Bundesverfassungsgericht, Ablehnung einstweilige Anordnung vom 26.01.2022, Az. 2 BvE 8/21

2. Senat | REWIS RS 2022, 1754

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

AUSLAND ÖFFENTLICHES RECHT BUNDESVERFASSUNGSGERICHT (BVERFG) STAATSRECHT UND STAATSORGANISATIONSRECHT GEHEIMDIENSTE FLÜCHTLINGE BUNDESTAG AUSKUNFTSRECHT ORGANSTREITVERFAHREN

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Erfolgloser Eilantrag eines Bundestagsabgeordneten bzgl der Nichtbeantwortung einer parlamentarischen Anfrage - Unzulässigkeit des Antrags wegen Überschreitung der Hauptsache sowie mangels Darlegung schwerer Nachteile


Tenor

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird verworfen.

Gründe

1

Der Antragsteller ist Abgeordneter des [X.]. Er wendet sich mit seinem Antrag in der Hauptsache dagegen, dass die Antragsgegnerin die Beantwortung seiner parlamentarischen Anfrage vom 2. Dezember 2020 zur Zahl der in das Ausland entsandten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des [X.] und zur politischen Bewertung dieser Entsendung (BTDrucks 19/25159, S. 24 f.) verweigert und die [X.] nicht hinreichend begründet habe.

2

Mit Schriftsatz vom 4. Juni 2021 hat der Antragsteller beantragt,

die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung (§ 32 [X.]) zu verpflichten, dem Antragsteller die mit den schriftlichen Fragen Nr. 32 für den Monat Dezember vom 9. Dezember 2020 ([X.]tagsdrucksache 19/25159, Seite 24-25) erbetenen Auskünfte über die absolute Zahl der im Ausland eingesetzten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des [X.] in den Jahren 2016, 2017, 2018, 2019 und 2020 bis zur Entscheidung in der Hauptsache zumindest in einer Form zu erteilen, die den Antragsteller nach der Geheimschutzordnung des [X.] zur Geheimhaltung der Auskünfte gegenüber Dritten verpflichtet.

3

1. Der Antragsteller gehörte in der 19. Wahlperiode des [X.] dem [X.] sowie dem Ausschuss für die Angelegenheiten der [X.] an. Er war Mitglied der [X.]tagsfraktion der [X.] und deren innenpolitischer Sprecher. Am 2. Dezember 2020 bat er die Antragsgegnerin im Rahmen einer schriftlichen Einzelfrage um Informationen über die Anzahl der in den letzten fünf Jahren für nachrichtendienstliche Tätigkeiten in das Ausland entsandten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des [X.]. Die Frage lautete:

Wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des [X.] sind in den letzten fünf Jahren für eine nachrichtendienstliche Tätigkeit in das Ausland entsandt worden (bitte aufschlüsseln nach Jahr) und wie bewertet die [X.]regierung die Entsendung dieser Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Blick auf die Aufgabenverteilung zwischen dem [X.] und dem [X.]nachrichtendienst?

4

2. Mit Schreiben vom 9. Dezember 2020 teilte der [X.], für Bau und Heimat namens der Antragsgegnerin dem Antragsteller mit:

Die [X.]regierung ist nach sorgfältiger Abwägung zu der Auffassung gelangt, dass eine Beantwortung der Frage zu den in der Fragestellung erbetenen Informationen nicht - auch nicht in eingestufter Form - erfolgen kann. Gegenstand der Fragen sind solche Informationen, die in besonderem Maße das [X.] berühren. Das verfassungsrechtlich verbürgte Frage- und Informationsrecht des [X.] gegenüber der [X.]regierung wird durch schutzwürdige Interessen - gleichfalls von Verfassungsrang - wie das [X.] begrenzt. Arbeitsmethoden und Vorgehensweisen der Sicherheitsbehörden des [X.] sind im Hinblick auf die künftige Aufgabenerfüllung besonders schutzwürdig. Eine (zur Veröffentlichung bestimmte) Antwort der [X.]regierung auf diese Frage würde spezifische Informationen zur Tätigkeit, insbesondere zur Methodik und den konkreten Fähigkeiten der Sicherheitsbehörden einem nicht eingrenzbaren Personenkreis nicht nur im Inland, sondern auch im Ausland zugänglich machen. Dabei würde die Gefahr entstehen, dass ihre bestehenden oder in der Entwicklung befindlichen operativen Fähigkeiten und Methoden aufgeklärt und damit der [X.] gefährdet würde. Es könnten entsprechende Abwehrstrategien entwickelt werden. Dies könnte einen Nachteil für die wirksame Aufgabenerfüllung der Sicherheitsbehörden und damit für die Interessen der [X.]republik Deutschland bedeuten.

Die erbetenen Auskünfte sind danach geheimhaltungsbedürftig, weil sie Informationen enthalten, die im Zusammenhang mit der Arbeitsweise und Methodik des [X.] ([X.]) und insbesondere dessen Aufklärungsaktivitäten und Analysemethoden stehen.

Insbesondere durch die Auskunft über die Größenordnung des eingesetzten Personals können Rückschlüsse auf die Arbeitsweise des [X.] gezogen werden. Dieses, wenn auch geringfügige, Risiko des Bekanntwerdens im Falle einer eingestuften Beantwortung der Frage kann in keinem Fall hingenommen werden.

Die erbetenen Informationen berühren derart schutzbedürftige Geheimhaltungsinteressen, dass das [X.] gegenüber dem parlamentarischen Informationsrecht überwiegt.

5

3. In einem an die Antragsgegnerin gerichteten Schreiben vom 14. Januar 2021 vertrat der Antragsteller die Auffassung, dass die Beantwortung der Frage unzureichend und die Frage damit insgesamt unbeantwortet geblieben sei. Die Antragsgegnerin reagierte hierauf mit Schreiben vom 1. Februar 2021 unter Wiederholung und Vertiefung ihres bisherigen Vortrags.

6

1. Der Antragsteller hält seinen mit Schriftsatz vom 4. Juni 2021 in der Hauptsache gestellten Antrag für zulässig und begründet. Die Verweigerung der Beantwortung seiner Fragen durch die Antragsgegnerin verkürze sein Frage- und Informationsrecht aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG. Bei der parlamentarischen Kontrolle der Nachrichtendienste des [X.] sei das Informationsinteresse besonders hoch anzusetzen. Die Weigerung der Antragsgegnerin, die gestellten Fragen zu beantworten, sei bereits deswegen verfassungswidrig, weil sie dafür lediglich eine formelhafte, aber keine konkrete Begründung gegeben habe. Die Antragsgegnerin habe zudem nicht ausreichend substantiiert, warum eine Beantwortung der Anfrage in (nach der Geheimschutzordnung) eingestufter Form nicht in Betracht komme. Materiell könne sich die Antragsgegnerin auf keine der in der Rechtsprechung anerkannten Ausnahmen von der [X.] der [X.]regierung berufen. Insbesondere sei eine Gefährdung des Wohls des [X.] durch das Bekanntwerden geheimhaltungsbedürftiger Informationen nicht zu befürchten.

7

2. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung sei geboten. Die nach § 32 [X.] vorzunehmende Abwägung gehe zugunsten des Antragstellers aus. [X.] die einstweilige Anordnung nicht, bliebe der Antragsteller für die gesamte Dauer des Verfahrens in der Hauptsache ohne gesichertes tatsächliches Wissen über den Umfang der Auslandsaktivitäten des [X.]. Auf dieses Wissen sei er aber unbedingt angewiesen, weil der Neuzuschnitt der Organisation und Aufgaben der Nachrichtendienste des [X.] eines der zentralen sicherheitspolitischen Gesetzgebungsverfahren der 20. Wahlperiode sein werde. Die Verfahrensdauer vor dem [X.]verfassungsgericht in vergleichbaren Verfahren über parlamentarische Frage- und Informationsrechte betrage mitunter mehr als fünf Jahre. Problematisch sei dabei das Missverhältnis zu den Handlungs- und Reaktionszyklen des politischen Prozesses. Die mittlere Verweildauer von [X.] im Parlament betrage etwa acht Jahre. Der strukturelle Vorteil der [X.]regierung, der sich daraus ergebe, bestehe in dem Anreiz, parlamentarische Fragen solange nicht zu beantworten, bis das politische Momentum der Geltendmachung der parlamentarischen Verantwortung der Regierung vorüber sei. Wenn daher das [X.]verfahren nicht nur der Klärung des Verfassungsrechts im Sinne einer Aufarbeitung historischer Vorgänge, sondern zugleich dem organschaftlichen Rechtsschutz dienen solle, müsse die Effektivität des Rechtsschutzes durch einstweilige Anordnungen gesichert werden.

8

Relevante Nachteile für die Antragsgegnerin entstünden allenfalls aus der öffentlichen Beantwortung der Frage. Sollte sich später herausstellen, dass die Antragsgegnerin zu ihr nicht verpflichtet sei, wäre die Information nicht mehr aus der Welt zu schaffen. Erfolgte die Beantwortung allerdings nur gegenüber dem Antragsteller, beschränkt auf die absolute Zahl der [X.] und ohne eine darauf gestützte politische Bewertung der Antragsgegnerin, sowie in einer Form, die den Antragsteller nach der Geheimschutzordnung des [X.] zur Geheimhaltung verpflichte, blieben die negativen Folgen einer zu Unrecht ergangenen einstweiligen Anordnung auf ein absolutes Minimum beschränkt. Die Weitergabe der Informationen durch den Antragsteller wäre nach § 353b Abs. 2 Nr. 1 StGB strafbewehrt. Die Antragsgegnerin hätte schon allein dadurch die Gewähr für die Nichtweitergabe der Information durch den Antragsteller. Weitere Nachteile für die Antragsgegnerin seien nicht ersichtlich.

9

1. Nach Auffassung der Antragsgegnerin ist der Hauptsacheantrag jedenfalls unbegründet. Die [X.]regierung habe die Auskunft zur Einsatzstärke des [X.] im Ausland verweigern dürfen und die Verweigerung der Auskunft ebenso wie die [X.] an die Geheimschutzstelle des [X.] ausreichend begründet.

Die Geheimschutzbestimmungen des [X.] ließen die eigene Verantwortung der [X.]regierung für die Wahrung der [X.] unberührt. Entgegen der Einschätzung des Antragstellers bedürften die in Rede stehenden Informationen der besonderen Geheimhaltung. Außerdem sei hinsichtlich der parlamentarischen Kontrolle die Einrichtung des [X.] zu berücksichtigen. Die Frage des Antragstellers habe besondere Fähigkeiten des [X.] in einem bestimmten Aufgabenfeld und bestimmte Formen und Methoden der verdeckten Aufgabenwahrnehmung zum Gegenstand. Die erfragten Kräftestärken ließen in besonderer Weise Rückschlüsse auf die jeweiligen Fähigkeiten und Schwerpunktsetzungen des [X.] zu. Die Antragsgegnerin sei daher berechtigt, die Frage allenfalls im [X.] zu beantworten.

Sie habe die Verweigerung der Antwort auf die erste Teilfrage auch ausreichend begründet. Sie habe dargelegt, warum die Mitteilung der Zahl der [X.] das [X.] berühren würde, und dabei auf die Preisgabe der Arbeitsmethodik des [X.] verwiesen. Die zweite Teilfrage nach der Bewertung der Auslandsaktivitäten sei seitens der Antragsgegnerin ausreichend beantwortet worden.

2. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sei sowohl unzulässig als auch unbegründet. Der Antrag ziele auf eine Rechtsfolge, die über die im Hauptsacheverfahren bewirkbaren Rechtsfolgen hinausgehe. Ferner führte die beantragte einstweilige Anordnung zu einer unzulässigen Vorwegnahme der Hauptsache. Die Antragsschrift enthalte keine substantiierte Darlegung von Umständen, die auch nur ansatzweise eine dies rechtfertigende Sonderkonstellation begründen könnten. Die Ausführungen des Antragstellers beschränkten sich vielmehr auf die Frage der Folgenabwägung. Eine Sonderkonstellation, bei der die endgültige Vereitelung eines organschaftlichen Rechtes drohe, sei nicht ersichtlich.

Eine etwaige Folgenabwägung gehe zugunsten der Antragsgegnerin aus. Bei Ergehen einer einstweiligen Anordnung drohten schwerwiegende und irreparable Beeinträchtigungen für die nachrichtendienstliche Tätigkeit, die ihrerseits dem Schutz besonders gewichtiger Rechtsgüter diene. Informationen über die Arbeitsweise und Funktionsfähigkeit der Nachrichtendienste seien immer besonders sensible Informationen, wenn sie Aufschluss über spezifische Fähigkeiten und Methoden zu bestimmten Aufgabenbereichen gäben, die im gezielten Ausforschungsfokus des nachrichtendienstlichen Gegenübers lägen. Dies sei vorliegend der Fall. Dabei begründe jedwede Ausweitung des [X.]. Eine etwaige Mitteilung der Informationen wäre unumkehrbar. Der Antragsteller habe andere Möglichkeiten, seine Absicht umzusetzen, die Thematik in den weiteren politischen Prozess einzubringen.

Der Antragsteller hat repliziert, dass die Kompetenz nach § 32 [X.], einen Zustand vorläufig zu regeln, bei einem auf einen Feststellungstenor beschränkten [X.]verfahren stets die Befugnis enthalte, über die im Hauptsacheverfahren bewirkbaren Rechtsfolgen hinauszugehen. In diesem Sinne verfahre auch das [X.]verfassungsgericht, indem es den Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht auf "Sonderkonstellationen" beschränke. Die beantragte einstweilige Anordnung nehme auch nicht die Hauptsache vorweg, da sie auf ein anderes Rechtsschutzziel gerichtet sei als der Antrag in der Hauptsache. Bei Letzterem gehe es um die Übernahme politischer Verantwortlichkeit durch die Antragsgegnerin, während der Eilantrag darauf abziele, dem Antragsteller die sachgerechte Ausübung seines Mandats zu ermöglichen.

Die Darlegungen der Antragsgegnerin zu den ihr drohenden Nachteilen im Falle des Erlasses einer einstweiligen Anordnung verstießen gegen das Verbot des Nachschiebens von Gründen. Sie beruhten auf Maßstäben, die hinter dem Stand der Rechtsprechung und der verfassungsrechtlichen Diskussion zur Reichweite parlamentarischer Informationsrechte zurückblieben, und bauten ein Sachverhaltsszenario auf, das allenfalls realistisch wäre, wenn der Antragsteller eine andere Frage gestellt hätte.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist unzulässig.

1. a) Nach § 32 Abs. 1 [X.] kann das [X.]verfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Bei der Prüfung, ob die Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 [X.] gegeben sind, ist wegen der weittragenden Folgen einer einstweiligen Anordnung regelmäßig ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. [X.] 55, 1 <3>; 82, 310 <312>; 94, 166 <216 f.>; 104, 23 <27>; 106, 51 <58>; 132, 195 <232 Rn. 86>; 150, 163 <166 Rn. 10>; 151, 58 <63 Rn. 11>; 155, 357 <373 Rn. 37>). Die Gründe müssen so schwer wiegen, dass sie den Erlass einer einstweiligen Anordnung unabdingbar machen (vgl. [X.] 151, 152 <161 Rn. 24>; stRspr). Im [X.]verfahren ist dabei zu berücksichtigen, dass der Erlass einer einstweiligen Anordnung einen Eingriff des [X.]verfassungsgerichts in die Autonomie eines anderen Verfassungsorgans bedeutet (vgl. [X.] 106, 253 <261>; 108, 34 <41>; 118, 111 <122>; 145, 348 <356 f. Rn. 29>; 150, 163 <166 Rn. 10>). Das Verfahren nach § 32 [X.] ist zudem nicht darauf angelegt, möglichst lückenlosen vorläufigen Rechtsschutz vor dem Eintritt auch endgültiger Folgen zu bieten (vgl. [X.] 94, 166 <216>; 150, 163 <166 Rn. 10>).

b) Zu den Zulässigkeitsanforderungen an einen Antrag nach § 32 Abs. 1 [X.] gehört die substantiierte und nachvollziehbare Darlegung, dass dem Antragsteller für den Fall, dass eine einstweilige Anordnung nicht erlassen wird, ein schwerer Nachteil droht (vgl. [X.] 156, 335 <337 f. Rn. 4>) und deren Erlass daher oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Für eine einstweilige Anordnung ist kein Raum, wenn das [X.]verfassungsgericht die Hauptsache so rechtzeitig zu entscheiden vermag, dass durch diese Entscheidung die schweren Nachteile, denen die einstweilige Anordnung entgegenwirken soll, vermieden werden können. [X.] ist in diesem Sinne der Erlass einer einstweiligen Anordnung nur dann, wenn im Hinblick auf das im Hauptsacheverfahren als verletzt gerügte Recht ein Nachteil droht, der durch ein Obsiegen des Antragstellers im Hauptsacheverfahren nicht mehr verhindert oder rückgängig gemacht werden kann (vgl. [X.] 118, 111 <123>).

2. Die einstweilige Anordnung ist vorläufiger Natur, sie soll einen Zustand vorübergehend regeln, nicht aber die Hauptsache präjudizieren (vgl. [X.] 8, 42 <46>; 15, 219 <221>). Über die in der Hauptsache aufgeworfenen Fragen kann im Verfahren über den Erlass einer einstweiligen Anordnung grundsätzlich nicht entschieden werden (vgl. [X.] 12, 276 <279>; 15, 77 <78>). Ausnahmen von diesem Grundsatz sind nur denkbar, wenn eine Entscheidung in der Hauptsache möglicherweise zu spät käme und dem Antragsteller in anderer Weise ausreichender Rechtsschutz nicht mehr gewährt werden könnte (vgl. [X.] 34, 160 <162 f.>; 46, 160 <163 f.>; 111, 147 <153>; 132, 195 <233 Rn. 88>; 143, 65 <87 f. Rn. 36>; 155, 357 <374 Rn. 38>; [X.], Beschluss des [X.] vom 15. April 2021 - 2 BvR 547/21 -, Rn. 69).

3. Der zulässige Inhalt eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird zudem durch den möglichen Inhalt der Entscheidung in der Hauptsache begrenzt. Ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist daher regelmäßig unzulässig, wenn das [X.]verfassungsgericht eine entsprechende Rechtsfolge im Verfahren der Hauptsache nicht bewirken könnte (vgl. [X.] 7, 99 <105>; 14, 192 <193>; 16, 220 <226>; 151, 58 <64 Rn. 13>). Demgemäß kommt im [X.] der Erlass einer einstweiligen Anordnung, welche die Verpflichtung des Antragsgegners zu einem bestimmten Verhalten zum Gegenstand hat, grundsätzlich nicht in Betracht (vgl. [X.] 151, 58 <64 Rn. 13>; 155, 357 <374 Rn. 38>).

a) Bei dem [X.] handelt es sich um eine kontradiktorische Parteistreitigkeit (vgl. [X.] 126, 55 <67>; 138, 256 <258 f. Rn. 4>; 150, 194 <200 Rn. 18>; 151, 58 <64 Rn. 14>); er dient maßgeblich der gegenseitigen Abgrenzung der Kompetenzen von Verfassungsorganen oder ihren Teilen in einem Verfassungsrechtsverhältnis, nicht hingegen der Kontrolle der objektiven Verfassungsmäßigkeit eines bestimmten Organhandelns (vgl. [X.] 104, 151 <193 f.>; 118, 244 <257>; 126, 55 <67 f.>; 140, 1 <21 Rn. 58>; 150, 194 <200 Rn. 18>; 151, 58 <64 Rn. 14>). Gemäß § 67 Satz 1 [X.] stellt das [X.]verfassungsgericht im [X.] lediglich fest, ob die beanstandete Maßnahme oder Unterlassung gegen eine Bestimmung des Grundgesetzes verstößt. Es obliegt sodann dem jeweiligen St[X.]tsorgan selbst, einen festgestellten verfassungswidrigen Zustand zu beenden (vgl. [X.] 85, 264 <326>; 151, 58 <64 Rn. 14>; 155, 357 <374 Rn. 39>). Kassatorische oder rechtsgestaltende Wirkung kommt der Entscheidung im [X.] nicht zu (vgl. [X.] 136, 277 <301 Rn. 64>; 138, 125 <131 Rn. 19>; 151, 58 <64 f. Rn. 14>; 155, 357 <374 f. Rn. 39>). Für eine über die Feststellung einer Verletzung der Rechte des Antragstellers hinausgehende Verpflichtung des Antragsgegners zu einem bestimmten Verhalten ist im [X.] grundsätzlich kein Raum (vgl. [X.] 124, 161 <188>; 136, 277 <301 Rn. 64>; 151, 58 <65 Rn. 14>; 155, 357 <375 Rn. 39>).

b) [X.]) Dient der [X.] damit allein der Klärung der Rechte der St[X.]tsorgane im Verhältnis zueinander, ist dies bei der Bestimmung des zulässigen Inhalts eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im [X.]verfahren zu beachten. Gegenstand eines solchen Antrags kann allein die vorläufige Sicherung des streitigen organschaftlichen Rechts des Antragstellers sein, damit es nicht im Zeitraum bis zur Entscheidung in der Hauptsache durch die Schaffung vollendeter Tatsachen überspielt wird (vgl. [X.] 89, 38 <44>; 96, 223 <229>; 98, 139 <144>; 108, 34 <41>; 118, 111 <122>; 145, 348 <357 Rn. 29>; 151, 58 <65 Rn. 15>; 155, 357 <375 Rn. 40>).

bb) Dem steht der Einwand des Antragstellers, dass die Befugnis des [X.]verfassungsgerichts zum Erlass einer vorläufigen Regelung im [X.]verfahren begriffsnotwendig die Kompetenz beinhalte, über die in der Hauptsache bewirkbaren Rechtsfolgen hinauszugehen, nicht entgegen. Dies ändert nichts an der Tatsache, dass der Eilrechtsschutz auf eine vorläufige, die endgültige Klärung der Rechtslage offenhaltende Regelung beschränkt ist. In dem auf eine bloße Feststellung gerichteten Verfahren des [X.]s kann ein darüber hinausgehender [X.] nur in Betracht kommen, wenn allein dadurch der Eintritt vollendeter Tatsachen im Sinne einer endgültigen Vereitelung des geltend gemachten Rechts verhindert werden kann. Ist dies nicht der Fall, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung mit einem derartigen Inhalt von vornherein nicht geboten. Soweit der Antragsteller demgegenüber auf die Entscheidung des [X.] des [X.]verfassungsgerichts vom 7. November 2015 ([X.] 140, 225) verweist, lässt er außer Betracht, dass der dort im Rahmen einer einstweiligen Anordnung erfolgte [X.] gerade erging, um eine dauerhafte und irreparable Verletzung des Rechts der Antragstellerin auf gleichberechtigte Teilnahme am politischen Wettbewerb aus Art. 21 Abs. 1 GG zu verhindern (vgl. [X.] 140, 225 <228 Rn. 14>). Dass eine solche, eine Ausnahme von der grundsätzlichen Unzulässigkeit eines [X.]s im [X.]verfahren gebietende Sonderkonstellation gegeben ist, ist vom Antragsteller darzulegen (vgl. [X.] 124, 161 <188>; 155, 357 <375 Rn. 40>).

Nach diesen Maßstäben ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung unzulässig, weil er auf eine Rechtsfolge gerichtet ist, die im [X.]verfahren grundsätzlich nicht erreicht werden kann, und nicht hinreichend dargetan ist, dass deren Anordnung ausnahmsweise geboten ist, um die Vereitelung des geltend gemachten organschaftlichen Rechts zu verhindern (1.). Daneben ergibt sich die Unzulässigkeit des Antrags aus dem Umstand, dass es an einer substantiierten Darlegung der [X.]keit des Erlasses der einstweiligen Anordnung fehlt (2.).

1. Der Antrag bleibt bereits ohne Erfolg, weil der Antragsteller nicht dargelegt hat, dass eine Konstellation vorliegt, die eine Ausnahme von der grundsätzlichen Unzulässigkeit eines die Hauptsache (teilweise) vorwegnehmenden [X.]s im [X.]verfahren gebietet.

a) Der Eilantrag des Antragstellers geht über die Rechtswirkungen hinaus, die bei einem Erfolg in der Hauptsache bewirkt werden könnten. Denn die mit diesem Antrag begehrte Auskunftserteilung an den Antragsteller hat eine unmittelbare Handlungsverpflichtung der Antragsgegnerin zum Gegenstand. In der Hauptsache kann der Antragsteller jedoch nur die Feststellung einer Verletzung des parlamentarischen, aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 und Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG folgenden Frage- und Informationsrechts erreichen. Der Antrag zielt damit nicht nur auf eine teilweise Vorwegnahme der Entscheidung in der Hauptsache, sondern ist auch auf eine Rechtsfolge gerichtet, die das [X.]verfassungsgericht in der Hauptsache nicht bewirken könnte.

Soweit der Antragsteller demgegenüber geltend macht, vorliegend fehle es an einer Vorwegnahme der Hauptsache, weil der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auf die Ermöglichung sachgerechter [X.] und damit auf ein völlig anderes Rechtsschutzziel gerichtet sei als der Antrag in der Hauptsache, bei dem es um die Übernahme politischer Verantwortlichkeit durch die Antragsgegnerin gehe, kann dem nicht gefolgt werden. Ziel des Antragstellers in der Hauptsache ist die - in der Feststellung einer Verletzung seines Frage- und Informationsrechts durch die Nichtbeantwortung einer parlamentarischen Anfrage implizit enthaltene - Feststellung der Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Erteilung der angefragten Auskünfte. Dieses Ziel würde mit der begehrten Verpflichtung der Antragsgegnerin im einstweiligen [X.], dem Antragsteller unter [X.] die Zahl der [X.]innen und -mitarbeiter des [X.] mitzuteilen, zumindest teilweise erreicht. Welche Zwecke der Antragsteller dabei verfolgt und welche Konsequenzen sich daraus ergeben, sind hiervon zu unterscheidende, nachgelagerte Fragen. Die Tatsache, dass der Antragsteller mit dem Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung das von ihm in der Hauptsache angestrebte Ziel teilweise erreichen und deren Ergebnis insoweit vorweggenommen würde, bleibt hiervon unberührt.

b) Dem Sachvortrag des Antragstellers lässt sich nicht entnehmen, dass bei [X.] der von ihm begehrten einstweiligen Anordnung der Eintritt vollendeter Tatsachen im Sinne eines endgültigen Verlusts seines durch Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG geschützten Fragerechts droht.

[X.]) Die Erfüllbarkeit des geltend gemachten Auskunftsbegehrens ist nicht von vornherein zeitgebunden. Grundsätzlich besteht der behauptete Anspruch des Antragstellers auf Beantwortung der von ihm gestellten parlamentarischen Anfrage während der gesamten Dauer seiner Zugehörigkeit zum Deutschen [X.]tag und kann auch noch nach einem eventuellen Obsiegen in der Hauptsache erfüllt werden.

bb) Dass vorliegend etwas Anderes gelten könnte, ist nicht ersichtlich. Dies ergibt sich insbesondere nicht, soweit der Antragsteller auf die Dauer von [X.]verfahren vor dem [X.]verfassungsgericht, das diesbezüglich behauptete Missverhältnis zu den Handlungs- und Reaktionszyklen des politischen Prozesses und die begrenzte Verweildauer von [X.] im Deutschen [X.]tag verweist.

(1) Welche Bedeutung der Behauptung des Antragstellers, vergleichbare [X.]verfahren wiesen mitunter eine mehr als fünfjährige Verfahrensdauer auf, für den vorliegenden Fall zukommen soll, erschließt sich nicht. Der Antragsteller bezieht sich insoweit lediglich auf ein [X.]verfahren, das nicht das parlamentarische Fragerecht aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG, sondern eine Verletzung der Unterrichtungspflichten der [X.]regierung aus Art. 23 Abs. 2 GG zum Gegenstand hatte ([X.], Beschluss des [X.] vom 27. April 2021 - 2 [X.] -). Dies allein vermag eine regelmäßig über fünfjährige Verfahrensdauer von [X.]verfahren, die das parlamentarische Fragerecht betreffen, nicht zu belegen.

(2) Es steht nicht zu erwarten, dass der vorliegende [X.] erst zu einem Zeitpunkt entschieden wird, in dem die Erteilung der begehrten Auskünfte im Falle des Obsiegens nicht mehr möglich wäre. Da der Antragsteller bei der [X.]tagswahl am 26. September 2021 wiedergewählt wurde und dem Deutschen [X.]tag weiterhin angehört, kann davon ausgegangen werden, dass die Entscheidung in der Hauptsache zu einem Zeitpunkt erfolgt, zu dem der in der Sache geltend gemachte Auskunftsanspruch noch erfüllt werden und der Antragsteller die erhaltene Antwort im Rahmen seines Mandats in den politischen Prozess einbringen kann. Ungeachtet der Frage der durchschnittlichen Verweildauer von [X.] im Deutschen [X.]tag besteht vorliegend kein Grund für die Annahme, dass bei [X.] der einstweiligen Anordnung vollendete Tatsachen im Sinne einer endgültigen Vereitelung des vom Antragsteller geltend gemachten Rechts aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG eintreten könnten.

2. Der Antragsteller hat darüber hinaus die dringliche Notwendigkeit des Erlasses der begehrten Anordnung zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund nicht dargelegt.

Insoweit macht der Antragsteller lediglich geltend, dass er auf die begehrten Auskünfte angewiesen sei, weil es sich bei dem Neuzuschnitt der Organisation und der Arbeitsweise der Nachrichtendienste um ein zentrales sicherheitspolitisches Gesetzgebungsvorhaben der 20. Wahlperiode handele. Diese Behauptung wird von ihm aber in keiner Weise belegt. Weder schildert er absehbare Zeitabläufe hinsichtlich des behaupteten Gesetzgebungsverfahrens, noch legt er dar, von welcher Seite eine entsprechende Gesetzesinitiative zu erwarten sei. Schwerwiegende Nachteile durch die Nichtbeantwortung der gestellten parlamentarischen Anfrage mit Blick auf ein parlamentarisches Gesetzgebungsverfahren sind daher gegenwärtig nicht absehbar. Ob etwas Anderes anzunehmen wäre, wenn der Antragsteller auf konkret bevorstehende Initiativen und Zeitpläne zur Novellierung der gesetzlichen Regelungen der Arbeit des [X.] hinweisen könnte, kann dahinstehen. In diesem Fall wäre er nicht gehindert, einen erneuten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu stellen (vgl. [X.] 4, 110 <113>; 91, 83 <91>; 122, 120 <132>; 140, 211 <224 Rn. 22>).

Meta

2 BvE 8/21

26.01.2022

Bundesverfassungsgericht 2. Senat

Ablehnung einstweilige Anordnung

Sachgebiet: BvE

nachgehend BVerfG, 14. Dezember 2022, Az: 2 BvE 8/21, Urteil

Art 38 Abs 1 S 2 GG, § 32 Abs 1 BVerfGG, § 63ff BVerfGG

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Ablehnung einstweilige Anordnung vom 26.01.2022, Az. 2 BvE 8/21 (REWIS RS 2022, 1754)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 1754 BVerfGE 160, 177-191 REWIS RS 2022, 1754

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

2 BvE 2/20 (Bundesverfassungsgericht)

Eilantrag eines AfD-Bundestagsabgeordneten im Organstreitverfahren bzgl der Wahl von Stellvertretern des Bundestagspräsidenten erfolglos (hier: Zulassung …


2 BvE 4/23 (Bundesverfassungsgericht)

Teilweise erfolgreicher Eilantrag im Organstreitverfahren bzgl des Gesetzgebungsverfahrens zur 2. Novelle des Gebäudeenergiegesetzes (GEG – …


2 BvE 8/21 (Bundesverfassungsgericht)

Zur Begrenzung des parlamentarischen Frage- und Informationsrechts (Art 38 Abs 1 S 2) durch Belange …


2 BvE 9/20 (Bundesverfassungsgericht)

Eilantrag der AfD-Bundestagsfraktion im Organstreitverfahren bzgl der Wahl von Stellvertretern des Bundestagspräsidenten erfolglos - Verpflichtung …


2 BvE 10/21 (Bundesverfassungsgericht)

Erfolgloser Eilantrag im Organstreitverfahren bzgl des Verfahrens zur Bestimmung des Vorsitzenden von Ausschüssen des Deutschen …


Referenzen
Wird zitiert von

20 F 9/23

Zitiert

2 BvR 547/21

2 BvE 4/15

2 BvE 5/06

Literatur & Presse BETA

Diese Funktion steht nur angemeldeten Nutzern zur Verfügung.

Anmelden
Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.