Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 24.06.2014, Az. 1 BvR 2926/13

1. Senat | REWIS RS 2014, 4660

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

BUNDESVERFASSUNGSGERICHT (BVERFG) FAMILIENRECHT FAMILIE KINDER SORGERECHT VORMUNDSCHAFT

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Schutz der Familie (Art 6 Abs 1 GG) gebietet Berücksichtigung naher Verwandter, insb der Großeltern, bei Auswahl eines Vormundes für Minderjährige (§ 1779 Abs 2 S 2 BGB) - sowie zur verfassungsgerichtlichen Prüfungstiefe bzgl fachgerichtlicher Entscheidungen nach § 1779 BGB - hier: keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen angegriffene Entscheidungen


Leitsatz

1. Der Schutz der Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG schließt familiäre Bindungen zwischen nahen Verwandten ein, insbesondere zwischen Großeltern und ihrem Enkelkind.

2. Der grundrechtliche Schutz umfasst das Recht naher Verwandter, bei der Entscheidung über die Auswahl eines Vormunds oder Ergänzungspflegers in Betracht gezogen zu werden. Ihnen kommt der Vorrang gegenüber nicht verwandten Personen zu, sofern nicht im Einzelfall konkrete Erkenntnisse darüber bestehen, dass dem Wohl des Kindes durch die Auswahl einer dritten Person besser gedient ist.

3. Das Bundesverfassungsgericht überprüft die Auswahlentscheidung nach § 1779 BGB entsprechend allgemeinen Grundsätzen darauf, ob sie Auslegungsfehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung des Grundrechts naher Verwandter beruhen.

Tenor

1. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts wird abgelehnt.

2. Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

A.

1

Gegenstand der [X.]beschwerde ist die Frage, inwieweit Großeltern in ihrem Interesse geschützt sind, zum Vormund beziehungsweise Ergänzungspfleger ihres Enkelkindes bestellt zu werden.

I.

2

Die Beschwerdeführerin wendet sich als Großmutter ihrer im Jahr 2008 geborenen zweiten Enkelin dagegen, vom [X.] nicht nach § 1779 Abs. 2 Satz 2 BGB als deren Vormund ausgewählt worden zu sein.

3

1. Eine erste Enkeltochter der Beschwerdeführerin kam 2001 zur Welt. Das Kind wurde von seiner Mutter, der Tochter der Beschwerdeführerin, nach der Geburt in die Obhut der Beschwerdeführerin gegeben. Als die Enkeltochter etwa ein Jahr alt war, kehrte auch die Mutter in den Haushalt der Beschwerdeführerin zurück. [X.] kam die zweite Enkeltochter zur Welt. Die Mutter verblieb mit beiden Kindern bis 2011 im Haushalt der Beschwerdeführerin. Im August 2011 zog die Mutter zu einem Freund und nahm das jüngere Kind mit sich. Nach zwei Wochen trennte sie sich von [X.] und zog mit dem Kind zu einem neuen Freund. Die ältere Enkeltochter war auf eigenen Wunsch bei der Beschwerdeführerin geblieben. Die Beschwerdeführerin hielt das Verhalten der Mutter für kindeswohlgefährdend, weshalb sie sich an das Jugendamt wandte. Im September 2011 wurde das jüngere Kind, also die zweite Enkeltochter der Beschwerdeführerin, mit Zustimmung der Kindesmutter zunächst in einer Bereitschaftspflegefamilie untergebracht.

4

2. Im Wege der einstweiligen Anordnung entzog das [X.] der Mutter im [X.] 2011 die elterliche Sorge für beide Kinder und setzte zunächst das Jugendamt als Vormund ein. Im Dezember 2011 wechselte die jüngere, damals knapp vier Jahre alte zweite Enkeltochter in eine Pflegefamilie in [X.], wo sie bis heute lebt.

5

3. Im Hauptsacheverfahren beantragte die Beschwerdeführerin, ihr die Vormundschaft für beide Kinder zu übertragen. Die Sachverständige empfahl, die jüngere Enkeltochter in der Pflegefamilie zu belassen. Auch die Mutter sprach sich während des gerichtlichen Verfahrens für einen Verbleib ihrer jüngeren Tochter in der Pflegefamilie aus. Die [X.] und das Jugendamt befürworteten wegen der Verwurzelung des Kindes ebenfalls einen Verbleib in der Pflegefamilie. Mit angegriffenem Beschluss vom 3. Januar 2013 entzog das [X.] der Mutter die elterliche Sorge für beide Töchter. Es bestellte die Beschwerdeführerin nach § 1779 BGB zum Vormund für die ältere Tochter. Für die jüngere Tochter bestellte es hingegen das Jugendamt zum Vormund. Zur - hier allein angegriffenen - Übertragung der Vormundschaft für die jüngere Enkelin auf das Jugendamt führte das [X.] aus, dass die Bestellung der Beschwerdeführerin als Vormund nicht dem Kindeswohl entspreche.

6

4. Die Beschwerdeführerin legte gegen den Beschluss des [X.]s Beschwerde ein, die das [X.] als unzulässig verwarf. Die Beschwerdeführerin sei nicht beschwerdeberechtigt im Sinne des § 59 FamFG. Zwar müssten Großeltern nach § 1779 Abs. 2 Satz 2 BGB und aus verfassungsrechtlichen Gründen bei der Auswahl des Vormunds berücksichtigt werden. Daraus folge aber nach dem unmissverständlichen Willen des Gesetzgebers keine zur Beschwerde berechtigende Rechtsposition (Verweis auf [X.], Beschluss vom 26. Juni 2013 - [X.] -, juris, Rn. 12-16; Beschluss vom 2. Februar 2011 - [X.]/09 -, juris, Rn. 9 ff.).

II.

7

Mit ihrer [X.]beschwerde gegen die fachgerichtlichen Entscheidungen rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 [X.] in Verbindung mit Art. 8 [X.], weil ihre nahe Verwandtenstellung nicht berücksichtigt worden sei. Sie ist der Ansicht, die Vormundschaft hätte ihr nur dann verweigert werden dürfen, wenn das Kindeswohl bei einer Herausnahme des Mädchens aus der Pflegefamilie gefährdet gewesen wäre. Zudem habe das [X.] Art. 101 Abs. 1 Satz 2 und Art. 19 Abs. 4 [X.] verletzt, weil es die Beschwerdeführerin nicht für beschwerdeberechtigt gehalten und sich mit der [X.]mäßigkeit von § 59 FamFG nicht hinreichend befasst habe.

III.

8

Die Akten des Ausgangsverfahrens haben dem Senat vorgelegen. Dem [X.], der [X.] des Kindes aus dem Ausgangsverfahren, der Mutter und dem Vater sowie dem zum Vormund bestellten Jugendamt wurde Gelegenheit zur Äußerung gegeben. Das Jugendamt hat sich gegen eine Rückführung des Kindes in den Haushalt der Beschwerdeführerin ausgesprochen.

B.

9

Die zulässige [X.]beschwerde ist nicht begründet.

I.

Die [X.]beschwerde ist zulässig. Insbesondere ist die Beschwerdeführerin beschwerdebefugt. Als Großmutter kann sie mit der [X.]beschwerde geltend machen, das [X.] habe ihre durch Art. 6 Abs. 1 [X.] geschützte nahe verwandtschaftliche Beziehung bei der Auswahl des Vormunds für ihre Enkeltochter nicht hinreichend berücksichtigt.

II.

Die [X.]beschwerde ist jedoch unbegründet.

1. Die Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführerin nicht in durch Art. 6 [X.] geschützten Grundrechten.

a) Die Beschwerdeführerin hat ein grundrechtlich geschütztes Recht darauf, als Großmutter bei der Auswahl eines Vormunds oder Ergänzungspflegers für ihr von der Kindesmutter getrenntes Enkelkind berücksichtigt zu werden.

aa) Auf das Elterngrundrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 [X.] kann sich die Beschwerdeführerin allerdings nicht selbst berufen. Der Schutz dieses Grundrechts steht grundsätzlich nur den Eltern eines Kindes zu. Da die Beschwerdeführerin hier nicht als Vormund ausgewählt wurde, sondern diese Stellung erst anstrebt, ist ihre Situation auch nicht mit der von Großeltern vergleichbar, die bereits zu Vormündern bestellt sind und ihr Enkelkind anstelle der Eltern pflegen und erziehen (dazu [X.] 34, 165 <200>).

bb) Die Beschwerdeführerin kann sich als Großmutter auch nicht darauf berufen, dass Eltern (1) und Kind (2) im Fall der Trennung des Kindes von den Eltern einen grundrechtlich gesicherten Anspruch darauf haben, dass bei der Auswahl von [X.] oder [X.] nahe Verwandte berücksichtigt werden.

(1) Zwar kann die bevorzugte Berücksichtigung von Großeltern durch das von Art. 6 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 [X.] geschützte Grundrecht der Eltern verfassungsrechtlich geboten sein. Das Elterngrundrecht stellt hohe Anforderungen an die Trennung eines Kindes von den Eltern (stRspr; vgl. zuletzt im Einzelnen [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 24. März 2014 - 1 BvR 160/14 -, juris, Rn. 27 ff.). Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der unter anderem zur Auswahl des mildesten unter gleich geeigneten Mitteln verpflichtet (Erforderlichkeit), gebietet in diesem Zusammenhang insbesondere, nahe Verwandte, die zur Verantwortungsübernahme geeignet sind, als Vormünder oder Ergänzungspfleger in Betracht zu ziehen (stRspr; vgl. zuletzt [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 8. März 2012 - 1 BvR 206/12 -, [X.], [X.] f.>).

Wenn die Eltern die Bestellung von Verwandten zum Vormund oder Ergänzungspfleger und die Aufnahme des Kindes in deren Haushalt wünschen, stellt dies aus elterlicher Sicht ein milderes Mittel gegenüber der Übertragung der rechtlichen Verantwortung und tatsächlichen Betreuung des Kindes auf familienfremde Personen dar. Der Verbleib des Kindes im größeren Familienverband schafft unter diesen Umständen regelmäßig günstigere Voraussetzungen für die fortgesetzte elterliche Hinwendung zum Kind, welche auch nach der Trennung durch das elterliche Recht auf Pflege und Erziehung (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 [X.]) geschützt ist. Wird die elterliche Hinwendung aufrechterhalten, kann dies zudem eine spätere Rückkehr des Kindes zu seinen Eltern begünstigen. Verwandte bei der Auswahl eines Vormunds oder Ergänzungspflegers zu berücksichtigen, trägt daher auch der Verpflichtung des Staates Rechnung, die Rückführung des Kindes aus dem grundsätzlich auf Zeit angelegten Pflegeverhältnis zu den Ursprungseltern zu fördern (vgl. [X.] 75, 201 <219>; 79, 51 <60>).

(2) Auch das Grundrecht des Kindes auf Gewährleistung elterlicher Pflege und Erziehung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 [X.]; vgl. [X.] 133, 59 <73 ff.>) gebietet, bei der Auswahl eines Vormunds oder Ergänzungspflegers nahe Verwandte zu berücksichtigen, wenn dies die Aufrechterhaltung der Verbindung zu den Eltern begünstigt und diese im Interesse des Kindes ist.

(3) Ein eigenes Grundrecht der Großeltern aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 [X.], auf das die Beschwerdeführerin ihre [X.]beschwerde stützen könnte, folgt daraus jedoch nicht. Zwar resultieren aus den genannten Rechten der Eltern und des Kindes in der Praxis regelmäßig gute Chancen für Großeltern, auf Wunsch der Eltern und des Kindes zum Vormund oder Ergänzungspfleger des Enkelkindes bestellt zu werden. Dabei handelt es sich aber um bloße Rechtsreflexe des Eltern- und des [X.], die keinen eigenen grundrechtlichen Schutz der subjektiven Interessen der Großeltern begründen.

cc) Der Beschwerdeführerin steht indessen als Großmutter ein eigenes Recht aus Art. 6 Abs. 1 [X.] darauf zu, bei der Auswahl eines Vormunds oder Ergänzungspflegers in Betracht gezogen zu werden.

(1) [X.] nach Art. 6 Abs. 1 [X.] umfasst familiäre Bindungen zwischen Großeltern und ihrem Enkelkind.

Art. 6 Abs. 1 [X.] schützt die Familie zunächst als tatsächliche Lebens- und Erziehungsgemeinschaft der Kinder und ihrer Eltern. Im Zusammenleben der Eltern mit ihren heranwachsenden Kindern entfaltet die familiäre [X.] besondere Bedeutung, weil die leibliche und seelische Entwicklung der prinzipiell schutzbedürftigen Kinder in der Familie und der elterlichen Erziehung eine wesentliche Grundlage findet (vgl. [X.] 80, 81 <90>; 133, 59 <82>). Der Schutz des Familiengrundrechts reicht indessen über den Zweck hinaus, einen besonderen personellen Raum kindlicher Entfaltungsmöglichkeiten zu sichern. Er zielt generell auf den Schutz spezifisch familiärer Bindungen (vgl. [X.] 133, 59 <82 f.> m.w.N.), wie sie auch zwischen erwachsenen Familienmitgliedern (vgl. [X.] 80, 81 <91> m.w.N.) und auch - wenngleich regelmäßig weniger ausgeprägt - über mehrere Generationen hinweg zwischen den Mitgliedern einer Großfamilie bestehen können. Familiäre Bindungen sind im Selbstverständnis des Individuums regelmäßig von hoher Bedeutung und haben im Lebensalltag der Familienmitglieder häufig besondere praktische Relevanz. Sie zeichnen sich durch schicksalhafte Gegebenheit aus und können von besonderer Nähe und Zuneigung, von Verantwortungsbewusstsein und Beistandsbereitschaft geprägt sein (vgl. [X.] 57, 170 <178>; 112, 332 <352>). Nicht zuletzt wegen dieses eigenen Stellenwerts, der familiären Bindungen bei der Entfaltung der Persönlichkeit regelmäßig zukommt, hat das durch Art. 2 Abs. 1 [X.] verbürgte Gebot der Achtung der Entfaltungsfreiheit im privaten Lebensbereich durch die [X.]garantie der Familie (Art. 6 Abs. 1 [X.]) eine besondere Verstärkung erfahren (vgl. [X.] 57, 170 <178> m.w.N.), die das Familienleben schützt und dem Individuum damit Chancen eröffnet, ein seinen familiären Bindungen gemäßes Leben zu führen.

Intensive Familienbindungen treten nicht nur im Verhältnis zwischen heranwachsenden Kindern und Eltern auf, sondern sind auch zwischen Mitgliedern der [X.] möglich. Besondere Zuneigung und Nähe, familiäre Verantwortlichkeit füreinander, [X.] und Beistandsbereitschaft können insbesondere im Verhältnis zwischen Enkeln und Großeltern, aber auch zwischen nahen Verwandten in der Seitenlinie zum Tragen kommen. Bestehen zwischen nahen Verwandten tatsächlich von familiärer Verbundenheit geprägte engere Bindungen, sind diese vom Schutz des Art. 6 Abs. 1 [X.] erfasst (vgl. [X.], in: [X.]/[X.], [X.], 12. Aufl. 2012, Art. 6 Rn. 10; [X.], in: Jura 1997, S. 401 <402>; [X.], in: [X.] Kommentar, [X.], Art. 6 Abs. 1, Rn. 21 ; [X.], in: v. Mangoldt/[X.]/[X.], [X.], [X.], 6. Aufl. 2010, Art. 6 Abs. 1, Rn. 88 m.w.N.; [X.], in: [X.]/[X.], [X.], 2. Aufl. 2013, Art. 6 Rn. 14; ebenso [X.], Urteil vom 13. Juni 1979 - [X.] - NJW 1979, S. 2449, Rn. 45 zum Schutz des "Familienlebens" im Sinne des Art. 8 [X.]. [X.], in: Friauf/Höfling, [X.], [X.], Art. 6 Rn. 20 ; von [X.], in: [X.], [X.], 6. Aufl. 2011, Art. 6 Rn. 17. Soweit aus der Entscheidung des Senats vom 31. Mai 1978 <[X.] 48, 327 [339]> etwas anderes gefolgert werden mag, hält der Senat daran nicht fest.). Es spricht nichts dafür, dass Art. 6 Abs. 1 [X.] die Beziehungen zwischen Großeltern und Enkelkind aus dem Schutz der Familie ausnehmen wollte. Vielmehr deutet der Wortlaut des Art. 6 Abs. 3 [X.], der ausdrücklich vor der Trennung des Kindes von der "Familie" schützt, darauf hin, dass der [X.]geber unter Familie mehr verstanden hat als die [X.] des Kindes mit seinen Eltern. Einer abnehmenden verwandtschaftlichen Nähe der Familienmitglieder zueinander ist bei der Bestimmung der [X.] und der Konkretisierung der Schutzinhalte des Art. 6 Abs. 1 [X.] Rechnung zu tragen (vgl. [X.], a.a.[X.], Rn. 89; [X.], a.a.[X.], Rn. 14; [X.], in: Dreier, [X.], 3. Aufl. 2013, Art. 6 Rn. 112).

(2) Der grundrechtliche Schutz familiärer Beziehungen zwischen nahen Verwandten jenseits des [X.] umfasst deren Recht, bei der Entscheidung über die Auswahl eines Vormunds oder Ergänzungspflegers berücksichtigt zu werden, sofern tatsächlich eine engere familiäre Bindung zum Kind besteht. Die Vormundschaft oder Ergänzungspflegschaft ermöglicht es den Verwandten, das Kind zu sich zu nehmen und in eigener Verantwortung zu betreuen und zu erziehen. Auf diese Weise können sie ihre familiäre Bindung zum Kind fortführen und verwandtschaftlicher Verantwortung gerecht werden. Großeltern und sonstigen nahen Verwandten kommt daher bei der Auswahl des Vormunds oder Ergänzungspflegers der Vorrang gegenüber nicht verwandten Personen zu, sofern nicht im Einzelfall konkrete Erkenntnisse darüber bestehen, dass dem Wohl des Kindes, das für die Auswahl bestimmend ist (vgl. [X.] 75, 201 <218>; 68, 176 <188> zum Verhältnis der Kindesinteressen zu den Elterninteressen), durch die Auswahl einer dritten Person besser gedient ist.

b) Die angegriffenen Entscheidungen genügen den Anforderungen des Art. 6 Abs. 1 [X.] an die Berücksichtigung naher Verwandter bei der Auswahl eines Vormunds.

aa) Auf das von Art. 6 Abs. 1 [X.] geschützte Recht naher Verwandter, bei der Entscheidung über die Auswahl eines Vormunds berücksichtigt zu werden, kann sich die Beschwerdeführerin hier berufen, weil davon auszugehen ist, dass tatsächlich eine engere familiäre Bindung zu ihrer Enkelin besteht oder jedenfalls vor dem Wechsel des Kindes in die Pflegefamilie bestanden hat. Sie hat mit ihrer Enkeltochter während der ersten Lebensjahre des Kindes in einem gemeinsamen Haushalt gelebt.

bb) Das [X.] überprüft die fachgerichtliche Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts hier nach allgemeinen Grundsätzen. Danach sind die Gestaltung des Verfahrens, die Feststellung und Würdigung des Tatbestandes sowie die Auslegung und Anwendung verfassungsrechtlich unbedenklicher Regelungen im einzelnen Fall Angelegenheit der zuständigen Fachgerichte und der Nachprüfung durch das [X.] entzogen. Ihm obliegt lediglich die Kontrolle, ob die angegriffene Entscheidung [X.] erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung eines Grundrechts oder vom Umfang seines Schutzbereichs beruhen (vgl. [X.] 72, 122 <138>; stRspr).

Anderes gilt zwar, wenn ein Kind von seinen Eltern gegen deren Willen getrennt wird. Bei gerichtlichen Entscheidungen, die Eltern zum Zweck der Trennung des Kindes von den Eltern das Sorgerecht für ihr Kind entziehen, besteht wegen des sachlichen Gewichts der Beeinträchtigung der Grundrechte von Eltern und Kindern Anlass, über den grundsätzlichen Prüfungsumfang hinauszugehen (vgl. [X.] 72, 122 <138>; stRspr). Vor allem prüft das [X.] dann, ob das [X.] in nachvollziehbarer Weise angenommen hat, es bestehe eine nachhaltige Gefährdung des Kindeswohls und diese sei nur durch die Trennung des Kindes von den Eltern, nicht aber durch weniger eingreifende Maßnahmen abwendbar. Dabei kann sich die verfassungsgerichtliche Kontrolle wegen des besonderen Eingriffsgewichts ausnahmsweise auch auf einzelne [X.] (vgl. [X.] 60, 79 <91>) sowie auf deutliche Fehler bei der Feststellung und Würdigung des Sachverhalts erstrecken.

Diese strenge verfassungsgerichtliche Kontrolle betrifft jedoch die Wahrung der Grundrechte der Eltern und des Kindes, denen nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 [X.] (Eltern) und nach Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 [X.] (Kind) im Fall der Trennung besonderer verfassungsrechtlicher Schutz zuteil wird (vgl. [X.] 60, 79 <89>; 79, 51 <60>). Bei der verfassungsgerichtlichen Überprüfung der gerichtlichen Auswahl des Vormunds oder Ergänzungspflegers auf deren Vereinbarkeit mit den Grundrechten naher Verwandter besteht hingegen kein Anlass zu dieser strengen verfassungsgerichtlichen Kontrolle. Verwandte haben in ihrem Wunsch, als Vormund des von den Eltern getrennten Kindes eingesetzt zu werden, nicht an dem besonderen verfassungsrechtlichen Schutz der [X.] teil. Die Eingriffsintensität einer gegen Verwandte ausfallenden Auswahlentscheidung im Rahmen von § 1779 BGB bleibt regelmäßig hinter der einer Trennung des Kindes von den Eltern zurück.

cc) Die angegriffenen Entscheidungen haben die Tragweite der durch Art. 6 Abs. 1 [X.] geschützten Belange der Beschwerdeführerin nicht verkannt. Das [X.] ist von einer besonderen Stellung der Beschwerdeführerin bei der Auswahl des Vormunds ausgegangen und hat deren Bestellung nicht von überzogenen Anforderungen abhängig gemacht. Es hat insbesondere nicht angenommen, dass die Beschwerdeführerin erst dann auszuwählen wäre, wenn dem Kindeswohl damit im Vergleich zum Verbleib in der Pflegefamilie besser gedient wäre. Das [X.] ist vielmehr mit ohne Weiteres nachvollziehbaren Erwägungen zu dem Ergebnis gelangt, dass dem Kindeswohl bei einem Verbleib in der Pflegefamilie besser gedient sei als bei einem Wechsel zur Beschwerdeführerin.

2. Die Beschwerdeführerin ist nicht dadurch in Grundrechten verletzt, dass ihr die Möglichkeit der Beschwerde nach § 59 FamFG versagt blieb.

a) Der Gesetzgeber ist von [X.] wegen weder durch den [X.] noch durch Art. 101 Abs. 1 [X.] gezwungen, nahen Verwandten gegen die durch das Gericht getroffene Auswahl des Vormunds einen Rechtsbehelf zur Verfügung zu stellen. Wird die Entscheidung nach § 1779 BGB - wie im hier zu beurteilenden Fall - nicht nach § 3 Nr. 2a, § 14 RPflG durch den Rechtspfleger, sondern nach § 6, § 8 Abs. 1 RPflG durch den Familienrichter getroffen, besteht kein verfassungsrechtlicher Anspruch auf Eröffnung einer weiteren, gerichtlichen Instanz. Das Grundgesetz sichert im Bereich des Art. 19 Abs. 4 [X.] wie auch in dem des allgemeinen Justizgewährungsanspruchs die Eröffnung des Rechtswegs. Die Garantie einer gerichtlichen Rechtsschutzmöglichkeit gegen behauptete Rechtsverletzungen gewährleistet jedoch keinen Rechtsweg über mehrere Instanzen hinweg. Das Rechtsstaatsprinzip fordert, dass jeder Rechtsstreit um der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens willen irgendwann ein Ende findet. Wann dies der Fall ist, entscheidet das Gesetz. Insofern reicht es grundsätzlich aus, dass die Rechtsordnung eine einmalige Möglichkeit zur Einholung einer gerichtlichen Entscheidung eröffnet. Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, unter Abwägung und Ausgleich der verschiedenen betroffenen Interessen zu entscheiden, ob es bei einer Instanz bleiben soll oder ob mehrere Instanzen bereitgestellt werden und unter welchen Voraussetzungen sie angerufen werden können (vgl. [X.] 107, 395 <401 f.>; stRspr).

b) Auch die Auslegung des § 59 Abs. 1 FamFG durch das [X.], wonach § 59 FamFG der Beschwerdeführerin als Großmutter hier keine Beschwerdeberechtigung einräumt, verletzt die Beschwerdeführerin nicht in der Rechtsschutzgarantie oder in ihrem grundrechtsgleichen Recht auf den gesetzlichen Richter.

Mit dem für den Bereich des Zivilprozesses durch Art. 2 Abs. 1 [X.] in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 [X.]) gewährleisteten Gebot effektiven Rechtsschutzes (vgl. [X.] 93, 99 <107>) ist eine Auslegung und Anwendung der Zulassungsvoraussetzungen für ein Rechtsmittel dann unvereinbar, wenn sie sachlich nicht zu rechtfertigen ist, sich damit als objektiv willkürlich erweist und den Zugang zur nächsten Instanz unzumutbar erschwert (vgl. [X.] 125, 104 <137>; [X.], Beschluss des [X.] vom 16. Juli 2013 - 1 BvR 3057/11 -, NJW 2013, S. 3506 <3508>; stRspr). Die Entscheidung eines Gerichts, ein Rechtsmittel nicht zuzulassen, verstößt auch gegen die Gewährleistung des gesetzlichen Richters in Art. 101 Abs. 1 Satz 2 [X.], wenn dem eine willkürliche Auslegung oder Anwendung des Prozessrechts zugrunde liegt (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 21. März 2012 - 1 BvR 2365/11 -, NJW 2012, S. 1715 m.w.N.).

Dass das [X.] die Voraussetzungen des § 59 Abs. 1 FamFG willkürlich ausgelegt hätte, ist hier weder dargelegt noch sonst ersichtlich. Nach § 59 Abs. 1 FamFG steht die Beschwerde demjenigen zu, der durch den Beschluss in seinen Rechten beeinträchtigt ist. Zwar berührt die Auswahlentscheidung nach § 1779 BGB das Grundrecht der Beschwerdeführerin als Großmutter aus Art. 6 Abs. 1 [X.]. Auch mit Blick darauf war sie nach § 1779 Abs. 3 Satz 1 BGB bei der Auswahl des Vormunds vom [X.] grundsätzlich anzuhören. Das [X.] hat sich jedoch der Rechtsprechung des [X.] angeschlossen, der in Fortführung seiner früheren Rechtsprechung zu § 20 Abs. 1, § 57 Abs. 1 Nr. 9 F[X.] annimmt, dass auch § 59 Abs. 1 FamFG Großeltern in Verfahren, die die Bestellung eines Vormunds oder Ergänzungspflegers für ihr Enkelkind zum Gegenstand haben, grundsätzlich keine Beschwerdebefugnis einräumt (vgl. [X.], Beschluss vom 2. Februar 2011 - [X.]/09 -, juris; Beschluss vom 26. Juni 2013 - [X.] -, juris). Diese Interpretation von § 59 Abs. 1 FamFG ist nicht willkürlich. Sie beruht auf nachvollziehbarer systematischer Auslegung (vgl. [X.], Beschluss vom 26. Juni 2013 - [X.] -, juris, Rn. 16) und trägt dem legitimen Ziel des Gesetzgebers Rechnung, den Kreis der Beschwerdeberechtigten überschaubar zu halten, um eine zügige Beendigung des gerichtlichen Verfahrens zu ermöglichen, was in sorgerechtlichen Verfahren von besonderem Gewicht ist (vgl. [X.], Beschluss vom 26. Juni 2013 - [X.] -, juris, Rn. 14; Beschluss vom 2. Februar 2011 - [X.]/09 -, juris, Rn. 10).

III.

Mangels Erfolgsaussichten der [X.]beschwerde war der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts in entsprechender Anwendung des § 114 ZPO (vgl. [X.] 1, 109 <110 ff.>) abzulehnen.

Diese Entscheidung ist in Punkt II.2. im Verhältnis 7:1, im Übrigen einstimmig ergangen.

Meta

1 BvR 2926/13

24.06.2014

Bundesverfassungsgericht 1. Senat

Beschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend OLG Köln, 19. September 2013, Az: 10 UF 16/13, Beschluss

Art 6 Abs 1 GG, Art 6 Abs 2 S 1 GG, Art 6 Abs 3 GG, Art 19 Abs 4 GG, Art 101 Abs 1 S 2 GG, § 1779 Abs 2 S 2 BGB, § 1779 Abs 3 S 1 BGB, § 59 Abs 1 FamFG

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 24.06.2014, Az. 1 BvR 2926/13 (REWIS RS 2014, 4660)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 4660 BVerfGE 136, 382-394 REWIS RS 2014, 4660

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

1 BvR 1467/14 (Bundesverfassungsgericht)

Teilweise stattgebender Kammerbeschluss: Zur Berücksichtigung der Großeltern bei der Auswahl eines Vormundes für Minderjährige (§ …


1 BvR 1409/14 (Bundesverfassungsgericht)

Nichtannahmebeschluss: Zur Berücksichtigung naher Verwandter, insb der Großeltern, bei Auswahl eines Vormundes für Minderjährige (§ …


15 W 339/98 (Oberlandesgericht Hamm)


XII ZB 241/09 (Bundesgerichtshof)

Sorgerechtsregelungsverfahren: Beschwerdebefugnis der Großeltern


XII ZB 241/09 (Bundesgerichtshof)


Literatur & Presse BETA

Diese Funktion steht nur angemeldeten Nutzern zur Verfügung.

Anmelden
Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.