Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 21.09.2022, Az. 1 BvR 2754/17

1. Senat 3. Kammer | REWIS RS 2022, 6651

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Stattgebender Kammerbeschluss: Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch Übergehen von Parteivortrag in einem aktienrechtlichen Verfahren (Einsetzung eines Sonderprüfers) - Gegenstandswertfestsetzung


Tenor

1. Die Beschlüsse des [X.] vom 8. November 2017 - 9 W 86/17 - und vom 23. November 2017 - 9 W 86/17 - verletzen die Beschwerdeführerin in Artikel 103 Absatz 1 des Grundgesetzes. Die Entscheidungen werden aufgehoben. Die Sache wird an das [X.] zurückverwiesen.

2. Das [X.] hat der Beschwerdeführerin die notwendigen Auslagen zu erstatten.

3. Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit im Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 100.000 Euro (in Worten: einhunderttausend Euro) festgesetzt.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die gerichtliche Anordnung einer aktienrechtlichen Sonderprüfung bei der Beschwerdeführerin.

2

1. Die Beschwerdeführerin ist eine börsennotierte Aktiengesellschaft mit Sitz in [X.], deren satzungsgemäßer Unternehmensgegenstand die Herstellung und der Vertrieb von Fahrzeugen und Motoren aller Art, deren Zubehör sowie aller Anlagen, Maschinen und Werkzeuge und sonstiger technischer Erzeugnisse ist. Die jeweils durch den eingetragenen Verein "(…)-e.[X.]" (im Folgenden: (…)-e.[X.]) mit Sitz in (…) vertretenen Antragstellerinnen des Ausgangsverfahrens (im Folgenden: Antragstellerinnen) sind drei "Funds" U.S.-amerikanischen Rechts mit Sitz in [X.]/USA.

3

2. Die Sonderprüfung bei der Beschwerdeführerin steht im Zusammenhang mit der Beeinflussung von Messungen des [X.] bei Dieselfahrzeugen der Beschwerdeführerin durch eine Veränderung der Motorsteuersoftware ("VW-Dieselskandal"). Untersucht werden soll die etwaige Verantwortung von Vorstand und Aufsichtsrat der Beschwerdeführerin hierfür, namentlich - worüber die Beschwerdeführerin und die Antragstellerinnen insbesondere streiten - ab welchem Zeitpunkt diese Organe der Beschwerdeführerin Kenntnis von den Manipulationen hatten oder ihnen diese bekannt sein mussten. Dies hat unter anderem Bedeutung für die Frage, ob [X.] erst verspätet an den Kapitalmarkt gegeben worden sind, was zu einer kapitalmarktrechtlichen Haftung führen könnte.

4

3. In der ordentlichen Hauptversammlung der Beschwerdeführerin am 22. Juni 2016 wurden Anträge auf Durchführung einer entsprechenden Sonderprüfung nach § 142 Abs. 1 AktG, deren Aufnahme in die Tagesordnung die durch den (…)-e.[X.] vertretenen Antragstellerinnen erwirkt hatten, jeweils mit Mehrheiten von über 97 % abgelehnt.

5

4. Die daraufhin von den Antragstellerinnen gestellten Anträge auf gerichtliche Bestellung eines [X.]s nach § 142 Abs. 2 AktG wies das [X.] zurück. Ob die Antragstellerinnen beteiligtenfähig oder die Anträge unter diesem Gesichtspunkt unzulässig seien, sei nicht geklärt, könne jedoch dahinstehen, da die Anträge jedenfalls unbegründet seien. Zwar lägen die formellen Voraussetzungen für die Einsetzung eines [X.]s vor. Auch seien die Anträge nicht rechtsmissbräuchlich. Es fehle aber an den materiellen Voraussetzungen für die beantragte Bestellung eines [X.]s. Zwar seien Tatsachen dargelegt, die den Verdacht rechtfertigten, dass es im Zusammenhang mit den zu untersuchenden Vorgängen zu Unredlichkeiten oder Verletzungen des Gesetzes oder der Satzung gekommen sei. Doch scheide die Anordnung einer Sonderprüfung aus, weil diese unverhältnismäßig sei.

6

5. Auf die hiergegen eingelegte Beschwerde der Antragstellerinnen ordnete das [X.] die Durchführung der Sonderprüfung an und bestellte einen [X.].

7

Die Antragstellerinnen seien antragsberechtigt und beteiligungsfähig. Weder die Beschwerdeführerin noch deren Aufsichtsrat hätten bezweifelt, dass die Antragstellerinnen Rechte und Pflichten insoweit innehaben könnten, als sie Aktien der Beschwerdeführerin erwerben konnten. [X.] müssten sie, ohne dass es auf ein von der Beschwerdeführerin vorgelegtes Rechtsgutachten zur Rechtsfähigkeit der Antragstellerinnen nach U.S.-amerikanischem Recht ankomme, in der Lage sein, das aus dem Aktienbesitz folgende Recht zur Einsetzung eines [X.]s wahrzunehmen. Dies geböten auch das allgemeine Rechtsstaatlichkeitsgebot und der grundrechtlich geschützte Justizgewährleistungsanspruch. Auch die weiteren Voraussetzungen für die Bestellung eines [X.]s lägen vor. Zutreffend habe das [X.] einen qualifizierten Verdacht bejaht. Entgegen der Auffassung des [X.]s sei die Bestellung eines [X.]s hingegen nicht unverhältnismäßig. Die Rechtsbeschwerde gegen diese Entscheidung sei gesetzlich ausgeschlossen.

8

6. Die dagegen von der Beschwerdeführerin erhobene Anhörungsrüge wies das [X.] zurück. Die von der Beschwerdeführerin geltend gemachten Gehörsverstöße lägen nicht vor.

9

Insbesondere soweit die Beschwerdeführerin beanstande, das [X.] habe zu Unrecht die Aktionärseigenschaft der Antragstellerinnen angenommen, stehe dies einer am Tatsächlichen orientierten Auslegung des Beteiligtenbegriffs, die das [X.] in den Vordergrund gestellt habe, nicht entgegen. Eines gesonderten Hinweises darauf, dass das [X.] die [X.] zu bejahen beabsichtige, habe es angesichts eines von dem Senat im Laufe des Verfahrens schriftlich gegebenen Hinweises nicht bedurft. Soweit der Senat angenommen habe, die Rechtsbeschwerde sei bereits kraft Gesetzes ausgeschlossen, sei dies zwar unzutreffend. Die Rechtsbeschwerde sei jedoch nicht zuzulassen, weil Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung nicht aufgeworfen seien.

7. Die Beschwerdeführerin rügt die Verletzung von Art. 12 Abs. 1, Art. 13 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG sowie einen Verstoß gegen das Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG). Darüber hinaus seien ihre Rechte aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2, Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 und Art. 103 Abs. 1 GG verletzt.

Insbesondere habe sich das [X.] unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG mit entscheidungserheblichem Vortrag der Beschwerdeführerin nicht beziehungsweise nicht hinreichend auseinandergesetzt und die Erteilung gebotener Hinweise unterlassen. Dies gelte namentlich für die Frage der [X.] der Antragstellerinnen.

8. Dem [X.] sowie den Antragstellerinnen wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Die Akten des Ausgangsverfahrens lagen dem [X.] vor.

Die Verfassungsbeschwerde wird gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b [X.] zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte der Beschwerdeführerin angezeigt ist. Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93c Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 93a Abs. 2 Buchstabe b [X.]). Das [X.] hat die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden (vgl. etwa [X.] 5, 22 <24>; 27, 248 <252>; 73, 322 <326 f.>; 86, 133 <145 f.>).

1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig.

Das Rechtsschutzbedürfnis ist nicht dadurch entfallen, dass das [X.] den mit den hier angegriffenen Entscheidungen bestellten [X.] im Jahr 2020 durch einen anderen [X.] ersetzt hat. Die Entscheidungen des [X.]s zur Auswechslung des [X.]s (Beschlüsse des [X.]s vom 28. April 2020 und vom 29. Mai 2020 - 9 W 69/19 -), die die Beschwerdeführerin eigenständig mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen hat (siehe den Beschluss der Kammer vom heutigen Tag in dem Verfahren 1 BvR 1349/20), haben die hier angegriffenen Entscheidungen bereits ausweislich ihres Tenors lediglich "abgeändert", sie also im Übrigen - insbesondere in Bezug auf die Anordnung der Sonderprüfung als solcher - aufrechterhalten.

2. Die Verfassungsbeschwerde ist im Sinne des § 93c Abs. 1 Satz 1 [X.] offensichtlich begründet. Das [X.] hat unter mehrfachem Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG die [X.] der Antragstellerinnen angenommen. Die Handhabung des [X.]s deutet auf eine grobe Verkennung des Grundrechtsschutzes und auf einen leichtfertigen Umgang mit grundrechtlich geschützten Positionen hin (vgl. [X.] 90, 22 <25>). Daher kann dahinstehen, ob weitere Grundrechte verletzt sind.

a) Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (vgl. [X.] 47, 182 <187>; [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 28. Oktober 2019 - 2 BvR 1813/18 -, Rn. 16 m.w.N.; stRspr). Art. 103 Abs. 1 GG ist nur verletzt, wenn sich aus den besonderen Umständen des Einzelfalls klar ergibt, dass das Gericht diesen Verpflichtungen nicht nachgekommen ist (vgl. [X.] 25, 137 <140>; 34, 344 <347>; 47, 182 <187>; [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 28. Oktober 2019 - 2 BvR 1813/18 -, Rn. 17 m.w.N.; stRspr). Hierzu müssen im Einzelfall besondere Umstände deutlich ergeben, dass tatsächliches Vorbringen eines Verfahrensbeteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung ersichtlich nicht erwogen worden ist (vgl. [X.] 27, 248 <252>; 86, 133 <146>; [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 28. Oktober 2019 - 2 BvR 1813/18 -, Rn. 17 m.w.N.; stRspr).

Im Übrigen ist das Gericht nach Art. 103 Abs. 1 GG zwar grundsätzlich weder zu einem [X.] noch zu einem Hinweis auf seine Rechtsauffassung verpflichtet. Auch wenn die Rechtslage umstritten oder problematisch ist, müssen die Verfahrensbeteiligten grundsätzlich alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte von sich aus in Betracht ziehen und ihren Vortrag darauf einstellen. Es kann aber im Ergebnis der Verhinderung eines Vortrags zur Rechtslage gleichkommen, wenn das Gericht ohne vorherigen Hinweis auf einen rechtlichen Gesichtspunkt abstellt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen brauchte (vgl. [X.] 84, 188 <190>; 86, 133 <144 f.>; 98, 218 <263>). Namentlich ein Rechtsmittelgericht hat, beabsichtigt es, von der rechtlichen Sicht des Erstgerichts abzuweichen, hierauf rechtzeitig hinzuweisen (vgl. [X.]K 1, 211 <213>).

b) Nach diesen Maßstäben ist der Anspruch der Beschwerdeführerin auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) hier in mehrfacher Hinsicht von dem [X.] verletzt worden.

aa) Das [X.] hat in seiner angegriffenen Entscheidung vom 8. November 2017, mit der es die Sonderprüfung angeordnet hat, unter Verletzung des rechtlichen Gehörs der Beschwerdeführerin angenommen, weder sie noch ihr Aufsichtsrat hätten "bezweifelt", "dass die Antragstellerinnen in erheblichem Umfang insoweit Rechte und Pflichten innehaben können, als sie Aktien erwerben konnten".

(1) Das ist mit dem von der Beschwerdeführerin gehaltenen Vorbringen schlechterdings unvereinbar, was nur damit erklärt werden kann, dass das [X.] dieses Vorbringen nicht zur Kenntnis nahm.

Die Beschwerdeführerin hatte bereits in ihrer erstinstanzlichen [X.] ausdrücklich in Abrede gestellt, dass die Antragstellerinnen "Träger von Rechten und Pflichten" sein könnten, und zwar insbesondere deshalb, weil es sich lediglich um unselbstständige Untereinheiten eines größeren Sondervermögens handle. Die Beschwerdeführerin ist sodann im weiteren Fortgang des fachgerichtlichen Verfahrens unter ausdrücklichem Verweis auf dieses frühere Vorbringen dem aus einer Depotbestätigung von den Antragstellerinnen gezogenen Rückschluss darauf entgegengetreten, diese seien Inhaber von [X.] und dividendenberechtigt.

Mit ihrem Vorbringen hat die Beschwerdeführerin demnach ausdrücklich und unmissverständlich geltend gemacht, die Antragstellerinnen seien nicht Inhaberinnen von [X.] und könnten dies aus rechtlichen Gründen auch nicht sein.

(2) Davon abgesehen hat das [X.] Art. 103 Abs. 1 GG auch dadurch verletzt, dass es einen nach dieser Vorschrift erforderlichen Hinweis an die Beschwerdeführerin unterlassen hat.

Das [X.] hat in seiner Entscheidung, mit der es die Sonderprüfung angeordnet hat, die [X.] der Antragstellerinnen anders beurteilt, als dies das [X.] getan hatte. Dieses hatte die Parteien darauf hingewiesen, dass es die Ansicht der Beschwerdeführerin teile, nach der die [X.] der Antragstellerinnen nicht nachgewiesen sei. Diese Sicht hat das [X.] in seiner Entscheidung, mit der es die gestellten Anträge zurückwies, ausdrücklich bekräftigt, und es ist von ihr auch in seinem Nichtabhilfebeschluss nicht abgewichen. Das [X.] hingegen beurteilte die rechtliche Lage im Ergebnis anders, und es interpretierte hierfür - wie ausgeführt gehörswidrig - Parteivorbringen der Beschwerdeführerin in einer Weise, wie dies das [X.] offenbar nicht getan hatte.

Vor diesem Hintergrund war das [X.] nach Art. 103 Abs. 1 GG gehalten, insbesondere die Beschwerdeführerin rechtzeitig auf seine für sie nachteilige Beurteilung der [X.] der Antragstellerinnen und auf seine Annahme hinzuweisen, weder die Beschwerdeführerin noch ihr Aufsichtsrat hätten "bezweifelt", "dass die Antragstellerinnen in erheblichem Umfang insoweit Rechte und Pflichten innehaben können, als sie Aktien erwerben konnten". Ein solcher Hinweis ist unterblieben. Unzureichend war insbesondere der im Laufe des Verfahrens den Parteien von dem [X.] erteilte schriftliche Hinweis, auf den sich das [X.] in seinem die Anhörungsrüge der Beschwerdeführerin zurückweisenden Beschluss bezogen hat. Dieser wies nur allgemein auf mögliche Erfolgsaussichten der Beschwerde hin und ging konkret lediglich auf die Frage der Verhältnismäßigkeit der Sonderprüfung ein. Das genügte nicht.

bb) Die - von der Beschwerdeführerin mit der Anhörungsrügeschrift geltend gemachte - Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG ist im [X.] nicht geheilt worden (vgl. etwa [X.]K 15, 116 <119 f.>; [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 28. Oktober 2019 - 2 BvR 1813/18 -, Rn. 21). Im Gegenteil hat das [X.] in seinem die Anhörungsrüge zurückweisenden Beschluss vom 23. November 2017 das rechtliche Gehör der Beschwerdeführerin erneut verletzt. Es komme maßgeblich auf eine "am Tatsächlichen" orientierte "Auslegung des Beteiligtenbegriffs" an. Die Beschwerdeführerin habe jedoch nicht dazu vorgetragen, "wem sie in den Hauptversammlungen die Ausübung der [X.] aus den [X.], aus denen die Antragstellerinnen vorgehen, gestattet" habe, und es habe an "Ausführungen" der Beschwerdeführerin "zur eigenen tatsächlichen Handhabung hinsichtlich der Hauptversammlungen" gemangelt. Das [X.] konnte dementsprechend nur unter Verletzung des rechtlichen Gehörs der Beschwerdeführerin davon ausgehen, "dass die [X.] jedoch tatsächlich ausgeübt werden" und die Beschwerdeführerin "kraft dieser Umstände tatsächliche Erkenntnisse darüber hat, mit Hilfe welcher von wem aufgestellter Nachweise sie die Stimmrechtsausübung in ihren Hauptversammlungen geschehen lässt".

(1) Die Beschwerdeführerin hatte - in Erwiderung auf Gegenvorbringen, es sei rechtsmissbräuchlich, die [X.] der Antragstellerinnen in Zweifel zu ziehen, nachdem der die Sonderprüfung betreffende Antrag der Antragstellerinnen auf Ergänzung der Tagesordnung ohne weiteres zur Beschlussfassung in der Hauptversammlung geführt habe - bereits in erster Instanz des fachgerichtlichen Verfahrens vorgetragen, derartige Ergänzungsanträge würden von ihr angesichts bestehenden Zeitdrucks nicht vertieft tatsächlich und rechtlich geprüft, sondern zur Vermeidung von Beschlussmängelrisiken im Zweifel zugelassen, was gängiger aktienrechtlicher Praxis entspreche.

Zu der Feststellung, es habe an "Ausführungen" der Beschwerdeführerin "zur eigenen tatsächlichen Handhabung hinsichtlich der Hauptversammlungen" gemangelt, konnte das [X.] vor diesem Hintergrund nur gelangen, wenn es dieses Vorbringen nicht zur Kenntnis nahm. Auch seine Annahme, die Beschwerdeführerin habe nicht dazu vorgetragen, "wem sie in den Hauptversammlungen die Ausübung der [X.] aus den [X.], aus denen die Antragstellerinnen vorgehen, gestattet", ist allein damit erklärlich. Dies gilt selbst dann, wenn - obwohl nahe lag, dass dasjenige, was offenbar angesichts des Gegenvorbringens ausdrücklich lediglich in Bezug auf [X.] vorgetragen war, auf sämtliche [X.] entsprechend übertragen werden konnte und sollte - das Vorbringen der Beschwerdeführerin allein auf die ausdrücklich thematisierten [X.] zu beziehen gewesen sein sollte. Zumindest nämlich hatte das [X.] - nahm es das Vorbringen überhaupt zur Kenntnis - auf diesen Gesichtspunkt in seiner Begründung ausdrücklich einzugehen. Dass dies unterblieben ist, lässt sich bei dieser Sachlage allein damit erklären, dass es das einschlägige Vorbringen gänzlich übergangen hat.

(2) Davon abgesehen scheidet eine Heilung hier aus, weil das [X.] in seinem die Anhörungsrüge zurückweisenden Beschluss in dem entscheidenden Gesichtspunkt eine rechtliche Beurteilung angestellt hat, die sich mit derjenigen in dem die Sonderprüfung anordnenden Beschluss zumindest nicht vollständig deckte (vgl. etwa [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 17. April 2020 - 1 BvR 2326/19 -, Rn. 14 ff.). Während das [X.] dort in Abrede gestellt hatte, dass die Beschwerdeführerin das [X.] der Antragstellerinnen bezweifelt habe, hält es der Beschwerdeführerin hier vor, sie habe zu ihrer tatsächlichen Handhabung in der Hauptversammlung nicht vorgetragen.

cc) Die angegriffenen Entscheidungen beruhen auf den gehörswidrig getroffenen Feststellungen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Gewährung rechtlichen Gehörs zu einer anderen Entscheidung geführt hätte (vgl. [X.] 7, 95 <99>; 60, 247 <250>; 62, 392 <396>; 86, 133 <147>; [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 18. September 2018 - 2 BvR 745/18 -, Rn. 60 f.).

Die auch aus Sicht des [X.]s in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende (vgl. etwa [X.], in: [X.] Kommentar zum FamFG, 3. Aufl. 2018, § 8 Rn. 4; [X.], [X.] 2020, S. 841 <847 f. m.w.N. in [X.]. 89>) [X.] ist hier, sollte nicht schon § 8 Nr. 1 FamFG eingreifen, nach § 8 Nr. 2 FamFG gegeben, soweit den Antragstellerinnen ein Recht zustehen kann, sie also Zuordnungssubjekte eines Rechtssatzes sind (vgl. BVerwG, Zwischenurteil vom 21. Januar 2004 - 6 A 1/04 -, NVwZ 2004, S. 887; [X.], in: [X.] Kommentar zum FamFG, 3. Aufl. 2018, § 8 Rn. 13; [X.], in: [X.], FamFG, 2. Aufl. 2017, § 8 Rn. 8). Hier ist - wovon das [X.] an sich ausgeht - insoweit U.S.-amerikanisches Recht maßgebend, und zwar dasjenige des Gründungsstaates (vgl. für den vorliegenden Fall [X.], [X.] 2020, S. 841 <847>; allgemein [X.], 353 <355 ff.>), zu dem von Amts wegen Ermittlungen anzustellen sind (vgl. [X.], Beschluss vom 9. Februar 2017 - [X.] 166/15 -, [X.] 2017, S. 546 <547 Rn. 7>; [X.], in: [X.]/[X.]/[X.], FamFG, 3. Aufl. 2018, § 8 Rn. 2). Feststellungen hierzu hat das [X.] bisher nicht getroffen (vgl. auch [X.], [X.] 2020, S. 841 <847>; [X.], jurisPR-HaGesR 1/2018 [X.]. 4 unter [X.]; [X.], EWiR 2017, S. 749 <750>). Daher erscheint nicht ausgeschlossen, dass das [X.] die [X.] der Antragstellerinnen auch im Ergebnis anders beurteilt hätte, hätte es nicht Parteivorbringen der Beschwerdeführerin gehörswidrig übergangen beziehungsweise verfassungsrechtlich gebotene Hinweise unterlassen.

3. Die angegriffenen Entscheidungen des [X.]s sind demnach gemäß § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 [X.] aufzuheben und das Verfahren ist an das [X.] zurückzuverweisen.

4. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 [X.], die Festsetzung des [X.] auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. [X.] 79, 365 <366 ff.>).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvR 2754/17

21.09.2022

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 3. Kammer

Stattgebender Kammerbeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend OLG Celle, 23. November 2017, Az: 9 W 86/17, Beschluss

Art 103 Abs 1 GG, § 93c Abs 1 S 1 BVerfGG, § 142 Abs 1 AktG, FamFG, § 14 Abs 1 RVG, § 37 Abs 2 S 2 RVG

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 21.09.2022, Az. 1 BvR 2754/17 (REWIS RS 2022, 6651)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 6651 NJW 2023, 599 REWIS RS 2022, 6651

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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