BT-Drucksache 17/7861

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung - Drucksachen 17/6600, 17/6602, 17/7123, 17/7124, 17/7125 - Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2012 (Haushaltsgesetz 2012)

Vom 22. November 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/7861
17. Wahlperiode 22. 11. 2011

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Dietmar Bartsch, Steffen Bockhahn,
Roland Claus, Michael Leutert, Jan van Aken, Agnes Alpers, Herbert Behrens,
Karin Binder, Matthias W. Birkwald, Heidrun Bluhm, Christine Buchholz,
Eva Bulling-Schröter, Dr. Martina Bunge, Sevim Dag˘delen, Dr. Diether Dehm,
Heidrun Dittrich, Werner Dreibus, Dr. Dagmar Enkelmann, Klaus Ernst,
Wolfgang Gehrcke, Nicole Gohlke, Diana Golze, Annette Groth, Dr. Gregor Gysi,
Heike Hänsel, Dr. Rosemarie Hein, Inge Höger, Dr. Barbara Höll, Andrej Hunko,
Ulla Jelpke, Dr. Lukrezia Jochimsen, Katja Kipping, Harald Koch, Jan Korte,
Jutta Krellmann, Katrin Kunert, Caren Lay, Sabine Leidig, Ralph Lenkert,
Stefan Liebich, Ulla Lötzer, Thomas Lutze, Ulrich Maurer, Dorothee Menzner,
Cornelia Möhring, Kornelia Möller, Niema Movassat, Wolfgang Neskovic,
Thomas Nord, Petra Pau, Jens Petermann, Richard Pitterle, Yvonne Ploetz,
Ingrid Remmers, Paul Schäfer (Köln), Michael Schlecht, Dr. Ilja Seifert,
Kathrin Senger-Schäfer, Raju Sharma, Dr. Petra Sitte, Kersten Steinke,
Sabine Stüber, Alexander Süßmair, Dr. Kirsten Tackmann, Frank Tempel,
Dr. Axel Troost, Alexander Ulrich, Kathrin Vogler, Johanna Voß,
Sahra Wagenknecht, Halina Wawzyniak, Harald Weinberg, Katrin Werner,
Jörn Wunderlich, Sabine Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 17/6600, 17/6602, 17/7123, 17/7124, 17/7125 –

Entwurf eines Gesetzes
über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2012
(Haushaltsgesetz 2012)

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

● Die Koalition der Fraktionen CDU/CSU und FDP und die Bundesregierung

haben darauf verzichtet, die Verursacher und Nutznießer der Krise in die
Pflicht zu nehmen. Die ungelöste Bankenkrise wird zu einer existenziellen
Bedrohung der europäischen Staaten, weil das Gewicht der Finanzmärkte
auch die Rettungsboje der Staatshaushalte unter Wasser drückt. Beschlossen
hat die Koalition eine Pseudo-Bankenabgabe, die nach oben gedeckelt ist und
von der Vorstellung ausgeht, dass die nächste Finanzkrise schwach ausfallen
und erst in einem halben Jahrhundert stattfinden wird. Eine solche Annahme

Drucksache 17/7861 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

ist nicht nur naiv, sondern sie bedient bewusst die Lobby-Interessen der
Finanzbranche zu Lasten der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Außer gegen
Euro-Staaten richten Banken und Hedge-Fonds ihre spekulativen Angriffe
auch auf Rohstoffe und Nahrungsmittel. Das Leid der Opfer dieser Spekula-
tionswellen wird von den Akteuren in Kauf genommen. Der Nachholbedarf
an verbraucherorientierter Marktbeobachtung und unabhängiger Finanzbera-
tung ist enorm. Über Re-Regulierung der Finanzmärkte und Stärkung der
Eigenkapitalanforderungen hinaus müssen spekulative Exzesse durch eine
Finanztransaktionssteuer und einen „Finanz-TÜV“ eingedämmt, Privatban-
ken verstaatlicht werden. Der Bankensektor muss auf seine Kernfunktionen
Zahlungsverkehr, Ersparnisbildung und Finanzierung zurückgeführt und ent-
sprechend geschrumpft werden, damit die Steuerzahlerinnen und Steuerzah-
ler nicht immer wieder aufs Neue erpresst werden. Die unabhängige Finanz-
beratung durch Verbraucherzentralen muss ausgebaut und der Verbraucher-
zentrale Bundesverband e. V. als „Finanz-Wächter“ gestärkt werden.

● Die Koalition und die Bundesregierung führen die Politik der Umverteilung
von unten nach oben, die ihre Vorgängerregierungen begonnen haben, ent-
schlossen fort. Das sogenannte Zukunftspaket von Koalition und Bundes-
regierung ist unsozial, ungerecht, unsolide und vertieft die Spaltung des
Landes. Bei Hartz-IV-Beziehenden, Arbeitslosen und Familien wird rigoros
gespart. Bei Hartz IV wurde mit dem Übergangszuschlag das letzte Element,
das nach Abschaffung der Arbeitslosenhilfe den sozialen Absturz nach dem
Arbeitslosengeld mildert, gestrichen. Die bereits auf ein klägliches Maß ge-
schrumpften Rentenbeiträge wurden vollends abgeschafft. Eltern in Hartz IV,
denen bei der Einführung des Elterngeldes bereits ein Jahr Erziehungsgeld
gestrichen wurde, wurde das Mindestelterngeld von 300 Euro weggenom-
men. Im Bereich der Kinderbetreuung investiert der Bund zu wenig Mittel für
den Ausbau der Kindertagesstätten. Bis 2013 fehlen noch hundertausende
Betreuungsplätze und zehntausende Erzieherinnen und Erzieher, um die
anvisierte Quote von 35 Prozent zu erreichen, was nicht zuletzt an den ver-
schwindend geringen Personalmitteln liegt. Die Kürzungen für öffentlich ge-
förderte Kinder- und Jugendarbeit hat in manchen Landstrichen, insbeson-
dere in den östlichen Bundesländern, zu einem regelrechten Zusammenbruch
der Träger- und Angebotslandschaft geführt. Wo Jugendarbeit aus finanziel-
len Gründen eingestellt wird, entsteht ein Vakuum, in das vor allem rechts-
extreme Organisationen mit Angeboten vorstoßen. In diesem Zusammen-
hang sind alle Angebote, in denen kulturelle und interkulturelle Bildung für
Kinder und Jugendliche stattfindet, von besonderer Bedeutung und sollten
eine entsprechende Mittelausstattung erhalten. Weitere unbegründete massive
Kürzungen gefährden die geplante Offensive für eine diskriminierungsfreie
Gesellschaft, die die Antidiskriminierungsstelle gemeinsam mit Ländern,
Kommunen und Antidiskriminierungsnetzwerken vor Ort umsetzen will. Die
Koalition und die Bundesregierung höhlen die Einnahmebasis des Staates
gezielt aus, um mit Einsatz des Druckmittels Schuldenbremse einen angeb-
lichen Sachzwang für Sozialabbau zu schaffen. Gleichzeitig kommen auf den
Bundeshaushalt Risiken in Milliardenhöhe zu auf Grund wegbrechender
Brennelementesteuer, ausbleibender Finanztransaktionssteuer, vor allem aber
infolge der Garantien und künftigen Kapitalzuschüsse für sogenannte Euro-
Rettungsschirme.

● Der Anteil unsicherer, befristeter, schlecht bezahlter Arbeitsplätze steigt in
Deutschland dramatisch an. Jede zweite offene Stelle ist inzwischen dem Be-
reich der Arbeitnehmerüberlassung, also der Leiharbeit, zuzuordnen. Über
1,4 Millionen Menschen arbeiten und beziehen zugleich Hartz IV. Drastische
Kürzungen im Bereich der beruflichen Weiterbildung sind Folge der soge-

nannten Instrumentenreform, die Koalition und die Bundesregierung in der
Arbeitsmarktpolitik durchgesetzt haben. Jungen Menschen wird eine trag-

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fähige Lebens- und Familienplanung verwehrt. Statt Europa in einen Ab-
wärtsstrudel hinein zu sparen, ist eine grundlegende Richtungsänderung der
auf Außenhandelsüberschüsse und das Niederkonkurrieren anderer Volks-
wirtschaften abzielenden Wirtschaftspolitik von Koalition und Bundesregie-
rung notwendig. Das deutsche Lohndumping muss beendet, die Inlandsnach-
frage gestärkt, dem Auseinanderdriften der wirtschaftlichen und sozialen
Entwicklung in Ost- und Westdeutschland entgegengewirkt werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

● ein wirksames und in sich schlüssiges Zukunftsprogramm aufzulegen;

● Hartz IV insbesondere durch die Förderung und Schaffung neuer Arbeits-
plätze zu überwinden;

● die Rüstungsausgaben endlich deutlich zu senken, auf neue Rüstungspro-
jekte zu verzichten sowie sämtliche Auslandseinsätze der Bundeswehr 2012
zu beenden und die frei werdenden Gelder zu nutzen, um diese in soziale
Projekte und die Entwicklungszusammenarbeit zu investieren und um einen
Konversionsfonds einzurichten.

Zukunftsprogramm

3,3 Mrd. Euro für BAföG und Sonderprogramm zur Bekämpfung der Ausbil-
dungslosigkeit

3 Mrd. Euro für eine kommunale Investitionspauschale

3 Mrd. Euro für einen Energiesparfonds und eine erhöhte Förderung erneuer-
barer Energien

2,5 Mrd. Euro für die Beseitigung des Investitionsstaus bei den Krankenhäu-
sern

1 Mrd. Euro für Prävention und Gesundheitsförderung

600 Mio. Euro für Konversionsmaßnahmen

495 Mio. Euro für den Hochschulpakt

500 Mio. Euro für die nichtkommerzielle Pharma-Forschung

125 Mio. Euro für die Fortsetzung der Programme der Städtebauförderung, des
Stadtumbaus Ost und Nutzung der Erfahrungen in den alten Län-
dern bei der Förderung städtebaulicher Entwicklungs- und Sa-
nierungsmaßnahmen

101 Mio. Euro für Zuschüsse zu den Umstellungskosten aus der Freigabe von
Frequenzen („Digitale Dividende“)

75 Mio. Euro für die Aufstockung der Mittel für Integrationskurse, um ein um-
fassendes Sprachkursangebot und eine faire Bezahlung der Lehr-
kräfte sicherstellen zu können

54 Mio. Euro für die Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der regionalen
Infrastruktur in strukturschwachen Gebieten in den neuen und al-
ten Bundesländern und gleicher Teilhabe von Frauen und Män-
nern an Arbeit sowie gleichberechtigter Förderung von Genos-
senschaften

50 Mio. Euro bundesweit für die Errichtung und Sanierung von Sportstätten
für den Breitensport „Goldener Plan 3.0“ (unter ausgewogener
Berücksichtigung von Frauensportarten)
30 Mio. Euro für eine Deutsche Digitale Bibliothek

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30 Mio. Euro für ein Sonderprogramm für die Ausbildung von Erzieherinnen
und Erziehern

20 Mio. Euro für die Etablierung eines verbraucherorientierten „Finanz-Wäch-
ters“ und den Aufbau einer unabhängigen flächendeckenden
Finanzberatung

0,5 Mio. Euro für die Stiftung für das sorbische Volk

0,4 Mio. Euro für die Antidiskriminierungsstelle des Bundes.

Hartz IV überwinden

Neben der Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze durch das Zukunftsprogramm
sind erforderlich:

8,1 Mrd. Euro zur Erhöhung der Regelsätze der Grundsicherung für Arbeit-
suchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und im
Alter auf 500 Euro pro Monat

3,2 Mrd. Euro für den Kinderzuschlag

7,1 Mrd. Euro für die Bundesleistungen für Unterkunft und Heizung

1,6 Mrd. Euro zur Aufstockung der Gelder für aktive Arbeitsmarktpolitik und
Ermöglichung der Umwandlung von passiven in aktive Leistun-
gen, um so den Ausbau öffentlich geförderter Beschäftigungs-
verhältnisse voranzutreiben (Deckungsfähigkeit des Arbeitslosen-
geldes II – ALG II – und der Bundesleistungen für Unterkunft
und Heizung mit den Leistungen zur Eingliederung in Arbeit).
Dabei sind 100 Mio. Euro für die Förderung des Breitensports
vorgesehen.

Sozialkassen stärken

5 Mrd. Euro angemessene Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung für
ALG-II-Bezieherinnen und -Bezieher zahlen

1,8 Mrd. Euro für den Verzicht auf die Streichung der Rentenbeiträge für ALG-
II-Empfangende

9,5 Mrd. Euro für die Anhebung der Rentenbeiträge für ALG-II-Empfangende
auf 0,5 Entgeltpunkte.

Rentengerechtigkeit herstellen

1,2 Mrd. Euro für die Angleichung der Ostrenten.

Gerechtes Elterngeld auch für Menschen mit niedrigem Einkommen

2,3 Mrd. Euro zur Aufstockung des Mindestelterngeldes und Verlängerung der
Bezugsdauer (auf bis zu 24 Monate).

Rechte für Menschen mit Behinderung

500 Mio. Euro für die Realisierung erster Maßnahmen zur Umsetzung der UN-
Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen,
unter anderem für Maßnahmen zur Schaffung umfassender Bar-
rierefreiheit.

Verstärkung der Entwicklungszusammenarbeit
1,4 Mrd. Euro für die Verstärkung der entwicklungsorientierten Not- und Über-
gangshilfe, für den Wiederaufbau in Haiti und Pakistan, für die

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Unterstützung Ostafrikas, für den Ausbau des zivilen Friedens-
dienstes, für die Verstärkung der Finanziellen und Technischen
Zusammenarbeit, für Klimaschutzmaßnahmen in Entwicklungs-
ländern.

Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus

18 Mio. Euro zur Absicherung und Stärkung der Auseinandersetzung mit dem
Rechtsextremismus

4 Mio. Euro für die wissenschaftliche Aufarbeitung der Geschichte des Bun-
desministeriums der Justiz und des Bundesministeriums des
Innern in der NS-Zeit sowie des personellen und inhaltlichen
Übergangs in die Bundesrepublik Deutschland.

Finanzierung

62 Mrd. Euro durch stärkere Beteiligung der wirtschaftlich Leistungsfähigen
an den Kosten des Gemeinwesens durch Erhöhung des Spitzen-
steuersatzes der Einkommensteuer, Sonderabgabe auf Boni in
der Finanzbranche, Einführung einer Millionärsteuer, Einfüh-
rung einer Finanztransaktionssteuer, Besteuerung von Gewinnen
beim Verkauf von Anteilen an Kapitalgesellschaften, Rück-
nahme der Senkung des Körperschaftsteuersatzes von 25 Prozent
auf 15 Prozent, Kapitalerträge wieder zum persönlichen Steuer-
satz versteuern, Abschöpfung der leistungslos erzielten Sonder-
gewinne der Stromversorgungsunternehmen aus dem Emis-
sionshandel, Ausbau der Steuerfahndung bei Großunternehmen
und Banken

4,7 Mrd. Euro durch die Beendigung sämtlicher Auslandseinsätze sowie den
Verzicht auf militärische Offensivmittel, insbesondere auf die
Resttranchen des Kampfflugzeugs Eurofighter, auf das Trans-
portflugzeug A400M und auf den Schützenpanzer Puma sowie
weitere Einsparungen im investiven Bereich des Einzelplans 14

2,8 Mrd. Euro durch den Abschluss des Schiedsgerichtsverfahrens wegen der
Verzögerung bei der Einführung und der anfänglichen Mängel
beim Aufbau des Lkw-Mautsystems

59 Mio. Euro durch den Stopp von sozial und ökologisch unsinnigen Verkehrs-
großprojekten wie der Fehmarnbeltquerung und Stuttgart 21, die
in den kommenden Jahren den Bund 2,1 Mrd. Euro kosten wür-
den.

Angegeben ist jeweils der Änderungsbetrag im Vergleich zum Regierungsent-
wurf unter Berücksichtigung der Beratungsergebnisse des Haushaltsausschus-
ses des Deutschen Bundestages.

Berlin, den 21. November 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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