Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.06.2020, Az. 4 StR 503/19

4. Strafsenat | REWIS RS 2020, 1403

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Gegenstand

Strafverfahren gegen einen Apotheker wegen Verstößen gegen das Arzneimittelgesetz und Abrechnungsbetrug: Zulässigkeit der Revision wegen fehlenden Sachgrunds einer Fristsetzung für eine Beweisantragsstellung; Wirksamkeit der Einziehungsanordnung


Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 6. Juli 2018 wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass gegen den Angeklagten die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 13.605.408 Euro angeordnet wird.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die den [X.] dadurch im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen vorsätzlichen Verstoßes gegen das [X.] in 14.537 tateinheitlich zusammentreffenden Fällen, davon in 14.498 Fällen durch das Herstellen und Inverkehrbringen von Arzneimitteln, die durch Abweichung von den anerkannten pharmazeutischen Regeln in ihrer Qualität nicht unerheblich gemindert und gefälscht waren, und in 39 Fällen durch das Herstellen solcher Arzneimittel, wegen vorsätzlichen Verstoßes gegen das [X.] in 27 weiteren Fällen durch das Herstellen solcher Arzneimittel und wegen Betrugs in 59 Fällen, davon in einem Fall als Versuch, unter Freispruch im Übrigen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 12 Jahren verurteilt. Außerdem hat es ein lebenslanges Berufsverbot und die „Einziehung eines Wertersatzbetrages“ in Höhe von 17 Millionen Euro angeordnet. Die hiergegen gerichtete und mit der Verletzung formellen und materiellen Rechts begründete Revision des Angeklagten hat den aus der [X.] ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 [X.]).

2

1. Zu der Verfahrensrüge, mit welcher der Beschwerdeführer einen Verstoß gegen § 244 Abs. 6 [X.] geltend macht, weil die Voraussetzungen für eine Fristsetzung nach § 244 Abs. 6 Satz 3 [X.] nicht vorgelegen hätten und die festgesetzte Frist unangemessen kurz bemessen worden sei, ist ergänzend zum Verwerfungsantrag des [X.] anzumerken:

3

a) Soweit der Beschwerdeführer beanstandet, es habe an einem für die Fristsetzung erforderlichen Sachgrund gefehlt, ist die Rüge nach § 344 Abs. 2 Satz 2 [X.] unzulässig, weil die Revision den Inhalt des Beweisantrags vom 18. Juni 2018 nicht mitteilt, auf den die [X.] in ihrem die Anordnung des Vorsitzenden bestätigenden Beschluss nach § 238 Abs. 2 [X.] zur Rechtfertigung der Fristsetzung in tatsächlicher Hinsicht Bezug genommen hat.

4

b) Der [X.] braucht nicht zu entscheiden, ob eine nach Fristsetzung oder Fristablauf durchgeführte Beweiserhebung eine vollständige oder partielle Unwirksamkeit der Fristsetzung nach § 244 Abs. 6 Satz 3 [X.] zur Folge hat (vgl. hierzu [X.], Beschluss vom 8. Mai 2020 – 2 BvR 1905/19; [X.] in [X.], [X.], 27. Aufl., § 244 Rn. 359l; KK-[X.]/[X.], 8. Aufl., § 244 Rn. 87e; SSW-[X.]/[X.], 4. Aufl., § 244 Rn. 129g; [X.] in [X.], [X.], 63. Aufl., § 244 Rn. 99; [X.], [X.], 232, 239; [X.] NStZ 2018, 9, 12; vgl. auch BT-Drucks. 18/11277 [X.]). Denn eine erst im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung eingetretene Unwirksamkeit der vom Vorsitzenden angeordneten Frist ist von der Angriffsrichtung der Verfahrensrüge, mit welcher das Fehlen der Anordnungsvoraussetzungen und die Angemessenheit der Frist beanstandet wird, nicht umfasst.

5

2. Die sachlich-rechtliche Nachprüfung des angefochtenen Urteils hat – mit Ausnahme der Einziehungsentscheidung – keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

6

a) Der Strafausspruch ist nicht zu beanstanden. Soweit die [X.] für die 14.537 tateinheitlichen Verstöße gegen das [X.] auch von dem Regelbeispiel des Vermögensvorteils großen Ausmaßes gemäß § 95 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1c [X.] ausgegangen ist, begegnet dies zwar rechtlichen Bedenken, weil das [X.] ein alle [X.] umfassendes [X.] nur zugunsten des Angeklagten angenommen hat und es nicht ersichtlich ist, dass hinsichtlich der [X.] die Wertgrenze des großen Ausmaßes erreicht wird. Der Strafausspruch wird hierdurch aber nicht berührt. Denn die [X.] hat rechtsfehlerfrei das Regelbeispiel der Gewerbsmäßigkeit nach § 95 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 [X.] bejaht und bei der konkreten Strafzumessung das angenommene Vorliegen zweier Regelbeispiele nicht strafschärfend berücksichtigt.

7

b) Dagegen kann die Anordnung der Einziehung des Wertes von Taterträgen keinen Bestand haben, soweit diese einen Betrag von 13.605.408 Euro übersteigt.

8

Nach § 73 Abs. 1 StGB unterliegen Vermögensgegenstände, die der Täter durch oder für eine rechtswidrige Tat erlangt hat, der Einziehung. Durch die Tat erlangt im Sinne des § 73 Abs. 1 StGB ist ein Vermögenswert, wenn er dem Täter unmittelbar aus der Verwirklichung des Tatbestandes in irgendeiner Phase des [X.] derart zugeflossen ist, dass er der faktischen Verfügungsgewalt des [X.] unterliegt (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Urteile vom 27. September 2018 – 4 [X.], [X.], 96; vom 7. März 2019 – 5 StR 569/18, [X.], 272). Entgegen der Ansicht des [X.]s sind die vom Angeklagten vereinnahmten Gelder dem Angeklagten nicht aufgrund der Verstöße gegen das [X.], sondern erst in Folge der betrügerischen Abrechnungen der unterdosierten Arzneimittelzubereitungen zugeflossen und damit im Sinne des § 73 Abs. 1 StGB durch die [X.] erlangt worden. Da nur die zum Nachteil der gesetzlichen Krankenkassen und sonstiger öffentlich-rechtlicher Kostenträger erfolgten betrügerischen Abrechnungen Gegenstand der Verurteilung sind, kommt eine Anordnung der Einziehung des Wertes von Taterträgen lediglich in Höhe der insoweit erlangten Gelder – nach den [X.] Feststellungen 13.605.408 Euro – in Betracht (vgl. [X.], Beschlüsse vom 8. November 2018 – 4 [X.], [X.], 271; vom 7. April 2016 – 1 [X.], [X.]R StGB § 73d Anwendungsbereich 4).

9

Da die Regelungen der § 73 Abs. 1, § 73c StGB die Anordnung der Einziehung des Wertes von Taterträgen als zwingende Rechtsfolge vorsehen, kann der [X.] auf der Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 [X.] selbst in der Sache entscheiden (vgl. [X.], Urteil vom 27. September 2018 – 4 [X.], aaO) und die Einziehungsanordnung entsprechend ändern.

3. Der lediglich geringfügige Teilerfolg der Revision rechtfertigt es nicht, den Angeklagten teilweise von den durch sein Rechtsmittel veranlassten Kosten und Auslagen freizustellen (§ 473 Abs. 4 [X.]).

Sost-Scheible     

      

[X.]     

      

Bartel

      

Sturm     

      

[X.]     

      

Meta

4 StR 503/19

10.06.2020

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend BGH, 7. April 2020, Az: 4 StR 503/19, Beschluss

§ 95 Abs 3 S 2 Nr 1 Buchst c AMG, § 95 Abs 3 S 2 Nr 2 AMG, § 73 Abs 1 StGB, § 73c StGB, § 244 Abs 6 S 3 StPO, § 344 Abs 2 S 2 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.06.2020, Az. 4 StR 503/19 (REWIS RS 2020, 1403)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 1403


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 4 StR 503/19

Bundesgerichtshof, 4 StR 503/19, 10.06.2020.


Az. 2 BvR 1373/20

Bundesverfassungsgericht, 2 BvR 1373/20, 09.08.2023.


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