

a) Nach § 14 Nr. 1 [X.] verfallen alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, wenn sie nicht innerhalb von zwei Monaten nach der Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich erhoben werden. Dazu gehören alle Ansprüche, die die Arbeitsvertragsparteien aufgrund ihrer durch den Arbeitsvertrag begründeten Rechtsbeziehungen gegeneinander haben, ohne dass es auf die materiell-rechtliche Anspruchsgrundlage ankommt ([X.] 27. Januar 2016 - 5 [X.] - Rn. 17, [X.]E 154, 93; 13. März 2013 - 5 [X.] - Rn. 39, [X.]E 144, 306). Die Tarifnorm erfasst daher auch den Anspruch auf Entgeltfortzahlung nach § 3 Abs. 1 EFZG, den es ohne Arbeitsverhältnis nicht gäbe.

b) Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nach § 3 Abs. 1 EFZG kann trotz seiner Unabdingbarkeit (§ 12 EFZG) grundsätzlich einer tariflichen Ausschlussfrist unterworfen werden. Denn Ausschlussfristen betreffen nach ständiger Rechtsprechung des [X.] nicht die durch das Entgeltfortzahlungsgesetz gestaltete Entstehung von Rechten des Arbeitnehmers und deren Inhalt, sondern nur deren zeitlichen Bestand ([X.] 25. Mai 2005 - 5 [X.] - zu II der Gründe mwN, [X.]E 115, 19).

c) Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für den Monat Oktober 2015 wurde wie die Vergütung für geleistete Arbeit gemäß § 5 Nr. 7.2 [X.] spätestens am 15. November 2015 fällig. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des [X.]s hat der Kläger den Anspruch indes erstmals mit einem am 18. Januar 2016 der Beklagten als Klageerweiterung im Kündigungsschutzprozess zugestellten Schriftsatz geltend gemacht. Dies war verspätet. Entgegen der Auffassung des [X.] reichte der Eingang des Schriftsatzes beim Arbeitsgericht am 12. Januar 2016 zur Fristwahrung nicht aus, weil § 167 ZPO auf die Wahrung einer in einem Tarifvertrag geregelten und durch einfaches Schreiben einzuhaltenden Ausschlussfrist keine Anwendung findet ([X.] 16. März 2016 - 4 [X.] - Rn. 20 ff., [X.]E 154, 252).

2. Die Ausschlussfristenregelung des § 14 [X.] ist jedoch insoweit unwirksam, als sie die Geltendmachung des Anspruchs auf Mindestlohn beschränkt, § 3 Satz 1 [X.].

a) Die tarifliche [X.] erfasst - ausgehend von ihrem Wortlaut - alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen. Dazu gehört auch der Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn, der nur im Arbeitsverhältnis entsteht, § 1 Abs. 1, § 20 [X.].

Im Streitzeitraum galt der [X.] in der Fassung vom 10. Dezember 2014, ohne dass die Tarifvertragsparteien diese Fassung zu einer Anpassung an das am 16. August 2014 in [X.] getretene [X.] genutzt und den Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn vom Anwendungsbereich des § 14 [X.] ausgenommen hätten. Für eine - gesetzeskonforme - Auslegung, der Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn solle nicht der tariflichen [X.] unterfallen (vgl. Preis/Ulber Ausschlussfristen und [X.] S. 46), fehlt daher jeglicher Anhaltspunkt, zumal die Tarifvertragsparteien § 14 [X.] auch in der nachfolgenden Fassung vom 10. Juni 2016 nicht geändert haben.

b) Zu den Vereinbarungen, die die Geltendmachung des Mindestlohnanspruchs iSd. § 3 Satz 1 [X.] beschränken, gehören - entgegen der Auffassung der Revision - nicht nur arbeitsvertragliche, sondern auch tarifliche Ausschlussfristen (ganz herrschende Meinung, vgl. nur [X.]/Nimmerjahn [X.] 2. Aufl. § 3 Rn. 24; HK-[X.]/Trümner 2. Aufl. § 3 Rn. 20; [X.] in Thüsing [X.]/[X.] 2. Aufl. § 3 [X.] Rn. 8; [X.]/[X.] 7. Aufl. § 3 [X.] Rn. 3; [X.]/Krause 4. Aufl. § 71 Rn. 16a; [X.]/[X.] 18. Aufl. § 3 [X.] Rn. 3; [X.]/[X.] 8. Aufl. § 3 [X.] Rn. 4; Preis/Ulber Ausschlussfristen und [X.] S. 46). Denn ein Tarifvertrag ist - auch wenn er Rechtsnormen schaffen kann - ein formbedürftiger (§ 1 Abs. 2 [X.]) privatrechtlicher Vertrag zwischen den in § 2 [X.] genannten Tarifvertragsparteien (vgl. statt vieler: [X.]/[X.] 8. Aufl. § 1 [X.] Rn. 1; [X.]/[X.] 18. Aufl. § 1 [X.] Rn. 20; [X.] ArbR-HdB/[X.] 17. Aufl. § 199 Rn. 1) und damit eine „Vereinbarung“ iSd. § 3 Satz 1 [X.]. Ein solches Verständnis entspricht auch dem Zweck der Norm. Mit § 3 [X.] sollte nach der Gesetzesbegründung der Anspruch der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf den gesetzlichen Mindestlohn umfassend gesichert werden (vgl. [X.]. 18/1558 S. 35) mit der Konsequenz, dass er nur der Regelverjährung nach §§ 195, 199 BGB unterworfen ist.

c) Deshalb ist es unerheblich, auf welcher Rechtsgrundlage - beiderseitige Tarifgebundenheit, Allgemeinverbindlicherklärung oder arbeitsvertragliche Bezugnahme - der eine den Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn nicht ausnehmende [X.] enthaltende Tarifvertrag auf das Arbeitsverhältnis einwirkt. Dass der [X.] im Streitfall (nur) aufgrund Allgemeinverbindlicherklärung zur Anwendung kommt, ändert an der Rechtsnatur des Tarifvertrags als privatrechtlichen Vertrag zwischen den Tarifvertragsparteien nichts. Die Allgemeinverbindlicherklärung erstreckt lediglich den Geltungsbereich des Tarifvertrags auf die bisher nicht tarifgebundenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, § 5 Abs. 4 [X.].

d) Auch das [X.] der Sozialkassenverfahren im Baugewerbe ([X.]) vom 16. Mai 2017 ([X.]I S. 1210) hat die Rechtsnatur des [X.] als Tarifvertrag unberührt gelassen. Zweck des [X.] ist nach der Gesetzesbegründung die Sicherung des [X.] im Baugewerbe, nachdem das [X.] mit Beschlüssen vom 21. September 2016 (- 10 ABR 33/15 - und - 10 [X.] - [X.]E 156, 213 und 289) die Unwirksamkeit der Allgemeinverbindlicherklärungen mehrerer Fassungen des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe ([X.]) festgestellt hatte ([X.]. 18/10631 S. 3). Hierzu wurden die bis dahin nach § 5 [X.] für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträge, die dem Sozialkassenverfahren zugrunde lagen und liegen, beginnend mit dem 1. Januar 2006 kraft Gesetzes mittels statischer Verweisung für alle Arbeitgeber verbindlich angeordnet. Soweit die Ausschlussfristenregelung des § 14 [X.] in § 3 [X.] (Urlaubsregelungen für das Baugewerbe) aufgeführt ist, hat dies daher (nur) zur Folge, dass die Tarifnorm im Streitzeitraum im Geltungsbereich des [X.] für alle Arbeitgeber und Arbeitnehmer gegolten hat, § 3 Abs. 2 [X.], und zwar unabhängig davon, ob der Tarifvertrag wirksam abgeschlossen worden ist, § 11 [X.]. Die gesetzliche Anordnung der Geltung der Tarifnormen sollte „als weiterer Rechtsgrund neben die bestehenden allgemeinverbindlichen Tarifverträge“ treten (vgl. [X.] 21. März 2018 - 10 [X.] - Rn. 41). In Bezug auf § 3 Satz 1 [X.] hat dies zur Folge, dass es sich bei der Ausschlussfristenregelung des § 14 [X.] um eine Vereinbarung iSd. § 3 Satz 1 [X.] handelt, unabhängig davon, ob diese Regelung kraft Tarifbindung (§ 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 [X.]) unmittelbar und zwingend im Arbeitsverhältnis gilt oder durch Allgemeinverbindlicherklärung oder das [X.] auf das Arbeitsverhältnis anwendbar ist.

e) Der Verstoß gegen § 3 Satz 1 [X.] führt zur [X.] einer den Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn nicht ausnehmenden tariflichen [X.]. Denn die Norm selbst ordnet - ohne dass es eines Rückgriffs auf § 134 BGB bedürfte - die [X.] an, allerdings nur „insoweit“, als der Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn betroffen ist (im Ergebnis [X.], vgl. nur [X.]/Nimmerjahn [X.] 2. Aufl. § 3 Rn. 26; HK-[X.]/Trümner 2. Aufl. § 3 Rn. 37 ff.; [X.] in Thüsing [X.]/[X.] 2. Aufl. § 3 [X.] Rn. 12; [X.]/Krause 4. Aufl. § 71 Rn. 16a - jeweils mwN). Im Übrigen bleibt die tarifliche [X.] wirksam. Die bei arbeitsvertraglichen [X.]n im Schrifttum diskutierte Frage der Gesamtunwirksamkeit wegen fehlender Transparenz der „[X.]“ (vgl. zum Streitstand - pars pro [X.] - [X.]/Nimmerjahn [X.] 2. Aufl. § 3 Rn. 28; [X.] 2017, 264, 266, die [X.] annehmen; dagegen bejahen Gesamtunwirksamkeit etwa [X.]/[X.] 7. Aufl. § 3 [X.] Rn. 3; [X.]/[X.] 18. Aufl. § 3 [X.] Rn. 3a - alle mwN) stellt sich nicht, weil Tarifverträge nicht dem Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB unterliegen, § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB.

f) Dass Tarifverträge den Beschränkungen des § 3 Satz 1 [X.] unterworfen sind, ist entgegen vereinzelten Zweifeln im Schrifttum (vgl. [X.]/[X.] 18. Aufl. § 3 [X.] Rn. 3; [X.] RdA 2015, 43, 48) im Hinblick auf die Tarifautonomie unbedenklich (ebenso [X.]/Nimmerjahn [X.] 2. Aufl. § 3 Rn. 25; HK-[X.]/Trümner 2. Aufl. § 3 Rn. 59; [X.] in Thüsing [X.]/[X.] 2. Aufl. § 3 [X.] Rn. 9; [X.] ArbR-HdB/[X.] 17. Aufl. § 66 Rn. 43; ausf. Preis/Ulber Ausschlussfristen und [X.] S. 57 ff.).

aa) Art. 9 Abs. 3 GG verleiht den Tarifvertragsparteien zwar ein Normsetzungsrecht, aber kein [X.]. Der Gesetzgeber bleibt befugt, das Arbeitsrecht zu regeln, Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG. Damit verbundene Beeinträchtigungen der Tarifautonomie sind verfassungsgemäß, wenn der Gesetzgeber mit ihnen den Schutz der Grundrechte Dritter oder anderer mit Verfassungsrang ausgestatteter Belange bezweckt und wenn sie den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren ([X.] 29. Dezember 2004 - 1 BvR 2283/03, 1 [X.] und 1 [X.] - zu [X.] 3 b aa der Gründe, [X.]K 4, 356).

[X.]) Der Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn tritt eigenständig neben den tarifvertraglichen Entgeltanspruch. Wird der gesetzliche Mindestlohn unterschritten, führt § 3 [X.] zu einem Differenzanspruch (st. Rspr., zuletzt [X.] 17. Januar 2018 - 5 [X.] - Rn. 12 mwN), der nur dem gesetzlichen Verjährungsrecht unterliegt. Sieht man in dem Verbot, einen gesetzlichen Anspruch durch tarifliche Ausschlussfristen zum Erlöschen zu bringen, eine Beeinträchtigung der Tarifautonomie, so ist diese verfassungsgemäß, weil der Gesetzgeber damit den Schutz der Grundrechte Dritter und auch anderer mit Verfassungsrang ausgestatteter Belange bezweckt; auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist gewahrt.

(1) Mit dem [X.] soll den in Vollzeit tätigen Arbeitnehmern ein Monatseinkommen „oberhalb der Pfändungsfreigrenze“ gesichert werden ([X.]. 18/1558 S. 28). Es bezweckt die Existenzsicherung durch Arbeitseinkommen als Ausdruck der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG) und dient der Verbesserung der Stellung aller Arbeitnehmer und damit ihrer Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG), indem es sie vor den Folgen einer unangemessen niedrigen Vergütung - auch im Hinblick auf ihre Alterssicherung - schützt (vgl. [X.] 25. Mai 2016 - 5 [X.] - Rn. 29 f., [X.]E 155, 202). Weil § 3 [X.] die Umgehung des Mindestlohns durch „missbräuchliche Konstruktionen“ verhindern will ([X.]. 18/1558 S. 35), schützt die Norm ebenfalls Menschenwürde und Berufsfreiheit der Arbeitnehmer.

(2) § 3 [X.] dient als Absicherung des Mindestlohns zugleich einem verfassungsrechtlich legitimierten Gemeinwohlbelang. Denn der Mindestlohn soll auch die [X.] Sicherungssysteme entlasten ([X.] 25. Mai 2016 - 5 [X.] - Rn. 30 mwN, [X.]E 155, 202), weil nicht existenzsichernde Arbeitsentgelte durch Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende „aufgestockt“ werden können und negative Auswirkungen auf die Einnahmen der Sozialversicherung haben (vgl. [X.]. 18/1558 S. 28).

(3) § 3 Satz 1 [X.] und die von ihm bewirkte [X.] tariflicher Verfallfristen ist geeignet und erforderlich, diese Ziele zu verwirklichen und auch verhältnismäßig im engeren Sinne.

Unter Berücksichtigung des dem Gesetzgeber zustehenden Einschätzungs- und Prognosevorrangs (vgl. dazu [X.] 29. Dezember 2004 - 1 BvR 2283/03, 1 [X.], 1 [X.] - zu [X.] 3 b [X.] (2) (b) der Gründe, [X.]K 4, 356) ist das Konzept des Gesetzgebers nachvollziehbar, den Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn umfassend zu schützen und auch der Gefahr eines Anspruchsverlusts durch das Versäumen tariflicher Ausschlussfristen, die in vielen Arbeitsverhältnissen zumindest kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahmeklauseln Anwendung finden, zu verhindern. Dass der Gesetzgeber ein anderes, gleich wirksames Mittel hätte wählen können, ist nicht erkennbar. Schließlich ist die Regelung für die Tarifvertragsparteien, die in Tarifverträgen regelmäßig höhere Arbeitsentgelte als den gesetzlichen Mindestlohn vereinbaren, nicht übermäßig belastend. Sie verhindert lediglich, dass Tarifvertragsparteien durch Ausschlussfristen in zwingendes staatliches Recht eingreifen können, lässt ihnen durch die Rechtsfolge der [X.] aber die Möglichkeit, weiter gehende tarifliche [X.] mit einer Ausschlussfrist zeitlich zu begrenzen (vgl. Preis/Ulber Ausschlussfristen und [X.] S. 73).

3. § 3 Satz 1 [X.] erfasst unmittelbar nur den Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn für geleistete Arbeit. Verpflichtet aber ein [X.] den Arbeitgeber, den Arbeitnehmer so zu stellen, als hätte er gearbeitet, und gestaltet der Mindestlohn den Entgeltfortzahlungsanspruch mit, gebietet es der Schutzzweck des § 3 Satz 1 [X.], nach Maßgabe dieser Norm den Entgeltfortzahlungsanspruch in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns entsprechend zu sichern. Denn anderenfalls stünde der Arbeitnehmer entgegen dem Gesetzesbefehl schlechter als er bei tatsächlicher Arbeit gestanden hätte.

4. Danach kann seit dem 1. Januar 2015 der Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns einer tariflichen (oder sonstigen) Ausschlussfrist nicht mehr unterworfen werden. Ist der Arbeitnehmer wegen Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert, hat er nach § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 EFZG für den gesetzlich bestimmten [X.]raum Anspruch auf das ihm bei der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit zustehende Arbeitsentgelt. Dessen Untergrenze ist der gesetzliche Mindestlohn. Würde der Entgeltfortzahlungsanspruch auch insoweit nach einer tariflichen oder sonstigen Ausschlussfristenregelung verfallen können, wäre der Arbeitnehmer entgegen § 4 Abs. 1 EFZG nicht mehr so gestellt, als hätte er gearbeitet. Denn im Fall tatsächlicher Arbeit hätte er - unbeschadet von Ausschlussfristen - jedenfalls den gesetzlichen Mindestlohn erhalten. Ein solches Ergebnis widerspräche den Vorgaben des Entgeltfortzahlungsrechts und denen des [X.]es.

III. [X.] folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    [X.]    

        

    Volk    

        

    [X.]    

        

        

        

    Zorn    

        

    [X.]    

                 

Meta

5 AZR 377/17

20.06.2018

Bundesarbeitsgericht 5. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Kassel, 7. Juli 2016, Az: 3 Ca 20/16, Urteil

§ 3 Abs 1 EntgFG, § 4 Abs 1 EntgFG, § 3 S 1 MiLoG, § 1 TVG

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20.06.2018, Az. 5 AZR 377/17 (REWIS RS 2018, 7560)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 7560

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