Bundesgerichtshof, Urteil vom 30.03.2017, Az. I ZR 19/16

1. Zivilsenat | REWIS RS 2017, 13115

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Gegenstand

Urheberrechtsverletzung durch Teilnahme an einer Internet-Musiktauschbörse: Sekundäre Darlegungslast der Anschlussinhaber hinsichtlich der Angabe des Namens ihres volljährigen Kindes - Loud


Leitsatz

Loud

Im Falle einer über den von Eltern unterhaltenen Internetanschluss begangenen Urheberrechtsverletzung durch Teilnahme an einer Internettauschbörse umfasst die sekundäre Darlegungslast der Anschlussinhaber bei Inanspruchnahme durch den Urheber oder den Inhaber eines verwandten Schutzrechts - hier durch den Tonträgerhersteller - die Angabe des Namens ihres volljährigen Kindes, das ihnen gegenüber die Begehung der Rechtsverletzung zugegeben hat.

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des 29. Zivilsenats des [X.] vom 14. Januar 2016 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Klägerin, einer Tonträgerherstellerin, stehen die ausschließlichen Verwertungsrechte an den auf dem Musikalbum "[X.]" enthaltenen elf Musiktiteln der Sängerin [X.] zu. Das am 12. November 2010 veröffentlichte Album war acht Wochen lang unter den [X.] der Charts gelistet.

2

Am 2. Januar 2011 um 23:16 Uhr wurde das Album über einen Internetanschluss, dessen Inhaber die beklagten Eheleute sind, mittels einer Filesharing-Software ohne Zustimmung der Klägerin zum Herunterladen angeboten.

3

Die Beklagten haben auf die Abmahnung der Klägerin vom 16. März 2011 eine Unterlassungserklärung abgegeben.

4

Die Klägerin hat behauptet, die Beklagten hätten die Rechtsverletzung begangen. Sie verlangt im vorliegenden Verfahren Schadensersatz in angemessener Höhe, mindestens 2.500 €, sowie Erstattung der Abmahnkosten nach einem Streitwert von 50.000 € in Höhe von 1.379,80 €.

5

Die Beklagten haben bestritten, die Rechtsverletzung begangen zu haben. Sie haben geltend gemacht, ihre im Tatzeitpunkt bei ihnen wohnenden volljährigen drei Kinder hätten jeweils eigene Rechner besessen und über einen mit einem individuellen Passwort versehenen WLAN-Router Zugang zum Internetanschluss gehabt. Sie wüssten, von welchem Kind die Verletzungshandlung vorgenommen worden sei, wollten dies jedoch nicht mitteilen.

6

Das [X.] hat der Klägerin Schadensersatz in Höhe von 2.500 € sowie Abmahnkosten in Höhe von 1.044,40 € zugesprochen und die Klage im Übrigen abgewiesen ([X.] München I, [X.] 2016, 308). Die Berufung der Beklagten hatte - soweit für die Revision von Bedeutung - keinen Erfolg ([X.], [X.], 385). Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, verfolgen die Beklagten ihren Antrag auf Abweisung der Klage weiter.

Entscheidungsgründe

7

I. Das Berufungsgericht hat die von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche im vom [X.] zuerkannten Umfang für begründet erachtet. Hierzu hat es ausgeführt:

8

Die Beklagten hafteten als Täter für die geltend gemachte Rechtsverletzung. Die Beklagten seien der Behauptung der Klägerin, die Beklagten hätten allein auf den [X.]anschluss Zugriff gehabt, zwar entgegengetreten. Sie hätten jedoch der ihnen obliegenden sekundären Darlegungslast nicht genügt. Hierzu wäre es erforderlich gewesen mitzuteilen, welche Kenntnisse sie über die Umstände einer eventuellen Verletzungshandlung gewonnen hätten, mithin welches ihrer Kinder die Verletzungshandlung begangen habe. Indem sich die Beklagten weigerten, diese Angaben zu machen, beriefen sie sich lediglich pauschal auf eine bloß generell bestehende Zugriffsmöglichkeit ihrer Kinder auf den [X.]anschluss. Das Grundrecht aus Art. 6 Abs. 1 [X.] stehe der Annahme einer solchen zivilprozessualen Obliegenheit nicht entgegen, weil dem zugunsten der Klägerin wirkenden Schutz des Art. 14 [X.] im Streitfall ein überwiegendes Gewicht zukomme. Die Beklagten hätten die gegen sie sprechende tatsächliche Vermutung nicht erschüttert, weil sich ihre von ihnen als Zeugen benannten Kinder auf das ihnen zustehende Zeugnisverweigerungsrecht berufen hätten. Einer Beweisaufnahme durch Vernehmung der von den Beklagten benannten Zeugen, die am Abend des Tattags bei ihnen zu Gast gewesen seien, habe es nicht bedurft. Die Behauptung, wegen des Besuchs keine Möglichkeit gehabt zu haben, die Verletzungshandlung zu begehen, sei nicht entscheidungserheblich, weil der rechtsverletzende Vorgang bereits vor Eintreffen der Gäste oder durch kurzzeitige Nutzung eines derjenigen Computer, die sich außerhalb des Wohnzimmers befanden, hätte in Gang gesetzt werden können. Der Höhe nach sei der Schadensersatz mit 2.500 € angemessen bewertet. Eine Begrenzung der Abmahnkosten auf 100 € gemäß § 97a Abs. 2 [X.] aF komme nicht in Betracht, da es sich weder um einen einfach gelagerten Fall noch um eine nur unerhebliche Rechtsverletzung handele.

9

II. Die gegen diese Beurteilung gerichtete Revision hat keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat die von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche auf Schadensersatz (dazu nachfolgend [X.]) und Abmahnkostenerstattung (dazu nachfolgend [X.]) zu Recht zuerkannt.

1. Das Berufungsgericht hat die Beklagten zu Recht als nach § 97 Abs. 2 Satz 1 [X.] zum Schadensersatz verpflichtet angesehen. Nach dieser Vorschrift ist, wer das Urheberrecht oder ein anderes nach dem Urheberrechtsgesetz geschütztes Recht widerrechtlich sowie vorsätzlich oder fahrlässig verletzt, dem Verletzten zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.

a) Von der Revision unbeanstandet hat das Berufungsgericht angenommen, dass die Klägerin Inhaberin der ausschließlichen Verwertungsrechte gemäß § 85 Abs. 1 Satz 1 [X.] an den Musiktiteln des Albums "Loud" ist und die Klage deshalb auf ein nach dem Urheberrechtsgesetz geschütztes Recht gestützt ist. Nach § 85 Abs. 1 Satz 1 [X.] hat der Hersteller eines Tonträgers das ausschließliche Recht, den Tonträger zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen.

b) Keine rechtlichen Bedenken bestehen gegen die Feststellung des Berufungsgerichts, dass die auf dem genannten Album enthaltenen Musiktitel am 2. Januar 2011 um 23:16 Uhr über einen den Beklagten zuzuordnenden [X.]anschluss mittels einer [X.] ohne Zustimmung der Klägerin zum Herunterladen angeboten worden sind. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass das Anbieten von Tonaufnahmen mittels eines Filesharing-Programms in sogenannten "Peer-to-Peer"-Netzwerken im [X.] das Recht auf öffentliche Zugänglichmachung des Herstellers des Tonträgers verletzt, auf dem die Tonaufnahme aufgezeichnet ist ([X.], Urteil vom 11. Juni 2015 - [X.], [X.], 176 Rn. 14 = [X.], 57 - [X.]; Urteil vom 11. Juni 2015 - [X.], [X.], 184 Rn. 15 = [X.], 66 - [X.]I; Urteil vom 12. Mai 2016 - [X.], [X.], 1280 Rn. 19 = [X.], 79 - [X.]). Dagegen erhebt die Revision keine [X.].

c) Die Revision wendet sich ohne Erfolg gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, die Beklagten hafteten als Täter der geltend gemachten Urheberrechtsverletzungen.

aa) Die Klägerin trägt nach den allgemeinen Grundsätzen als Anspruchstellerin die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs auf Schadensersatz erfüllt sind. Sie hat darzulegen und im Bestreitensfall nachzuweisen, dass die Beklagten für die von ihr behauptete Urheberrechtsverletzung als Täter verantwortlich sind (vgl. [X.], Urteil vom 15. November 2012 - [X.], [X.], 511 Rn. 32 = [X.], 799 - [X.]; Urteil vom 8. Januar 2014 - I ZR 169/12, [X.]Z 200, 76 Rn. 14 - [X.]; Urteil vom 11. Juni 2015 - [X.], [X.], 191 Rn. 37 = [X.], 73 - [X.]II; [X.], [X.], 1280 Rn. 32 - [X.]). Allerdings spricht eine tatsächliche Vermutung für eine Täterschaft des [X.], wenn zum Zeitpunkt der Rechtsverletzung keine anderen Personen diesen [X.]anschluss benutzen konnten ([X.]Z 200, 76 Rn. 15 - [X.]; [X.], [X.], 191 Rn. 37 - [X.]II). Diese tatsächliche Vermutung der Täterschaft des [X.] kommt auch dann in Betracht, wenn der [X.]anschluss - wie bei einem Familienanschluss - regelmäßig von mehreren Personen genutzt wird ([X.], [X.], 191 Rn. 39 - [X.]II; [X.], 1280 Rn. 34 - [X.]).

Eine die tatsächliche Vermutung ausschließende Nutzungsmöglichkeit Dritter ist anzunehmen, wenn der [X.]anschluss zum Verletzungszeitpunkt nicht hinreichend gesichert war oder bewusst anderen Personen zur Nutzung überlassen wurde. In solchen Fällen trifft den Inhaber des [X.]anschlusses jedoch eine sekundäre Darlegungslast. Diese führt weder zu einer Umkehr der Beweislast noch zu einer über die prozessuale Wahrheitspflicht und Erklärungslast (§ 138 Abs. 1 und 2 ZPO) hinausgehenden Verpflichtung des [X.], dem Anspruchsteller alle für seinen [X.] benötigten Informationen zu verschaffen. Der [X.]inhaber genügt seiner sekundären Darlegungslast vielmehr dadurch, dass er dazu vorträgt, ob andere Personen und gegebenenfalls welche anderen Personen selbständigen Zugang zu seinem [X.]anschluss hatten und als Täter der Rechtsverletzung in Betracht kommen. In diesem Umfang ist der [X.]inhaber im Rahmen des Zumutbaren zu Nachforschungen sowie zur Mitteilung verpflichtet, welche Kenntnisse er dabei über die Umstände einer eventuellen Verletzungshandlung gewonnen hat. Die pauschale Behauptung der bloß theoretischen Möglichkeit des Zugriffs von im Haushalt lebenden Dritten auf den [X.]anschluss genügt hierbei nicht. Der Inhaber eines [X.]anschlusses hat vielmehr nachvollziehbar vorzutragen, welche Personen mit Rücksicht auf Nutzerverhalten, Kenntnisse und Fähigkeiten sowie in zeitlicher Hinsicht Gelegenheit hatten, die fragliche Verletzungshandlung ohne Wissen und Zutun des [X.] zu begehen. Entspricht der Beklagte seiner sekundären Darlegungslast, ist es wieder Sache der Klägerin als Anspruchstellerin, die für eine Haftung der Beklagten als Täter einer Urheberrechtsverletzung sprechenden Umstände darzulegen und nachzuweisen ([X.]Z 200, 76 Rn. 15 ff. - [X.], mwN; [X.], [X.], 191 Rn. 37 und 42 - [X.]II; [X.], 1280 Rn. 33 f. - [X.]; [X.], Urteil vom 6. Oktober 2016 - I ZR 154/15, [X.], 386 Rn. 15 = [X.], 448 - [X.]). Mit diesen Grundsätzen steht das Berufungsurteil im Einklang.

bb) Die Revision wendet sich ohne Erfolg gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, die Beklagten hätten der ihnen obliegenden sekundären Darlegungslast nicht genügt.

(1) Das Berufungsgericht hat angenommen, die Beklagten seien der Behauptung der Klägerin, allein die Beklagten hätten Zugriff auf ihren [X.]anschluss gehabt, mit dem Hinweis darauf entgegengetreten, ihre Kinder hätten ebenfalls auf den [X.]anschluss zugreifen können. Dies reiche zur Erfüllung der den Beklagten obliegenden sekundären Darlegungslast nicht aus, weil die Beklagten sich zugleich geweigert hätten, ihr Wissen darüber, welches ihrer Kinder die Rechtsverletzung begangen habe, offenzulegen. Das Grundrecht aus Art. 6 Abs. 1 [X.] stehe dieser Beurteilung nicht entgegen, weil es keinen schrankenlosen Schutz gegen jede Art von Beeinträchtigung familiärer Belange gewähre. Im Streitfall überwögen die mit Blick auf Art. 14 [X.] geschützten Eigentumsinteressen der Klägerin, weil andernfalls Urheberrechtsinhaber bei Rechtsverletzungen über von Familien genutzten [X.]anschlüssen ihre Ansprüche regelmäßig nicht durchsetzen könnten. Weil die Beklagten ihrer sekundären Darlegungslast nicht nachgekommen seien, sei von der tatsächlichen Vermutung auszugehen, dass die Beklagten als [X.]inhaber die Rechtsverletzung als Täter begangen hätten. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung stand.

(2) Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Annahme der täterschaftlichen Haftung des [X.] erst in Betracht kommt, wenn der [X.]inhaber der ihm obliegenden sekundären Darlegungslast hinsichtlich der Nutzung des [X.]es durch Dritte nicht genügt. Hingegen besteht keine generelle Vermutung, dass der [X.]inhaber Täter einer Urheberrechtsverletzung ist, die von seinem [X.] aus begangen worden ist und die er widerlegen oder erschüttern müsste, nur weil er Inhaber des [X.]es ist. Dies kommt nur in Betracht, wenn für die Täterschaft des [X.] der bei typischen Geschehensabläufen eingreifende Beweis des ersten Anscheins (Anscheinsbeweis) spricht.

Für die Annahme, der Inhaber eines [X.]anschlusses sei ohne das Hinzutreten weiterer Umstände regelmäßig der Täter einer mittels dieses [X.]es begangenen Urheberrechtsverletzung, fehlt es an einer hinreichenden Typizität des [X.]. Angesichts der naheliegenden Möglichkeit, dass der [X.]inhaber Dritten Zugriff auf seinen [X.] einräumt, besteht für die Annahme der Täterschaft des [X.] keine hinreichend große Wahrscheinlichkeit (vgl. [X.], [X.], 386 Rn. 18 ff. - [X.]). Da es sich bei der Nutzung des [X.]es um Interna des [X.] handelt, von denen der [X.] im Regelfall keine Kenntnis hat, obliegt dem [X.]inhaber insoweit allerdings eine sekundäre Darlegungslast (vgl. [X.], [X.], 386 Rn. 20 - [X.]).

(3) Die Bestimmung der Reichweite der dem [X.]inhaber obliegenden sekundären Darlegungslast hat mit Blick darauf zu erfolgen, dass erst die Kenntnis von den Umständen der [X.]nutzung durch den [X.]inhaber dem Verletzten, dessen urheberrechtliche Position unter dem grundrechtlichen Schutz des Art. 17 Abs. 2 [X.] und des Art. 14 Abs. 1 [X.] steht (vgl. [X.], Urteil vom 27. März 2014 - [X.], [X.], 468 Rn. 47 = [X.], 540 - [X.]; [X.] in Sachs, Grundgesetz, 7. Aufl., Art. 14 Rn. 20a, 24 mwN), eine Rechtsverfolgung ermöglicht. Nach Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/[X.] zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft und Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2004/48/[X.] zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Rechtsbehelfe zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums vorzusehen. Art. 47 [X.] gewährleistet zudem das Recht auf Einlegung eines wirksamen Rechtsbehelfs.

Auf Seiten des [X.] schützen die Grundrechte gemäß Art. 7 [X.] und Art. 6 Abs. 1 [X.] das ungestörte eheliche und familiäre Zusammenleben vor staatlichen Beeinträchtigungen. Diese Grundrechte verpflichten den Staat, Eingriffe in die Familie zu unterlassen, und berechtigten die Familienmitglieder, ihre Gemeinschaft nach innen in familiärer Verantwortlichkeit und Rücksicht frei zu gestalten (vgl. [X.] 66, 84, 94; 80, 81, 92; 81, 1, 6; [X.], [X.], 3. Aufl., Art. 7 Rn. 19 f.; v. [X.] in Sachs aaO Art. 6 Rn. 22). Der Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 [X.] erfasst auch das Verhältnis zwischen Eltern und ihren volljährigen Kindern (vgl. [X.] 80, 81, 90). Das Grundrecht aus Art. 6 Abs. 1 [X.] entfaltet Ausstrahlungswirkung auf die gesamte Rechtsordnung und muss auch bei der Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts zum Tragen kommen (vgl. [X.] 61, 18, 25; [X.]/Sachs/[X.], Das Staatsrecht der [X.], [X.], [X.]). Werden dem [X.]inhaber zur Abwendung seiner täterschaftlichen Haftung im Rahmen der sekundären Darlegungslast im Zivilprozess Auskünfte abverlangt, die das Verhalten seines Ehegatten oder seiner Kinder betreffen und diese dem Risiko einer zivil- oder strafrechtlichen Inanspruchnahme aussetzen, ist der Schutzbereich dieser Grundrechte berührt (vgl. [X.], [X.], 386 Rn. 23 - [X.]).

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] obliegt es, wenn mehrere unionsrechtlich geschützte Grundrechte einander widerstreiten, den Behörden oder Gerichten der Mitgliedstaaten, ein angemessenes Gleichgewicht zwischen diesen Rechten sicherzustellen (vgl. [X.], Urteil vom 29. Januar 2008 - [X.]/06, [X.]. 2008, [X.] = [X.], 241 Rn. 68 - Promusicae; [X.], [X.], 468 Rn. 46 - [X.]; [X.], Urteil vom 15. September 2016 - [X.]/14, [X.], 1146 Rn. 83 = [X.], 1486 - [X.]/[X.]). Nach der Rechtsprechung des [X.] ist der Konflikt zwischen grundrechtlich geschützten Positionen verschiedener Grundrechtsträger nach dem Grundsatz praktischer Konkordanz zu lösen, der fordert, dass nicht eine der widerstreitenden Rechtspositionen bevorzugt und maximal behauptet wird, sondern alle einen möglichst schonenden Ausgleich erfahren (vgl. [X.] 28, 243, 260 f.; 41, 29, 50; 52, 223, 247, 251; 93, 1, 21).

Auch unter Berücksichtigung des für den Urheberrechtsinhaber sprechenden Eigentumsschutzes (Art. 17 Abs. 2 [X.] und Art. 14 Abs. 1 [X.]) steht der zugunsten des [X.] wirkende grundrechtliche Schutz von Ehe und Familie (Art. 7 [X.] und Art. 6 Abs. 1 [X.]) der Annahme von [X.] und Mitteilungspflichten entgegen, die den Inhaber eines privaten [X.]anschlusses dazu zwingen, zur Abwendung seiner täterschaftlichen Haftung die [X.]nutzung seines Ehegatten einer Dokumentation zu unterwerfen. Ebenfalls unzumutbar ist es, dem [X.]inhaber die Untersuchung des Computers seines Ehegatten im Hinblick auf die Existenz von [X.] abzuverlangen (vgl. [X.], [X.], 386 Rn. 26 - [X.]).

(4) Im Streitfall hat das Berufungsgericht zu Recht angenommen, dass die Beklagten ihrer sekundären Darlegungslast nicht genügt haben, indem sie nur darauf verwiesen haben, ihre drei volljährigen Kinder hätten Zugang zum [X.]anschluss gehabt. Die Beklagten waren gehalten, im Rahmen der sekundären Darlegungslast das Kind zu benennen, welches ihnen gegenüber die Rechtsverletzung zugegeben hatte.

Die Abwägung der im Streitfall auf Seiten der Klägerin betroffenen Grundrechte des Eigentumsschutzes (Art. 17 Abs. 2 [X.] und Art. 14 Abs. 1 [X.]) und des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf (Art. 47 [X.]) mit dem zugunsten der Beklagten wirkenden Grundrecht auf Schutz der Familie (Art. 7 [X.] und Art. 6 Abs. 1 [X.]) führt zu einem Vorrang des Informationsinteresses der Klägerin.

Zwar ist nicht zu verkennen, dass die Mitteilung des Namens des für das Filesharing verantwortlichen Kindes durch die Eltern mit Blick auf die möglichen Folgen - der zivilrechtlichen oder gar strafrechtlichen Inanspruchnahme des Kindes - eine erhebliche Beeinträchtigung des Familienfriedens nach sich ziehen kann. Die Eltern unterliegen jedoch keinem Zwang zur Auskunft. Sie haben vielmehr die Wahl, ob sie die Auskunft erteilen oder ob sie davon absehen, das Kind anzugeben, das die Rechtsverletzung begangen hat, und insoweit auf eine Rechtsverteidigung zu verzichten. Dass sie infolge eines solchen Verteidigungsverzichts selbst für die Rechtsverletzung haften, weil ohne Erfüllung der sekundären Darlegungslast die tatsächliche Vermutung ihrer Haftung als [X.]inhaber eingreift, erlangt im Rahmen der Grundrechtsabwägung kein entscheidendes Gewicht. Hierbei handelt es sich um einen aus der gesetzlichen Wertung des § 138 Abs. 3 ZPO folgenden Nachteil, der jede prozessual ungenügend vortragende [X.] trifft.

Das Recht, im Zivilprozess wegen der familiären Beziehung zu einer [X.] Angaben zu verweigern, steht gemäß § 383 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 und § 384 Nr. 1 und 2 ZPO allein dem Zeugen, nicht aber einer Prozesspartei zu. Die [X.] eines Zivilprozesses unterliegt der Wahrheitspflicht des § 138 Abs. 1 ZPO, die allenfalls insofern Einschränkungen erfährt, als die [X.] sich selbst oder einen Angehörigen einer Straftat oder Unehrenhaftigkeit bezichtigen müsste (vgl. [X.].ZPO/[X.], 5. Aufl., § 138 Rn. 14; [X.] in [X.], ZPO, 23. Aufl., § 138 Rn. 13; [X.]/[X.], ZPO, 16. Aufl., § 138 Rn. 3; [X.] in [X.]/[X.], ZPO, 4. Aufl., § 138 Rn. 15; [X.] in [X.]/[X.], ZPO, 38. Aufl., § 138 Rn. 7; [X.] in Musielak/[X.], ZPO, 14. Aufl., § 138 Rn. 3). Hat die [X.] in dieser Konstellation die Möglichkeit, von (wahrheitsgemäßen) Angaben abzusehen, so hat sie die mit dem Verzicht auf den entsprechenden Vortrag verbundenen prozessualen Folgen - etwa das Risiko einer für sie ungünstigen Tatsachenwürdigung - in Kauf zu nehmen (vgl. [X.] 56, 37, 44; [X.].ZPO/[X.] aaO § 138 Rn. 14; [X.] in [X.]/[X.] aaO § 138 Rn. 15; [X.]/[X.] aaO § 138 Rn. 3). So verhält es sich im Falle der Nichterfüllung der sekundären Darlegungslast; die betroffene [X.] hat die nachteiligen Folgen ihres unzureichenden Vortrags zu tragen, weil ihr einfaches Bestreiten unwirksam ist und die Geständniswirkung des § 138 Abs. 3 ZPO eintritt (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Urteil vom 19. Februar 2014 - I ZR 230/12, [X.], 578 Rn. 14 = [X.], 697 - Umweltengel für Tragetasche; Urteil vom 12. November 2015 - I ZR 167/14, [X.], 836 Rn. 111 = [X.], 985 - Abschlagspflicht II).

Demgegenüber ist dem Rechtsinhaber im Falle der Weigerung der Eltern, die [X.]inhaber sind, Auskunft über den Namen des für das Filesharing verantwortlichen Kindes zu erteilen, eine effektive Verfolgung des Rechtsverstoßes regelmäßig praktisch unmöglich, weil die Identität des Verletzers ungeklärt bleibt. Mithin wird das Eigentumsrecht des Urheberrechtsinhabers gemäß Art. 17 Abs. 2 [X.] und Art. 14 Abs. 1 [X.] und sein Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf gemäß Art. 47 [X.] im Falle der unterbliebenen Auskunft im Regelfall vereitelt, wohingegen die Eltern durch die Auskunftsverweigerung unter Inkaufnahme prozessualer Nachteile eine - jedenfalls erhebliche - Beeinträchtigung ihres Grundrechts auf Schutz der Familie gemäß Art. 7 [X.] und Art. 6 Abs. 1 [X.] abwenden können. In dieser Konstellation überwiegen die auf Seiten des Urhebers oder des Inhabers eines verwandten Schutzrechts - hier des [X.] - in Rede stehenden Grundrechte das Grundrecht der Eltern auf Schutz der Familie.

(5) Haben die Beklagten die ihnen im Streitfall obliegende sekundäre Darlegungslast zur Nutzung ihres [X.]anschlusses durch einen Familienangehörigen im Tatzeitpunkt nicht erfüllt, greift die tatsächliche Vermutung, sie hafteten als [X.]inhaber täterschaftlich für die begangene Rechtsverletzung.

cc) Ohne Erfolg wendet sich die Revision dagegen, dass das Berufungsgericht dem von den Beklagten angebotenen Zeugenbeweis zur Frage ihrer Täterschaft nicht nachgegangen ist. Die Beklagten hatten unter Beweisantritt durch Zeugenbeweis behauptet, im Tatzeitpunkt sei der im Wohnzimmer befindliche Computer ausgeschaltet, sie seien mit der Bewirtung der Gäste beschäftigt und die Kinder seien im Hause gewesen. Dieser Vortrag ist nicht entscheidungserheblich, weil er eine Rechtsverletzung durch die Beklagten nicht ausschließt.

Das Berufungsgericht hat angenommen, einer Beweisaufnahme durch Vernehmung der von den Beklagten benannten Zeugen, die am Abend des Tattags zu Gast gewesen seien, habe es nicht bedurft. Auf die Behauptung, während des Besuchs keine Möglichkeit gehabt zu haben, die Verletzungshandlung zu begehen, komme es nicht an, weil der rechtsverletzende Vorgang bereits vor Eintreffen der Gäste und durch Nutzung eines der Computer, die sich außerhalb des Wohnzimmers befanden, hätte in Gang gesetzt werden können.

Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung stand. Selbst wenn der im Wohnzimmer befindliche Computer der Beklagten im Tatzeitpunkt ausgeschaltet gewesen sein sollte, bestand - wie das [X.] und das Berufungsgericht richtig ausgeführt haben - die Möglichkeit, den beanstandeten Filesharingvorgang von einem der anderen im Haushalt der Beklagten vorhandenen Computer aus zu starten. Zutreffend ist auch die Annahme des Berufungsgerichts, die Durchführung der Verletzungshandlung habe keine dauernde Anwesenheit vor dem Computer erfordert. Eine Beweisaufnahme war danach mangels Entscheidungserheblichkeit nicht erforderlich.

d) Gegen die Bemessung der Höhe des Schadensersatzes durch das Berufungsgericht auf 2.500 € erhebt die Revision keine [X.]. Rechtsfehler sind auch insoweit nicht ersichtlich.

2. Das Berufungsgericht hat der Klägerin nach § 97 Abs. 1 [X.] aF zu Recht einen Anspruch auf Ersatz von Abmahnkosten in Höhe von 1.044,40 € zuerkannt.

a) Auf den mit der Klage geltend gemachten Anspruch auf Erstattung von Abmahnkosten ist § 97a [X.] in der bis zum 8. Oktober 2013 geltenden Fassung anzuwenden. Die durch das Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken vom 1. Oktober 2013 ([X.], [X.]) mit Wirkung ab dem 9. Oktober 2013 eingeführten Neuregelungen zur Wirksamkeit der Abmahnung und zur Begrenzung der erstattungsfähigen Kosten nach § 97a Abs. 2 und 3 Satz 2 und 3 [X.] nF gelten erst für Abmahnungen, die nach Inkrafttreten des Gesetzes gegen unseriöse Geschäftspraktiken ausgesprochen worden sind. Für den Anspruch auf Erstattung von Abmahnkosten kommt es auf die Rechtslage zum Zeitpunkt der Abmahnung an (vgl. zu § 97a Abs. 1 Satz 2 [X.] aF [X.], [X.], 191 Rn. 56 - [X.]II, mwN). Nach § 97a Abs. 1 [X.] aF soll der Verletzte den Verletzer vor Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens auf Unterlassung abmahnen und ihm Gelegenheit geben, den Streit durch Abgabe einer mit einer angemessenen Vertragsstrafe bewehrten Unterlassungsverpflichtung beizulegen. Soweit die Abmahnung berechtigt ist, kann der Ersatz der erforderlichen Aufwendungen verlangt werden.

Im Streitfall war die Abmahnung berechtigt, weil die Beklagten zur Unterlassung verpflichtet waren (siehe Rn. 10 ff. [[X.]]). Gegen die Formalitäten der Abmahnung sowie die Bemessung ihres Gegenstandswerts auf 23.000 € erhebt die Revision keine [X.]. Rechtsfehler sind insoweit auch nicht ersichtlich (vgl. hierzu [X.], [X.], 184 Rn. 72 ff. - [X.]I; [X.], Urteil vom 12. Mai 2016 - [X.], [X.], 1275 Rn. 20 ff., 33 ff. = [X.], 1525 - [X.]; [X.], [X.], 1280 Rn. 61 ff. - [X.]).

b) Ohne Erfolg wendet sich die Revision dagegen, dass das Berufungsgericht den Ersatz von Abmahnkosten nicht gemäß § 97a Abs. 2 [X.] aF auf 100 € begrenzt hat.

Nach § 97a Abs. 2 [X.] in der bis zum 8. Oktober 2013 geltenden Fassung beschränkt sich der Ersatz der erforderlichen Aufwendungen für die Inanspruchnahme anwaltlicher Dienstleistungen für die erstmalige Abmahnung in einfach gelagerten Fällen mit einer nur unerheblichen Rechtsverletzung außerhalb des geschäftlichen Verkehrs auf 100 €. Das Angebot eines urheberrechtlich geschützten Werkes zum Herunterladen über eine [X.]tauschbörse stellt allerdings regelmäßig keine nur unerhebliche Rechtsverletzung im Sinne dieser Vorschrift dar (vgl. [X.], [X.], 1275 Rn. 33 ff. - [X.]). Dass im vorliegenden Fall aufgrund besonderer Umstände von dieser Regel eine Ausnahme zu machen wäre, hat die Revision nicht aufgezeigt.

III. Ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der [X.] nach Art. 267 Abs. 3 AEUV ist nicht veranlasst. Im Streitfall stellt sich keine entscheidungserhebliche Frage zur Auslegung des Unionsrechts, die nicht durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] geklärt oder zweifelsfrei zu beantworten ist (vgl. [X.], Urteil vom 6. Oktober 1982 - [X.]/81, [X.]. 1982, 3415 = NJW 1983, 1257, 1258 - [X.]; Urteil vom 1. Oktober 2015 - [X.]/14, [X.]. 2015, 1152 Rn. 43 - [X.]/[X.]). Insbesondere ist in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] geklärt, dass es Sache der Gerichte der Mitgliedstaaten ist, ein angemessenes Gleichgewicht zwischen widerstreitenden Grundrechten der [X.]en sicherzustellen (vgl. [X.], [X.], 241 Rn. 68 - Promusicae; [X.], 468 Rn. 46 - [X.]; [X.], 1146 Rn. 83 - [X.]/[X.]).

IV. Danach ist die Revision zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Büscher    

        

[X.]    

        

Koch

        

Schwonke    

        

Feddersen    

      

Meta

I ZR 19/16

30.03.2017

Bundesgerichtshof 1. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG München, 14. Januar 2016, Az: 29 U 2593/15, Urteil

Art 6 Abs 1 GG, Art 14 Abs 1 GG, Art 7 EUGrdRCh, Art 17 Abs 2 EUGrdRCh, Art 47 EUGrdRCh, § 85 Abs 1 S 1 UrhG, § 97 Abs 2 S 1 UrhG, § 138 Abs 3 ZPO, § 383 ZPO, § 384 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 30.03.2017, Az. I ZR 19/16 (REWIS RS 2017, 13115)

Papier­fundstellen: MDR 2017, 1315-1316 WM2017,2208 REWIS RS 2017, 13115


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 1 BvR 2556/17

Bundesverfassungsgericht, 1 BvR 2556/17, 18.02.2019.


Az. I ZR 19/16

Bundesgerichtshof, I ZR 19/16, 30.03.2017.


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