Bundesgerichtshof, Urteil vom 20.12.2011, Az. VI ZR 261/10

6. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 251

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Gegenstand

Persönlichkeitsrechtsverletzende Berichterstattung im Internet: Einordnung der Zugehörigkeit zu einer politischen Vereinigung in die Sozialsphäre


Leitsatz

Zur Einordnung der Zugehörigkeit zu einer politischen Vereinigung in die Sozialsphäre.

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des 10. Zivilsenats des [X.] vom 19. August 2010 wird auf Kosten des [X.] zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger ist geschäftsführender Vorstand des eingetragenen [X.], der in [X.] "Kinderhäuser" sowie "Babyklappen" betreibt. In den 1970er Jahren war der Kläger Leiter der "Kinderkommission" des [X.]es.

2

Ab dem 24. Juli 2009 veröffentlichte die Beklagte auf der von ihr betriebenen Internetseite www.spiegel.de den Artikel "[X.]er Babyklappenstreit - Das lukrative Geschäft mit den Kindern". Dieser befasste sich mit Vorwürfen der [X.]er Sozialbehörde, vom Verein S. über den Verbleib von Findelkindern nicht ausreichend informiert zu werden.

3

In dem Artikel heißt es, das weitgehend unbeachtete Dasein des [X.] habe sich erst 1999 geändert, als der Kläger das Projekt [X.] erfunden habe; plötzlich habe sich auch die High Society der …metropole "für den einstigen Kommunisten M." erwärmt. Nach einer Schilderung von Einzelheiten der Auseinandersetzung zwischen dem Verein und der Sozialbehörde lautet der Artikel weiter: "[X.] ist ein Teil von [X.] Leben. Er und seine Ehefrau [X.] K. gehörten dem [X.] an. M. war für die Umsetzung der "Kinderpolitik" mitverantwortlich, …". 1976 hätten die Eheleute in [X.]-A. das Kinderhaus [X.]-straße gegründet, eine Einrichtung, die von konservativen Kreisen als linker Kinderladen und Kaderschmiede [X.] Sektierer geschmäht worden sei. Die [X.] habe die üblichen Zuschüsse verweigert und sei von einem Gericht zur Nachzahlung für mehrere Jahre verpflichtet worden. Das Geld habe der Kläger zwischen den mittlerweile verfeindeten Vereinsmitgliedern aufgeteilt und S. gegründet.

4

Das [X.] hat die Beklagte antragsgemäß zur Unterlassung der wörtlichen oder sinngemäßen Verbreitung der oben zitierten Textpassagen und zur Freistellung des [X.] von außergerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren verurteilt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht die Klage abgewiesen. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

I.

5

Nach Auffassung des Berufungsgerichts steht dem Kläger ein Unterlassungsanspruch aus § 823 Abs. 1, § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 [X.] nicht zu. Die Äußerungen, der Kläger habe dem [X.] angehört und sei mitverantwortlich für dessen Kinderpolitik gewesen, sowie die Bezeichnung des [X.] als einstiger [X.] stellten wahre Tatsachenbehauptungen dar; soweit es in dem Beitrag heiße, der Kampf sei ein Teil seines Lebens, handele es sich um eine Meinungsäußerung. Diese Äußerungen seien rechtmäßig. Sie beträfen die Sozialsphäre des [X.]. Dieser habe weder substantiiert vorgetragen, dass er nur im Verborgenen gewirkt habe, noch sei dies im Hinblick auf die ausgeübten Funktionen und Aktivitäten nachvollziehbar. Der bloße Zeitablauf ändere an der Einordnung in die Sozialsphäre nichts.

6

Die beanstandeten Äußerungen entfalteten auch keine Prangerwirkung. Durch die Mitteilung seiner früheren Zugehörigkeit zum [X.] drohe dem Kläger weder ein schwerwiegender Verlust an [X.] Achtung noch eine Stigmatisierung. Die beanstandete Berichterstattung befasse sich mit zurückliegenden Vorgängen und erscheine als "Jugendsünde". Ein öffentliches Informationsinteresse an der Schilderung des Werdegangs des [X.] und seiner politischen Sozialisation ergebe sich aus der öffentlichen Diskussion um die von dem Verein S. betriebenen Babyklappen und dessen finanzielles Gebaren.

II.

7

Die Beurteilung des Berufungsgerichts hält revisionsrechtlicher Nachprüfung stand.

8

1. Ohne Erfolg macht die Revision geltend, das Berufungsgericht sei in Bezug auf eine frühere Mitgliedschaft des [X.] im [X.] sowie seine Mitverantwortlichkeit für dessen Kinderpolitik zu Unrecht von der Wahrheit der angegriffenen Tatsachenbehauptungen ausgegangen.

9

a) In dem fraglichen Bericht wurde behauptet, der Kläger und dessen Ehefrau hätten dem [X.] angehört. Diese Behauptung ist schon deshalb wahr, weil der Kläger nach den bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts Leiter der "[X.]" beim [X.] und damit als ihm zugehörig anzusehen war. Es kommt nicht darauf an - worauf die Revision abstellt -, ob der Kläger einen Antrag auf Aufnahme in den [X.] gestellt hatte und förmlich als Mitglied des [X.]es aufgenommen worden war. Ebenfalls kommt es nicht darauf an, ob es sich bei dem - insoweit von der Revision nicht in Frage gestellt - 1976 gegründeten Kinderhaus [X.] um eine Einrichtung des [X.]es handelte.

b) Die Einstufung der Äußerung, die High Society der …metropole habe sich "für den einstigen [X.]en M." erwärmt, als Tatsachenbehauptung greift die Revision nicht ausdrücklich an. Selbst wenn man die Bezeichnung des [X.] als "einstiger [X.]" als politisches Werturteil verstehen würde, das die frühere Gesinnung des [X.] zum Ausdruck bringen will (vgl. [X.], NJW 1992, 2013, 2014), würde dies an dem Wahrheitsgehalt der Aussage nichts ändern. Das Berufungsgericht hat zu Recht darauf verwiesen, dass die Äußerung im vorliegenden Kontext auf die frühere Zugehörigkeit des [X.] zum [X.] Bezug nimmt. Die Formulierung "[X.] ist ein Teil von [X.] Leben", hat das Berufungsgericht zu Recht als Meinungsäußerung angesehen, durch welche die aktuelle Auseinandersetzung zwischen dem Kläger als Verantwortlichem des [X.] und der Sozialbehörde gleichsam auf diese (gesellschafts-)politische Grundhaltung zurückgeführt wird.

2. Die Revision wendet sich auch ohne Erfolg gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, der Kläger sei durch die angegriffene Berichterstattung nicht in rechtswidriger Weise in seinem Persönlichkeitsrecht verletzt, weswegen ihm kein Unterlassungsanspruch gemäß § 823 Abs. 1 BGB, § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 [X.] gegen die Beklagte zustehe.

a) Zutreffend hat es das Berufungsgericht für geboten erachtet, über den Unterlassungsantrag aufgrund einer Abwägung des Rechts des [X.] auf Schutz seiner Persönlichkeit und Achtung seines Privatlebens aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 [X.], Art. 8 Abs. 1 [X.] und dem in Art. 5 Abs. 1 [X.], Art. 10 Abs. 1 [X.] verankerten Recht der Beklagten auf freie Meinungsäußerung zu entscheiden. Denn wegen der Eigenart des Persönlichkeitsrechts als eines Rahmenrechts liegt seine Reichweite nicht absolut fest, sondern muss erst durch eine Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Belange bestimmt werden, bei der die besonderen Umstände des Einzelfalls sowie die betroffenen Grundrechte und Gewährleistungen der [X.] interpretationsleitend zu berücksichtigen sind (vgl. [X.]E 99, 185, 196 - Scientology; 101, 361, 388 - [X.]; 114, 339, 348 - [X.]; 120, 180, 199 ff. - [X.]; [X.], [X.], 480 Rn. 61; Senatsurteile vom 9. Dezember 2003 - [X.], [X.], 522, 523 mwN; vom 11. März 2008 - [X.], [X.], 695 Rn. 13 und - [X.], [X.], 793 Rn. 12 - [X.]; vom 3. Februar 2009 - [X.], [X.], 555 Rn. 17; vom 22. September 2009 - [X.], [X.], 1545 Rn. 16; vom 20. April 2010 - [X.], [X.], 2728 Rn. 12; [X.], [X.], 251, 252). Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ist nur dann rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt (vgl. Senatsurteile vom 21. Juni 2005 - [X.], [X.], 1403, 1404; vom 17. November 2009 - [X.], [X.], 220 Rn. 21 f. mwN; vom 15. Dezember 2009 - [X.], [X.], 353 Rn. 11 - Onlinearchiv I; vom 9. Februar 2010 - [X.], [X.], 673 Rn. 14 - Onlinearchiv II; vom 20. April 2010 - [X.], aaO).

b) Das Berufungsgericht hat auch zutreffend erkannt, dass als Abwägungskriterium auf Seiten des Persönlichkeitsschutzes die abgestufte Schutzwürdigkeit bestimmter Sphären, in denen sich die Persönlichkeit verwirklicht, zu berücksichtigen ist (vgl. Senatsurteile vom 23. Juni 2009 - [X.], [X.], 328 Rn. 30; vom 10. März 1987 - [X.], [X.], 778, 779 - [X.]; vom 13. November 1990 - [X.], [X.], 433, 434). Danach genießen besonders hohen Schutz die so genannten sensitiven Daten, die der [X.] und Geheimsphäre zuzuordnen sind. Geschützt ist aber auch das Recht auf Selbstbestimmung bei der [X.], die lediglich zur Sozial- und Privatsphäre gehören (vgl. Senatsurteil vom 23. Juni 2009 - [X.], aaO; [X.]E 65, 1, 41 ff. - Volkszählung; 78, 77, 84).

Äußerungen im Rahmen der Sozialsphäre dürfen nur im Falle schwerwiegender Auswirkungen auf das Persönlichkeitsrecht mit negativen Sanktionen verknüpft werden, so etwa dann, wenn eine Stigmatisierung, [X.] Ausgrenzung oder Prangerwirkung zu besorgen sind (vgl. Senatsurteile vom 23. Juni 2009 - [X.], aaO, vom 17. November 2009 - [X.], aaO, Rn. 21; [X.], [X.], 1194 Rn. 25). Bei der vom Kläger in Anspruch genommenen Privatsphäre ist als Schutzgut des allgemeinen Persönlichkeitsrechts u.a. das Recht auf Selbstbestimmung bei der [X.] anerkannt. Dieses Recht stellt sich als die Befugnis des Einzelnen dar, grundsätzlich selbst darüber zu entscheiden, ob, wann und innerhalb welcher Grenzen seine persönlichen Daten bzw. Lebenssachverhalte in die Öffentlichkeit gebracht werden (vgl. [X.]E 65, 1, 41 ff. - Volkszählung; 72, 155, 170; 78, 77, 84; 80, 367, 373). Auch dieses Recht ist aber nicht schrankenlos gewährleistet. Der Einzelne hat keine absolute, uneingeschränkte Herrschaft über "seine" Daten; denn er entfaltet seine Persönlichkeit innerhalb der [X.]n [X.]. In dieser stellt die Information, auch soweit sie personenbezogen ist, einen Teil der [X.]n Realität dar, der nicht ausschließlich dem Betroffenen allein zugeordnet werden kann. Vielmehr ist über die Spannungslage zwischen Individuum und [X.] im Sinne der [X.]sbezogenheit und -gebundenheit der Person zu entscheiden. Deshalb muss der Einzelne grundsätzlich Einschränkungen seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung hinnehmen, wenn und soweit solche Beschränkungen von hinreichenden Gründen des Gemeinwohls getragen werden und bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze des Zumutbaren noch gewahrt ist (vgl. [X.]E 65, 1, 43 ff. - Volkszählung; 78, 77, 85 ff.; Senatsurteile vom 13. November 1990 - [X.], aaO; vom 9. Dezember 2003 - [X.], aaO, 524; vom 23. Juni 2009 - [X.], aaO, Rn. 30).

c) Im Streitfall sind die beanstandeten Äußerungen entgegen der Auffassung der Revision der Sozialsphäre des [X.] und nicht seiner Privatsphäre zuzuordnen.

aa) Die Sozialsphäre betrifft den Bereich, in dem sich die persönliche Entfaltung von vornherein im Kontakt mit der Umwelt vollzieht, so insbesondere das berufliche und politische Wirken des Individuums (vgl. [X.], NJW 2003, 1109, 1110; Senatsurteile vom 20. Januar 1981 - [X.], [X.], 25, 35 - [X.]; vom 7. Dezember 2004 - [X.], [X.], 266, 268; vom 24. Juni 2008 - [X.], [X.], 119 Rn. 17 ff.; vom 21. November 2006 - [X.], [X.], 511 Rn. 12; vom 17. November 2009 - [X.], aaO, Rn. 21; [X.], Urteil vom 10. November 1994 - [X.], [X.], 404, 407 - Dubioses Geschäftsgebaren). Demgegenüber umfasst die Privatsphäre sowohl in räumlicher als auch in thematischer Hinsicht den Bereich, zu dem andere grundsätzlich nur Zugang haben, soweit er ihnen gestattet wird; dies betrifft in thematischer Hinsicht Angelegenheiten, die wegen ihres [X.] typischerweise als "privat" eingestuft werden, etwa weil ihre öffentliche Erörterung als unschicklich gilt, das Bekanntwerden als peinlich empfunden wird oder nachteilige Reaktionen in der Umwelt auslöst (vgl. [X.]E 101, 361, 382 - [X.]; [X.], [X.], 2193; [X.], 2194, 2195; Senatsurteile vom 26. Januar 1965 - [X.], [X.] 1965, 411, 413 - [X.]; vom 19. Dezember 1978 - [X.], [X.]Z 73, 120, 122 - Telefongespräch; vom 20. Januar 1981 - [X.], [X.], 384, 385 - [X.]I; vom 10. März 1987 - [X.], aaO - [X.]; vom 9. Dezember 2003 - [X.], aaO, 523 f.; Wanckel in Götting/[X.]/[X.], Handbuch des Persönlichkeitsrechts, 2008, § 19 Rn. 5 ff.; [X.]/[X.], Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 5. Aufl., [X.]. 5 Rn. 54 ff.). Der Schutz der Privatsphäre vor öffentlicher Kenntnisnahme kann dort entfallen oder zumindest im Rahmen der Abwägung zurücktreten, wo sich der Betroffene selbst damit einverstanden gezeigt hat, dass bestimmte, gewöhnlich als privat geltende Angelegenheiten öffentlich gemacht werden; denn niemand kann sich auf ein Recht zur Privatheit hinsichtlich solcher Tatsachen berufen, die er selbst der Öffentlichkeit preisgegeben hat (vgl. [X.]E 101, 361, 385 - [X.]; Senatsurteile vom 9. Dezember 2003 - [X.], aaO, 524 und - [X.], [X.], 525, 526; vom 19. Oktober 2004 - [X.], [X.], 84, 85; vom 5. Dezember 2006 - [X.], [X.], 249 Rn. 21).

bb) Nach diesen Grundsätzen unterfällt die beanstandete Berichterstattung, insbesondere ihre zentrale Aussage der Zugehörigkeit des [X.] zum [X.], der Sozialsphäre.

(1) Dem Beitritt zu einem Verein, einer politischen Partei oder einer anderen (etwa politischen oder religiösen) Gruppierung kommt ebenso wie dem bloßen Bestehen einer Mitgliedschaft in einer solchen Vereinigung grundsätzlich keine Publizität zu. Vielmehr beschränkt sich die Möglichkeit der Kenntnisnahme von den Daten eines Mitglieds auf die Mitgliederverwaltung (so CDU-Bundesparteigericht, NVwZ 1993, 1127, 1128) und nach verbreiteter Ansicht auf die übrigen Mitglieder (vgl. [X.], Beschluss vom 18. Februar 1991 - 1 BvR 185/91, juris Rn. 3; [X.], Beschlüsse vom 21. Juni 2010 - [X.], [X.], 2360 Rn. 4 ff. und vom 25. Oktober 2010 - [X.], [X.], 2399; [X.], Urteil vom 15. November 1990 - 19 U 3483[X.] Rn. 6 ff.; [X.], Beschluss vom 5. Oktober 1998 - 21 [X.], 21 CE 98.2707, juris Rn. 13; [X.], [X.] 2008, 677 f.; [X.], [X.] 2010, 317 f.; [X.], [X.], 140; [X.]/[X.], [X.], Art. 21 Rn. 330 (Stand: März 2001); [X.], Handbuch Vereins- und [X.], 12. Aufl., Rn. 2757; [X.]/[X.] in [X.]/[X.]/[X.], Der eingetragene Verein, 19. Aufl., Rn. 336). Soweit ein Mitglied lediglich eine passive Zugehörigkeit anstrebt und sich nach außen hin nicht offen zur Mitgliedschaft bekennen will, ist dies zu respektieren (vgl. CDU-Bundesparteigericht, aaO; [X.]/[X.], aaO); denn zu der in Art. 9 Abs. 1 [X.] grundrechtlich verbürgten Vereinsfreiheit gehört auch die freie Entscheidung, ob die Mitglieder als solche in die Öffentlichkeit treten wollen, ebenso wie das Mitglied seine Vereinszugehörigkeit verschweigen darf (vgl. [X.] in [X.]/[X.], aaO). Dementsprechend ist die Mitgliedschaft in einer weltanschaulich-religiösen [X.] jedenfalls dann der Privatsphäre zugeordnet worden, wenn der Betroffene mit seiner Mitgliedschaft und den Lehren der Vereinigung nicht von sich aus in die Öffentlichkeit getreten ist (vgl. [X.], NJW 1990, 1980; NJW 1997, 2669, 2670).

(2) Der Kläger hat geltend gemacht, er sei im Zusammenhang mit dem [X.] nicht öffentlich hervorgetreten und habe nur im Verborgenen gewirkt; niemand habe damals seinen Beitritt zum [X.] öffentlich kundgetan und die Aktivitäten der [X.] hätten sich aus Furcht vor dem [X.] nicht im öffentlichen Raum vollzogen. Im Streitfall ergibt sich aber die Zuordnung zur Sozialsphäre daraus, dass der Kläger als Leiter der [X.] des [X.]es fungierte. Diese Funktion ist in einer politischen Gruppierung, die naturgemäß darauf ausgerichtet ist, ihre Ziele im politischen Raum durchzusetzen und Anhänger für ihre Überzeugung zu gewinnen, notwendigerweise auf Außenwirkung angelegt. Es reicht mithin für die Zuordnung zur Sozialsphäre aus, dass der Kläger aufgrund seiner Funktion für die Kinderpolitik des [X.]es mitverantwortlich war, ohne dass es darauf ankommt, ob er selbst öffentlichkeitswirksam aufgetreten ist. Die Bewertungen des [X.] als [X.] knüpfen an seine Stellung als Leiter der [X.] im [X.] an, welche er in den 1970er Jahren inne hatte, in denen er mit seiner Frau auch das in dem Bericht angesprochene Kinderhaus [X.] gegründet hatte.

d) Der Eingriff in die Sozialsphäre des [X.] durch die beanstandete Berichterstattung ist nicht rechtswidrig, weil sein Schutzinteresse die schutzwürdigen Belange der Beklagten nicht überwiegt. Dies ergibt die gebotene Abwägung zwischen dem nach Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 [X.] verfassungsrechtlich geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrecht des [X.] und dem gemäß Art. 5 Abs. 1 [X.] ebenfalls Verfassungsrang genießenden Recht der Beklagten auf Äußerungs- und Pressefreiheit. Danach muss der Einzelne grundsätzlich Einschränkungen seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung hinnehmen, wenn und soweit solche Beschränkungen von hinreichenden Gründen des Gemeinwohls getragen werden und bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze des Zumutbaren noch gewahrt ist (vgl. [X.]E 65, 1, 43 ff. - Volkszählung; 78, 77, 85 ff.; Senatsurteile vom 13. November 1990 - [X.], aaO; vom 9. Dezember 2003 - [X.], aaO, 524; vom 23. Juni 2009 - [X.], aaO). Wahre Aussagen müssen in der Regel hingenommen werden, auch wenn sie nachteilig für den Betroffenen sind. Auch bei wahren Aussagen können zwar ausnahmsweise Persönlichkeitsbelange überwiegen und die Meinungsfreiheit in den Hintergrund drängen. Äußerungen im Rahmen der Sozialsphäre dürfen aber nur im Falle schwerwiegender Auswirkungen auf das Persönlichkeitsrecht mit negativen Sanktionen verknüpft werden, so etwa dann, wenn eine Stigmatisierung, [X.] Ausgrenzung oder Prangerwirkung zu besorgen sind (vgl. Senatsurteile vom 23. Juni 2009 - [X.], aaO; vom 17. November 2009 - [X.], aaO, Rn. 21; [X.], [X.], 1194 Rn. 25).

Aktueller Berichterstattungsanlass für den streitgegenständlichen Internetartikel waren Vorwürfe der [X.], vom Verein über den Verbleib von Findelkindern nicht ausreichend informiert zu werden. In diesem Zusammenhang wurde darüber berichtet, dass der Kläger früher dem [X.] angehörte, für dessen Kinderpolitik mitverantwortlich gewesen sei und 1976 zusammen mit seiner Ehefrau in [X.] das Kinderhaus [X.] gegründet habe, eine Einrichtung, die von konservativen Kreisen als linker Kinderladen und Kaderschmiede [X.] Sektierer geschmäht worden sei. Auch wenn diese Vorgänge längere Zeit zurückliegen, ist insoweit ein berechtigtes Informationsinteresse der Öffentlichkeit im Gesamtkontext des Artikels gegeben. In diesem wird nämlich auch darüber berichtet, dass der Verein S. rund tausend Kinder, überwiegend in Villen in bester Lage, betreut und sich nach Erfindung des Projekts "Findelbaby" auch die High Society der [X.] für den einstigen [X.]en M. erwärmt habe. In diesem Zusammenhang ist der Werdegang des [X.], insbesondere auch seine frühere Mitverantwortlichkeit für die Kinderpolitik des [X.]es von öffentlichem Interesse, die in dem Artikel seinem heutigen Wirken in der Kinderbetreuung in von dem Verein S. erworbenen Villen in bester Lage gegenüber gestellt wird.

Gegenüber dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit muss der Persönlichkeitsschutz des [X.] zurücktreten. Er hat keine schwerwiegenden Auswirkungen auf sein Persönlichkeitsrecht oder ihm entstandene konkrete Nachteile beruflicher Art vorgetragen, die durch die Berichterstattung entstanden wären. Alleine der Umstand, dass er wegen der [X.] möglicherweise im Hinblick auf seine [X.] Vergangenheit [X.] ausgesetzt sein und Nachteile beruflicher Art erleiden kann, ist nicht so schwerwiegend, dass er die Äußerungs- und Pressefreiheit der Beklagten in den Hintergrund drängen könnte, zumal aus dem Artikel hervorgeht, dass die Zugehörigkeit zum [X.] lange zurückliegt. Eine Stigmatisierung, [X.] Ausgrenzung oder Prangerwirkung sind wegen des Hinweises auf die Vergangenheit des [X.] nicht zu besorgen.

3. [X.] beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Galke                                                     Zoll                                             Wellner

                           [X.]                                        [X.]

Meta

VI ZR 261/10

20.12.2011

Bundesgerichtshof 6. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend KG Berlin, 19. August 2010, Az: 10 U 6/10, Urteil

§ 823 Abs 1 BGB, § 1004 Abs 1 S 2 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 20.12.2011, Az. VI ZR 261/10 (REWIS RS 2011, 251)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 251

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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