Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 28.10.2019, Az. 2 BvR 966/19

2. Senat 2. Kammer | REWIS RS 2019, 2166

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

ÖFFENTLICHES RECHT BUNDESVERFASSUNGSGERICHT (BVERFG) VERFASSUNGSBESCHWERDE FREIHANDELSABKOMMEN

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Verfassungsbeschwerde gegen Zustimmung der Bundesregierung zum Freihandelsabkommen zwischen der EU und Singapur (EUSFTA) nicht hinreichend substantiiert begründet (§§ 23 Abs 1 S 2, 92 BVerfGG), mithin unzulässig


Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Gründe

1

Mit ihrer Verfassungsbeschwerde und dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wenden sich die Beschwerdeführer gegen die bevorstehende Zustimmung der Bundesregierung zum Freihandelsabkommen zwischen der [X.] und der [X.] ([X.] - [X.]) im Rat der [X.].

2

Am 23. April 2007 ermächtigte der Rat der [X.] die [X.] über ein Freihandelsabkommen mit Mitgliedstaaten des [X.] ([X.]). In der Folge ermächtigte er die [X.] zu bilateralen Verhandlungen mit [X.] und dehnte die Ermächtigung auf den Investitionsschutz aus. Die Verhandlungen wurden 2012 für alle Kapitel außer dem Investitionsschutz abgeschlossen, 2014 auch für diesen.

3

Am 10. Juli 2015 beantragte die [X.] beim Gerichtshof der [X.] ([X.]) ein Gutachten nach Art. 218 Abs. 11 A[X.]V zu der Frage, ob das geplante Abkommen von der [X.] allein unterzeichnet und abgeschlossen werden könne ("[X.]-only"-Abkommen) oder ob es durch die [X.] und die Mitgliedstaaten ratifiziert werden müsse (gemischtes Abkommen).

4

In seinem Gutachten ([X.], Gutachten 2/15 vom 16. Mai 2017 zum Freihandelsabkommen zwischen der [X.] und [X.], [X.]:[X.]) kam der [X.] zu dem Ergebnis, dass die [X.] in nahezu allen von dem geplanten Abkommen erfassten Bereichen die alleinige Zuständigkeit besitze; ausgenommen seien allerdings andere Investitionen als Direktinvestitionen und die Beilegung von Streitigkeiten zwischen Investor und Staat mit den Mitgliedstaaten als Beklagten. Diese Bereiche fielen in die geteilte Zuständigkeit von [X.] und Mitgliedstaaten mit der Folge, dass das Freihandelsabkommen in seiner ursprünglich vorgesehenen Form auch nur von der [X.] und den Mitgliedstaaten gemeinsam geschlossen werden könne.

5

Aufgrund des Gutachtens wurde der ausgehandelte Text angepasst, um zwei eigenständige Abkommen - ein Freihandelsabkommen ([X.]) und ein Investitionsschutzabkommen ([X.]SIPA) - zu schaffen. Die Unterzeichnung und den Abschluss beider Abkommen schlug die [X.] dem Rat am 18. April 2018 vor.

6

Am 15. Oktober 2018 fasste der Rat Beschlüsse zur Unterzeichnung des [X.] und des [X.]SIPA. Am 19. Oktober 2018 wurden die Abkommen unterzeichnet. Das [X.] stimmte den Entwürfen für die Beschlüsse über den Abschluss der Abkommen am 13. Februar 2019 zu.

7

Die abschließende Zustimmung des Rates zum [X.] steht noch aus.

8

Die Beschwerdeführer erheben eine Vielzahl von [X.] gegen das [X.] als Freihandelsabkommen "neuer Generation". Sie tragen unter anderem umfänglich zu einer fortschreitenden Klimakatastrophe, zum [X.] Übereinkommen zum Klimaschutz und dessen angeblicher Blockierung durch das [X.] vor.

9

Im [X.] ihrer Ausführungen machen die Beschwerdeführer geltend, ein Beschluss des Rates der [X.] über den Abschluss des [X.] verletze sie in ihrem Recht auf Demokratie aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1, Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG und erheben insoweit eine [X.]. Das [X.] hätte auch nach dem Gutachten des [X.] als gemischtes Abkommen verhandelt und abgeschlossen werden müssen. Mit seiner Behandlung als "[X.]-only"-Abkommen missachte die [X.] mitgliedstaatliche Kompetenzen und nehme ausschließliche Zuständigkeiten für Bereiche in Anspruch, die zu den geteilten Zuständigkeiten gehörten.

Die Beschwerdeführer rügen zudem eine Verletzung des von Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Kerns des Demokratieprinzips durch das im [X.] vorgesehene [X.]. Der [X.] und die [X.] könnten in zahlreichen im Abkommen spezifizierten Fällen Entscheidungen bis hin zu Vertragsänderungen treffen, die die Vertragsparteien bänden. Damit könne die Gestaltungsfreiheit des [X.] Gesetzgebers erheblich eingeschränkt werden. Das [X.] enthalte eine Vielzahl unbestimmter Begriffe, sodass für Auslegungen breiter Raum bestehe. Die Mitgliedstaaten seien in den [X.]-Ausschüssen nicht als reguläre stimmberechtigte Mitglieder vertreten. Gegen das Demokratieprinzip verstoße auch die mangelnde Unterrichtung der demokratischen Öffentlichkeit.

Die Bundesregierung und der [X.] haben zur Verfassungsbeschwerde und dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung Stellung genommen.

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen (§ 93a Abs. 2 [X.]), weil sie unzulässig ist. Der Vortrag der Beschwerdeführer zur Möglichkeit einer Verletzung von Art. 38 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG genügt nicht den sich aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 [X.] ergebenden Substantiierungsanforderungen.

1. In der Begründung einer Verfassungsbeschwerde haben die Beschwerdeführer darzulegen, mit welchen verfassungsrechtlichen Anforderungen die angegriffene Maßnahme kollidiert. Dazu müssen sie aufzeigen, inwieweit eine Maßnahme die bezeichneten Grundrechte verletzen soll (vgl. [X.] 99, 84 <87>; 108, 370 <386 f.>; 120, 274 <298>; 140, 229 <232 Rn. 9>; 142, 234 <251 Rn. 28>; [X.], Beschluss des [X.] vom 24. Juli 2018 - 2 BvR 1961/09 -, Rn. 23). Liegt zu den mit der Verfassungsbeschwerde aufgeworfenen Verfassungsfragen bereits Rechtsprechung des [X.] vor, so ist der behauptete [X.] in Auseinandersetzung mit den darin entwickelten Maßstäben zu begründen (vgl. [X.] 140, 229 <232 Rn. 9>; 142, 234 <251 Rn. 28>; [X.], Beschluss des [X.] vom 24. Juli 2018 - 2 BvR 1961/09 -, Rn. 23).

2. Hieran gemessen haben die Beschwerdeführer die Möglichkeit einer Verletzung von Art. 38 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG durch eine Mitwirkung der Bundesregierung am Beschluss des Rates der [X.] über den Abschluss des [X.] nicht hinreichend substantiiert dargelegt. Die Beschwerdeführer erheben zwar zahlreiche [X.] gegen das [X.], allerdings weitgehend ohne konkreten Bezug zu den verfassungsrechtlichen Maßstäben.

Auch soweit die Beschwerdeführer im [X.] ihrer Ausführungen geltend machen, die Mitwirkung der Bundesregierung an einem Beschluss des Rates über den Abschluss des [X.] verletze sie in ihrem Recht auf Demokratie aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1, Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG, ist ihr Vortrag unzureichend.

Hinsichtlich der [X.] fehlt es insbesondere an einer näheren Auseinandersetzung mit dem Gutachten des [X.] und der dort entfalteten Argumentation. Soweit sich die Beschwerdeführer auf das Urteil des Senats zum Freihandelsabkommen CETA ([X.] 143, 65) berufen, gehen sie nicht weiter darauf ein, ob CETA als gemischtes Abkommen (vgl. [X.] 143, 65 <80 f. Rn. 15, 88 Rn. 38>) und [X.] als "[X.]-only"-Abkommen vergleichbar sind und die Rechtsprechung des Senats auf [X.] übertragbar ist. Selbst wenn dies der Fall sein sollte, hätte es näherer Darlegung bedurft, inwieweit die von der Beurteilung der Zuständigkeitsverteilung durch den Senat in dieser - im einstweiligen Rechtsschutz ergangenen - Entscheidung zumindest teilweise abweichende Auffassung des [X.] in seinem Gutachten - ihre Fehlerhaftigkeit unterstellt - die in der Rechtsprechung des [X.] entwickelten Anforderungen an eine offensichtliche und strukturell bedeutsame Kompetenzüberschreitung (vgl. [X.] 123, 267 <353 f.>; 126, 286 <302 ff.>; 134, 366 <382 ff. Rn. 23 ff.>; 142, 123 <200 ff. Rn. 146 ff.>; 146, 216 <252 f. Rn. 52 f.>; [X.], Urteil des [X.] vom 30. Juli 2019 - 2 BvR 1685/14, 2 BvR 2631/14 -, Rn. 150 ff.) erfüllt.

In Bezug auf die Identitätsrüge fehlt es an einer an den verfassungsrechtlichen Maßstäben (vgl. [X.] 123, 267 <344, 353 f.>; 126, 286 <302>; 134, 366 <384 ff. Rn. 27 ff.>; 140, 317 <337 Rn. 43>; 142, 123 <195 f. Rn. 137 ff.>; 146, 216 <253 f. Rn. 54 f.>; [X.], Urteil des [X.] vom 30. Juli 2019 - 2 BvR 1685/14, 2 BvR 2631/14 -, Rn. 120, 204 f.) orientierten substantiierten Darlegung, inwiefern das als "[X.]-only"-Abkommen konzipierte [X.] das Demokratieprinzip berühren kann. Auch insoweit liegt es jedenfalls nicht auf der Hand, dass sich die Aussagen im Urteil des Senats zu dem als gemischtes Abkommen konzipierten CETA auf [X.] übertragen lassen.

3. Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos (§ 40 Abs. 3 GO[X.]).

4. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 [X.] abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

2 BvR 966/19

28.10.2019

Bundesverfassungsgericht 2. Senat 2. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

Art 20 Abs 1 GG, Art 20 Abs 2 GG, Art 38 Abs 1 S 1 GG, Art 79 Abs 3 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 92 BVerfGG, EUBes 2018/1599, EUBes 2018/1676

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 28.10.2019, Az. 2 BvR 966/19 (REWIS RS 2019, 2166)

Papier­fundstellen: WM2020,56 REWIS RS 2019, 2166

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

2 BvR 882/19 (Bundesverfassungsgericht)

Ablehnung des Erlasses einer eA bzgl des Freihandelsabkommens zwischen der EU und Singapur (EUSFTA) - …


2 BvR 183/19 (Bundesverfassungsgericht)

Nichtannahmebeschluss: Erfolglose, da mangels hinreichender Begründung unzulässige Verfassungsbeschwerde gegen die Zustimmung der Bundesregierung zum Abschluss …


2 BvR 2047/16 (Bundesverfassungsgericht)

Nichtannahmebeschluss: Verfassungsbeschwerde zur Geltendmachung von Abgeordnetenrechten im Streit mit einem Verfassungsorgan unzulässig - Organstreit als …


2 BvR 1368/16, 2 BvR 1444/16, 2 BvR 1482/16, 2 BvR 1823/16, 2 BvE 3/16 (Bundesverfassungsgericht)

Vorläufige Anwendung des umfassenden Wirtschafts- und Handelsabkommens zwischen Kanada einerseits und der EU und ihren …


2 BvE 3/16, 2 BvR 1368/16, 2 BvR 1444/16, 2 BvR 1482/16, 2 BvR 1823/16 (Bundesverfassungsgericht)

Ablehnung des Erlasses einer einstweiligen Anordnung nach Maßgabe der Gründe bzgl des Comprehensive Economic and …


Referenzen
Wird zitiert von

Vf. 69-VI-17

Zitiert

2 BvR 1961/09

Literatur & Presse BETA

Diese Funktion steht nur angemeldeten Nutzern zur Verfügung.

Anmelden
Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.