Bundesgerichtshof, Urteil vom 03.07.2019, Az. 5 StR 393/18

5. Strafsenat | REWIS RS 2019, 5842

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STRAFRECHT BUNDESGERICHTSHOF (BGH) ÄRZTE STRAFTATEN STRAFVERFAHREN MEDIZIN SUIZID MEDIZINRECHT ETHIK STERBEHILFE LANDGERICHT BERLIN I

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Gegenstand

(Strafbarkeit eines Arztes bei einem assistierten Suizid)


Leitsatz

Die Garantenstellung des Arztes für das Leben seines Patienten endet, wenn er vereinbarungsgemäß nur noch dessen freiverantwortlichen Suizid begleitet.

Tenor

Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des [X.] vom 8. März 2018 wird verworfen.

Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die hierdurch verursachten notwendigen Auslagen des Angeklagten zu tragen.

- Von Rechts wegen -

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten von dem Vorwurf freigesprochen, sich durch die Förderung des Suizids der 44-jährigen           D.       sowie das spätere Unterlassen von Maßnahmen zu deren Rettung der Tötung auf Verlangen strafbar gemacht zu haben (vgl. KG, [X.], 304). Mit ihrer gegen den Freispruch gerichteten und auf die Sachrüge gestützten Revision erstrebt die Staatsanwaltschaft die Verurteilung des Angeklagten wegen versuchter Tötung auf Verlangen durch Unterlassen. Das vom [X.] nicht vertretene Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.

2

1. Das [X.] hat festgestellt:

3

          D.       litt seit ihrem sechzehnten Lebensjahr an einem nicht lebensbedrohlichen, aber starke krampfartige Schmerzen verursachenden Reiz-Darm-Syndrom. Eine Besserung ihres Gesundheitszustands konnte sie auch durch das Ausschöpfen zahlreicher klassischer und alternativer Behandlungsmöglichkeiten nicht erlangen. Daneben litt sie seit ihrer Pubertät unter rezidivierenden Harnwegsinfektionen und wiederkehrenden Analfisteln und zeigte zudem psychische Auffälligkeiten. Im Laufe ihres Lebens war sie bei verschiedenen Psychotherapeuten in Behandlung. Aufgrund ihres Gesundheitszustands war sie – obgleich an sich lebenslustig – jedenfalls in der [X.] vor ihrem Tod reaktiv depressiv. Sie hatte mehrfach Suizidversuche unternommen und beschäftigte sich intensiv mit dem Thema Tod.

4

Da ihr das Leben unter diesen Umständen nicht mehr lebenswert erschien, wandte sie sich am 8. Februar 2013 mit der Bitte an den Angeklagten, ihren Hausarzt, sie bei ihrer Selbsttötung zu unterstützen. Der Angeklagte gab dieser Bitte nach, weil ihm die lange Kranken- und Leidensgeschichte sowie die erfolglosen Therapieversuche bekannt waren und er der Überzeugung war, dass ein Arzt eine Patientin, die er über Jahre behandelt hat, auch in einer solchen Situation nicht allein lassen dürfe. Er stellte zwei Privatrezepte über eine nicht näher bekannte Menge des Medikaments [X.] aus, von denen er mindestens eines selbst einlöste und der später Verstorbenen das Medikament übergab. Während seines letzten Hausbesuchs bei [X.]        am 15. Februar 2013 traf er diese tief verzweifelt und zur Selbsttötung fest entschlossen, aus seiner Sicht aber voll geschäftsfähig an. Bei diesem Besuch übergab [X.]         dem Angeklagten ihre Wohnungsschlüssel und bat ihn, sie nach der Einnahme der Tabletten zu Hause zu betreuen und den [X.] auszufüllen. „Weder dem Angeklagten noch der später Verstorbenen war bekannt, über welchen exakten [X.]raum sich der Sterbeprozess erstrecken würde; sie gingen jedoch davon aus, dass dem Tod eine komatöse Phase vorausgehen würde“ ([X.]).

5

Am 16. Februar 2013, jedenfalls vor 14 Uhr, nahm [X.]        „bei klarem Verstand und in dem vollen Bewusstsein, was sie tat“ ([X.]), eine unbekannte, aber tödliche Menge [X.] ein. Den Angeklagten informierte sie hierüber, wie zuvor vereinbart, per [X.]. Wenig später begab sich der Angeklagte in ihre Wohnung und fand sie in einem tief komatösen Zustand mit normalen Vitalwerten auf dem Rücken liegend in ihrem Bett vor. Da er sich dem [X.]          [X.] verpflichtet fühlte, unternahm er keine Rettungsversuche, sondern prüfte lediglich Puls, Pupillenreflexe und Atmung. Er suchte [X.]        noch einmal am Abend desselben Tages, zu drei [X.]punkten am 17. Februar 2013 sowie zu drei weiteren [X.]punkten am 18. Februar 2013 auf. Bei den beiden letzten Besuchen befand sich [X.]        bereits in einem präfinalen Zustand.

6

Zu einem nicht näher feststellbaren [X.]punkt, aber jedenfalls nachdem [X.]         ins Koma gefallen war und vor ihrem Versterben, verabreichte der Angeklagte ihr mindestens einmal eine Ampulle Metoclopramid, um ein Erbrechen zu verhindern. Bei einem Erbrechen wäre es mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem früheren Todeseintritt gekommen, da die später Verstorbene entweder aufgrund der Rückenlage an dem Erbrochenen erstickt wäre oder aber das Erbrechen dazu geführt hätte, dass sie kurzzeitig nochmals eine größere Menge des Phenobarbitals (dem Wirkstoff von [X.]) hätte absorbieren können, was die Vergiftung beschleunigt hätte. Darüber hinaus spritzte der Angeklagte ihr Buscopan, ein in der Palliativmedizin eingesetztes krampflösendes Medikament. So wollte er sicherstellen, dass es nicht zu unnötigen Schmerzen bei der Sterbenden kommt.

7

[X.] rief die Mutter der [X.]in beim Angeklagten an und erklärte, die Zeugin [X.] , eine Freundin ihrer Tochter, mache sich Sorgen, weil sie diese nicht habe erreichen können, und habe sich auf den Weg zu deren Wohnung gemacht. Daraufhin informierte der Angeklagte die Mutter und die Zeugin [X.] darüber, dass [X.]         Tabletten eingenommen habe, im Sterben liege und nichts unternommen werden solle, weil sie dies nicht gewollt habe. Gegen 21 Uhr teilte [X.]         s [X.], der Zeuge F.     , der zuvor von seiner Großmutter über den Zustand der Mutter unterrichtet worden war, dem Angeklagten mit, dass er sofort aus [X.] anreisen wolle. Es wurde ein Treffen in [X.] verabredet.

8

Am 19. Februar 2013 gegen 4:30 Uhr stellte der Angeklagte den Tod         [X.] fest und füllte den [X.] aus. Als Todesart kreuzte er „natürlicher Tod“ an und trug als Todesursachen handschriftlich „Nierenversagen“, „[X.]“ und „Depression“ ein. Ob die Verstorbene nach der Einnahme des [X.]s bei sofortiger medizinischer Behandlung noch hätte gerettet werden können, ließ sich nicht mit Sicherheit feststellen.

9

2. Das [X.] hat eine Strafbarkeit des Angeklagten unter sämtlichen in Betracht kommenden Gesichtspunkten jeweils aus rechtlichen Gründen verneint. Die Bereitstellung der Medikamente stelle sich als straflose Beihilfe zur eigenverantwortlichen Selbsttötung dar. Auch zu [X.] nach Eintritt der Bewusstlosigkeit [X.]         s sei der Angeklagte nicht verpflichtet gewesen. Denn deren freiverantwortliche Ausübung des Selbstbestimmungsrechts habe eine Pflicht des Angeklagten zur Abwendung ihres Todes entfallen lassen. Eine solche ergebe sich auch nicht aus § 323c Abs. 1 StGB, da eine freiverantwortliche Selbsttötung keinen Unglücksfall darstelle.

II.

Die Revision der Staatsanwaltschaft ist unbegründet. Der Freispruch des Angeklagten hält rechtlicher Überprüfung stand.

1. Der Angeklagte hat sich nicht wegen eines vollendeten Tötungsdelikts durch [X.] (§ 212 Abs. 1 StGB oder § 216 Abs. 1 StGB) strafbar gemacht.

a) Der im Verschaffen des Zugangs zu den todbringenden Medikamenten liegende Tatbeitrag des Angeklagten stellt sich bei der gebotenen normativen Betrachtung als straflose Hilfeleistung zur eigenverantwortlich verwirklichten Selbsttötung          D.          s dar.

aa) Für die Abgrenzung einer straflosen Beihilfe zur Selbsttötung von der täterschaftlichen Tötung eines anderen ist nach der Rechtsprechung des [X.] maßgeblich, wer in Vollzug des [X.] die Herrschaft über das zum Tode führende Geschehen ausübt ([X.], Urteile vom 14. August 1963 – 2 [X.], [X.]St 19, 135, 139 f.; vom 7. Februar 2001 – 5 StR 474/00, [X.]St 46, 279, 284; vom 20. Mai 2003 – 5 [X.], NJW 2003, 2326, 2327; vom 4. Juli 2018 – 2 StR 245/17, [X.]St 63, 161; Beschluss vom 25. November 1986 – 1 [X.], NJW 1987, 1092). Begibt sich der Sterbewillige in die Hand eines [X.] und nimmt duldend von ihm den Tod entgegen, dann hat dieser die Tatherrschaft über das Geschehen. Nimmt dagegen der Sterbewillige selbst die todbringende Handlung vor und behält er dabei die freie Entscheidung über sein Schicksal, tötet er sich selbst, wenn auch mit fremder Hilfe (vgl., jeweils mwN, [X.], Urteile vom 4. Juli 2018 – 2 StR 245/17, [X.]St 63, 161; vom heutigen Tag – 5 [X.] [zur [X.] in [X.]St vorgesehen]).

Letzteres ist hier der Fall. [X.]         übte, solange sie bei Bewusstsein war, allein die Herrschaft über das zu ihrem Tod führende Geschehen aus, indem sie freiverantwortlich die ihren Tod verursachende Dosis des Medikaments einnahm.

bb) Dem Angeklagten kann die Selbsttötungshandlung auch nicht nach den Grundsätzen der mittelbaren Täterschaft zugerechnet werden.

(1) Eine Benutzung des [X.]en als „Werkzeug“ gegen sich selbst kann unter anderem gegeben sein, wenn dieser seinen Selbsttötungsentschluss aufgrund eines Wissens- oder Verantwortlichkeitsdefizits nicht freiverantwortlich gebildet hat (vgl. [X.], Urteile vom 5. Juli 1983 – 1 [X.], [X.]St 32, 38, 41 f.; vom 28. Januar 2014 – 1 [X.], [X.]St 59, 150, 168 und vom heutigen Tag – 5 [X.]; Beschlüsse vom 11. Januar 2011 – 5 [X.], [X.], 341, 342; vom 16. Januar 2014 – 1 [X.], [X.], 601, 602). Befindet sich der [X.] – vom „Suizidhelfer“ erkannt – in einer seine freie Willensbildung ausschließenden Lage, kann sich das Verschaffen der Möglichkeit des Suizids als in mittelbarer Täterschaft begangenes Tötungsdelikt darstellen ([X.], Urteil vom 28. Januar 2014 – 1 [X.], [X.]St 59, 150, 168 f.; Beschluss vom 16. Januar 2014 – 1 [X.]).

Freiverantwortlich ist demgegenüber ein Selbsttötungsentschluss, wenn das Opfer die natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit für seine Entscheidung besitzt und Mangelfreiheit des Suizidwillens sowie innere Festigkeit des Entschlusses gegeben sind (vgl. [X.], Urteile vom 7. August 1984 – 1 StR 200/84, [X.], 25, 26; vom 7. Oktober 2010 – 3 [X.], [X.], 340 f., und vom 21. Dezember 2011 – 2 StR 295/11, [X.], 319, 320; Beschluss vom 8. Juli 1987 – 2 [X.], NJW 1988, 1532). Zum Ausschluss der Freiverantwortlichkeit müssen konkrete Umstände festgestellt werden (vgl. [X.], Beschluss vom 16. Januar 2014 – 1 [X.], [X.], 601, 603). Als solche kommen insbesondere Minderjährigkeit des Opfers oder krankheits- sowie intoxikationsbedingte Defizite in Frage (vgl. [X.], Urteile vom 22. Januar 1981 – 4 [X.], NJW 1981, 932; vom 28. Oktober 1982 – 1 [X.], [X.], 72; vom 11. April 2000 – 1 [X.], [X.], 205, 206; vom 29. April 2009 – 1 StR 518/08, [X.]St 53, 288, 290, und vom 7. Oktober 2010 – 3 [X.]; Beschluss vom 11. Januar 2011 – 5 [X.], [X.], 341, 342). Der Selbsttötungsentschluss kann auch dann [X.] sein, wenn er auf Zwang, Drohung oder Täuschung durch den Täter beruht (vgl. [X.], Urteile vom 5. Juli 1983 – 1 [X.], [X.]St 32, 38, 43; vom 3. Dezember 1985 – 5 [X.], [X.], 474; [X.]/Kühl, StGB, 29. Aufl., Vor § 211 Rn. 13b; MüKo-StGB/[X.], 3. Aufl., § 216 Rn. 22). Dasselbe gilt, wenn er einer bloßen depressiven Augenblicksstimmung entspringt, mithin nicht von innerer Festigkeit und Zielstrebigkeit getragen ist (vgl. [X.], Urteile vom 7. Oktober 2010 – 3 [X.], [X.], 340, 341, und vom 14. September 2011 – 2 [X.], [X.], 85, 86; MüKo-StGB/[X.], aaO, Rn. 19).

(2) Gemessen hieran ist die auf [X.] Feststellungen beruhende Wertung des [X.]s, [X.]         habe ihren ernstlichen Entschluss, aus dem Leben zu scheiden, ohne Wissens- oder Verantwortlichkeitsdefizite freiverantwortlich gebildet und umgesetzt, im Ergebnis nicht zu beanstanden.

[X.] stützt sich insofern nicht allein auf die Einschätzung des Angeklagten, der [X.]         seit vielen Jahren behandelte und daher mit ihrer Persönlichkeit sowie ihrer Leidensgeschichte in besonderem Maße vertraut war. Es kann dahingestellt bleiben, ob für die Wertung der Freiverantwortlichkeit gleichwohl allein die Anschauung des – soweit erkennbar – nicht in den Bereichen der Psychiatrie und Psychologie ausgebildeten Angeklagten zur Wahrung der Kognitionspflicht genügen würde (vgl. dazu [X.], Urteile vom 26. Januar 2017 – 3 [X.], [X.], 410; vom 20. September 2018 – 3 [X.]; vom 10. Oktober 2018 – 2 [X.]; KK-StPO/[X.], 8. Aufl., § 264 Rn. 28). Denn die Strafkammer setzt sich darüber hinaus eingehend mit der mehrjährigen Krankheitsgeschichte der [X.]in auseinander und zieht dabei die Aussagen von Angehörigen und Bekannten zur Entwicklung ihrer Krankheit und ihres seelischen Zustands heran. Auch ihnen gegenüber hatte [X.]         über jeweils längere [X.]räume unabhängig voneinander ihren Todeswunsch geäußert.

Zwar erscheint es danach nicht ausgeschlossen, dass [X.]         – durch ihr fortwährendes körperliches Leiden zermürbt – im [X.]punkt ihrer Selbsttötung aufgrund einer „tiefen Verzweiflung“ psychisch beeinträchtigt war. Indes lassen sich dem Urteil keine Umstände entnehmen, die zur Annahme einer Aufhebung ihrer Einsichts- und Urteilsfähigkeit hätten zwingen müssen oder auf ein Handeln aus einer bloßen „depressiven Augenblicksstimmung“ hindeuteten. Vielmehr hatte sie sich intensiv mit dem Thema Tod auseinandergesetzt, im Laufe der Jahre bereits mehrere Selbsttötungsversuche unternommen, ihren Freundinnen sowie ihrer Mutter und ihrem [X.] mehrmals den [X.] mitgeteilt und sich bereits ab Dezember 2012 von ihren Freundinnen verabschiedet. Ihr Entschluss beruhte mithin auf einer über die [X.] hinweg entwickelten und durch ihr Leiden bedingten „[X.]“ (vgl. [X.]); sie hatte einen „langjährigen ernsthaften Todeswunsch“ ([X.] 16).

(3) Auch unter Zugrundelegung der innerhalb des Schrifttums für einen freiverantwortlichen [X.]schluss formulierten Kriterien ist von einem solchen auszugehen (dazu Urteil des Senats vom heutigen Tage – 5 [X.] mit zahlreichen Nachweisen; zusammenfassend auch MüKo-StGB/[X.], aaO, Vor § 211 Rn. 37 ff.). [X.]         befand sich nicht in einem Zustand, der entsprechend §§ 19, 20, 35 StGB zu einem Verantwortlichkeitsausschluss führen würde. Vielmehr war sie nach Ausschöpfung sämtlicher, auf Linderung ihrer Schmerzen gerichteter Therapien fest entschlossen, aus dem Leben zu scheiden, weil es ihr unter diesen Umständen nicht mehr lebenswert erschien. Dieser durch das [X.] als „Bilanzselbstmord“ ([X.] 16) gewertete, auf rationaler Reflexion beruhende Entschluss kennzeichnet eine durch Willensfestigkeit und Zielstrebigkeit geprägte innere Haltung und ist daher auch nach den Grundsätzen der Einwilligung als freiverantwortlich zu werten. Die dem Entschluss zugrundeliegende Motivation, über viele Jahre hinweg erduldeten Schmerzen ein Ende zu setzen, ist – wenn sie nicht ihrerseits auf eine die Einsichts- und Urteilsfähigkeit ausschließende Erkrankung zurückzuführen ist – einer näheren Überprüfung schon deshalb nicht zugänglich, weil sich das Empfinden von Schmerzen als innerer, höchstpersönlicher Vorgang der für eine wertende Beurteilung erforderlichen Objektivierung entzieht.

b) Das Verabreichen muskelentspannender Medikamente während des Sterbens war nach den Feststellungen bereits nicht kausal für den eingetretenen Todeserfolg. Die Medikamentengabe hat den Sterbeprozess weder beschleunigt, noch einen neuen tödlichen Kausalverlauf in Gang gesetzt.

c) Schließlich ist der Angeklagte auch nicht deswegen eines vollendeten, aktiv begangenen Tötungsdelikts schuldig, weil er die Zeugin [X.]und den [X.]    in Telefongesprächen über den jeweils aktuellen Zustand der [X.]in und deren Todeswunsch unterrichtete. Er hat damit schon nicht in strafbarer Weise [X.] verhindert, weil die Zeugen keine solchen unternommen hatten, mithin kein rettender Kausalverlauf in Gang gesetzt war, der ohne das Eingreifen des Angeklagten zu einer unmittelbaren Rettung der [X.]in geführt hätte (vgl. [X.]/[X.]/[X.], 30. Aufl., Vor §§ 13 ff. Rn. 159; [X.], Grundkurs Strafrecht, Allgemeine Strafrechtslehre, 7. Aufl., § 9 Rn. 9; [X.], [X.], [X.], 179). Vielmehr beschlossen die Zeugen nach den Telefonaten „jeder für sich …, den Wunsch der später Verstorbenen zu respektieren und untätig zu bleiben“ ([X.] 20).

2. Eine an das Unterlassen von Bemühungen zur Rettung der von ihm bewusstlos vorgefundenen [X.]in anknüpfende Bestrafung des Angeklagten wegen vollendeter Tötung durch Unterlassen kam schon aus tatsächlichen Gründen nicht in Betracht. Das [X.] hat nicht festgestellt, dass das Leben der [X.]in durch alsbald nach der Einnahme von Tabletten eingeleitete Maßnahmen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hätte gerettet werden können (vgl. [X.], Urteil vom heutigen Tage – 5 StR 132/19 mwN).

3. Der Angeklagte hat sich auch nicht wegen versuchter Tötung durch Unterlassen strafbar gemacht, denn er war nicht mehr Garant für Frau [X.] Leben.

a) Allerdings hatte er [X.]         viele Jahre als Hausarzt betreut und befand sich aufgrund der Übernahme ihrer ärztlichen Behandlung und des damit einhergehenden Vertrauensverhältnisses zunächst in einer besonderen Schutzposition für deren Leib und Leben (vgl. [X.], Urteil vom 4. Juli 1984 – 3 [X.], [X.]St 32, 367, 377; [X.]/[X.]/[X.], aaO, § 13 Rn. 28a). Diese Pflichtenstellung als Hausarzt endete spätestens, als [X.]         ihren [X.] (nochmals) äußerte und diesen mit der von dem Angeklagten akzeptierten Bitte verband, er solle „sie nach Einnahme der Tabletten zu Hause betreuen“. Entsprechend dieser Vereinbarung oblag es ihm nur noch, als Sterbebegleiter etwaige Leiden oder Schmerzen während des Sterbens zu lindern oder zu verhindern (vgl. auch [X.], Urteil vom 3. Dezember 1982 – 2 [X.], [X.], 117, 118; Beschluss vom 8. Juli 1987 – 2 [X.], NJW 1988, 1532; LK-StGB/[X.], 12. Aufl., § 216 Rn. 29, 31 f.; MüKo-StGB/ [X.], aaO, § 216 Rn. 66; [X.]/[X.], 4. Aufl., § 216 Rn. 11; [X.], [X.] 2015, 132, 136; Berghäuser, [X.] 2016, 741, 749).

b) Für diese Wertung sprechen folgende Erwägungen:

aa) Die ([X.], die Entscheidungen über das Geschehenlassen des eigenen Sterbens umfasst, hat in der jüngeren Vergangenheit in Abwägung mit dem Auftrag zum Schutz des menschlichen Lebens (vgl. [X.] 88, 203) eine erhebliche Aufwertung erfahren.

(1) Nach dem Grundgesetz ist jeder Mensch grundsätzlich frei, über den Umgang mit seiner Gesundheit nach eigenem Gutdünken zu entscheiden ([X.], NJW 2017, 53, 56). Die Rechtsprechung leitet aus dem Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 Satz 1 GG) und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) eine „Freiheit zur Krankheit“ ab, die es grundsätzlich einschließt, Heilbehandlungen auch dann abzulehnen, wenn sie medizinisch angezeigt sind (vgl. [X.], aaO; siehe auch [X.], Beschluss vom 17. September 2014 – [X.], [X.]Z 202, 226, 236; jeweils unter Berufung auf Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG: [X.] 128, 282, 304; 129, 269, 280; 133, 112, 131). Selbst bei lebenswichtigen ärztlichen Maßnahmen schützt das Selbstbestimmungsrecht des Patienten eine Entschließung, die aus medizinischen Gründen unvertretbar erscheint (vgl. [X.], Urteil vom 7. Februar 1984 – [X.], [X.]Z 90, 103, 111). Das Grundgesetz garantiert dem Individuum das Recht, in Bezug auf die eigene Person aus medizinischer Sicht [X.] zu tun und sachlich [X.] zu unterlassen (vgl. LK-StGB/[X.], aaO, § 216 Rn. 26). Jeder einwilligungsfähige Kranke hat es danach in der Hand, eine lebensrettende Behandlung zu untersagen und so über das eigene Leben zu verfügen (vgl. [X.], [X.] 2012, 135, 136).

(2) Darüber hinausgehend gebietet es die Würde des Menschen, sein in einwilligungsfähigem Zustand ausgeübtes Selbstbestimmungsrecht auch dann noch zu respektieren, wenn er zu eigenverantwortlichem Entscheiden nicht mehr in der Lage ist (vgl. [X.], Beschluss vom 17. März 2003 – [X.], [X.]Z 154, 205). Mit der gesetzlichen Regelung der Patientenverfügung in § 1901a BGB durch das [X.] des Betreuungsrechts vom 29. Juli 2009 ([X.] I 2286) hat der Gesetzgeber die Verbindlichkeit des Willens des Patienten für Behandlungsentscheidungen über den [X.]punkt des Eintritts seiner [X.] hinaus klarstellend anerkannt, wobei es auf Art und Stadium der Erkrankung nicht ankommt (§ 1901a Abs. 3 BGB). Dabei ging auch er davon aus, dass das Selbstbestimmungsrecht des Menschen „das Recht zur Selbstgefährdung bis hin zur Selbstaufgabe und damit auch auf Ablehnung lebensverlängernder Maßnahmen unabhängig von der ärztlichen Indikation der Behandlung“ einschließt (BT-Drucks. 16/8442, [X.]. Der [X.] hat demgemäß einen Behandlungsabbruch – losgelöst von der Begehungsform – als gerechtfertigt angesehen, wenn er in Ansehung von § 1901a BGB dem tatsächlichen oder mutmaßlichen Patientenwillen entspricht und dazu dient, einem ohne Behandlung zum Tode führenden Krankheitsprozess seinen Lauf zu lassen (vgl. [X.], Urteil vom 25. Juni 2010 – 2 [X.], [X.]St 55, 191, 199, 203 f.).

(3) Weitergehend leitet der [X.] ([X.]) aus dem Recht auf Achtung des Privatlebens im Sinne von Art. 8 [X.] das Recht einer Person her zu entscheiden, wie und zu welchem [X.]punkt ihr Leben enden soll ([X.], NJW 2011, 3773, 3774; 2013, 2953, 2955 f.). Auch wenn im Bereich der [X.] derzeit kein Konsens hinsichtlich der Frage der Strafbarkeit eines assistierten Suizids besteht und deshalb den nationalen Gerichten in diesem Zusammenhang ein erheblicher Ermessensspielraum eingeräumt ist ([X.], aaO), kommt der Auslegung der [X.] zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten durch den [X.] im Rahmen der verfassungs- und konventionskonformen Anwendung der §§ 216, 13 StGB eine Orientierungs- und Leitfunktion zu (vgl. zu den Auswirkungen der Rechtsprechung des [X.] auf die Rechtsanwendung durch die nationalen Gerichte [X.] 111, 307, 320; 128, 326, 368 ff.; [X.], NJW 2019, 41, 43).

(4) Unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung des [X.] hat das [X.] dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht das Recht eines schwer und unheilbar kranken Menschen entnommen, „zu entscheiden wie und zu welchem [X.]punkt sein Leben enden soll, vorausgesetzt er kann seinen Willen frei bilden und entsprechend handeln.“ Hiermit sei die ausnahmslose Beschränkung des Zugangs zu die schmerzlose und sichere Selbsttötung ermöglichenden Betäubungsmitteln im Falle einer durch seine Krankheit begründeten extremen Notlage des Suizidwilligen unvereinbar ([X.]E 158, 142, 152; vgl. auch [X.], Urteil vom 28. Mai 2019 – 3 C 6/17).

(5) Die herrschende Auffassung im Schrifttum entnimmt dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des [X.]en einen unterschiedlich weitgehenden „Anspruch, in Ruhe sterben zu können“ (vgl. [X.]/[X.]/[X.], 84. EL, Art. 2 Abs. 1 Rn. 205; [X.] in Handbuch des Staatsrechts, 3. Aufl., § 147 Rn. 101; [X.], [X.], 185, 186; [X.], [X.] 2015, 132, 135; [X.], [X.] 2017, 38, 41 f.). Deshalb könne ein Arzt oder ein Dritter, der den ernstlichen Wunsch nach [X.] achtet, nicht wegen eines Tötungsdelikts belangt werden (vgl. [X.]/[X.]/[X.], aaO).

bb) In Anbetracht der solchermaßen im Laufe der rechtlichen Entwicklung gewachsenen Bedeutung der Selbstbestimmung des Einzelnen auch bei Entscheidungen über sein eigenes Leben kann in Fällen des freiverantwortlichen Suizids der Arzt, der die Umstände kennt, nicht mit strafrechtlichen Konsequenzen verpflichtet werden, gegen den Willen des [X.]en zu handeln (vgl. LK-StGB/[X.], aaO, § 216 Rn. 26). Da [X.]         ihren ernstlichen Entschluss, aus dem Leben zu scheiden, ohne Wissens- oder Verantwortlichkeitsdefizits freiverantwortlich gebildet und umgesetzt hat und sich keine Hinweise auf eine Änderung ihres [X.] ergeben, brauchte der Angeklagte Maßnahmen zu ihrer Rettung nicht zu ergreifen.

c) Dies gilt auch hinsichtlich einer etwaigen Garantenstellung aus [X.], insbesondere dem Verschaffen der Medikamente. Denn [X.]         hat im [X.] hieran die Tabletten freiverantwortlich selbst eingenommen, so dass das Risiko für die Verwirklichung der durch das Vorverhalten des Angeklagten gegebenenfalls erhöhten Gefahr allein in ihrem Verantwortungsbereich lag (vgl. hierzu sowie zur Garantenstellung aus [X.] im Übrigen [X.], Urteil vom heutigen Tag – 5 [X.]).

d) Der Senat weicht mit dieser Ansicht nicht in einer ein Anfrageverfahren nach § 132 Abs. 3 Satz 1 GVG erfordernden Weise von der Entscheidung des 3. Strafsenats vom 4. Juli 1984 (3 [X.], [X.]St 32, 367, 374) ab. Mit der Beendigung der Garantenstellung als Hausarzt und der Vereinbarung einer bloßen Sterbebegleitung unterscheidet sich der vorliegende Fall in tatsächlicher Hinsicht von dem dem Urteil des 3. Strafsenats (aaO) zugrundeliegenden Sachverhalt, in dem eine abschließende Abrede über Fortbestand und Art des [X.] noch nicht getroffen worden war.

4. Das [X.] hat auch eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen unterlassener Hilfeleistung (§ 323c Abs. 1 StGB) zutreffend verneint. Entgegen seiner Rechtsansicht stellt die Situation einer Selbsttötung nach der Rechtsprechung des [X.] zwar auch im Falle ihrer Freiverantwortlichkeit einen Unglücksfall im Sinne von § 323c Abs. 1 StGB dar, der für jedermann in den Grenzen des Erforderlichen und Zumutbaren eine auf die Vornahme von [X.] gerichtete [X.] begründet. Eine dem geäußerten Willen Frau [X.] zuwiderlaufenden Hilfeleistung war dem Angeklagten aber nicht zumutbar (vgl. dazu [X.], Urteil vom heutigen Tag – 5 [X.]).

5. Eine Strafbarkeit des Angeklagten nach § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. a und b i.V.m. § 13 Abs. 1 BtMG sowie § 1 Abs. 1 BtMG i.V.m. [X.] zum [X.] hat die Strafkammer ohne Rechtsfehler abgelehnt ([X.] 18).

Mutzbauer     

      

Sander     

      

[X.]

      

König     

      

Köhler     

      

Meta

5 StR 393/18

03.07.2019

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend BGH, 7. Mai 2019, Az: 5 StR 132/18, Beschluss

§ 13 Abs 1 StGB, § 212 Abs 1 StGB, § 216 Abs 1 StGB, § 323c Abs 1 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 03.07.2019, Az. 5 StR 393/18 (REWIS RS 2019, 5842)

Papier­fundstellen: NJW 2019, 3089 REWIS RS 2019, 5842


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 5 StR 393/18

Bundesgerichtshof, 5 StR 393/18, 03.07.2019.

Bundesgerichtshof, 5 StR 393/18, 01.07.2019.


Az. 5 StR 132/18

Bundesgerichtshof, 5 StR 132/18, 03.07.2019.


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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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