Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 08.11.2011, Az. 1 BvR 2007/11

1. Senat 3. Kammer | REWIS RS 2011, 1695

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

ÖFFENTLICHES RECHT STEUERN BUNDESVERFASSUNGSGERICHT (BVERFG) SOZIALRECHT HARTZ IV GRUNDRECHTE

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Bedarfsmindernde Berücksichtigung einer Einkommensteuererstattung als Einkommen im Zuflusszeitpunkt (§ 11 Abs 3 SGB 2) und Anrechnung auf Leistungen nach SGB II mit Eigentumsgarantie (Art 14 Abs 1 S 1 GG) vereinbar


Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft ein sozialgerichtliches Verfahren wegen der teilweisen Aufhebung einer Bewilligung von Arbeitslosengeld II aufgrund des Zuflusses einer Einkommensteuererstattung.

2

1. Der Grundsicherungsträger hob einen Leistungen nach dem [X.] gewährenden Verwaltungsakt für August 2009 wegen des Zuflusses einer Einkommensteuererstattung für das [X.] in diesem Monat teilweise auf und verlangte von der Beschwerdeführerin Erstattung eines Betrages in Höhe von 429,86 €.

3

2. Das Sozialgericht wies die Klage, unter Nichtzulassung der Berufung, mit Urteil vom 15. April 2011 ab. Nach einhelliger Rechtsprechung beider für das Grundsicherungsrecht zuständiger Senate des [X.], von denen abzuweichen die Kammer keinen Anlass sehe, stelle eine nach Antragstellung auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende zugeflossene Einkommensteuererstattung Einkommen und nicht Vermögen dar und sei daher im Monat des Zuflusses [X.] zu berücksichtigen.

4

Das [X.] wies die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung mit Beschluss vom 7. Juli 2011 zurück.

5

3. Mit der Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung von Art. 14 Abs. 1 GG. Sie trägt vor, die angefochtenen Entscheidungen verletzten sie in ihrem Grundrecht auf Eigentum. Dadurch, dass die Einkommensteuererstattung als Einkommen und nicht als Vermögen behandelt werde, werde ihre eigentumsrechtliche Position, die sie bereits im Jahre 2007 erworben habe, entwertet. Die Sichtweise des [X.] und der Gerichte bedeute, dass sie den als Einkommensteuererstattung erhaltenen Betrag zurückzahlen müsse.

6

Die Voraussetzungen für die Annahme der Verfassungsbeschwerde liegen nicht vor. Sie hat keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung (§ 93a Abs. 2 Buchstabe a [X.]) und ihre Annahme erscheint auch nicht zur Durchsetzung der als verletzt gerügten Grundrechte der Beschwerdeführerin angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b [X.]). Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg, da sie jedenfalls unbegründet ist.

7

Die Beschwerdeführerin wird durch die Anrechnung der Einkommensteuererstattung auf eine steuerfinanzierte Sozialleistung nicht in ihrem Grundrecht aus Art. 14 Abs. 1 GG verletzt.

8

Ein Eingriff in den Schutzbereich des Eigentums liegt grundsätzlich nur dann vor, wenn der Bestand an individuell geschützten vermögenswerten Rechten aufgrund einer gesetzlichen oder auf einem Gesetz beruhenden Maßnahme zu einem bestimmten Zeitpunkt vermindert wird (vgl. [X.] 87, 1 <42>; [X.]K 6, 266 <269>). Vorliegend geschieht dies jedoch nicht. Denn die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Maßnahmen verringern nicht etwa den Steuererstattungsanspruch der Beschwerdeführerin, was gesondert gerechtfertigt werden müsste, da dieser Anspruch als Eigentum im Sinne des Art. 14 Abs. 1 GG geschützt ist (vgl. [X.] 70, 278 <285>). Vielmehr wird die Erstattung als Einkommen nach Maßgabe der §§ 11 ff. [X.], also nach [ref=defa6e47-a531-4b1b-9175-58dd115ec033]§ 11 Abs. 3 [X.][/ref] auch erst in dem Augenblick, in dem es tatsächlich zufließt, auf die nach § 9 Abs. 1 [X.] grundsätzlich subsidiäre Sozialleistung angerechnet (vgl. BSG, Urteil vom 28. Oktober 2009 - [X.] AS 64/08 R -, juris, Rn. 23; Urteil vom 3. März 2009 - B 4 AS 47/08 R -, juris, Rn. 24). Diese Anrechnung ist ein Mittel, mit dem der Gesetzgeber in Ausnutzung seines weiten [X.]den aus Art. 20 Abs. 1 GG erwachsenden sozialstaatlichen Gestaltungsauftrag erfüllt.

9

Eine fürsorgerische Sozialleistung wie die Grundsicherung ist nicht als Eigentum im Sinne des Art. 14 GG geschützt. [X.] genießen vielmehr nur dann grundrechtlichen Eigentumsschutz, wenn es sich um vermögenswerte Rechtspositionen handelt, die nach Art eines Ausschließlichkeitsrechts privatnützig zugeordnet sind, auf nicht unerheblichen Eigenleistungen beruhen und der Existenzsicherung dienen (vgl. [X.] 69, 272 <300>; 92, 365 <405>; 97, 271 <284>; 100, 1 <32 f.>). So stehen etwa sozialversicherungsrechtliche Rechtspositionen in Form von Ansprüchen aus der gesetzlichen Rentenversicherung, soweit sie aus eigener Versicherung der Leistungsberechtigten resultieren, grundsätzlich unter dem Schutz von Art. 14 Abs. 1 GG (vgl. [X.] 76, 256 <293> m.w.N.; 100, 1 <33>). Dies ist hingegen bei steuerfinanzierten Fürsorgeleistungen nicht der Fall ([X.], Beschluss des [X.] vom 7. Dezember 2010 - 1 BvR 2628/07 -, NJW 2011, S. 1058 <1059 f.>). Die Verringerung dieses Sozialleistungsanspruchs verletzt die Beschwerdeführerin hier ebenso wenig in ihrem Recht aus Art. 14 Abs. 1 GG wie die Anrechnung der Verletztenrente auf derartige Ansprüche (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 16. März 2011 - 1 BvR 591/08, 1 BvR 593/08 -, juris, Rn. 41).

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 [X.] abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvR 2007/11

08.11.2011

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 3. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, 7. Juli 2011, Az: L 29 AS 928/11 NZB, Beschluss

Art 14 Abs 1 S 1 GG, §§ 11ff SGB 2, § 11 Abs 1 S 1 SGB 2, § 11 Abs 3 S 1 SGB 2

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 08.11.2011, Az. 1 BvR 2007/11 (REWIS RS 2011, 1695)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 1695

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

1 BvR 2556/09 (Bundesverfassungsgericht)

Nichtannahmebeschluss: Leistungen nach SGB 2 und Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art 1 Abs …


1 BvR 1083/09 (Bundesverfassungsgericht)

Nichtannahmebeschluss: Anrechnung von Einkommen und Vermögen des "unechten Stiefvaters" bei unverheiratetem Kind gem § 9 …


1 BvR 1089/18 (Bundesverfassungsgericht)

Stattgebender Kammerbeschluss: Zum verfassungsrechtlichen Maßstab für die Härtefallbefreiung von der Rundfunkbeitragspflicht aus Gründen des geringen …


1 BvR 2318/09 (Bundesverfassungsgericht)

Stattgebender Kammerbeschluss: Verweigerung von Beratungshilfe für Widerspruchsverfahren verletzt bei unverhältnismäßiger Einschränkung des Rechtssuchenden dessen Anspruch …


1 BvR 1223/18 (Bundesverfassungsgericht)

Nichtannahmebeschluss: Zur Anwendung des § 67 Abs 5 S 2 SGB III (juris: SGB 3) …


Referenzen
Wird zitiert von

L 11 AS 273/15 B ER

X R 15/09

Zitiert

1 BvR 2628/07

Literatur & Presse BETA

Diese Funktion steht nur angemeldeten Nutzern zur Verfügung.

Anmelden
Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.