Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 23.01.2020, Az. 2 BvR 183/19

2. Senat 2. Kammer | REWIS RS 2020, 2631

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Erfolglose, da mangels hinreichender Begründung unzulässige Verfassungsbeschwerde gegen die Zustimmung der Bundesregierung zum Abschluss des Abkommens zwischen der EU und Japan über eine Wirtschaftspartnerschaft (WPA bzw JEFTA)


Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Gründe

1

Mit ihrer Verfassungsbeschwerde und dem nachgereichten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wenden sich die Beschwerdeführer gegen die Zustimmung der Bundesregierung im [X.] zum Abschluss des Abkommens zwischen der [X.] und [X.] über eine Wirtschaftspartnerschaft ([X.] oder Agreement between the European Union and [X.] for an [X.] ) und begehren die Feststellung der Nichtigkeit des Abkommens.

2

Am 29. November 2012 ermächtigte der [X.] die [X.] über ein Freihandelsabkommen mit [X.]. Die Verhandlungen wurden am 25. März 2013 offiziell eröffnet. Auf dem 24. [X.]-[X.]-Gipfel am 6. Juli 2017 erzielten die [X.] und [X.] eine politische Grundsatzeinigung, wobei das Freihandelsabkommen in "Wirtschaftspartnerschaftsabkommen" umbenannt wurde. Den Abschluss der Verhandlungen verkündeten der Präsident der [X.] und der Premierminister von [X.] am 8. Dezember 2017. Nachdem der Rat der [X.] das Verhandlungsergebnis am 22. Mai 2018 im Grundsatz gebilligt hatte, unterzeichneten die Präsidenten der [X.] und des Rates sowie der Premierminister von [X.] am 17. Juli 2018 das Abkommen. Das [X.] stimmte dem [X.] am 12. Dezember 2018 zu, der [X.] am 20. Dezember 2018. Das Abkommen trat am 1. Februar 2019 in Kraft.

3

Die [X.] hat das [X.] als sogenanntes "[X.]-only"-Abkommen allein abgeschlossen. Sie geht davon aus, dass alle vom [X.] erfassten Bereiche in ihre Zuständigkeit fallen, und stützt sich hier auf das Gutachten des Gerichtshofs der [X.] zum Freihandelsabkommen mit [X.] vom 16. Mai 2017 ([X.], Gutachten 2/15, [X.]:[X.]). Darin kam der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass die [X.] in allen von dem geplanten Abkommen erfassten Bereichen die ausschließliche Zuständigkeit besitze; ausgenommen seien lediglich andere Investitionen als Direktinvestitionen und die Beilegung von Streitigkeiten zwischen Investor und Staat mit den Mitgliedstaaten als Beklagten. Diese Bereiche fielen in die geteilte Zuständigkeit von [X.] und Mitgliedstaaten.

4

Die [X.] hat darauf hingewiesen, dass das [X.] weder Normen für den Investitionsschutz noch Bestimmungen zur Streitbeilegung in diesem Bereich enthalte. Insoweit sei der Abschluss eines eigenen bilateralen Investitionsabkommens mit [X.] beabsichtigt.

5

Die Beschwerdeführer erheben eine Vielzahl von [X.] gegen das [X.] als Freihandelsabkommen "neuer Generation". Sie tragen unter anderem umfänglich zu einer fortschreitenden Klimakatastrophe, zum [X.] Übereinkommen zum Klimaschutz und dessen angeblicher Blockierung durch das [X.] vor. Diesen Vortrag haben die Beschwerdeführer mit nachgereichtem Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 5. Dezember 2019 ergänzt und dabei ihre Kritik am Gutachten 1/17 des [X.] vom 30. April 2019 ([X.]:[X.]:C:2019:341) zum Freihandelsabkommen [X.] wiederholt.

6

Im [X.] ihrer Ausführungen machen die Beschwerdeführer geltend, der Beschluss des Rates der [X.] über den Abschluss des [X.] verletze sie in ihrem Recht auf Demokratie aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1, Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG. Das [X.] sei ein Ultra-vires-Akt, weil es auch nach dem Gutachten 2/15 als gemischtes Abkommen hätte abgeschlossen werden müssen. Mit der Behandlung als "[X.]-only"-Abkommen missachte die [X.] mitgliedstaatliche Kompetenzen und nehme ausschließliche Zuständigkeiten für Bereiche in Anspruch, die zu den geteilten Zuständigkeiten gehörten.

7

Die Beschwerdeführer rügen zudem eine Verletzung des von Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Kerns des Demokratieprinzips durch das im [X.] vorgesehene Ausschusswesen. Insbesondere könne der Gemischte Ausschuss in zahlreichen im Abkommen spezifizierten Fällen Entscheidungen bis hin zu Vertragsänderungen treffen, die die Vertragsparteien bänden. Damit könne die Gestaltungsfreiheit des [X.] Gesetzgebers erheblich eingeschränkt werden.

8

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen (§ 93a Abs. 2 [X.]), weil sie unzulässig ist. Der Vortrag der Beschwerdeführer zur Möglichkeit einer Verletzung von Art. 38 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG genügt - auch unter Berücksichtigung des nachgereichten Schriftsatzes vom 5. Dezember 2019 - nicht den sich aus § 23 Abs. 1 Satz 2 und § 92 [X.] ergebenden Substantiierungsanforderungen.

9

1. In der Begründung einer Verfassungsbeschwerde haben die Beschwerdeführer darzulegen, mit welchen verfassungsrechtlichen Anforderungen die angegriffene Maßnahme kollidieren soll. Sie müssen dazu insbesondere aufzeigen, inwieweit die Maßnahme die bezeichneten Grundrechte verletzen soll (vgl. [X.] 99, 84 <87>; 108, 370 <386 f.>; 120, 274 <298>; 140, 229 <232 Rn. 9>; 142, 234 <251 Rn. 28>; [X.], Beschluss des [X.] vom 24. Juli 2018 - 2 BvR 1961/09 -, Rn. 23). Liegt zu den mit der Verfassungsbeschwerde aufgeworfenen Verfassungsfragen Rechtsprechung des [X.] vor, so ist der behauptete [X.] in Auseinandersetzung mit den darin entwickelten Maßstäben zu begründen (vgl. [X.] 140, 229 <232 Rn. 9>; 142, 234 <251 Rn. 28>; [X.], Beschluss des [X.] vom 24. Juli 2018 - 2 BvR 1961/09 -, Rn. 23).

2. Hieran gemessen haben die Beschwerdeführer die Möglichkeit einer Verletzung von Art. 38 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG durch die Mitwirkung der Bundesregierung am Beschluss des Rates der [X.] über den Abschluss des [X.] nicht hinreichend substantiiert dargelegt. Sie erheben zwar zahlreiche [X.] gegen das [X.], allerdings weitgehend ohne konkreten Bezug zu den verfassungsrechtlichen Maßstäben.

Auch soweit sie im [X.] ihrer Ausführungen geltend machen, dass die Mitwirkung der Bundesregierung am Beschluss des Rates über den Abschluss des [X.] sie in ihrem Recht auf Demokratie aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG verletze, weil das [X.] ultra vires ergangen sei, ist ihr Vortrag unzureichend. Es fehlt insoweit insbesondere an einer näheren Auseinandersetzung mit dem Gutachten 2/15 des Gerichtshofs und der dort entfalteten Argumentation. Ohne eine solche Auseinandersetzung kann eine offensichtliche und strukturell bedeutsame Kompetenzüberschreitung (vgl. [X.] 123, 267 <353 f.>; 126, 286 <302 ff.>; 134, 366 <382 ff. Rn. 23 ff.>; 142, 123 <200 ff. Rn. 146 ff.>; 146, 216 <252 f. Rn. 52 f.>; [X.], Urteil des [X.] vom 30. Juli 2019 - 2 BvR 1685/14, 2 BvR 2631/14 -, Rn. 150 ff.) jedoch nicht dargetan werden.

In Bezug auf die Identitätsrüge fehlt es an einer an den verfassungsrechtlichen Maßstäben (vgl. [X.] 123, 267 <344, 353 f.>; 126, 286 <302>; 134, 366 <384 ff. Rn. 27 ff.>; 140, 317 <337 Rn. 43>; 142, 123 <195 f. Rn. 137 ff.>; 146, 216 <253 f. Rn. 54 f.>; [X.], Urteil des [X.] vom 30. Juli 2019 - 2 BvR 1685/14, 2 BvR 2631/14 -, Rn. 120, 204 f.) orientierten substantiierten Darlegung, inwiefern das als "[X.]-only"-Abkommen konzipierte [X.] das Demokratieprinzip des Grundgesetzes berührt.

Soweit sich die Beschwerdeführer schließlich auf das Urteil des Senats zum Freihandelsabkommen [X.] ([X.] 143, 65) berufen, gehen sie nicht ansatzweise darauf ein, ob das [X.] als "[X.]-only"-Abkommen mit [X.] als gemischtem Abkommen (vgl. [X.] 143, 65 <80 f. Rn. 15, 88 Rn. 38>) vergleichbar und die Rechtsprechung des Senats zu [X.] insoweit übertragbar ist.

3. Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos (§ 40 Abs. 3 GO[X.]).

4. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 [X.] abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

2 BvR 183/19

23.01.2020

Bundesverfassungsgericht 2. Senat 2. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

Art 20 Abs 1 GG, Art 20 Abs 2 GG, Art 38 Abs 1 S 1 GG, Art 79 Abs 3 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 92 BVerfGG

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 23.01.2020, Az. 2 BvR 183/19 (REWIS RS 2020, 2631)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 2631

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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