Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 22.06.2018, Az. 1 BvR 2083/15

1. Senat 3. Kammer | REWIS RS 2018, 7322

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

STRAFRECHT BUNDESVERFASSUNGSGERICHT (BVERFG) MEINUNGSFREIHEIT GRUNDRECHTE RECHTSEXTREMISMUS NATIONALSOZIALISMUS VOLKSVERHETZUNG

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Gegenstand

Stattgebender Kammerbeschluss: Zu den Anforderungen an die Eignung einer Äußerung zur Störung des öffentlichen Friedens iSd § 130 StGB (Volksverhetzung) - Allgemeinheitserfordernis des Art 5 Abs 2 GG gilt nicht für § 130 Abs 3 StGB - hier: Verletzung der Meinungsfreiheit (Art 5 Abs 1 S 1 GG) durch Verurteilung wegen Verharmlosung der nationalsozialistischen Verbrechen (§ 130 Abs 3 Alt 3, Abs 5 StGB) ohne hinreichende Begründung des Vorliegens einer Störung des öffentlichen Friedens - Gegenstandswertfestsetzung


Tenor

1. Das Urteil des [X.] vom 12. März 2015 - 03 Ns-40 Js 81/13-178/14 - und der Beschluss des [X.] vom 21. Juli 2015 - [X.] RVs 76/15 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes.

2. Die Entscheidungen werden aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Landgericht Paderborn zurückverwiesen.

3. Das [X.] hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.

4. [X.] wird auf 25.000 € (in Worten: fünfundzwanzigtausend Euro) festgesetzt.

Gründe

1

Der Beschwerdeführer [X.]det sich mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen strafgerichtliche Entscheidungen. Er wurde im Zusammenhang mit einem auf seinem [X.]-Kanal und seiner Internetseite veröffentlichten gesprochenen Textbeitrag wegen Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 3 Alternative 3, Abs. 5 StGB verurteilt.

2

1. Der Beschwerdeführer, der die Internetpräsenz "[X.]" betrieb, veröffentlichte am 10. Oktober 2012 auf seiner Internetseite und auf dem gleichnamigen [X.] eine Audiodatei mit dem Titel "[X.] spricht: Falsch Zeugnis". Darin kritisiert [X.] - der auf den Seiten des "[X.]" als "ständiger Gastmoderator" bezeichnet wurde - zunächst die (erste) "[X.]", die vor einigen Jahren in [X.] an verschiedenen Orten gezeigt wurde, wegen der teilweise unrichtig dargestellten Fotos von Soldaten der [X.]. Es ist die Rede von Fälschungen und Manipulationen der Ausstellungsverantwortlichen, die "der eigenen Eltern- und Großelterngeneration Ehre und Anstand" nähmen. Im [X.] heißt es unter anderem:

"Leider ermittelt da kein Staatsanwalt wegen Volksverhetzung. [X.] sich [X.] ein reines öffentliches Gewissen erlügen für seine ererbten [X.], die aus Sucht, Elend, Krankheit und Tod von Tausenden Menschen zusammengerafft wurden. Oder zeigt er nur das folgerichtige Symptom von 70 Jahren gegen [X.] und die [X.] gerichteter Lügenpropaganda der alliierten Siegermächte. Ist er [X.] und Erfüllungsgehilfe geworden? Lügenpropaganda über wahre [X.], -ursachen und [X.]streiber, über Verbrechen, über Völkermord und Vertreibung durch [X.], wann und wo. Es kommen von [X.] ans Licht, aber es wird nicht darüber gesprochen.

Die historischen Wahrheiten werden verfolgt, als Revisionismus diskreditiert oder als [X.]leugnung und Relativierung von Nazi-Verbrechen mit Kerker bestraft. Ist es deshalb, weil wir unsere Staatsdoktrin gegründet haben als Gegenentwurf zu [X.], dem Vergasen in [X.], [X.], [X.], Erzählungen eines [X.] oder dem Tagebuch der [X.]? Wird deshalb nicht über die schon vor zehn Jahren nachgewiesene 4-Millionen-Lüge von [X.] gesprochen, weil [X.] und [X.] sie zur Begründung des [X.] haben aufleben lassen und gebraucht haben, die [X.] wieder in den [X.] zu führen? Liegt es an den 25.000 Dollar, die [X.] pro Auftritt bekommt, [X.]n er von dem furchtbaren Leben im [X.] erzählt, jedoch nicht erklären kann, warum er und Tausende [X.]-Insassen freiwillig mit der satanischen [X.] mitgegangen sind? Freiwillig heim ins [X.], ins nächste [X.] - nach [X.].

[X.] die angeblichen Zeugen nicht belangt werden sollen, die vor Gerichten gelogen und Meineid geschworen haben, [X.]n sie wohlfeil behaupteten, es wären auf [X.] Boden, ob in [X.], [X.] oder [X.] Häftlinge vergast worden? Genau das Gegenteil hat der [X.] Chefermittler von [X.] schon Ende der vierziger Jahre verbindlich festgestellt und spätestens 1960 der Historiker [X.]. Warum hat ein Pastor [X.] erbärmlich gelogen mit der Behauptung, in [X.] wären über 200.000 [X.] vergast worden."

3

2. Das Amtsgericht verurteilte den Beschwerdeführer am 9. Oktober 2014 wegen Volksverhetzung zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen in Höhe von je 30 €. Er habe sich durch das öffentliche Zugänglichmachen und Verbreiten der Audiodatei über seine Internetpräsenz wegen Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 3, Abs. 5 StGB schuldig gemacht.

4

3. Das [X.] verwarf die Berufung des Beschwerdeführers mit Urteil vom 12. März 2015 mit der Maßgabe, dass er wegen Volksverhetzung zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 30 € verurteilt wurde. Zur Begründung führte das [X.] insbesondere Folgendes aus: Durch die kommentarlose Einstellung der oben genannten Rede des [X.] als Audiodatei vor dem Hintergrundbild "Netz Radio Germania - Volksaufklärung jetzt auch per Fern- und Funksprecher" auf der [X.] seiner eigenen Internetseite habe sich der Beschwerdeführer die Aussagen des [X.] zu eigen gemacht und durch die zitierten Formulierungen den Völkermord in den genannten Vernichtungs- und Konzentrationslagern verharmlost.

5

Die vertonten Äußerungen des Zeugen [X.] bezögen sich, dafür stehe schon das Synonym "[X.]", auf unter der [X.] begangene Handlungen der in § 6 Abs. 1 VStGB bezeichneten Art. Diese Äußerungen seien zudem durch das Einstellen auf der Internetplattform [X.] öffentlich getätigt worden. Der gesprochene Text beinhalte zudem eine Verharmlosung des [X.]. Ein Verharmlosen liege vor, [X.]n der Äußernde die Anknüpfungstatsachen für die Tatsächlichkeit der [X.] herunterspiele, beschönige oder in ihrem wahren Gewicht verschleiere. Nicht erforderlich sei das Bestreiten des [X.] als historisches Gesamtgeschehen; es genüge ein "Herunterrechnen der Opferzahlen" und sonstige Formen des Relativierens oder [X.] seines Unrechtsgehaltes. Ein solches Relativieren und [X.] liege hier vor. Das [X.] und [X.] sowohl im Konzentrationslager [X.] als auch in den [X.] Konzentrationslagern [X.], [X.] und [X.] sei eine geschichtliche Tatsache. Demgegenüber gehe die Aussage der einschlägigen Textpassagen der Rede des Zeugen [X.] erkennbar dahin, dass es nicht in dem geschichtlich anerkannten Umfang zu dem Massenmord in [X.] und anderswo gekommen sei. Vielmehr werde durch den mehrfachen Gebrauch der Begriffe Lügen, Propaganda und Lügenpropaganda suggeriert, dass die Zahl der Opfer in so erheblicher Weise nach unten korrigiert werden müsse, dass es in diesem Zusammenhang als angebracht erscheine, der bisherigen Geschichtsschreibung bewusst betriebene einseitige Kollektivschuldzuweisung gegenüber dem [X.] Volk und den Gebrauch von Lügen zu bescheinigen. Der Kontext der vertonten Rede zeige ein umfassendes Herunterspielen der Opferzahlen durch den Verfasser [X.], nicht nur ein zahlenmäßiges Infragestellen im Randbereich der geschichtlich feststehenden Größenordnung, zumal diese Zahlen von ihm nicht genannt würden. Im Vordergrund des gesamten gesprochenen Textes stehe das Anprangern angeblicher Lügen im Zusammenhang mit den Gräueltaten der [X.]. So würden nicht nur die Opferzahlen infrage gestellt, sondern auch Belege wie die Erzählungen eines [X.] oder das Tagebuch der [X.] als vermeintlich falsche geschichtliche Tatsache entlarvt. Zeitzeugen würden als Lügner bezeichnet, [X.]n [X.] äußere: "[X.] die angeblichen Zeugen nicht belangt werden sollen, die vor Gerichten gelogen und Meineide geschworen haben, [X.]n sie behaupten, es wären auf [X.] Boden, ob in [X.], [X.] oder [X.] Häftlinge vergast worden?". Dem Zuhörer werde hierdurch suggeriert, dass es auf [X.] Boden nicht zu Gräueltaten gegen Häftlinge in den vorgenannten Lagern gekommen sei. Denn der Artikel setze sich mit keinem Wort damit auseinander, dass - [X.]n es dort auch nicht zu Vergasungen gekommen sei - dennoch Tausende von Menschen aufgrund anderer Umstände, wie etwa den menschenunwürdigen Lebensbedingungen, Hunger oder Erschöpfung den Tod gefunden hätten. [X.] erwecke den Eindruck, dass eine zutreffende Beurteilung der Verbrechen durch bewusst betriebene Lügenpropaganda unterbunden werde. Dies impliziere die Aussage, dass die bisherigen als gesichert geltenden Erkenntnisse über Anzahl und Schicksal der Opfer im Konzentrationslager [X.] oder in anderen von den [X.] Machthabern unterhaltenen Konzentrations- und Arbeitslagern das Ergebnis einer bewussten und gewollten Geschichtsfälschung seien, deren Richtigstellung zu einer entscheidend günstigeren Beurteilung [X.] Unrechtstaten führen würde.

6

Die vertonte Rede des Zeugen [X.] sei auch geeignet gewesen, den öffentlichen Frieden zu stören. [X.] sei der öffentliche Frieden unter anderem dann, [X.]n das Vertrauen der Bevölkerung in die öffentliche Rechtssicherheit erschüttert werde und die Äußerung auf die Betroffenen als Ausdruck unerträglicher Missachtung wirke. Der vertonte Artikel ebenso wie der gesamte Internetauftritt des "[X.]" richteten sich an ein für eine Verhetzung potenziell aufnahmebereites Publikum. Wie sich aus der in der mündlichen Verhandlung in Augenschein genommenen Internetpräsenz ergebe, sei offensichtlich, dass sich die Internetseite "[X.]" an ein Publikum am äußeren rechten Rand des politischen Spektrums richte. Durch die vertonte Rede sei eine Gefahrenquelle geschaffen worden, die insbesondere bei der zum Tatzeitpunkt und auch noch aktuellen politischen Lage geeignet gewesen sei, das Miteinander zwischen [X.] und anderen in [X.] lebenden Bevölkerungsgruppen empfindlich zu stören und deren Vertrauen auf Rechtssicherheit zu beeinträchtigen.

7

4. Mit Beschluss vom 21. Juli 2015 verwarf das [X.] die Revision des Beschwerdeführers als unbegründet, da die Nachprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Beschwerdeführers ergeben habe.

8

5. Mit seiner Verfassungsbeschwerde [X.]det sich der Beschwerdeführer gegen die Entscheidungen des [X.]s und des [X.]s und rügt sinngemäß - unter anderem - die Verletzung seiner Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.

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6. Dem [X.] wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Die Akten des Ausgangsverfahrens lagen dem [X.] vor.

1. Soweit der Beschwerdeführer rügt, durch das angegriffene Urteil des [X.]s und den angegriffenen Beschluss des [X.]s in seinen Rechten aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG verletzt zu sein, nimmt die Kammer die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 [X.] genannten Rechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b [X.]).

Das Urteil des [X.]s und der Beschluss des [X.]s verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 GG.

a) Maßstab ist die Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.

aa) Gegenstand des Schutzbereichs des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG sind Meinungen, das heißt durch das Element der Stellungnahme und des [X.] geprägte Äußerungen (vgl. [X.] 7, 198 <210>; 61, 1 <8>; 90, 241 <247>). Sie fallen stets in den Schutzbereich von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG, ohne dass es dabei darauf ankäme, ob sie sich als wahr oder unwahr erweisen, ob sie begründet oder grundlos, emotional oder rational sind, als wertvoll oder wertlos, gefährlich oder harmlos eingeschätzt werden (vgl. [X.] 90, 241 <247>; 124, 300 <320>).

Neben Meinungen sind vom Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG auch [X.] umfasst, da und soweit sie Voraussetzung für die Bildung von Meinungen sind beziehungsweise sein können (vgl. [X.] 61, 1 <8>; 90, 241 <247>). Nicht mehr in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG fallen hingegen bewusst oder erwiesen unwahre Tatsachenbehauptungen, da sie zu der verfassungsrechtlich gewährleisteten Meinungsbildung nichts beitragen können (vgl. [X.] 61, 1 <8>; 90, 241 <247>).

bb) Das Grundrecht der Meinungsfreiheit ist allerdings nicht vorbehaltlos gewährleistet. Nach Art. 5 Abs. 2 GG unterliegt es insbesondere den Schranken, die sich aus den allgemeinen Gesetzen ergeben. Eingriffe in die Meinungsfreiheit müssen danach formell auf ein allgemeines, nicht gegen eine bestimmte Meinung gerichtetes Gesetz gestützt sein, und materiell in Blick auf die Meinungsfreiheit als für die [X.] Ordnung grundlegendes Kommunikationsgrundrecht den Verhältnismäßigkeitsanforderungen genügen.

Hinsichtlich des formellen Erfordernisses der Allgemeinheit meinungsbeschränkender Gesetze erkennt das [X.] allerdings eine Ausnahme für Gesetze an, die auf die Verhinderung einer propagandistischen Affirmation der [X.] Gewalt- und [X.]kürherrschaft zwischen den Jahren 1933 und 1945 zielen. Es trägt damit der identitätsprägenden Bedeutung der [X.] Geschichte Rechnung und lässt diese in das Verständnis des Grundgesetzes einfließen (vgl. [X.] 124, 300 <328 ff.>).

Von dieser Ausnahme bleibt jedoch der materielle Gehalt der Meinungsfreiheit unberührt. Insbesondere kennt das Grundgesetz kein allgemeines Grundprinzip, das ein Verbot der Verbreitung rechtsradikalen oder auch [X.] Gedankenguts schon in Bezug auf die geistige Wirkung seines Inhalts erlaubte. Vielmehr gewährleistet Art. 5 Abs. 1 und 2 GG die Meinungsfreiheit als Geistesfreiheit unabhängig von der inhaltlichen Bewertung ihrer Richtigkeit, rechtlichen Durchsetzbarkeit oder Gefährlichkeit. Art. 5 Abs. 1 und 2 GG erlaubt nicht den staatlichen Zugriff auf die Gesinnung, sondern ermächtigt erst dann zum Eingriff, [X.]n Meinungsäußerungen die rein geistige Sphäre des [X.] verlassen und in Rechtsgutverletzungen oder erkennbar in [X.] umschlagen ([X.] 124, 300 <330>). Dies ist der Fall, [X.]n sie den öffentlichen Frieden in dem Verständnis als Friedlichkeit der öffentlichen Auseinandersetzung gefährden und so den Übergang zu Aggression oder Rechtsbruch markieren (vgl. [X.] 124, 300 <335>).

cc) Diesen Anforderungen haben auch Fachgerichte bei der Auslegung und An[X.]dung der die Meinungsfreiheit beschränkenden Gesetze Rechnung zu tragen, damit die wertsetzende Bedeutung der Meinungsfreiheit auch auf der Rechtsan[X.]dungsebene gewahrt bleibt. Zwischen Grundrechtsschutz und Grundrechtsschranken findet eine Wechselwirkung in dem Sinne statt, dass die Schranken zwar dem Wortlaut nach dem Grundrecht Grenzen setzen, ihrerseits aber aus der Erkenntnis der grundlegenden Bedeutung dieses Grundrechts im freiheitlich [X.] ausgelegt und so in ihrer das Grundrecht begrenzenden Wirkung selbst wieder eingeschränkt werden müssen (vgl. [X.] 7, 198 <208 f.>; 124, 300 <332, 342>).

b) Einer Nachprüfung anhand dieser Maßstäbe hält die Entscheidung des [X.]s als letzte Tatsacheninstanz nicht stand. Das [X.] hat im Rahmen der An[X.]dung des § 130 Abs. 3 StGB keine tragfähigen Feststellungen getroffen, nach denen die Äußerungen des Beschwerdeführers geeignet waren, den öffentlichen Frieden in dem verfassungsrechtlich gebotenen Verständnis als Friedlichkeit der öffentlichen Auseinandersetzung zu stören.

aa) Die Äußerungen, die der Verurteilung zu Grunde gelegt wurden, unterfallen als mit diffusen Tatsachenbehauptungen vermischte Werturteile dem Schutzbereich des Grundrechts der Meinungsfreiheit. Nicht zu beanstanden ist, dass das [X.] die auf der Webseite des Beschwerdeführers veröffentlichten, von einem Dritten gemachten Äußerungen diesem zugerechnet hat.

bb) In der Bestrafung wegen der Verbreitung des streitgegenständlichen Textes liegt ein Eingriff in dieses Grundrecht. Die Eingriffsgrundlage liegt in § 130 Abs. 3 und 5 StGB, auf den das [X.] die Verurteilung gestützt hat. Dass § 130 Abs. 3 StGB kein allgemeines Gesetz ist, sondern spezifisch nur Äußerungen zum Nationalsozialismus unter Strafe stellt, steht der Verurteilung nach den oben genannten Maßstäben nicht entgegen. Als Vorschrift, die auf die Verhinderung einer propagandistischen Affirmation der [X.] Gewalt- und [X.]kürherrschaft zwischen den Jahren 1933 und 1945 gerichtet ist, ist sie von der formellen Anforderung der Allgemeinheit, wie sie sonst nach Art. 5 Abs. 2 GG gilt, ausgenommen.

cc) Der Eingriff genügt der Meinungsfreiheit jedoch in materieller Hinsicht nicht. Die Strafgerichte haben den Anforderungen des Art. 5 Abs. 1 GG nicht hinreichend Rechnung getragen.

(1) § 130 Abs. 3 StGB ist auf die Bewahrung des öffentlichen Friedens gerichtet. Entsprechend verlangt der Tatbestand der Norm schon seinem Wortlaut nach eine Äußerung, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören. Zwar bedarf das Tatbestandsmerkmal der Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens in Bezug auf das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG einer näheren Konkretisierung durch die weiteren Tatbestandsmerkmale; auch kann, [X.]n diese verwirklicht sind, eine [X.] in der Regel vermutet werden (vgl. [X.] 124, 300 <339 ff.>). Dies setzt aber umgekehrt voraus, dass die weiteren Tatbestandsmerkmale ihrerseits im Lichte der [X.] ausgelegt werden. Insoweit kommt eine Verurteilung nach § 130 Abs. 3 StGB in allen Varianten - und damit auch in der Form des [X.] - nur dann in Betracht, [X.]n hiervon allein solche Äußerungen erfasst werden, die geeignet sind, den öffentlichen Frieden im Sinne der Anforderungen des Art. 5 Abs. 1 GG zu gefährden. Soweit sich dies aus den übrigen [X.] selbst nicht eindeutig ergibt, ist die Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens eigens festzustellen. Anders als in den Fällen der Leugnung und der Billigung, in denen die Störung des öffentlichen Friedens indiziert ist, erscheint dies für den Fall der Verharmlosung geboten.

(2) Im Lichte des Art. 5 Abs. 1 GG ergeben sich an die Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens nähere Anforderungen.

Ausgangspunkt ist die Meinungsfreiheit als Geistesfreiheit. Eingriffe in Art. 5 Abs. 1 GG dürfen nicht darauf gerichtet sein, Schutzmaßnahmen gegenüber rein geistig bleibenden Wirkungen von bestimmten Meinungsäußerungen zu treffen. Das Anliegen, die Verbreitung verfassungsfeindlicher Ansichten zu verhindern, ist ebenso[X.]ig ein Grund, Meinungen zu beschränken, wie deren Wertlosigkeit oder auch Gefährlichkeit. [X.] ist es demgegenüber, Rechtsgutverletzungen zu unterbinden (vgl. [X.] 124, 300 <332 f.>).

Danach ist dem Begriff des öffentlichen Friedens ein eingegrenztes Verständnis zugrunde zu legen. Nicht tragfähig ist ein Verständnis des öffentlichen Friedens, das auf den Schutz vor subjektiver Beunruhigung der Bürger durch die Konfrontation mit provokanten Meinungen und Ideologien zielt. Die mögliche Konfrontation mit beunruhigenden Meinungen, auch [X.]n sie in ihrer gedanklichen Konsequenz gefährlich und selbst [X.]n sie auf eine prinzipielle Umwälzung der geltenden Ordnung gerichtet sind, gehört zum [X.]. Der Schutz vor einer "Vergiftung [X.]" ist ebenso [X.]ig ein Eingriffsgrund wie der Schutz der Bevölkerung vor einer Kränkung ihres [X.] durch totalitäre Ideologien oder eine offenkundig falsche Interpretation der Geschichte ([X.] 124, 300 <334>). Eine Verharmlosung des Nationalsozialismus als Ideologie oder eine anstößige Geschichtsinterpretation dieser Zeit allein begründen eine Strafbarkeit nicht (vgl. [X.] 124, 300 <336>).

Ein legitimes Schutzgut ist der öffentliche Frieden hingegen in einem Verständnis als Gewährleistung von Friedlichkeit. Ziel ist hier der Schutz vor Äußerungen, die ihrem Inhalt nach erkennbar auf rechtsgutgefährdende Handlungen hin angelegt sind. Die Wahrung des öffentlichen Friedens bezieht sich insoweit auf die Außenwirkungen von Meinungsäußerungen etwa durch Appelle oder Emotionalisierungen, die bei den Angesprochenen Handlungsbereitschaft auslösen oder Hemmschwellen herabsetzen oder Dritte unmittelbar einschüchtern (vgl. [X.] 124, 300 <335>). Eine Verurteilung kann dann an Meinungsäußerungen anknüpfen, [X.]n sie über die Überzeugungsbildung hinaus mittelbar auf [X.] angelegt sind und etwa in Form von Appellen zum Rechtsbruch, aggressiven Emotionalisierungen oder durch Herabsetzung von Hemmschwellen rechtsgutgefährdende Folgen unmittelbar auslösen können (vgl. [X.] 124, 300 <333>).

(3) Diesen Anforderungen genügen die angegriffenen Entscheidungen nicht. Das Vorliegen der Eignung einer Störung des öffentlichen Friedens begründet das [X.] in erster Linie damit, dass das Vertrauen der Bevölkerung in die öffentliche Rechtssicherheit erschüttert werde und die Äußerungen als Ausdruck unerträglicher Missachtung wirkten. Damit wird aber in der Sache nicht mehr als eine Vergiftung [X.] und eine Kränkung des [X.] der Bevölkerung geltend gemacht, die die Friedlichkeitsschwelle noch nicht erreicht. Nichts anderes gilt für die nicht näher substantiierte, ersichtlich allein auf den rechtsgerichteten Inhalt der Äußerungen abstellende Behauptung, dass die Äußerung geeignet sei, das Miteinander verschiedener Bevölkerungsgruppen zu beeinträchtigen. Dass sich die Internetseite an ein Publikum am äußeren rechten Rand des politischen Spektrums richte, begründet für sich genommen eine Gefährdung des öffentlichen Friedens im Sinne der Friedlichkeit der öffentlichen Auseinandersetzung nicht.

Die Störung des öffentlichen Friedens ergibt sich auch nicht mittelbar aus den fachgerichtlichen Würdigungen der Äußerungen selbst. Das [X.] stellt insoweit fest, dass mit den Äußerungen die Gewalttaten des [X.] relativiert und bagatellisiert würden. Dabei wirft das Gericht dem Beschwerdeführer nicht vor, dass hierdurch Aggressivität geschürt und die Gewaltherrschaft oder Verbrechen des Nationalsozialismus gegen die Menschlichkeit gebilligt oder geleugnet würden. [X.] wird vielmehr auf eine einseitig beschönigende Darstellung des Nationalsozialismus. Indem die Äußerungen der bisherigen Geschichtsschreibung eine einseitige Kollektivschuldzuweisung und den Gebrauch von Lügen bescheinigten und dabei die Opfer weder erwähnten noch würdigten, suggerierten sie, dass es nicht in dem geschichtlich anerkannten Umfang zu dem Massenmord in [X.] und anderswo gekommen sei. Hiermit wird das Erreichen der Schwelle einer Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens im Sinne der Infragestellung der Friedlichkeit der Auseinandersetzung - wie durch die Verherrlichung von Gewalt, die Hetze auf bestimmte Bevölkerungsgruppen oder auch durch eine emotionalisierende Präsentation - nicht dargetan. Die Grenzen der Meinungsfreiheit sind nicht schon dann überschritten, [X.]n die anerkannte Geschichtsschreibung oder die Opfer nicht angemessen gewürdigt werden. Vielmehr sind von ihr auch offensichtlich anstößige, abstoßende und bewusst provozierende Äußerungen gedeckt, die wissenschaftlich haltlos sind und das Wertfundament unserer gesellschaftlichen Ordnung zu diffamieren suchen.

Der Schutz solcher Äußerungen durch die Meinungsfreiheit besagt damit nicht, dass diese als inhaltlich akzeptabel mit Gleichgültigkeit in der öffentlichen Diskussion aufzunehmen sind. Die freiheitliche Ordnung des Grundgesetzes setzt vielmehr darauf, dass solchen Äußerungen, die für eine [X.] Öffentlichkeit schwer erträglich sein können, grundsätzlich nicht durch Verbote, sondern in der öffentlichen Auseinandersetzung entgegengetreten wird. Die Meinungsfreiheit findet erst dann ihre Grenzen im Strafrecht, [X.]n die Äußerungen in einen unfriedlichen Charakter umschlagen. Hierfür enthalten die angegriffenen Entscheidungen jedoch keine Feststellungen.

c) Da das [X.] die Revision des Beschwerdeführers ohne nähere Begründung als unbegründet verworfen hat, leidet seine Entscheidung an denselben Mängeln wie das angegriffene Urteil des [X.]s.

d) Das Urteil des [X.]s und seine Bestätigung durch den Verwerfungsbeschluss des [X.]s beruhen auf der Verkennung der Bedeutung und Tragweite des Grundrechts auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Es ist nicht auszuschließen, dass die Gerichte bei Berücksichtigung der grundrechtlichen Anforderungen zu einem anderen Ergebnis gekommen wären.

2. Das Urteil des [X.]s und der Beschluss des [X.]s sind demnach gemäß § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 [X.] aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das [X.] zurückzuverweisen.

3. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 [X.]. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. [X.] 79, 365 <366 ff.>).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvR 2083/15

22.06.2018

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 3. Kammer

Stattgebender Kammerbeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend OLG Hamm, 21. Juli 2015, Az: III-4 RVs 76/15, Beschluss

Art 5 Abs 1 S 1 GG, Art 5 Abs 2 GG, § 93c Abs 1 S 1 BVerfGG, § 14 Abs 1 RVG, § 37 Abs 2 S 2 RVG, § 130 Abs 3 Alt 3 StGB, § 130 Abs 5 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 22.06.2018, Az. 1 BvR 2083/15 (REWIS RS 2018, 7322)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 7322

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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