Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19.01.2022, Az. 5 AZR 217/21

5. Senat | REWIS RS 2022, 1937

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Gegenstand

Mindestlohn für die Zeit eines geleisteten Praktikums


Leitsatz

Praktikanten haben keinen Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn, wenn sie ein Pflichtpraktikum absolvieren, das nach einer hochschulrechtlichen Bestimmung Zulassungsvoraussetzung für die Aufnahme eines Studiums ist.

Tenor

1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des [X.] vom 16. März 2021 - 8 [X.]/20 - wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über Vergütung nach dem Mindestlohngesetz für die [X.] eines Vorpraktikums vor Aufnahme eines Medizinstudiums.

2

Die Klägerin beabsichtigte, sich an der staatlich anerkannten privaten [X.]/[X.] um einen Studienplatz im Fach Humanmedizin zu bewerben. Nach § 3 Ziff. 2 der Studienordnung der [X.]/[X.] für den Modellstudiengang Medizin idF vom 26. April 2018 (iF Studienordnung) ist Zugangsvoraussetzung zu diesem Studiengang ua. ein sechsmonatiger Krankenpflegedienst. Vor diesem Hintergrund wandte sich die Klägerin an die Beklagte, die in [X.] ein Krankenhaus betreibt, um dort ein Praktikum durchzuführen. Vor dessen Beginn legte sie der Beklagten auf deren Aufforderung einen Nachweis der [X.] über die Erforderlichkeit eines sechsmonatigen [X.] vor. Auf Grundlage einer mündlichen Vereinbarung absolvierte die Klägerin sodann in der [X.] vom 20. Mai bis zum 29. November 2019 ein Praktikum auf der Krankenpflegestation der Beklagten. Die Zahlung einer Vergütung wurde nicht vereinbart. In der [X.] vom 18. bis zum 20. September 2019 war die Klägerin arbeitsunfähig erkrankt, was sie durch eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung belegte. Während der [X.] des Praktikums gewährte die Beklagte der Klägerin keinen Urlaub.

3

Mit ihrer Klage hat die Klägerin die Zahlung von Vergütung für geleistete Arbeit für die [X.] vom 20. Mai bis zum 17. September und vom 23. September bis zum 29. November 2019 sowie von Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für die [X.] vom 18. bis zum 20. September 2019 und Urlaubsabgeltung für anteilige zehn [X.]age auf Basis des gesetzlichen Mindestlohns von - damals - 9,19 Euro brutto verlangt. Sie habe im Rahmen einer 5-[X.]age-Woche täglich 7,45 Stunden Arbeit geleistet, die sich von der [X.] der Mahlzeiten und Hilfestellung bei der Einnahme durch die Patienten über die Begleitung der Patienten zu Untersuchungen, dem Aufräumen und Säubern [X.] und Betten, [X.] im Krankenhaus, dem Aktensortieren, der Unterstützung der Krankenschwestern bei der Körperhygiene der Patienten bis hin zum Vorbereiten von OP-Betten erstreckt habe. Ein Vorpraktikum vor Aufnahme eines Studiums sei kein Pflichtpraktikum iSd. Mindestlohngesetzes, daher greife die gesetzliche Ausnahme von der Vergütungspflicht nicht ein.

4

Die Klägerin hat beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 10.269,85 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 5. Januar 2020 zu zahlen.

5

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

6

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das [X.] hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Zahlungsklage weiter.

Entscheidungsgründe

7

Die Revision der Klägerin ist, soweit zulässig, unbegründet. Das [X.] hat im Ergebnis zutreffend die Berufung der Klägerin gegen das die Klage abweisende Urteil des Arbeitsgerichts zurückgewiesen. Die Klage auf Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns ist unbegründet.

8

I. Die Revision der Klägerin ist in Bezug auf die geforderte Zahlung von Urlaubsabgeltung iHv. 684,66 Euro brutto nebst Zinsen unzulässig. Hierauf wurde die Klägerin gemäß § 139 Abs. 3 ZPO in der mündlichen Verhandlung vom [X.]svorsitzenden hingewiesen. Zur ordnungsgemäßen Begründung der Revision müssen gemäß § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO die Revisionsgründe angegeben werden (zu den Anforderungen an die Revisionsbegründung [X.] 5. August 2021 - 5 [X.] - Rn. 11). Bei mehreren [X.] muss der Revisionsführer für jeden eine Begründung geben. Fehlt sie zu einem Streitgegenstand, ist das Rechtsmittel insoweit unzulässig (st. Rspr., zB [X.] 14. Juli 2021 - 10 [X.] - Rn. 11). Bei dem Anspruch auf Urlaubsabgeltung handelt es sich um einen von der Vergütungsforderung zu trennenden, weiteren Streitgegenstand (zum [X.] [X.] 30. Januar 2019 - 5 [X.] - Rn. 19, [X.]E 165, 205). Das [X.] hat die Klage insoweit abgewiesen. Damit hat sich die Revisionsbegründung nicht auseinandergesetzt.

9

II. Die im Übrigen zulässige Revision ist unbegründet. Die Klägerin hat weder Anspruch auf Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns für jede tatsächlich geleistete Arbeitsstunde noch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall iHd. gesetzlichen Mindestlohns.

1. Die Klägerin hat in der [X.] vom 20. Mai bis zum 17. September und vom 23. September bis zum 29. November 2019 keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns nach § 1 Abs. 1 iVm. Abs. 2 iVm. § 22 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 [X.] Sie unterfällt nicht dem persönlichen Anwendungsbereich des [X.]es, weil sie ihr Praktikum verpflichtend aufgrund einer hochschulrechtlichen Bestimmung geleistet hat (§ 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 [X.]). Um eine solche handelt es sich bei § 3 Ziff. 2 der Studienordnung der [X.]. Zwar hat das [X.] rechtsfehlerhaft nicht festgestellt, ob diese [X.] eine staatlich anerkannte private Hochschule ist, weshalb es die Klage mit der gegebenen Begründung nicht abweisen durfte. Die Entscheidung selbst stellt sich aber aus anderen Gründen als richtig dar, so dass die Revision insoweit als unbegründet zurückzuweisen ist (§ 561 ZPO).

a) Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 [X.] erstreckt sich der persönliche Anwendungsbereich des [X.]es auf Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Die Klägerin war jedoch nicht Arbeitnehmerin im Sinne dieser Bestimmung. Nach dem maßgeblichen nationalen allgemeinen Arbeitnehmerbegriff ist Arbeitnehmer, wer durch den Arbeitsvertrag im Dienste eines anderen zur Leistung [X.], fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist, § 611a Abs. 1 BGB (näher [X.] 18. November 2020 - 5 [X.] - Rn. 17). Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass die Klägerin in dieser Art und Weise für die Beklagte Leistungen erbracht hat. Zwischen den [X.]en ist vielmehr unstreitig, dass die Klägerin nicht im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses tätig geworden ist.

b) Erweitert wird der persönliche Anwendungsbereich durch § 22 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 [X.], indem Praktikantinnen und Praktikanten iSd. § 26 BBiG im Wege einer gesetzlichen Fiktion den Arbeitnehmern gleichgestellt werden. Damit will der Gesetzgeber der Schwierigkeit einer Unterscheidung von echtem Praktikum und missbräuchlichem [X.] begegnen (vgl. [X.] 30. Januar 2019 - 5 [X.] - Rn. 9, [X.]E 165, 200). Die gesetzliche Fiktion greift nicht ein, wenn einer der in § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis Nr. 4 [X.] geregelten Ausnahmetatbestände vorliegt.

c) Die Klägerin war bei der [X.] zwar als Praktikantin iSd. § 22 Abs. 1 Satz 2 [X.] tätig, jedoch unterliegt sie der Ausnahmeregelung des § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 [X.], weil es sich bei dem Vorpraktikum um ein Pflichtpraktikum aufgrund einer hochschulrechtlichen Bestimmung handelte.

aa) Die Klägerin war Praktikantin iSv. § 22 Abs. 1 Satz 3 [X.].

(1) § 22 Abs. 1 Satz 3 [X.] enthält für das [X.] eine Legaldefinition des Praktikanten, die sich an die Empfehlung des [X.] vom 10. März 2014 zu einem Qualitätsrahmen für Praktika anlehnt ([X.]. 18/2010 (neu) S. 24; [X.] 18. November 2020 - 5 [X.] - Rn. 20). Für die Einordnung als Praktikantin oder Praktikant iSd. [X.]es ist diese Legaldefinition maßgeblich, auch wenn § 22 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 [X.] von „Praktikantinnen und Praktikanten im Sinne des § 26 des Berufsbildungsgesetzes“ spricht, denn die Begriffsbestimmung in Satz 3 der Norm wurde nach dem in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers aus Gründen der Rechtsklarheit aufgenommen (vgl. [X.]. 18/2010 (neu) S. 24). Dagegen enthält § 26 BBiG, der Regelungen für „andere Vertragsverhältnisse“ trifft, keine eigenständige Definition des Praktikums, sondern setzt ein bestimmtes Begriffsverständnis voraus.

(2) Gemäß § 22 Abs. 1 Satz 3 [X.] ist unabhängig von der Bezeichnung des Rechtsverhältnisses Praktikant, wer sich nach der tatsächlichen Ausgestaltung und Durchführung des Vertragsverhältnisses für eine begrenzte Dauer zum Erwerb praktischer Kenntnisse und Erfahrungen einer bestimmten betrieblichen Tätigkeit zur Vorbereitung auf eine berufliche Tätigkeit unterzieht, ohne dass es sich dabei um eine Berufsausbildung iSd. Berufsbildungsgesetzes oder um eine damit vergleichbare praktische Ausbildung handelt. Für die rechtliche Bewertung eines Sachverhalts als Praktikum ist dabei die Gesamtwürdigung aller maßgebenden Umstände des Einzelfalls, nicht die formelle Bezeichnung entscheidend (vgl. [X.] 29. April 2015 - 9 [X.] - Rn. 18).

(3) Das auf sechs Monate zeitlich begrenzte Praktikum der Klägerin auf der Krankenpflegestation der [X.] war keine mit einer Berufsausbildung iSd. Berufsbildungsgesetzes vergleichbare praktische Ausbildung. Es handelte sich gemäß § 22 Abs. 1 Satz 3 [X.] um ein Praktikum iSd. [X.]es.

(a) § 22 Abs. 1 Satz 3 [X.] unterscheidet zwischen Praktikanten, die Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn haben, wenn nicht einer der in § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis Nr. 4 [X.] aufgeführten Ausnahmetatbestände vorliegt, und Personen, die sich einer Berufsausbildung iSd. Berufsbildungsgesetzes oder einer damit vergleichbaren Ausbildung unterziehen, in der ein solcher Anspruch nicht besteht. Charakteristikum des [X.] ist nach § 1 Abs. 3 BBiG, dass es die berufliche Handlungsfähigkeit in einem geordneten Ausbildungsgang vermittelt und den Erwerb der erforderlichen Berufserfahrungen ermöglicht. Demgegenüber ist für das Praktikum kennzeichnend, dass keine systematisch geregelte umfassende fachliche Ausbildung angestrebt wird. Die Systematik der Ausbildung ist entscheidendes Abgrenzungskriterium zwischen der Berufsausbildung sowie einer damit vergleichbaren praktischen Ausbildung auf der einen Seite und dem Praktikum auf der anderen Seite (vgl. [X.] 18. November 2020 - 5 [X.] - Rn. 27).

(b) Gemessen daran ist das von der Klägerin geleistete Praktikum keine mit der Berufsausbildung vergleichbare praktische Ausbildung iSv. § 22 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 Alt. 2 [X.] Dies ist zwischen den [X.]en unstreitig. Ein zugrunde liegendes didaktisches Konzept im genannten Sinne hat die Klägerin nicht aufgezeigt.

[X.]) [X.] ist jedoch ausgeschlossen, weil es sich bei dem von der Klägerin geleisteten Vorpraktikum um ein aufgrund einer hochschulrechtlichen Bestimmung verpflichtendes Praktikum iSv. § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 [X.] gehandelt hat.

(1) Pflichtpraktika iSv. § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 [X.] sind von der Pflicht zur Zahlung einer Vergütung iHd. gesetzlichen Mindestlohns ausgenommen (zur Gesetzgebungskompetenz des [X.] vgl. BeckOK [X.]/[X.] Stand 1. Dezember 2021 [X.] § 22 Rn. 25.1). Mit dieser Regelung will der Gesetzgeber sicherstellen, dass für obligatorische Praxisphasen im Rahmen von Ausbildungen im weiteren Sinn hinreichende Kapazitäten an Praktikumsplätzen vorhanden sind. Darüber hinaus geht der Gesetzgeber davon aus, dass ein Missbrauch von Praktikanten als billige Hilfskräfte nicht zu befürchten ist, wenn das Praktikum auf Grundlage der in der Norm genannten Bestimmungen absolviert wird (vgl. [X.]/Nimmerjahn [X.] 2. Aufl. § 22 Rn. 51).

(2) Das von der Klägerin geleistete Vorpraktikum war ein Pflichtpraktikum iSv. § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 [X.], weil es obligatorisch aufgrund der hochschulrechtlichen Bestimmung des § 3 Ziff. 2 der Studienordnung zu leisten war.

(a) Vorpraktika werden von der Ausnahmeregelung des § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 [X.] erfasst. Im Gesetzgebungsverfahren ist an die Stelle des Begriffs Studienordnung der umfassend zu verstehende Begriff der hochschulrechtlichen Bestimmung getreten. Nach dem aus den Gesetzesmaterialien klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers, den die Gerichte zu respektieren haben ([X.] 6. Juni 2018 - 1 [X.] -, - 1 BvR 1375/14 - Rn. 73, [X.]E 149, 126; [X.] 13. Oktober 2021 - 5 [X.] - Rn. 19), fallen unter diesen Begriff neben Studien- und Prüfungsordnungen auch Zulassungsordnungen, die die Absolvierung eines Praktikums als Voraussetzung zur Aufnahme eines bestimmten Studiums verpflichtend vorschreiben ([X.]. 18/2010 (neu) S. 24; vgl. auch [X.]/[X.] 22. Aufl. [X.] § 22 Rn. 10; HK-[X.]/[X.]/[X.] 2. Aufl. § 22 Rn. 32; Pötters in Thüsing [X.]/[X.] 2. Aufl. § 22 [X.] Rn. 22). Aufgrund dieser klaren gesetzlichen Begriffsbestimmung und Zielsetzung im [X.] ist die zu dem in § 26 BBiG vorausgesetzten [X.] ergangene Rechtsprechung im vorliegenden Fall nicht relevant. Einer Heranziehung steht im Übrigen entgegen, dass diese Entscheidungen Sachverhalte betreffen, in denen der Praktikant zum [X.]punkt der Ableistung des Praktikums bereits als Student an einer (Fach)Hochschule immatrikuliert war (vgl. [X.] 18. November 2008 - 3 [X.] - Rn. 18; 3. September 1998 - 8 [X.] - zu [X.] der Gründe; 19. Juni 1974 - 4 [X.] - [X.]E 26, 198; zum Streitstand: [X.]/[X.] 22. Aufl. BBiG § 26 Rn. 4; [X.] BBiG 3. Aufl. § 26 Rn. 17; [X.] in [X.]/[X.] BBiG 2. Aufl. § 26 Rn. 13; [X.]/[X.] aaO). Die Klägerin war dagegen noch nicht als Studentin eingeschrieben.

(b) § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 [X.] verlangt, dass das Pflichtpraktikum aufgrund einer der dort genannten Bestimmungen erbracht wird. Dies setzt eine entsprechende Vereinbarung zwischen [X.] und Praktikant, eine aus der Ausbildungsbestimmung folgende objektive Verpflichtung des Praktikanten zur Durchführung des Praktikums sowie eine der Ausbildungsbestimmung entsprechende tatsächliche Durchführung des Praktikums voraus (vgl. [X.]/Nimmerjahn [X.] 2. Aufl. § 22 Rn. 56). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt.

(aa) Die Klägerin und die Beklagte haben jedenfalls konkludent vereinbart, das Praktikum als Pflichtpraktikum durchzuführen. Eine gesetzlich vorgegebene Notwendigkeit, den Vertrag schriftlich niederzulegen besteht nicht. Nach § 26 BBiG kann auf die an sich nach § 11 Abs. 1 Satz 1 BBiG obligatorische Vertragsniederschrift verzichtet werden. [X.] ist, dass die Klägerin nicht das gewünschte Studium an der [X.] aufgenommen hat. Maßgeblich ist der [X.]punkt des Abschlusses der Praktikumsvereinbarung. Spätere Willensänderungen des Praktikanten sind nach allgemeinen vertragsrechtlichen Grundsätzen unbeachtlich (vgl. [X.]/Nimmerjahn [X.] 2. Aufl. § 22 Rn. 57).

([X.]) Das von der Klägerin geleistete Vorpraktikum ist aufgrund der hochschulrechtlichen Bestimmung des § 3 Ziff. 2 der Studienordnung objektiv verpflichtend. Diese Bestimmung kann der [X.] seiner Entscheidung zugrunde legen, auch wenn das [X.] rechtsfehlerhaft nicht festgestellt hat, dass die private [X.] eine staatlich anerkannte private Hochschule ist, weshalb es die Klage mit der gegebenen Begründung nicht abweisen durfte. Die staatliche Anerkennung ist jedoch eine offenkundige Tatsache. Daher kann das Berufungsurteil im Ergebnis Bestand haben (§ 561 ZPO).

([X.]) Es kann dahinstehen, ob von § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 [X.] nur Praktika erfasst werden, die durch öffentlich-rechtliche Vorschriften vorgeschrieben sind (hierzu: BeckOK [X.]/[X.] Stand 1. Dezember 2021 [X.] § 22 Rn. 24 f.; [X.]/[X.] 22. Aufl. [X.] § 22 Rn. 9; NK-GA/Forst § 22 [X.] Rn. 12), weil

die [X.] eine staatlich anerkannte [X.] ist. Dies hat zur Folge, dass die von dieser normativ geregelten Zugangsvoraussetzungen zum Studium im Geltungsbereich des § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 [X.] öffentlich-rechtlichen Regelungen gleichzustellen sind. Dieser Bestimmung liegt zugrunde, dass ein missbräuchlicher Einsatz von Praktikanten ausgeschlossen wird, wenn das Praktikum auf Grundlage einer (hoch)schulrechtlichen oder anderweitig abstrakt-generellen Anordnung geleistet wird. Auch im Fall einer staatlichen Anerkennung der Hochschule ist sichergestellt, dass die von dieser erlassene Studienordnung dieses Regelungsziel erreicht. Hierfür bietet § 70 Hochschulrahmengesetz ([X.]) iVm. landesrechtlichen Vorschriften der Hochschulgesetze - vorliegend §§ 72 ff. des Gesetzes über die Hochschulen des [X.] ([X.]) - ausreichend Gewähr. Darüber hinaus besteht im Streitfall schon deshalb keine Missbrauchsgefahr, weil die Pflicht zur Durchführung eines Praktikums von einem Dritten - der [X.] - auferlegt wird, der außerhalb des Vertragsverhältnisses zwischen Praktikant und [X.] steht. Die Hochschule als Normgeber der Zulassungsordnung zieht aus dieser von ihr gesetzten Norm keinen wirtschaftlichen Vorteil.

([X.]b) Das [X.] hat rechtsfehlerhaft nicht die erforderlichen Feststellungen zur staatlichen Anerkennung der privaten [X.] getroffen. Der [X.] kann seiner Entscheidung diese Tatsache nach gerichtlichem Hinweis an die Klägerin vom 14. Dezember 2021 dennoch zugrunde legen, denn die staatliche Anerkennung der privaten [X.] ist eine offenkundige Tatsache. Diese kann in Anwendung des § 291 ZPO auch noch in der Revisionsinstanz Eingang in den Prozess finden.

([X.]a) Grundsätzlich bildet der Schluss der mündlichen Verhandlung in zweiter Instanz bezüglich des tatsächlichen Vorbringens der [X.]en die Entscheidungsgrundlage für das Revisionsgericht. Allerdings ist § 559 Abs. 1 Satz 1 ZPO einschränkend dahin auszulegen, dass in bestimmtem Umfang auch Tatsachen, die sich erst während der Revisionsinstanz ereignen, in die Urteilsfindung einfließen können, soweit sie unstreitig sind oder ihr Vorliegen in der Revisionsinstanz ohnehin von Amts wegen zu beachten ist und schützenswerte Belange der Gegenseite nicht entgegenstehen (vgl. [X.] 22. Mai 2012 - 1 [X.] - Rn. 25). Der Gedanke der Konzentration der Revisionsinstanz auf die rechtliche Bewertung eines festgestellten Sachverhalts verliert nämlich an Gewicht, wenn die Berücksichtigung von neuen tatsächlichen Umständen keine nennenswerte Mehrarbeit verursacht und die Belange des [X.] gewahrt bleiben. Dann kann es aus prozessökonomischen Gründen nicht zu verantworten sein, die vom Tatsachenausschluss betroffene [X.] auf einen weiteren, ggf. durch mehrere Instanzen zu führenden Prozess zu verweisen. In einem solchen Fall ist vielmehr durch die Zulassung neuen Vorbringens im Revisionsverfahren eine rasche und endgültige [X.] herbeizuführen (vgl. [X.] März 2017 - I ZR 273/14 - Rn. 44; 14. Oktober 2009 - [X.]/08 - Rn. 27).

([X.][X.]) Bei der schon vor Schluss der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz vorhandenen Tatsache der staatlichen Anerkennung der privaten [X.] handelt es sich um eine offenkundige Tatsache in Form einer allgemeinkundigen Tatsache, dh. einer solchen, die in einem größeren oder kleineren Bezirk einer beliebig großen Menge von Personen bekannt ist oder wahrnehmbar war und über die man sich aus zuverlässigen Quellen ohne besondere Fachkunde unterrichten kann, wie etwa die in den Medien berichteten Ereignisse der [X.]geschichte oder Inhalte des allgemein zugänglichen [X.] (vgl. [X.] - Rn. 15; Musielak/[X.]/[X.] ZPO 18. Aufl. § 291 Rn. 1). In der Bevölkerung ist die staatliche Anerkennung der privaten [X.] allgemein bekannt, Medizinstudenten legen dort Examen ab, die sie zum Praktizieren als Arzt in [X.] berechtigen. Die [X.] selbst weist auf ihrer Homepage auf die unbefristete staatliche Anerkennung durch das Wissenschaftsministerium des [X.] hin. Zur staatlichen Anerkennung hat die Beklagte in der Revisionsinstanz vorgetragen, womit die offenkundige Tatsache in den Prozess eingeführt worden ist (zur Erforderlichkeit dessen vgl. [X.]/[X.] ZPO 34. Aufl. § 291 Rn. 3). Daher kann der [X.] die Offenkundigkeit selbst bejahen; er ist nicht verpflichtet, zur Feststellung dieser Tatsache die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Im Übrigen hat die Klägerin die staatliche Anerkennung mit Schriftsatz vom 20. Dezember 2021 in der Revision unstreitig gestellt.

(cc) Das Praktikum ist auch tatsächlich entsprechend der Bestimmung in § 3 Ziff. 2 Studienordnung durchgeführt worden. Darin wird ein Krankenpflegedienst von sechs Monaten Dauer gefordert. Unter dem Begriff der Krankenpflege wird allgemein die Gesamtheit aller Maßnahmen, die zur Pflege und Betreuung Kranker nötig sind, verstanden (vgl. [X.] [X.] [X.] 3. Aufl. Stichwort „Krankenpflege“). Dem entsprechen die von der Klägerin vorgetragenen Tätigkeiten während ihres Praktikums.

(3) Rechtsfehlerfrei ist das [X.] davon ausgegangen, dass die systematische Auslegung des § 22 Abs. 1 Satz 2 [X.] der Zuordnung des Vorpraktikums zu Nr. 1 der Bestimmung nicht entgegensteht. Das Vorpraktikum kann und muss von dem in § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 [X.] geregelten Orientierungspraktikum abgegrenzt werden. Vom persönlichen Anwendungsbereich des [X.]es ausgenommen sind nach dieser Bestimmung Praktikanten, die ein Praktikum von bis zu drei Monaten zur Orientierung für eine Berufsausbildung oder für die Aufnahme eines Studiums leisten. Die von der Revision vertretene Auslegung, wonach sich die Voraussetzung der Orientierung ausschließlich auf die Berufsausbildung, nicht dagegen auf die Aufnahme eines Studiums bezieht, scheitert bereits am Wortlaut der Norm. Das Berufungsgericht hat insoweit zutreffend angenommen, dass das Wort Orientierung gleichsam vor [X.] gezogen wurde und sich auf beide darauffolgenden Alternativen bezieht (vgl. dazu pars pro [X.] [X.]/Nimmerjahn [X.] 2. Aufl. § 22 Rn. 77 ff.). Die Klägerin hat das Praktikum bei der [X.] jedoch nicht zur Orientierung für die Aufnahme eines Studiums geleistet (§ 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 [X.]), sondern um die Zugangsvoraussetzungen für ein Studium der Humanmedizin an der [X.] zu erfüllen (§ 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 [X.]). Die zeitliche Obergrenze der Praktikumsdauer von drei Monaten für die in § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 [X.] geregelte Ausnahme von der [X.] für [X.] ist daher im vorliegenden Fall nicht von Belang.

2. Die zulässige Klage auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für die [X.] vom 18. bis zum 20. September 2019 ist ebenfalls unbegründet. Da die Klägerin nicht unter den persönlichen Anwendungsbereich des [X.]es fällt, hat sie auch keinen Anspruch nach § 3 Abs. 1 Satz 1 iVm. § 4 Abs. 1 EFZG auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall iHd. gesetzlichen Mindestlohns.

III. [X.] folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    [X.]    

        

    [X.]    

        

    Volk    

        

        

        

    Schad    

        

    Mattausch    

                 

Meta

5 AZR 217/21

19.01.2022

Bundesarbeitsgericht 5. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Trier, 10. Juni 2020, Az: 4 Ca 204/20, Urteil

§ 1 Abs 1 MiLoG, § 1 Abs 2 MiLoG, § 22 Abs 1 S 2 Halbs 1 MiLoG, § 22 Abs 1 S 2 Nr 1 MiLoG, § 26 BBiG 2005, § 22 Abs 1 S 3 MiLoG

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19.01.2022, Az. 5 AZR 217/21 (REWIS RS 2022, 1937)

Papier­fundstellen: NJW 2022, 1403 REWIS RS 2022, 1937 MDR 2022, 708-709 REWIS RS 2022, 1937

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