Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 20.05.2021, Az. 2 BvR 2595/16

2. Senat 3. Kammer | REWIS RS 2021, 5669

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Zur Reichweite der Bindungswirkung verfassungsgerichtlicher Entscheidungen, insb zum Umfang der fachgerichtlichen Sachaufklärung nach Aufhebung und Zurückverweisung der Sache - hier: Angaben zur Konfession im Meldebogen und darauf gestützte Zugehörigkeit zu einer jüdischen Gemeinde - Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde mangels hinreichender Darlegung einer Grundrechtsverletzung


Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

1

Die Beschwerdeführer wenden sich gegen ein Urteil des [X.], mit dem dieses ihre Revisionen unter Verweis auf die Bindung an einen früheren Beschluss des [X.] als unbegründet zurückgewiesen hat. Das [X.] hatte ein erstes Revisionsurteil des [X.] zuvor aufgehoben.

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Gegenstand des Ausgangsverfahrens ist die Frage, ob die Beschwerdeführer in der [X.] vom 8. November 2002 bis zum 31. Oktober 2003 mit Wirkung für das staatliche Recht Mitglieder der [X.], einer steuerberechtigten Religionsgemeinschaft, geworden sind. Die aus [X.] zugezogenen Beschwerdeführer hatten im Meldebogen des Einwohnermeldeamts unter der Rubrik "Religion" den Begriff "mosaisch" angegeben. Streitig war insbesondere, ob diese Erklärung der Beschwerdeführer den Schluss auf eine von ihrem Willen getragene Zuordnung zur [X.] erlaube.

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1. Die Vorinstanzen wiesen die Klagen der Beschwerdeführer auf Feststellung, im vorgenannten [X.]raum nicht Mitglieder der [X.] geworden zu sein, ab. Das [X.] gab den dagegen gerichteten Revisionen der Beschwerdeführer mit Urteil vom 23. September 2010 (- 7 C 22/09 -, juris) statt und stellte fest, dass für das staatliche Recht von einer Mitgliedschaft der Beschwerdeführer bei der [X.] im [X.]raum vom 8. November 2002 bis zum 31. Oktober 2003 nicht ausgegangen werden könne.

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2. Das [X.] hob mit [X.] vom 17. Dezember 2014 - 2 BvR 278/11 - das Urteil des [X.] auf die Verfassungsbeschwerde der [X.] auf. Dieses Urteil verletze die [X.] [X.] in ihrem Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Art. 140 GG und Art. 137 Abs. 3 WRV. Das [X.] habe in der aufgehobenen Entscheidung die Bedeutung und Tragweite von Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3 WRV verkannt, soweit es die Angaben der Beschwerdeführer gegenüber der Meldebehörde, "mosaischer" Religionszugehörigkeit zu sein, für die Mitgliedschaft in der [X.] nicht habe genügen lassen. Die Sache wurde an das [X.] zurückverwiesen.

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3. Mit angegriffenem Urteil vom 21. September 2016 wies das [X.] die Revisionen der Beschwerdeführer als unbegründet zurück. Das Berufungsurteil, nach dem die Beschwerdeführer vom 8. November 2002 bis zum 31. Oktober 2003 mit Wirkung für das staatliche Recht Mitglieder der [X.] waren, beruhe nicht auf einer Verletzung von Bundesrecht. Die Bindung an den Feststellungsausspruch des [X.] nach § 95 Abs. 1 Satz 1 [X.] bewirke im Fall der Zurückverweisung der Sache an das Fachgericht nach § 95 Abs. 2 [X.], dass dieses die festgestellte Verletzung des Grundgesetzes seiner erneuten Entscheidung jedenfalls bei unveränderter Sach- und Rechtslage zugrunde legen müsse. Es dürfe dem Feststellungsausspruch des [X.] im Ergebnis nicht widersprechen. Daraus folge zwangsläufig, dass das Fachgericht die vom [X.] nach § 95 Abs. 2 [X.] als grundgesetzwidrig aufgehobene Entscheidung nicht für grundgesetzkonform erklären dürfe. Diese Bindung an den Tenor der Entscheidung des [X.] bestehe unabhängig von dem Inhalt der ihn tragenden Gründe. Sie hindere das Fachgericht daran, den Einwendungen des beim [X.] unterlegenen Beteiligten gegen das Vorliegen der festgestellten Grundrechtsverletzung Rechnung zu tragen. Zum Beleg seiner Rechtsansicht verweist das [X.] unter anderem auf einen [X.] des [X.] vom 14. Juni 2006 (- 2 BvR 537/05 -, [X.], 211).

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Für die erneute Entscheidung über die Revisionen der Beschwerdeführer bedeute dies: Das [X.] habe in dem Tenor des [X.]es vom 17. Dezember 2014 - 2 BvR 278/11 - festgestellt, dass das erste Revisionsurteil des [X.] vom 23. September 2010 die [X.] [X.] in ihrem Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Art. 140 GG und Art. 137 Abs. 3 WRV verletze. Damit habe das [X.] die Feststellung in dem Tenor des Revisionsurteils, die Beschwerdeführer seien vom 8. November 2002 bis zum 31. Oktober 2003 nicht mit Wirkung für das staatliche Recht Mitglieder der [X.] geworden, für grundgesetzwidrig erklärt. Da dieser Ausspruch nach § 31 Abs. 1 [X.] binde, dürfe der [X.] die gegensätzliche Feststellung des ersten Revisionsurteils nicht wiederholen. Vielmehr müsse er für die erneute Entscheidung über die Revisionen der Beschwerdeführer davon ausgehen, dass nur deren Mitgliedschaft bei der [X.] während des fraglichen [X.]raums dem Grundgesetz entspreche. Dabei halte der [X.] es für fraglich, ob diese Mitgliedschaft mit der Gewährleistung der Religionsfreiheit nach Art. 9 der [X.] ([X.]) vereinbar sei. Dies brauche aber letztlich nicht vertieft zu werden, weil der [X.] aufgrund der Bindungswirkung des früheren [X.]es des [X.] gehindert sei, die Erkenntnisse zur Religionsfreiheit nach Art. 9 [X.] in die Auslegung der Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Art. 140 GG und Art. 137 Abs. 3 WRV einfließen zu lassen, da deren Bedeutungsgehalt für das vorliegende Revisionsverfahren aufgrund des nach § 31 [X.] bindenden Feststellungsausspruchs des früheren [X.]es feststehe.

7

4. Die Beschwerdeführer erhoben daraufhin - parallel zu ihrer vorliegenden Verfassungsbeschwerde - Individualbeschwerde zum [X.] und machten eine Verletzung von Art. 9 (Gedanken-, Gewissens-, und Religionsfreiheit) und von Art. 11 (Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit) der [X.] durch das angegriffene Urteil des [X.] geltend. Der [X.] erklärte die Beschwerde mit Entscheidung vom 13. Juni 2017 (- 32745/17 -, juris) mit Blick auf die noch anhängige Verfassungsbeschwerde beim [X.] für unzulässig.

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Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdeführer eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 4 Abs. 1 GG und Art. 9 [X.] sowie von Art. 103 Abs. 1 GG. Zur Begründung greifen sie ihren Vortrag aus dem [X.] 2 BvR 278/11 auf, in dem sie als Äußerungsberechtigte gemäß § 94 Abs. 3 [X.] gehört worden waren. Sie führen im Wesentlichen aus, dass die durch die innerstaatlichen Gerichte anerkannte und vom [X.] in seinem [X.] vom 17. Dezember 2014 als grundrechtskonform angesehene Mitgliedschaft in der [X.] in [X.] nicht auf ihrem Einverständnis beruhe. Dies verletze ihre negative Religionsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 GG und Art. 9 [X.]. Das [X.] habe verkannt, dass die Gemeindemitgliedschaft der Beschwerdeführer ohne den Willen und ohne das Wissen der Beschwerdeführer entstanden sei.

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Im Übrigen sei Art. 103 Abs. 1 GG verletzt, weil sich das [X.] in dem angegriffenen Urteil an den früheren [X.] des [X.] gebunden gesehen habe, obgleich dieser unter Außerachtlassung wesentlichen Vortrags der Beschwerdeführer zustande gekommen sei.

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen (§ 93a Abs. 2 [X.]). Die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 [X.] liegen nicht vor. Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu. Auch ist ihre Annahme nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 [X.] genannten Rechte der Beschwerdeführer angezeigt. Die Verfassungsbeschwerde hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, da sie unzulässig ist. Sie genügt nicht den Anforderungen der § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1, § 92 [X.]. Die Beschwerdeführer haben eine Verletzung ihrer Grundrechte oder grundrechtsgleichen Rechte nicht substantiiert dargelegt.

1. Die Beschwerdeführer haben die Möglichkeit einer Verletzung ihrer Grundrechte oder grundrechtsgleichen Rechte darzulegen (vgl. [X.] 6, 132 <134>; 20, 323 <329 f.>; 28, 17 <19>; 89, 155 <171>; 98, 169 <196>). Bei einer gegen eine gerichtliche Entscheidung gerichteten Verfassungsbeschwerde haben sich die Beschwerdeführer mit dieser in der Regel ins Einzelne gehend inhaltlich auseinanderzusetzen (vgl. [X.] 82, 43 <49>; 86, 122 <127>; 88, 40 <45>; 105, 252 <264>; 140, 229 <232>). Es muss deutlich werden, inwieweit durch die angegriffene Maßnahme das bezeichnete Grundrecht verletzt sein soll (vgl. [X.] 78, 320 <329>; 99, 84 <87>; 115, 166 <179 f.>). Liegt zu den mit der Verfassungsbeschwerde aufgeworfenen Verfassungsfragen Rechtsprechung des [X.] bereits vor, der die angegriffenen Gerichtsentscheidungen folgen, so ist der behauptete [X.] in Auseinandersetzung mit den vom [X.] entwickelten Maßstäben zu begründen (vgl. [X.] 77, 170 <214 ff.>; 99, 84 <87>; 101, 331 <345 f.>; 123, 186 <234>; 130, 1 <21 ff.>). Das gilt jedenfalls dann, wenn die Verletzung des Grundrechts nicht auf der Hand liegt (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des Ersten [X.]s vom 24. August 2010 - 1 BvR 1584/10 -, Rn. 3).

2. Diesen Anforderungen genügt der Vortrag der Beschwerdeführer nicht.

a) Soweit die Beschwerdeführer eine Gehörsverletzung darin sehen, dass das [X.] in seiner angegriffenen Entscheidung Vortrag der Beschwerdeführer - den das [X.] in dem früheren [X.] übergangen habe - wegen der Bindungswirkung der verfassungsgerichtlichen Entscheidung nicht habe berücksichtigen können, verkennen die Beschwerdeführer den Schutzbereich von Art. 103 Abs. 1 GG. Art. 103 Abs. 1 GG garantiert weder die Richtigkeit der getroffenen tatsächlichen Feststellungen (vgl. [X.] 76, 93 <98>) noch eine ordnungsgemäße Subsumtion und Entscheidungsbegründung (vgl. [X.] 65, 293 <295>) und schützt auch nicht davor, dass das Vorbringen eines Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts teilweise oder ganz unberücksichtigt bleibt.

aa) Allerdings begegnet die Auffassung des [X.], es sei aufgrund der Bindungswirkung der Entscheidung des [X.] daran gehindert, den Vortrag der Beschwerdeführer im Rahmen der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen, in dieser Allgemeinheit rechtlichen Bedenken.

(1) Mit der Aufhebung der vom [X.] für verfassungswidrig erklärten Entscheidung und der Zurückverweisung des Rechtsstreits an das zuständige Gericht gemäß § 95 Abs. 2 [X.] werden der aufgehobene Hoheitsakt und seine Bestands- und/oder Rechtskraft rückwirkend beseitigt mit der Folge, dass von der verfassungswidrigen Maßnahme keine Rechtswirkungen mehr ausgehen. Das Ausgangsverfahren wird wieder bei der Stelle neu anhängig, an die das Verfahren zurückverwiesen wird, und dort in den Stand vor dem Erlass der aufgehobenen Entscheidung zurückversetzt (vgl. [X.] 10, 274 <283 f.>; 89, 381 <393>; 92, 158 <188>; 108, 351 <369>; 129, 1 <37>; [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten [X.]s vom 25. Februar 2014 - 2 BvR 2457/13 -, Rn. 17 f.; [X.], in: [X.]/[X.]/[X.], [X.], 2015, § 95 Rn. 113). Es ist dann in den Fällen des § 90 Abs. 2 Satz 1 [X.] Aufgabe des zuständigen Fachgerichts, in einem neuen Rechtszug (vgl. [X.], Beschluss vom 19. September 2013 - [X.] -, juris, Rn. 6) mit verfassungsrechtlich tragfähiger Begründung erneut in der Sache zu entscheiden (vgl. [X.] 94, 164 <165> - Sondervotum Sommer m.w.[X.]; vgl. insgesamt [X.], in: [X.]/Schmidt-Bleibtreu/[X.]/[X.], [X.], § 95 Rn. 35 ).

Bei ihrer Entscheidung sind die Fachgerichte jeweils an die verfassungsrechtliche Beurteilung des [X.] gebunden; das frühere, vom [X.] für verfassungswidrig erklärte und nach § 95 Abs. 2 [X.] aufgehobene Judikat des Fachgerichts kann deshalb in der von diesem neu zu treffenden Entscheidung nicht für verfassungsmäßig erklärt werden. Jedoch ist der Inhalt der aus dem Tenor folgenden Bindung gegebenenfalls unter Heranziehung der tragenden Gründe einer Entscheidung zu bestimmen (vgl. [X.] 1, 14 <37 f.>; 19, 377 <392>; 20, 56 <87>; 24, 289 <297>; 40, 88 <93>; [X.], Beschluss der [X.] des Ersten [X.]s vom 2. April 1996 - 1 BvL 19/95 -, Rn. 2; [X.], Beschluss der [X.] des Ersten [X.]s vom 17. November 1998 - 1 BvL 10/98 -, Rn. 16; [X.], in: [X.]/Schmidt-Bleibtreu/[X.]/[X.], [X.], § 31 Rn. 96 ; [X.]/[X.], Verfassungsprozessrecht, 4. Aufl. 2020, Rn. 1518 ff.; vgl. auch [X.], Urteil vom 24. März 1999 - 6 C 9.98 -, [X.]E 108, 355 <361 m.w.[X.]>). Davon geht auch das [X.] im Ansatz zutreffend aus, indem es ausführt, die Bindungswirkung erstrecke sich auf die den Feststellungsausspruch nach § 95 Abs. 1 Satz 1 [X.] tragenden Gründe, soweit diese Auslegung und Anwendung des Grundgesetzes betreffen. Richtig ist ferner, dass das Fachgericht eine vom [X.] nach § 95 Abs. 2 [X.] als grundgesetzwidrig aufgehobene Entscheidung nicht für grundgesetzkonform erklären darf.

Mit diesen Ausführungen unvereinbar und unzutreffend ist jedoch die weitere Annahme des [X.] in dem hier angegriffenen Urteil (a.a.[X.], Rn. 9), die Bindung an den Tenor der Entscheidung des [X.] bestehe unabhängig von dem Inhalt der ihn tragenden Gründe. Dieser Auffassung liegt ein grundlegendes Missverständnis des Beschlusses der [X.] des Zweiten [X.]s des [X.] vom 14. Juni 2006 (- 2 BvR 537/05 -, [X.], 211) zugrunde. Die Bindungswirkung der Entscheidung des [X.] hindert das Gericht, an das eine Sache gemäß § 95 Abs. 2 [X.] zurückverwiesen worden ist, nicht von vornherein daran, mit anderer - verfassungsrechtlich tragfähiger - Begründung zu demselben Ergebnis zu kommen wie in seiner zuvor aufgehobenen Entscheidung. Es darf dabei zwar das Vorliegen des festgestellten Verfassungsverstoßes und die der Feststellung zugrundeliegenden Wertungen (vgl. [X.], Urteil vom 7. Oktober 1998 - 21 U 3506/98 - NJW-RR 1999, [X.]) nicht mehr in Frage stellen. Das Fachgericht ist jedoch frei, aus anderen als den nach § 31 Abs. 1, § 95 Abs. 1 Satz 1 [X.] bindend entschiedenen verfassungsrechtlichen Gründen gleichwohl zum selben Ergebnis zu kommen (vgl. [X.], in: [X.]/Clemens/[X.], [X.], [X.], 2. Aufl. 2005, § 95 Rn. 76; derselbe, in: [X.]/[X.]/[X.], [X.], 2015, § 95 Rn. 71). Es darf lediglich nicht - auch nicht mit anderer Begründung - die Entscheidung einer Vorinstanz, die das [X.] bereits für verfassungswidrig erklärt und aufgehoben hat, in dem neuen Rechtszug für (fortbestehend und) verfassungsgemäß erklären. Nur mit dieser Fallgestaltung befasst sich der [X.] vom 14. Juni 2006 (a.a.[X.]), die hier jedoch nicht vorlag, weil die Entscheidungen der Vorinstanzen nicht Gegenstand der verfassungsgerichtlichen Überprüfung waren.

(2) Das [X.] hat seinem Beschluss vom 17. Dezember 2014 die vom [X.] im ersten Revisionsurteil vom 23. September 2010 (a.a.[X.], Rn. 6) referierten tatsächlichen Feststellungen des [X.] zugrunde gelegt, soweit sie vom [X.] in diesem Urteil nicht in Zweifel gezogen worden waren. Dazu gehörte insbesondere die Feststellung, bei der [X.] handele es sich um die einzige [X.] Gemeinde in [X.]. Ob die Beschwerdeführer diese Feststellungen im ersten [X.] in revisionsrechtlich relevanter Weise angegriffen hatten, war vom [X.] nicht zu beurteilen. Ebenso wenig war für seine Entscheidung erheblich, ob die Beschwerdeführer die nach Auffassung der Kammer durch die Angabe "mosaisch" wirksam begründete Mitgliedschaft mit ihrer Erklärung vom 11. September 2003 noch wirksam ex tunc beenden konnten, obwohl die durch § 3 der Satzung der [X.] dafür gesetzte Frist von drei Monaten nach dem Zuzug bereits abgelaufen war. Darauf kam es für die verfassungsrechtliche Beurteilung des in jenem Verfahren angegriffenen ersten Revisionsurteils des [X.] nicht an, weil dieses schon die Begründung der Mitgliedschaft durch eine vom Willen getragene Erklärung in verfassungswidriger Weise verneint hatte. Nur unter diesem Gesichtspunkt hatte das [X.] in seinem ersten Urteil auch das Fehlen einer gemäß der Satzung fristgemäßen Ausschlagung der Mitgliedschaft erörtert mit der (von ihm verneinten) Frage, ob dieses Fehlen als entsprechende Willensäußerung der Beschwerdeführer gedeutet werden könnte (a.a.[X.], Rn. 16).

Es wäre deshalb Aufgabe des [X.] gewesen, etwaigen von den Beschwerdeführern in revisionsrechtlich zulässiger Weise erhobenen Einwänden gegen die Feststellung des [X.], es gebe nur eine [X.] Ortsgemeinde in [X.], weiter nachzugehen, soweit es diese Einwände nach Maßgabe der verfassungsrechtlichen Beurteilung durch das [X.] im zweiten [X.] nunmehr für erheblich hielt. Auf überörtliche Zusammenschlüsse kam es allerdings nach der Entscheidung des [X.] (a.a.[X.], Rn. 71) von vornherein nicht an. Ebenso hätte das [X.] etwaige Einwände der Beschwerdeführer gegen die Wirksamkeit von § 3 der Satzung und die zur Handhabung dieser Bestimmung durch die [X.] Gemeinde vom Verwaltungsgerichtshof getroffenen Feststellungen (vgl. [X.], Urteil vom 23. September 2010, a.a.[X.], Rn. 6) prüfen können.

bb) Dass es darauf nicht näher eingegangen ist, sondern sich an einer eigenen Prüfung durch die Bindungswirkung des Beschlusses des [X.] gehindert gesehen hat, stellt jedoch keine Verletzung des rechtlichen Gehörs der Beschwerdeführer im Sinne von Art. 103 Abs. 1 GG dar (vgl. [X.] 112, 1 <40>). Das [X.] hat etwaiges nach der Entscheidung des [X.] revisionsrechtlich relevantes Vorbringen der Beschwerdeführer nicht übergangen, sondern dessen Berücksichtigung aus rechtlichen Gründen für ausgeschlossen gehalten.

b) Die Beschwerdeführer machen nicht geltend, dass die vom [X.] zugrunde gelegten Maßstäbe zu Inhalt und Grenzen der Bindungswirkung bundesverfassungsgerichtlicher Entscheidungen im Fall einer Zurückverweisung nach § 95 Abs. 2 [X.] sie in ihrem Recht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG beziehungsweise aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG (vgl. im Hinblick auf die Nichtbeachtung der Bindungswirkung durch ein Gericht den Beschluss der [X.] des Ersten [X.]s des [X.] vom 15. Dezember 2004 - 1 BvR 2495/04 -, Rn. 11 ff.; Beschluss der [X.] des Zweiten [X.]s vom 5. Mai 1987 - 2 BvR 104/87 -, Rn. 41; [X.] 40, 88 <94>; 115, 97 <108>; vgl. [X.]/[X.], Verfassungsprozessrecht, 4. Aufl. 2020, Rn. 1544) verletzten. Es kann deshalb dahinstehen, ob eine solche Verletzung hier zumindest möglich ist. Für eine zulässige Rüge der Verletzung von Art. 19 Abs. 4 GG beziehungsweise von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG hätten sich die Beschwerdeführer jedenfalls mit der Auslegung und Anwendung des § 95 Abs. 2 [X.] beziehungsweise des § 31 Abs. 1 [X.] durch das [X.] auseinandersetzen und darlegen müssen, ob und inwieweit die dargestellte Auffassung des [X.] gegen die Verfassung verstößt. Sie gehen jedoch mit dem [X.] davon aus, dass wegen der Bindung an den Tenor der bundesverfassungsgerichtlichen [X.] - ohne Rücksicht auf die Gründe - die Mitgliedschaft der Beschwerdeführer in der [X.] feststehe. Die Möglichkeit, aus anderen als den bindend entschiedenen verfassungsrechtlichen Gründen zu derselben Entscheidung zu gelangen wie im ersten Revisionsurteil, das eine solche Mitgliedschaft als unvereinbar mit der negativen Religionsfreiheit der Beschwerdeführer angesehen hatte, halten sie für ausgeschlossen. Sie zeigen damit gerade nicht auf, dass das [X.] unter Verweis auf die Bindungswirkung eine erneute Prüfung der Revisionen verweigert und damit einen [X.] begangen habe.

c) [X.] ist die Verfassungsbeschwerde auch, soweit die Beschwerdeführer ihre Ausführungen zu Art. 4 Abs. 1 GG aus dem ersten [X.] wiederholen und sich zur Auslegung von Art. 4 Abs. 1 GG zusätzlich auf Art. 9 [X.] berufen. Denn die Berufung auf Art. 9 [X.] eröffnete dem [X.] keine erneute inhaltliche Prüfung der Sache (vgl. hierzu [X.] 74, 358 <370>; 111, 307 <323, 326 f.>; [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten [X.]s vom 18. August 2013 - 2 BvR 1380/08 -, Rn. 19; Beschluss der [X.] des Zweiten [X.]s vom 19. Mai 2015 - 2 BvR 1170/14 -, Rn. 47). Inhaltlich konnte das [X.] - wie es selbst zutreffend erkennt - keine vom [X.] abweichende Entscheidung mit der Begründung treffen, die vom [X.] zugrunde gelegte Auslegung des Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG sei mit Art. 9 [X.] unvereinbar. Dies wäre keine - von § 95 Abs. 1 [X.] nicht untersagte - Rechtfertigung des inhaltsgleichen Prozessergebnisses mit anderen Gründen.

Ob dies anders zu sehen wäre, wenn nach der Entscheidung der Kammer eine anderslautende Entscheidung des [X.] im konkreten Fall ergangen und es für das [X.] darum gegangen wäre, diese Entscheidung in [X.] gemäß Art. 46 [X.] umzusetzen (vgl. hierzu [X.] 111, 307 <320, 326 f.>; 128, 326 <365>; [X.]/[X.], Verfassungsprozessrecht, 4. Aufl. 2020, Rn. 1510, 1530 m.w.[X.]; [X.], in: [X.], [X.], 2018, § 31 Rn. 24), bedarf keiner Entscheidung. Zwar führen Entscheidungen des [X.] als feststellende Judikate keine unmittelbare Änderung der Rechtslage, zumal auf [X.] des Verfassungsrechts, herbei. Gleichwohl können sie für die Auslegung des Grundgesetzes rechtserhebliche Bedeutung erlangen und sieht sich in einem solchen Fall das [X.] auch durch die Rechtskraft einer abweichenden eigenen Entscheidung an einer erneuten Prüfung nicht gehindert. Soweit verfassungsrechtlich entsprechende Auslegungsspielräume eröffnet sind, versucht das [X.] wegen des Grundsatzes der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes, Konventionsverstöße zu vermeiden (vgl. [X.] 74, 358 <370>; 83, 119 <128>; 111, 307 <317>; 120, 180 <200 f.>; 128, 326 <364 f.>; [X.]K 3, 4 <7 f.>; 9, 174 <190>; 10, 66 <77 f.>; 10, 234 <239>; 11, 153 <159 ff.>). Welche Auswirkungen eine später ergangene Entscheidung des [X.] auf die Bindungswirkung des Beschlusses des [X.] für den zweiten [X.] beim [X.] nach Zurückverweisung gemäß § 95 Abs. 2 [X.] hätte, kann jedoch offenbleiben, weil eine solche Entscheidung nicht vorliegt.

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 [X.] abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

2 BvR 2595/16

20.05.2021

Bundesverfassungsgericht 2. Senat 3. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend BVerwG, 21. September 2016, Az: 6 C 2/15, Urteil

Art 2 Abs 1 GG, Art 4 Abs 1 GG, Art 19 Abs 4 GG, Art 20 Abs 3 GG, Art 103 Abs 1 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 31 Abs 1 BVerfGG, § 92 BVerfGG, § 95 Abs 1 S 1 BVerfGG, § 95 Abs 2 BVerfGG, Art 9 MRK

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 20.05.2021, Az. 2 BvR 2595/16 (REWIS RS 2021, 5669)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 5669


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 2 BvR 2595/16

Bundesverfassungsgericht, 2 BvR 2595/16, 20.05.2021.


Az. 6 C 2/15

Bundesverwaltungsgericht, 6 C 2/15, 21.09.2016.


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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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