Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 18.02.2019, Az. 1 BvR 2556/17

1. Senat 2. Kammer | REWIS RS 2019, 10219

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Zur Darlegungslast bei Urheberrechtsverletzungen durch Filesharing - keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen zivilgerichtliche Rspr zur sekundären Darlegungslast des Anschlussinhabers bei möglicher Täterschaft von Familienmitgliedern - keine Verletzung des Rechts auf Achtung des Familienlebens aus Art 6 Abs 1 GG


Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

I.

1

Die Beschwerdeführer wenden sich gegen ein Urteil des [X.] ([X.], Urteil vom 30. März 2017 - [X.] -, juris - Loud) sowie gegen die vorinstanzlichen Entscheidungen des [X.] ([X.], Urteil vom 1. Juli 2015 - 37 O 5394/14 -, juris) und des [X.] ([X.], Urteil vom 14. Januar 2016 - 29 U 2593/15 -, juris).

2

Dem Ausgangsverfahren liegt die Geltendmachung urheberrechtlicher Ansprüche wegen unerlaubten öffentlichen Zugänglichmachens eines Musikalbums im [X.] zugrunde.

3

1. Die Klägerin des Ausgangsverfahrens ist Tonträgerherstellerin. Ihr stehen die ausschließlichen Verwertungsrechte an den auf dem Musikalbum enthaltenen Musiktiteln zu. Die Beschwerdeführer sind als Eheleute gemeinsame Inhaber eines [X.]anschlusses. Über diesen [X.]anschluss wurde das verfahrensgegenständliche Musikalbum mittels einer speziellen Software (sogenannte [X.]-Software) im Rahmen einer [X.]-"Tauschbörse" zum Herunterladen angeboten. Die Klägerin des Ausgangsverfahrens ließ die Beschwerdeführer daraufhin abmahnen. Die Beschwerdeführer gaben auf die Abmahnung eine Unterlassungsverpflichtungserklärung ab, verweigerten aber die Zahlung von Schadensersatz und Rechtsanwaltskosten.Sie selbst hätten ihren [X.] während der maßgeblichen Zeit nicht genutzt; sie wüssten, dass eines ihrer Kinder den [X.] genutzt hätte, wollten aber nicht offenbaren, welches Kind das war, um es nicht zu belasten.

4

2. Das [X.] verurteilte die Beschwerdeführer gesamtschuldnerisch zur Zahlung von Schadensersatz und Erstattung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten wegen Urheberrechtsverletzung. Zur Begründung führte das [X.] im Wesentlichen aus, dass, wenn die Beschwerdeführer die Vermutung für ihre Täterschaft als [X.]inhaber entkräften wollten, es ihre Sache sei, darzulegen, ob und soweit bekannt welche anderen Personen Zugang zu ihrem [X.]anschluss gehabt hätten und als Täter der Rechtsverletzung in Betracht kämen. Hinsichtlich der im Rahmen dieser sekundären Darlegungslast vorgetragenen Umstände treffe sie bei Bestreiten auch die Beweislast. Da die benannten Zeugen - die Kinder der Beschwerdeführer - insoweit von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hätten, seien die Beschwerdeführer beweisfällig geblieben. Sie hätten die Grundlage der tatsächlichen Vermutung für ihre täterschaftliche Verantwortung als [X.]inhaber nicht erschüttert.

5

Das [X.] änderte das erstinstanzliche Urteil hinsichtlich der Kostenentscheidung teilweise ab, wies die Berufung im Übrigen aber zurück. Zur Begründung führte das [X.] im Wesentlichen aus, die Beschwerdeführer seien ihrer sekundären Darlegungslast nicht in ausreichender Weise nachgekommen, da sie sich im Einzelnen dazu hätten erklären müssen, wie es zu den Rechtsverletzungen aus der Familie herausgekommen sei.

6

Der [X.] wies die Revision zurück. Zur Begründung führte der [X.] im Wesentlichen aus, die Beurteilung des Berufungsgerichts, wonach die Beschwerdeführer als Täter der geltend gemachten Urheberrechtsverletzungen hafteten, sei zutreffend.

7

3. Die Beschwerdeführer rügen die Verletzung in ihren Grundrechten aus Art. 6 Abs. 1 GG. Die Entscheidung des [X.] finde keinen schonenden Ausgleich zwischen den hier betroffenen Grundrechten im Sinne einer praktischen Konkordanz, sondern falle einseitig zu Lasten der Beschwerdeführer aus. Diesen werde nur die Wahl gelassen, auf ihre Rechtsverteidigung zu verzichten. Die Entscheidung sei inkonsequent und füge sich nicht in den Rahmen sonstiger Entscheidungen zum [X.] ein. Ein Beklagter stünde wohl besser, wenn er Nichtwissen um das Verhalten seiner Angehörigen behaupte.

II.

8

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 [X.] liegen nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde hat keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung. Insbesondere sind die Maßstäbe für die Lösung des Konflikts zwischen dem Schutz des (geistigen) Eigentums und dem Schutz der Familie unter Berücksichtigung der zivilprozessualen Darlegungs- und Beweislastverteilung in der Verfassungsrechtsprechung so weit geklärt, dass sich aus ihnen die Beantwortung der verfassungsrechtlichen Fragen ergibt, die der vorliegende Fall aufwirft. Die Zivilgerichte haben Bedeutung und Tragweite der betroffenen Grundrechte nicht grundlegend verkannt.

9

1. Die Zivilgerichte haben bei der Auslegung und Anwendung des Urheberrechts die im Gesetz zum Ausdruck kommende Interessenabwägung zwischen dem Eigentumsschutz der Tonträgerhersteller und den damit konkurrierenden [X.] nachzuvollziehen und dabei unverhältnismäßige Grundrechtsbeschränkungen zu vermeiden (vgl. [X.] 89, 1 <9>; 129, 78 <101 f.>; 142, 74 <101 Rn. 82>). Sind bei der Auslegung und Anwendung einfachrechtlicher Normen mehrere Deutungen möglich, so verdient diejenige den Vorzug, die den Wertentscheidungen der Verfassung entspricht (vgl. [X.] 8, 210 <221>; 88, 145 <166>; 129, 78 <102>; 142, 74 <101 Rn. 82>) und die die Grundrechte der Beteiligten möglichst weitgehend in praktischer Konkordanz zur Geltung bringt. Der Einfluss der Grundrechte auf die Auslegung und Anwendung der zivilrechtlichen Normen ist nicht auf Generalklauseln beschränkt, sondern erstreckt sich auf alle auslegungsfähigen und -bedürftigen Tatbestandsmerkmale der zivilrechtlichen Vorschriften (vgl. [X.] 112, 332 <358>; 129, 78 <102>; 142, 74 <101 Rn. 82>). Dabei gibt das Grundgesetz den Zivilgerichten regelmäßig keine bestimmte Entscheidung vor. Die Schwelle eines Verstoßes gegen Verfassungsrecht, den das [X.] zu korrigieren hat, ist erst dann erreicht, wenn die Auslegung der Zivilgerichte Fehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der Grundrechte, insbesondere vom Umfang ihres Schutzbereichs, beruhen und auch in ihrer materiellen Bedeutung für den konkreten Rechtsfall von einigem Gewicht sind, insbesondere weil darunter die Abwägung der beiderseitigen Rechtspositionen im Rahmen der privatrechtlichen Regelung leidet (vgl. [X.] 129, 78 <102>; 134, 204 <234 Rn. 103>; 142, 74 <101 Rn. 83>).

2. Die Gesetzesauslegung in den angegriffenen Entscheidungen beeinträchtigt die Beschwerdeführer zwar in ihrem Grundrecht auf Achtung des Familienlebens aus Art. 6 Abs. 1 GG. Dieses Grundrecht stellt die Familie unter den besonderen Schutz des Staates. Damit sind Bestimmungen unvereinbar, welche die Familie schädigen, stören oder sonst beeinträchtigen könnten (vgl. [X.] 6, 55 <76>; 55, 114 <126 f.>). Familienmitglieder sind berechtigt, ihre Gemeinschaft nach innen in familiärer Verantwortlichkeit und Rücksicht frei zu gestalten (vgl. [X.] 66, 84 <94>; 80, 81 <92>). Der Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG erfasst auch das Verhältnis zwischen Eltern und ihren volljährigen Kindern (vgl. [X.] 80, 81 <90>). Die Schutzgebote, Garantien und Rechte des Art. 6 Abs. 1 GG gelten für den Gesamtbereich der Rechtsordnung und damit auch für das für die Privatrechtsbeziehungen maßgebliche Bürgerliche Recht. Die Auslegung und Anwendung einfachen Rechts, besonders in seinen eine Wertung oder Abwägung erfordernden Klauseln, muss den grundrechtlichen Grundsatznormen Rechnung tragen. Dadurch, dass [X.]inhabern - hier den Beschwerdeführern - zur Abwendung ihrer täterschaftlichen Haftung im Rahmen der sekundären Darlegungslast im Zivilprozess Tatsachenvortrag abverlangt wird, der das Verhalten ihrer volljährigen Kinder betrifft und diese dem Risiko einer zivil- oder strafrechtlichen Inanspruchnahme aussetzt, wird die in den Schutzbereich von Art. 6 GG fallende innerfamiliäre Beziehung beeinträchtigt.

3. Die Beeinträchtigung ist jedoch von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. Das Grundrecht aus Art. 6 Abs. 1 GG steht der Annahme einer zivilprozessualen Obliegenheit nicht entgegen, derzufolge die Beschwerdeführer zur Entkräftung der Vermutung für ihre Täterschaft als [X.]inhaber ihre Kenntnisse über die Umstände einer eventuellen Verletzungshandlung mitzuteilen haben, mithin auch aufdecken müssen, welches ihrer Kinder die Verletzungshandlung begangen hat, sofern sie davon tatsächliche Kenntnis erlangt haben. Dem Schutz des Art. 14 GG, auf den sich die Klägerin des Ausgangsverfahrens als Rechteinhaberin berufen kann, kommt in Abwägung der widerstreitenden Grundrechtsgüter im Streitfall ein erhebliches Gewicht zu. Die vom [X.] und von den Instanzgerichten in den angegriffenen Entscheidungen vorgenommene Abwägung trägt dem Erfordernis praktischer Konkordanz (vgl. [X.] 134, 204 <223 Rn. 68>; 142, 74 <97 Rn. 71>) ausreichend Rechnung und hält sich jedenfalls im Rahmen des fachgerichtlichen [X.]s. Die Ausstrahlungswirkung der von den Entscheidungen berührten Grundrechte ist bei Auslegung von § 138 ZPO hinreichend beachtet.

a) Nach der Rechtsprechung des [X.] obliegt es dem [X.]inhaber, der eine eigene Haftung für von seinem [X.] begangene Urheberrechtsverletzungen durch Dritte abwenden will, nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungslast vorzutragen, ob und gegebenenfalls welche anderen Personen selbstständigen Zugang zu seinem [X.]anschluss hatten und als Täter der Rechtsverletzungen in Betracht kommen (vgl. [X.], Urteil vom 8. Januar 2014 - I ZR 169/12 -, juris Rn. 18 - [X.]; Urteil vom 11. Juni 2015 - [X.]/14 -, juris Rn. 37 - [X.]; Urteil vom 27. Juli 2017 - [X.]/16 -, juris Rn. 13 - Ego-Shooter). Nach § 138 Abs. 1 ZPO haben die [X.]en ihre Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß abzugeben. Außerdem hat nach § 138 Abs. 2 ZPO jede [X.] sich über die von dem Gegner behaupteten Tatsachen zu erklären. Dies verdeutlicht, dass auch dort, wo der [X.] gilt, das Verfahren auf Wahrheitsfindung ausgerichtet ist. Die prozessuale Pflicht, sich vollständig und wahrheitsgemäß zu erklären, besteht im Interesse fairer Verfahrensführung gegenüber Gericht und Gegner und soll dem [X.] die Findung des Rechts erleichtern (vgl. [X.], in: [X.]/[X.], ZPO, 15. Auflage 2018, § 138 Rn. 1; Olzen, [X.], 1985, S. 403 <419>).

Zwar kennt auch das Zivilprozessrecht einen Schutz vor Selbstbezichtigungen und findet die Wahrheitspflicht einer [X.] dort ihre Grenzen, wo sie gezwungen wäre, eine ihr zur Unehre gereichende Tatsache oder eine von ihr begangene strafbare Handlung zu offenbaren (vgl. [X.] 56, 37 <44>). Entsprechendes dürfte gelten, wenn es um Belastungen von nahen Angehörigen geht (vgl. [X.], in: [X.], Kommentar zur Zivilprozessordnung, 22. Auflage 2005, § 138 Rn. 13). Den grundrechtlich gegen einen Zwang zur Selbstbezichtigung geschützten Prozessparteien und Verfahrensbeteiligten kann dann aber das Risiko einer für sie ungünstigen Tatsachenwürdigung auferlegt werden ([X.] 56, 37 <44>).

b) Ein weitergehender Schutz ist verfassungsrechtlich nicht geboten. Vielmehr ist auch der gerichtlichen Durchsetzung von [X.] - hier dem nach Art. 14 GG geschützten Leistungsschutzrecht des Rechteinhabers aus § 85 Abs. 1 Satz 1 [X.] - angemessen Rechnung zu tragen. Wie die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast sich unter Beachtung der jeweils betroffenen verfassungsrechtlichen Positionen zu beurteilen ist, lässt sich zwar nicht allgemein festlegen. Das Prozessrecht bietet aber für eine abgestufte Darlegungs- und Beweislast geeignete Handhaben (vgl. [X.] 97, 169 <179>). Aus dem Rechtsstaatsprinzip folgt die Verpflichtung zu einer fairen Anwendung des Beweisrechts, insbesondere der Beweislastregeln (vgl. [X.] 52, 131 <145>; 117, 202 <240>). Darlegungs- und Beweislasten sind in einer Weise zuzuordnen, die einen ausgewogenen Ausgleich zwischen den sich gegenüberstehenden [X.] ermöglicht. Dabei steht den Gerichten bei der Verfahrensgestaltung und erst recht bei der inhaltlichen Beurteilung des zu entscheidenden Falles ein erheblicher Spielraum zu. Allerdings verbietet es sich, einer [X.] die Darlegung und den Nachweis solcher Umstände in vollem Umfang aufzubürden, die nicht in ihrer Sphäre liegen und deren vollständige Kenntnis bei ihr infolgedessen nicht erwartet werden können, während die andere [X.] über sie ohne weiteres verfügt (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 6. Oktober 1999 - 1 BvR 2110/93 -, juris Rn. 39).

c) In Anlegung dieser Maßstäbe verletzt die Auslegung der entscheidungserheblichen Normen - § 97 Abs. 2 Satz 1, § 85 Abs. 1 [X.] in Verbindung mit § 138 ZPO - durch den [X.] und durch die Instanzgerichte in den angegriffenen Entscheidungen nicht das Grundrecht der Beschwerdeführer aus Art. 6 Abs. 1 GG. Die Gerichte sind bei Abwägung der Belange des Eigentumsschutzes mit den Belangen des [X.] den verfassungsrechtlichen Anforderungen gerecht geworden.

aa) Mit den vorliegend zur Anwendung gebrachten Grundsätzen zur sekundären Darlegungslast trägt der [X.] der Tatsache Rechnung, dass Rechteinhaber zur Durchsetzung ihrer Rechte in [X.]-Verfahren regelmäßig keine Möglichkeit haben, zu Umständen aus dem ihrem Einblick vollständig entzogenen Bereich der [X.]nutzung durch den [X.]inhaber vorzutragen oder Beweis zu führen. Zugunsten der Klägerin des Ausgangsverfahrens als Inhaberin des Art. 14 GG unterfallenden Leistungsschutzrechts berücksichtigt er damit deren Interesse an einer effektiven Durchsetzung ihrer urheberrechtlichen Position gegenüber unberechtigten Verwertungshandlungen. Die Beeinträchtigung der familiären Beziehungen der Beschwerdeführer hält er dabei in Grenzen. Denn ein Vortrag der Eltern zu einer Täterschaft ihrer Kinder ist nach dieser Rechtsprechung gerade nicht erzwingbar. Vielmehr tragen sie nur das Risiko einer für sie ungünstigen Tatsachenwürdigung, wenn sie die Darlegungs- und [X.] nicht erfüllen. Dabei reicht die sekundäre Darlegungslast, die den Beschwerdeführern abverlangt wird, auch nicht weiter als die Kenntnisse, welche die Beschwerdeführer ohnehin bereits besitzen. Ob es darüber hinaus verfassungsrechtlich gerechtfertigt wäre, ihnen auch [X.] oder Nachfragepflichten aufzuerlegen, bedarf für den Ausgangsrechtsstreit keiner Entscheidung.

Mit diesem Ausgleich hält sich der [X.] im fachgerichtlichen [X.]. Dem Schutz der innerfamiliären Bindungen wird dadurch Rechnung getragen, dass die Familienangehörigen sich nicht gegenseitig belasten müssen, wenn der konkret Handelnde nicht ermittelbar ist. Die Möglichkeit, innerfamiliäre Spannungen und Verhältnisse durch Schweigen im Prozess zu verhindern oder jedenfalls nicht nach außen tragen zu müssen, führt umgekehrt nicht dazu, dass dieses Schweigen eine Haftung generell - also ohne prozessuale Folgen - ausschließen müsste. Die zur Wahrung von Art. 6 GG gewährte faktische "Wahlmöglichkeit" im Zivilprozess, innerfamiliäres Wissen zu offenbaren oder aber zu schweigen, kann bei der Tatsachenwürdigung keinen Vorrang vor der Durchsetzung des Art. 14 GG unterfallenden Leistungsschutzrechts beanspruchen. Der Schutz der Familie dient nicht dazu, sich aus taktischen Erwägungen der eigenen Haftung für die Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums zu entziehen. Der bloße Umstand, mit anderen Familienmitgliedern zusammenzuleben, führt nicht automatisch zum Haftungsausschluss für den [X.]inhaber. Soweit die Beschwerdeführer geltend machen, es gebe bessere und im Verhältnis zu der Zivilrechtsprechung in ähnlich gelagerten Fällen konsistentere Lösungen für den Ausgleich zwischen den Rechtspositionen der Inhaber geistiger Eigentumsrechte und deren Nutzern, liegt hierin kein verfassungsrechtlicher Gesichtspunkt, den das [X.] zu prüfen hätte.

bb) Aus den [X.] Grundrechten ergibt sich nichts anderes. Insbesondere steht das Recht der [X.] nicht schon der Anwendbarkeit der Grundrechte des Grundgesetzes entgegen. Denn soweit das Unionsrecht nicht abschließend zwingende Vorgaben macht, bleiben die Grundrechte des Grundgesetzes anwendbar (vgl. [X.] 142, 74 <113 Rn. 117>). In dem Rahmen, in dem den Mitgliedstaaten [X.] belassen sind, sind die Fachgerichte folglich auch im Anwendungsbereich der Urheberrechtsrichtlinie und der [X.] an die Grundrechte des Grundgesetzes gebunden. Dies ist für die Durchsetzung der urheberrechtlichen Ansprüche nach Maßgabe des nicht harmonisierten Zivilverfahrensrechts der Fall.

Bei der Frage der Determinierung des [X.] Rechts durch die Urheberrechtsrichtlinie und die [X.] ist somit zu klären, inwieweit diese den Eingriff in das Tonträgerherstellerrecht und die Rechtsdurchsetzung abschließend regeln (vgl. [X.] 142, 74 <113 Rn. 117>). Hier kommen mitgliedstaatliche Spielräume insbesondere im Rahmen der Sanktionen und Rechtsbehelfe bei Urheber- und Schutzrechtsverletzungen in Betracht (vgl. [X.] 142, 74 <114 Rn. 119; vgl. dazu [X.], [X.] zum 70. Deutschen Juristentag, 2014, [X.]). Dies gilt insbesondere auch für das nicht harmonisierte Zivilverfahrensrecht, hier § 138 ZPO.

Auch die Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] zum [X.] im Vorabentscheidungsverfahren "[X.]/[X.]" ([X.], Urteil vom 18. Oktober 2018, [X.], [X.]:[X.]:[X.]) steht dieser Bewertung nicht entgegen. Soweit der Gerichtshof der [X.] davon ausgeht, dass ein quasi absoluter Schutz der Familienmitglieder des Inhabers eines [X.]anschlusses, über den Urheberrechtsverletzungen durch [X.] begangen wurden, den Anforderungen von Art. 8 Abs. 1 der Urheberrechtsrichtlinie 2001/29/[X.] und Art. 3 Abs. 1 der [X.] 2004/48/[X.] nicht gerecht werde ([X.], Urteil vom 18. Oktober 2018, [X.], [X.]:[X.]:[X.], Rn. 52), steht dies in Einklang mit der Anwendung von § 97 Abs. 1, § 85 Abs. 1 [X.] in Verbindung mit § 138 ZPO in der hier angegriffenen Entscheidung des [X.], welche die unionsrechtlichen Anforderungen an die Grundrechtsprüfung bereits zutreffend abbildet.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvR 2556/17

18.02.2019

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 2. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend BGH, 30. März 2017, Az: I ZR 19/16, Urteil

Art 6 Abs 1 GG, Art 14 Abs 1 GG, Art 8 Abs 1 EGRL 29/2001, Art 3 Abs 1 EGRL 48/2004, § 85 Abs 1 UrhG, § 97 Abs 2 S 1 UrhG, § 138 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 18.02.2019, Az. 1 BvR 2556/17 (REWIS RS 2019, 10219)

Papier­fundstellen: MDR 2019, 561-563 NJW 2019, 1510 REWIS RS 2019, 10219


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 1 BvR 2556/17

Bundesverfassungsgericht, 1 BvR 2556/17, 18.02.2019.


Az. I ZR 19/16

Bundesgerichtshof, I ZR 19/16, 30.03.2017.


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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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