BT-Drucksache 16/2605

zu der ersten Beratung des Antrags der Bundesregierung -16/2572- Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der United Nations Interim Force in Lebanon (UNIFIL) auf Grundlage der Resolution 1701 (2006) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 11. August 2006

Vom 18. September 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/2605
16. Wahlperiode 18. 09. 2006

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Monika Knoche, Hüseyin-Kenan Aydin,
Dr. Dietmar Bartsch, Karin Binder, Dr. Lothar Bisky, Heidrun Bluhm, Eva Bulling-
Schröter, Dr. Martina Bunge, Roland Claus, Sevim Dagdelen, Dr. Diether Dehm,
Werner Dreibus, Dr. Dagmar Enkelmann, Klaus Ernst, Diana Golze, Heike Hänsel,
Lutz Heilmann, Hans-Kurt Hill, Cornelia Hirsch, Inge Höger-Neuling, Dr. Barbara
Höll, Ulla Jelpke, Dr. Lukrezia Jochimsen, Dr. Hakki Keskin, Katja Kipping,
Jan Korte, Katrin Kunert, Ulla Lötzer, Dr. Gesine Lötzsch, Ulrich Maurer, Dorothee
Menzner, Kornelia Möller, Kersten Naumann, Wolfgang Neskovic, Dr. Norman
Paech, Petra Pau, Bodo Ramelow, Elke Reinke, Paul Schäfer (Köln), Volker
Schneider (Saarbrücken), Dr. Herbert Schui, Dr. Ilja Seifert, Dr. Petra Sitte,
Frank Spieth, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Axel Troost, Alexander Ulrich,
Jörn Wunderlich, Sabine Zimmermann, Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine
und der Fraktion DIE LINKE.

zu der ersten Beratung des Antrags der Bundesregierung
– Drucksache 16/2572 –

Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der United Nations Interim
Force in Lebanon (UNIFIL) auf Grundlage der Resolution 1701 (2006) des Sicher-
heitsrates der Vereinten Nationen vom 11. August 2006

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Seit dem 14. August 2006 schweigen die Waffen im Krieg zwischen Israel
und den Hisbollah-Milizen im Libanon. Dieser Waffenstillstand ist brüchig.
Er muss stabilisiert und in einen Friedensprozess im Nahen Osten über-
geleitet werden. Es gibt keine positive Alternative zu einer politischen
Lösung des Nahostkonfliktes, die zu zwei sicheren, lebensfähigen, völker-
rechtlich anerkannten Staaten führen muss: Israel und Palästina. Eine politi-

sche Lösung setzt die gleichberechtigte Teilnahme und die Berücksichtigung
der Interessen aller Beteiligten an einem Friedensprozess voraus. Frieden
ohne Gerechtigkeit wird nicht von Dauer sein. Um eines nachhaltigen Frie-
dens willen bedarf es großer Anstrengungen und insbesondere auch Hilfen
der Europäischen Union zur sozialen und ökonomischen Entwicklung dieser
Region. Deutschland, die EU und das Nahost-Quartett haben eine besondere
Verantwortung, dem Friedensprozess neue Impulse zu geben.

Drucksache 16/2605 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

2. Seit Jahrzehnten verschlechtert sich die Lage im Nahen Osten, weil zu we-
nig Initiativen für eine Konfliktlösung ergriffen wurden. Die sog. Road Map
des Nahost- Quartetts, die sowohl von Israel als auch von der palästinen-
sischen Autonomiebehörde akzeptiert wurde, hat nicht zur Gründung eines
palästinensischen Staates, der friedlich an der Seite Israels existiert, geführt.
Die Lage in den palästinensischen Gebieten, insbesondere im Gazastreifen,
hat sich dramatisch verschlechtert. Dazu gehören die Fortsetzung des
Mauer- und Zaunbaus in den besetzten Gebieten, die Ausweitung der Sied-
lungen, die Wirtschaftsblockade, die militärischen Übergriffe sowie gezielte
Tötungen. Die palästinensische Autonomiebehörde ist derzeit kaum mehr
handlungsfähig. Nach den Oslo-Vereinbarungen hat der Friedensprozess
zwischen Israel und Palästina keine Fortschritte gemacht, sondern ist hinter
Oslo zurückgefallen. Der Krieg und die anhaltende Besetzung im Irak und
der Konflikt mit dem Iran spitzen die Lage zusätzlich zu. Auch Probleme
wie z. B. die israelische Besetzung der Golanhöhen und der Shebaa-Farmen
bedürfen dringend einer Lösung. Gewaltsame Aktionen der Hisbollah und
der Hamas, Selbstmordanschläge und Angriffe auf Israel gefährden die Si-
cherheit Israels und seiner Bürgerinnen und Bürger. Eine politische Lösung
des israelisch-palästinensischen Konfliktes wird insgesamt dazu beitragen,
die Situation in der Region zu befrieden. Die Zukunft des Libanon, die Her-
stellung seiner vollen Souveränität, ist Angelegenheit der Libanesen selbst
und muss international unterstützt werden. Die Entwaffnung der Hisbollah
und aller Milizen soll zur Stärkung des libanesischen Staates führen. Dafür
ist ein innerlibanesischer Dialog notwendig, der mit rein zivilen internatio-
nalen Initiativen unterstützt werden sollte. Die weitere Aufrüstung Israels –
auch durch deutsche Waffenlieferungen – ist zu beenden.

3. Der Waffenstillstand auf Basis der UN-Resolution 1701 (2006) bleibt
prekär, auch wenn ihm die Konfliktparteien zugestimmt haben. Ein rascher
Abzug der israelischen Truppen aus dem Süden des Libanon wäre ein Bei-
trag zur Stabilisierung des Waffenstillstandes. Durch den Einsatz einer inter-
nationalen UN-Truppe – so die Resolution 1701 (2006) – soll in Ergänzung
zur geplanten Stationierung von Soldaten der libanesischen Armee im Süd-
libanon der Waffenstillstand stabilisiert werden und schließlich in Verhand-
lungen der Konfliktparteien münden. Dazu ist derzeit weniger die Ausstat-
tung der UNIFIL-Mission mit einem Kampfauftrag nach Kapitel VII der
UN-Charta als vielmehr das politische Einverständnis aller Konfliktparteien
generell zu einer friedlichen Verhandlungslösung notwendig, wie sie in Re-
solution 1701 (2006) auf der Basis der Sicherheitsratsresolutionen 242
(1967) und 338 (1973) angemahnt wird.

4. Die Bundesregierung will, dass sich Deutschland mit Bundeswehrsoldaten
an einer UN-Truppe für den Libanon (UNIFIL) beteiligt. Die Bundesregie-
rung beruft sich dabei auf die Stimmen befreundeter Regierungen und nicht
zuletzt auf den ausdrücklichen Wunsch der israelischen und der libane-
sischen Regierung. Das ist der falsche Weg eines deutschen Beitrags zur not-
wendigen Stabilisierung des Waffenstillstandes.

5. Deutschland hat angesichts seiner historischen Verantwortung für den
Völkermord an den europäischen Juden besondere Pflichten gegenüber
Israel. Diese Verantwortung muss deutsche Politik prägen. Sie schließt das
diplomatische Bemühen um einen palästinensischen Staat ein. Sie kann
nicht auf die Palästinenser verlagert werden. Die deutsche Verantwortung
spricht gegen eine Entsendung deutscher Soldaten als Bestandteil einer in-
ternationalen UN-Friedenstruppe, weil jede ihrer Handlungen von den je-
weils betroffenen Seiten in diesen historischen Zusammenhängen gesehen
würde. Damit würden deutsche Soldaten und Polizisten nicht Teil der Lö-

sung, sondern Teil des Problems. Aktuell würde zusätzlich die Entsendung
deutscher Soldaten in den Nahen Osten die politischen Möglichkeiten unse-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/2605

res Landes, zu einer friedlichen Lösung des Nahostkonfliktes beizutragen,
nicht ausweiten, sondern einschränken. Truppen sollen nur neutrale Staaten
entsenden. Deutschland ist nicht neutral und will es auch nicht sein. Die un-
terschiedlichen Erwartungen der beteiligten Regierungen an deutsche Solda-
ten sprechen ebenfalls gegen eine Truppenbeteiligung Deutschlands.

Notwendig sind neue und weit reichende politische Initiativen. Deutschland
kann und soll helfen, aber nicht militärisch.

II. Der Deutsche Bundestag wolle beschließen:

Kein deutsches militärisches Engagement im Nahen Osten

1. Der Deutsche Bundestag lehnt sowohl die Entsendung deutscher Soldaten in
den Libanon als auch die Entsendung deutscher Seekräfte vor die libanesi-
sche Küste ab.

2. Der Deutsche Bundestag ruft alle Konfliktparteien dazu auf, den Waffen-
stillstand einzuhalten.

III. Der Deutsche Bundestag wolle beschließen:

Politische Alternativen zum militärischen Engagement

1. Humanitäre Hilfe

Den Menschen im Libanon, in Israel und Palästina muss rasch geholfen wer-
den. Deutschland leistet Soforthilfe für den zivilen, humanitären Wiederaufbau
im Libanon. Dazu gehören medizinische Unterstützung und der Einsatz deut-
scher Ärztinnen und Ärzte zur Betreuung von verwundeten und traumatisierten
Opfern des Krieges, Hilfe bei der Minenräumung, Hilfe bei der Bekämpfung
der Öl-Umweltkatastrophe, Hilfe zum Wiederaufbau der zerstörten Infra-
struktur, von Häusern und Wohnungen. Die Bundesregierung stellt der libane-
sischen Regierung Erfahrungen zur Verfügung, die deutsche Diplomaten in
anderen UN-Missionen zur Eingliederung von Bürgerkriegsparteien in das
zivile Leben gesammelt haben. Deutschland hilft bei der Ausbildung von liba-
nesischen Zoll- und Polizeibeamten und ist auch zur vorübergehenden Auf-
nahme von Kriegsflüchtlingen bereit.

Deutschland beteiligt sich ebenfalls an der Hilfe für Bürgerinnen und Bürger
Israels, die zu Opfern des Krieges wurden, zum Beispiel durch die materielle
Unterstützung für den Wiederaufbau von Häusern und Wohnungen. Besondere
Wiederaufbauhilfe wird der Stadt Haifa, die große Zerstörungen erlitten hat,
zur Verfügung gestellt.

2. Hilfe für Palästina wieder aufnehmen

Die Bundesregierung wird aufgefordert, sich in der Europäischen Union dafür
einzusetzen, die materiellen Hilfen für die palästinensische Autonomiebehörde
ohne Einschränkungen sofort wieder aufzunehmen und den in der demokrati-
schen Wahl vom Februar dieses Jahres erklärten Willen der palästinensischen
Bevölkerung anzuerkennen.

Der Deutsche Bundestag appelliert an Hamas und Hisbollah, die entführten
israelischen Soldaten frei zu lassen. Er appelliert an Israel, die inhaftierten
Minister der palästinensischen Autonomiebehörde, den Parlamentspräsidenten,
den Vizepräsidenten und die palästinensischen Abgeordneten frei zu lassen.
Dies wären wichtige Zeichen für einen Beginn des Dialogs als Voraussetzung
für einen Friedensprozess.

Die Bundesregierung wird aufgefordert, die Initiative des palästinensischen

Präsidenten Mahmud Abbas für eine Wiederbelebung von Friedensverhandlun-

Drucksache 16/2605 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

gen zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag ruft die Regierung Israels von
Ministerpräsident Ehud Olmert dazu auf, mit dem palästinensischen Präsiden-
ten Mahmud Abbas ernsthafte bilaterale Verhandlungen über die Gründung ei-
nes palästinensischen Staates aufzunehmen und auf einseitige territoriale Ver-
änderungen und unilaterale Handlungen zu verzichten. Der Deutsche Bundes-
tag fordert die palästinensische Autonomiebehörde unter Ministerpräsident
Ismail Hanija zur Anerkennung Israels und zur Abkehr von Gewalt auf. Dazu
gehört, jeder Form von Angriffen auf Israel entgegenzuwirken. Die Einbezie-
hung der gewählten bzw. zu wählenden palästinensischen Regierung kann in
dieser Art und Weise zu einer Stabilisierung im Nahen Osten beitragen.

3. Deutscher Sonderbotschafter bei der Arabischen Liga

Die Bundesregierung ernennt einen Sonderbotschafter bei der Arabischen Liga.
Er soll die Zusammenarbeit mit der Arabischen Liga und arabischen Staaten
befördern. Das könnte hilfreich sein für die Fragen, die nach dem Waffenstill-
stand, dem Rückzug der israelischen Armee aus dem Süden des Libanon, dem
Vorrücken der libanesischen Armee und dem Ausbau der bestehenden UNIFIL-
Mission auf der Tagesordnung stehen, wie: Gefangenenaustausch, Regelungen
zwischen Israel und des Libanon zu den Shebaa-Farmen sowie zwischen Israel
und Syrien zu den Golanhöhen. Er könnte auch seine Dienste in der Vermitt-
lung zwischen Israel und Palästina zur Errichtung eines lebensfähigen palästi-
nensischen Staates anbieten.

4. Jugendprojekte für israelisch-palästinensische Verständigung auf den Weg
bringen

Deutschland gründet ein Jugendprojekt speziell für die israelisch-palästinen-
sische Verständigung, zusammen mit Jugendlichen aus Europa. Die Wunden,
die der jahrzehntelange Krieg und Bürgerkrieg im Nahen Osten geschlagen hat,
sind tief. Es bedarf besonderer Anstrengungen, damit eine junge Generation
den Hass überwinden und zu Verständnis und Akzeptanz finden kann. Die Er-
fahrungen des deutsch-französischen Jugendaustausches und zivilgesellschaft-
licher israelisch-palästinensischer Projekte sind dafür wertvoll.

5. Ständige Nahostkonferenz in Berlin ähnlich der KSZE

Der Deutsche Bundestag schlägt eine unbefristete internationale Friedenskon-
ferenz, eine Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit im Nahen Osten
(KSZN), vor. Der Deutsche Bundestag lädt die KSZN ein, Berlin als ihren
Konferenzort zu wählen.

Ziele dieser Konferenz, die durch vertrauensbildende Maßnahmen vorbereitet
werden muss, können sein:

● die Anerkennung des Existenzrechts Israels von allen Beteiligten mit völker-
rechtlich verbindlich festgelegten Grenzen;

● die Schaffung eines palästinensischen Staates mit völkerrechtlich verbind-
lichen, von allen Beteiligten anerkannten Grenzen, der wirtschaftliche und
soziale Lebensfähigkeit besitzt;

● die Vereinbarung eines „Marshallplanes“ zur sozialen und ökonomischen
Entwicklung insbesondere des Libanon und Palästinas;

● eine Regelung über die Rechte palästinensischer Flüchtlinge;

● eine Regelung zwischen Israel und Syrien über die strittigen Grenzfragen
und über die Rückgabe der Golanhöhen;

● eine Verständigung über einen Fahrplan zur zügigen Beendigung der Beset-

zung des Irak und

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/2605

● Schritte zur Entmilitarisierung der Nahostregion, Abbau aller Massenver-
nichtungswaffen einschließlich der israelischen Atomwaffen, die Verhinde-
rung einer atomaren Rüstung des Iran und die Vereinbarung gegenseitiger
und internationaler Sicherheitsgarantien für die Länder der Region.

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, als deutschen Bei-
trag zur Demilitarisierung des Nahen Ostens einen sofortigen Stopp eigener
Waffenlieferungen in die Krisenregion vorzunehmen.

Der Deutsche Bundestag schlägt dem Weltsicherheitsrat vor, Gespräche über
eine ständige Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit im Nahen Osten
(KSZN) aufzunehmen und Voraussetzungen zu schaffen, sie stattfinden zu
lassen.

Der Deutsche Bundestag würde es begrüßen, wenn die KSZN von einem
breiten gesellschaftlichen Dialog im Nahen Osten begleitet würde.

Mit dem Angebot Berlins als Ort für eine solche Konferenz wird die besondere
deutsche Verantwortung für eine friedliche Lösung der Nahostkonflikte unter-
strichen.

Berlin, den 18. September 2006

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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