Bundesgerichtshof, Urteil vom 17.06.2015, Az. 2 StR 228/14

2. Strafsenat | REWIS RS 2015, 9608

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Gegenstand

Strafverfahren: Ablehnung einer beisitzenden Richterin einer Jugendkammer wegen Befangenheitsbesorgnis bei privater Nutzung eines Mobiltelefons während der Beweisaufnahme


Tenor

Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 7. November 2013 aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Jugendkammer des [X.] zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten [X.]     wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen und wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten, den Angeklagten B.       wegen gefährlicher Körperverletzung und versuchter gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von drei Jahren verurteilt. Hiergegen wenden sich die Angeklagten mit ihren Revisionen, mit denen sie die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügen. Die Rechtsmittel haben mit der von beiden Angeklagten erhobenen Verfahrensrüge Erfolg, bei dem Urteil habe ein [X.] mitgewirkt, nachdem er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt worden war und das Ablehnungsgesuch zu Unrecht verworfen worden ist (§ 24 Abs. 1 und 2, § 338 Nr. 3 [X.]).

2

1. Der Rüge liegt das folgende Prozessgeschehen zugrunde:

3

Die Angeklagten hatten u.a. eine beisitzende [X.]in wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt, da diese während der Vernehmung eines Zeugen am vierten Hauptverhandlungstag über einen Zeitraum von etwa zehn Minuten mehrfach ihr Mobiltelefon bedient habe. Aufgrund des mit der Bedienung des Mobiltelefons und dem Schreiben von [X.] einhergehenden Aufmerksamkeitsdefizits sei das Fragerecht bzw. die Fragemöglichkeit der abgelehnten [X.]in eingeschränkt. Damit sei der Eindruck erweckt worden, die [X.]in habe sich mangels uneingeschränkten Interesses an der Beweisaufnahme bereits zur Tat- und Schuldfrage der Angeklagten festgelegt.

4

In der dienstlichen Erklärung hat die beisitzende [X.]in u.a. ausgeführt, ihr vor ihr liegendes stumm geschaltetes Mobiltelefon in der Hauptverhandlung als "Arbeitsmittel" zu nutzen. Die an diesem Tag erwartete [X.] sei bereits deutlich überschritten gewesen. Einen (stummen) Anruf von zu Hause habe sie mit einer vorgefertigten [X.] des Inhalts "Bin in Sitzung" beantwortet; eine weitere dringende [X.]-Anfrage bezüglich der weiteren Betreuung der Kinder habe sie "binnen Sekunden" beantwortet. Auf Rüge der Verteidigung habe sie diesen Sachverhalt öffentlich gemacht und sich entschuldigt.

5

Mit Beschluss vom 15. April 2013 hat das [X.] den Befangenheitsantrag - ohne Mitwirkung der abgelehnten [X.]in - als unbegründet zurückgewiesen. Die Aufmerksamkeit der beisitzenden [X.]in sei in keinem Fall so reduziert, "dass sie in ihrer Fähigkeit, die Beweisaufnahme in allen ihren wesentlichen Teilen zuverlässig aufzunehmen und richtig zu würdigen", eingeschränkt gewesen sei. Denn das Verfassen einer (vorgefertigten) [X.] oder die kurzfristige Benutzung des Mobiltelefons zu dienstlichen Zwecken, erfordere keine besonderen Anforderungen an die Verstandestätigkeit und die Aufmerksamkeit eines [X.]s. Dieses habe die beisitzende [X.]in zudem in ihrer dienstlichen Erklärung bestätigt. Außerdem habe sie sich in der Hauptverhandlung für ihr Verhalten entschuldigt.

6

2. Das Ablehnungsgesuch gegenüber der beisitzenden [X.]in ist zu Unrecht zurückgewiesen worden.

7

Das Vorliegen eines Ablehnungsgrundes im Sinne von § 24 Abs. 2 [X.] ist grundsätzlich vom Standpunkt des Angeklagten zu beurteilen. Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines [X.]s ist dann gerechtfertigt, wenn der Ablehnende bei verständiger Würdigung des ihm bekannten Sachverhalts Grund zu der Annahme hat, der [X.] nehme ihm gegenüber eine Haltung ein, die dessen Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann (vgl. [X.], Urteil vom 2. März 2004 - 1 StR 574/03, [X.]R [X.] § 24 Abs. 2 Befangenheit 14; [X.]/[X.], [X.], 58. Aufl., § 24 Rn. 6 und 8 mwN).

8

So liegt der Fall hier. Auch aus der Sicht eines besonnenen Angeklagten gab die private Nutzung des Mobiltelefons durch die beisitzende [X.]in während laufender Hauptverhandlung begründeten Anlass zu der Befürchtung, die [X.]in habe sich mangels uneingeschränkten Interesses an der dem Kernbereich richterlicher Tätigkeit unterfallender (vgl. § 261 [X.]) Beweisaufnahme auf ein bestimmtes Ergebnis festgelegt.

9

Angesichts der Tatsache, dass es die beisitzende [X.]in wegen der erwarteten Überschreitung der [X.] mit vorgefertigter [X.] offensichtlich von vornherein darauf angelegt hat, aktiv in der Hauptverhandlung in privaten Angelegenheiten nach außen zu kommunizieren, kommt es entgegen der Auffassung im ablehnenden Beschluss des [X.]s auch nicht darauf an, ob deswegen die Aufmerksamkeit der [X.]in erheblich reduziert gewesen sei. Denn die beisitzende [X.]in hat sich während der Zeugenvernehmung durch eine mit der Sache nicht im Zusammenhang stehende private Tätigkeit nicht nur gezielt abgelenkt und dadurch ihre Fähigkeit beeinträchtigt, der Verhandlung in allen wesentlichen Teilen zuverlässig in sich aufzunehmen und zu würdigen; sie hat damit auch zu erkennen gegeben, dass sie bereit ist, in laufender Hauptverhandlung Telekommunikation im privaten Bereich zu betreiben und dieses über die ihr obliegenden dienstlichen Pflichten zu stellen. Von kurzfristigen Abgelenktheiten, wie sie während einer länger andauernden Hauptverhandlung auftreten können, unterscheidet sich dieser Fall dadurch, dass eine von vornherein über den Verhandlungszusammenhang hinausreichende externe Telekommunikation unternommen wird; eine solche ist mit einer hinreichenden Zuwendung und Aufmerksamkeit für den Verhandlungsinhalt unvereinbar.

Da es sich auch nicht um ein unbedachtes Verhalten der abgelehnten [X.]in handelt, das durch Klarstellung und Entschuldigung beseitigt werden kann (vgl. dazu [X.], Beschluss vom 3. März 1999 - 5 StR 566/98, [X.]R [X.] § 338 Nr. 3 Revisibilität 1), durfte das Ablehnungsgesuch nach alledem nicht zurückgewiesen werden.

3. Der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 3 [X.] führt dazu, dass das angefochtene Urteil mit den Feststellungen aufzuheben ist.

[X.]     

Ri[X.] Prof. Dr. Krehl      
ist an der Unterschrift
gehindert.

     [X.]

[X.]     

Zeng     

Rin[X.] Dr. Bartel
ist wegen Urlaubs an der
Unterschrift gehindert.

[X.]

Meta

2 StR 228/14

17.06.2015

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Frankfurt, 7. November 2013, Az: 5/8 KLs 10/12

§ 24 Abs 2 StPO, § 261 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 17.06.2015, Az. 2 StR 228/14 (REWIS RS 2015, 9608)

Papier­fundstellen: NJW 2015, 2986 REWIS RS 2015, 9608

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Wird zitiert von

2 StR 434/14

2 StR 228/14

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