Bundesverfassungsgericht, Ablehnung einstweilige Anordnung vom 07.11.2019, Az. 2 BvR 882/19

2. Senat 2. Kammer | REWIS RS 2019, 1823

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Ablehnung des Erlasses einer eA bzgl des Freihandelsabkommens zwischen der EU und Singapur (EUSFTA) - beantragte Sicherungsmaßnahmen zur Verhinderung eines endgültigen Rechtsverlusts ungeeignet bzw über das Hauptsachebegehren hinausgehend - eA-Antrag mithin unbegründet


Tenor

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Gründe

1

Mit dem im Nachgang zu ihrer Verfassungsbeschwerde eingereichten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung begehren die Antragsteller, dass der Bundesregierung bei der bevorstehenden Abstimmung im [X.] über den Abschluss des Freihandelsabkommens zwischen der [X.] und der [X.] ([X.] - [X.]) einschränkende Maßgaben auferlegt werden.

2

Am 23. April 2007 ermächtigte der [X.] die [X.] über ein Freihandelsabkommen mit Mitgliedstaaten des [X.] ([X.]). In der Folge ermächtigte er die [X.] auch zu bilateralen Verhandlungen mit [X.] und dehnte die Ermächtigung auf den Investitionsschutz aus. Die Verhandlungen wurden 2012 für alle Kapitel außer dem Investitionsschutz abgeschlossen, im Jahre 2014 auch für diesen.

3

Am 10. Juli 2015 beantragte die Europäische [X.] beim Gerichtshof der [X.] ([X.]) ein Gutachten nach Art. 218 Abs. 11 A[X.]V zu der Frage, ob das geplante Abkommen von der [X.] alleine unterzeichnet und abgeschlossen werden könne ("[X.]-only"-Abkommen) oder ob es durch die [X.] und die Mitgliedstaaten ratifiziert werden müsse (gemischtes Abkommen).

4

In seinem Gutachten vom 16. Mai 2017 ([X.], Gutachten 2/15 zum Freihandelsabkommen zwischen der [X.] und [X.], [X.]:[X.]) kam der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass die [X.] in allen von dem geplanten Abkommen erfassten Bereichen die alleinige Zuständigkeit besitze; ausgenommen seien lediglich andere Investitionen als Direktinvestitionen und die Beilegung von Streitigkeiten zwischen Investor und Staat mit den Mitgliedstaaten als Beklagten. Diese Bereiche fielen in die geteilte Zuständigkeit von [X.] und Mitgliedstaaten mit der Folge, dass das Freihandelsabkommen in seiner ursprünglich vorgesehenen Form auch nur von der [X.] und den Mitgliedstaaten gemeinsam geschlossen werden könne.

5

Aufgrund dieses Gutachtens wurde der ausgehandelte Text angepasst, um zwei eigenständige Abkommen - ein Freihandelsabkommen ([X.]) und ein Investitionsschutzabkommen ([X.]SIPA) - zu schaffen. Am 18. April 2018 schlug die Europäische [X.] dem Rat die Unterzeichnung und den Abschluss beider Abkommen vor.

6

Der [X.] fasste am 15. Oktober 2018 Beschlüsse zur Unterzeichnung des [X.] und des [X.]SIPA. Am 19. Oktober 2018 wurden die Abkommen unterzeichnet. Das [X.] stimmte den Entwürfen am 13. Februar 2019 zu.

7

Die abschließende Zustimmung des Rates zum [X.] ist für den 8. November 2019 vorgesehen, das Abkommen soll am 21. November 2019 in [X.] treten.

8

Die Antragsteller möchten mit ihrem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung erreichen, dass die Bundesregierung bei der bevorstehenden Abstimmung im [X.] dem Abschluss des [X.] nur unter Einschränkungen zustimmen darf.

9

Der Beschluss im [X.] über den Abschluss des "[X.]-only"-Abkommens [X.] sei der letzte Rechtsakt, an dem die Bundesregierung mitwirke, bevor das Abkommen in [X.] trete. Effektiver verfassungsgerichtlicher Rechtsschutz sei im Hinblick auf die Schutzgüter des Art. 38 Abs. 1 Satz 1 und Art. 20 GG daher nur gewährleistet, wenn die Beschlussfassung im Rat in einer Weise erfolge, die die spätere Umsetzbarkeit der Hauptsacheentscheidung des [X.] zur anhängigen Verfassungsbeschwerde sicherstelle. Da sich die Antragsteller der besonders strengen Anforderungen an den Erlass einer einstweiligen Anordnung in Fällen mit völkerrechtlichen und außenpolitischen Auswirkungen bewusst seien, beantragten sie nicht die Aussetzung der Beschlussfassung im Rat, sondern - in Anlehnung an das im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ergangene Urteil des Senats zum Freihandelsabkommen [X.] - die Verpflichtung der Bundesregierung zu Maßnahmen zur Sicherung der Effektivität des laufenden Hauptsacheverfahrens.

Nach Auffassung der Antragsteller soll die Bundesregierung verpflichtet werden, bei ihrer Zustimmung zum Abschluss des [X.] zum Ausdruck zu bringen, dass diese Zustimmung vorbehaltlich der Klärung der Kompetenzabgrenzung zwischen den Mitgliedstaaten und der [X.] im Bereich Schifffahrt, Nachhaltigkeit und [X.] der [X.] erfolge. Ferner solle sie eine Selbstverpflichtung des Rates dahingehend erreichen, dass für die Dauer des Hauptsacheverfahrens beim [X.] im Rat kein Beschluss nach Art. 218 Abs. 9 A[X.]V gefasst wird. Schließlich solle die Bundesregierung verpflichtet werden, eine bindende Erklärung durch Rat und Europäische [X.] herbeizuführen, dass der [X.] bei verfassungsrechtlicher Notwendigkeit ein Ausscheiden aus dem [X.] ermöglicht wird, indem die [X.] eine Kündigung des [X.] vornimmt. Dies solle bei Hinterlegung der Notifikation gemäß Art. 16.13 Abs. 2 [X.] gegenüber [X.] zum Ausdruck kommen.

Die Antragsteller berufen sich ausdrücklich auf die Ausführungen des Senats im Urteil vom 13. Oktober 2016 ([X.] 143, 65) zur Kompetenzabgrenzung zwischen [X.] und Mitgliedstaaten und die dort formulierten Maßgaben. Für das [X.] müssten entsprechende, seiner Konzeption als "[X.]-only"-Abkommen angepasste Sicherungsmaßnahmen angeordnet werden. Dadurch könnten die Rechte der Antragsteller jedenfalls für die [X.] nach Abschluss der Hauptsache effektiv gewahrt werden, ohne die völkerrechtliche Handlungsfähigkeit der [X.] oder der [X.] zu beeinträchtigen.

Die drohende Rechtsverletzung der Antragsteller durch den Abschluss des [X.] liege zum einen in einem [X.] durch den Abschluss des Abkommens allein durch die [X.]. Eine qualifizierte Kompetenzüberschreitung liege konkret in der umfassenden Liberalisierung von [X.] und im Abschluss von Nachhaltigkeitsverpflichtungen. Zum anderen drohe eine Rechtsverletzung der Antragsteller durch eine Berührung der Verfassungsidentität infolge der Übertragung von erheblichen, demokratisch nicht hinreichend legitimierten Regelsetzungsbefugnissen zur Änderung und Auslegung des [X.], zur ergänzenden Regulierung im Bereich bestimmter Durchführungsmaßnahmen und zur Änderung der institutionellen Struktur des Abkommens.

Die Eilbedürftigkeit ihres [X.] begründen die Antragsteller mit der unmittelbar bevorstehenden abschließenden Beschlussfassung im [X.] am 8. November 2019.

Die Bundesregierung und der [X.] haben zur Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache Stellung genommen.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung bleibt ohne Erfolg. Er ist unbegründet, weil die von den Antragstellern begehrten Sicherungsmaßnahmen entweder ungeeignet sind, um einen endgültigen [X.] zu verhindern, oder über das [X.] in der Hauptsache hinausgehen.

1. Nach § 32 Abs. 1 [X.] kann das [X.] einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Bei der Prüfung, ob die Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 [X.] gegeben sind, ist wegen der weittragenden Folgen einer einstweiligen Anordnung regelmäßig ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. [X.] 55, 1 <3>; 82, 310 <312>; 94, 166 <216 f.>; 104, 23 <27>; 106, 51 <58>; 143, 65 <87 Rn. 34>). Dieser wird noch weiter verschärft, wenn eine Maßnahme mit völkerrechtlichen oder außenpolitischen Auswirkungen in Rede steht (vgl. [X.] 35, 193 <196 f.>; 83, 162 <171 f.>; 88, 173 <179>; 89, 38 <43>; 108, 34 <41>; 118, 111 <122>; 125, 385 <393>; 126, 158 <167>; 129, 284 <298>; 132, 195 <232 Rn. 86>; 143, 65 <87 Rn. 34>).

2. Bei der Entscheidung über die einstweilige Anordnung haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Maßnahmen vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die in der Hauptsache begehrte Feststellung oder der in der Hauptsache gestellte Antrag erwiesen sich als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet (vgl. [X.] 89, 38 <44>; 103, 41 <42>; 118, 111 <122>; 143, 65 <87 Rn. 35>; stRspr). Erweist sich der Ausgang des Hauptsacheverfahrens als offen, so hat das [X.] grundsätzlich lediglich im Rahmen einer Folgenabwägung die Nachteile abzuwägen, die einträten, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber in der Hauptsache Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, in der Hauptsache aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. [X.] 105, 365 <371>; 106, 351 <355>; 108, 238 <246>; 125, 385 <393>; 126, 158 <168>; 129, 284 <298>; 132, 195 <232 f. Rn. 87>; 143, 65 <87 Rn. 35>; stRspr).

3. Wird im Hauptsacheverfahren das Zustimmungsgesetz zu einem völkerrechtlichen Vertrag zur Prüfung gestellt, kann es zwar angezeigt sein, sich nicht auf eine reine Folgenabwägung zu beschränken, sondern bereits im Verfahren nach § 32 Abs. 1 [X.] eine summarische Prüfung anzustellen, ob die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Vertragsgesetzes vorgetragenen Gründe mit einem hohen Grad an Wahrscheinlichkeit erwarten lassen, dass das [X.] das Vertragsgesetz für verfassungswidrig erklären wird (vgl. [X.] 35, 193 <196 f.>; 132, 195 <233 Rn. 88>; 143, 65 <87 f. Rn. 36>). So kann zum einen sichergestellt werden, dass die [X.] keine völkerrechtlichen Bindungen eingeht, die mit dem Grundgesetz nicht vereinbar sind. Zum anderen kann auf diese Weise verhindert werden, dass eine mögliche Rechtsverletzung bei Verweigerung einstweiligen Rechtsschutzes nicht mehr rückgängig gemacht werden könnte, die Entscheidung in der Hauptsache also zu spät käme (vgl. [X.] 46, 160 <164>; 111, 147 <153>; 132, 195 <233 Rn. 88>; 143, 65 <87 f. Rn. 36>), wie dies nach der Hinterlegung der Ratifikationsurkunde zu einem völkerrechtlichen Vertrag typischerweise der Fall ist.

Dies gilt grundsätzlich auch mit Blick auf die abschließende Zustimmung der Bundesregierung zu einem Rechtsakt des Unionsrechts im [X.].

1. [X.] ist weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet.

a) Nicht von vornherein unzulässig ist die Verfassungsbeschwerde jedenfalls insoweit, als die Beschwerdeführer eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1, Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG geltend machen und sich deshalb gegen die Zustimmung des [X.] Vertreters im [X.] zum Abschluss des [X.] wenden.

b) Die Anträge in der Hauptsache sind auch nicht offensichtlich unbegründet, weil es zum derzeitigen Verfahrensstand zumindest möglich erscheint, dass die [X.] in Bezug auf Teile des Freihandelsabkommens [X.] Erfolg haben wird. Insoweit könnte sich der Beschluss des Rates über den Abschluss von [X.] im Hauptsacheverfahren als [X.] herausstellen (aa). Auch könnte die durch Art. 79 Abs. 3 GG geschützte Verfassungsidentität berührt sein (bb).

aa) Die Maßstäbe für eine [X.] hat der Senat zuletzt im Urteil zur Europäischen Bankenunion dargelegt ([X.], Urteil des [X.] vom 30. Juli 2019 - 2 BvR 1685/14, 2 BvR 2631/14 -, Rn. 150-153): Danach kommt eine

Verletzung des Anspruchs aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GG auf Wahrnehmung der Integrationsverantwortung und der daraus folgenden Schutzpflicht durch [X.] und Bundesrat (…) nur bei hinreichend qualifizierten [X.] in Betracht. Nur dann kann davon die Rede sein, dass Bürgerinnen und Bürger in Ansehung einer Maßnahme von Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der [X.] einer politischen Gewalt unterworfen werden, der sie nicht ausweichen können und die sie nicht prinzipiell personell und sachlich zu gleichem Anteil in Freiheit zu bestimmen vermögen. Vor diesem Hintergrund muss eine qualifizierte Kompetenzüberschreitung offensichtlich (…) und für die Kompetenzverteilung zwischen der [X.] und den Mitgliedstaaten von struktureller Bedeutung sein (…).

Die Annahme eines [X.]es setzt - ohne Rücksicht auf den betroffenen Sachbereich - voraus, dass eine Maßnahme von Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der [X.] offensichtlich außerhalb der ihr übertragenen Kompetenzen liegt (…). Das ist der Fall, wenn sich die Kompetenz - bei Anwendung allgemeiner methodischer Standards - unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt begründen lässt (…). Dieses Verständnis von Offensichtlichkeit folgt aus dem Gebot, die [X.] zurückhaltend auszuüben (…).

Die Annahme einer offensichtlichen Kompetenzüberschreitung setzt allerdings nicht voraus, dass keine unterschiedlichen Rechtsauffassungen zu dieser Frage vertreten werden. Dass Stimmen im Schrifttum, in der Politik oder den Medien einer Maßnahme Unbedenklichkeit attestieren, hindert die Feststellung einer offensichtlichen Kompetenzüberschreitung grundsätzlich nicht. "Offensichtlich" kann die Kompetenzüberschreitung auch dann sein, wenn sie das Ergebnis einer sorgfältigen und detailliert begründeten Auslegung ist. Insoweit gelten im Rahmen der [X.] die allgemeinen Grundsätze (…).

Eine strukturell bedeutsame Verschiebung zulasten mitgliedstaatlicher Kompetenzen (…) liegt vor, wenn die Kompetenzüberschreitung ein für das Demokratieprinzip und die Volkssouveränität erhebliches Gewicht besitzt. Das ist etwa der Fall, wenn sie geeignet ist, das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung zu unterlaufen. Davon ist auszugehen, wenn die Inanspruchnahme der Kompetenz durch das Organ, die Einrichtung oder sonstige Stelle der [X.] eine Vertragsänderung nach Art. 48 [X.]V oder die Inanspruchnahme einer [X.] erforderte (…), für [X.] also ein Tätigwerden des Gesetzgebers, sei es nach Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG, sei es nach Maßgabe des Integrationsverantwortungsgesetzes (…).

In seinem Urteil zum Freihandelsabkommen [X.] vom 13. Oktober 2016 hat der Senat festgestellt, dass es der [X.] unter anderem an einer Vertragsschlusskompetenz für [X.], den Investitionsschutz, den internationalen Seeverkehr, die gegenseitige Anerkennung von Berufsqualifikationen und den Arbeitsschutz fehlen dürfte und insoweit ausgeführt ([X.] 143, 65 <94 f. Rn. 55-57>):

Für Vorschriften zu Feeder-Dienstleistungen (Transport zwischen Häfen und Schiffen) und maritimen Hilfsdiensten dürfte eine Kompetenz der [X.] schon deshalb nicht in Betracht kommen, weil die betroffenen Bereiche gemäß Art. 207 Abs. 5 A[X.]V explizit aus dem Anwendungsbereich der Gemeinsamen Handelspolitik ausgenommen sind. Insoweit dürfte Kapitel 14 [X.]-E (Dienstleistungen im [X.]) jedenfalls auch Gegenstände betreffen, die in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen.

Ebenso wenig dürfte für Kapitel 11 [X.]-E (Gegenseitige Anerkennung von Berufsqualifikationen) eine ausschließliche Zuständigkeit der [X.] bestehen. Eine lückenlose Harmonisierung im internen Unionsrecht ist insoweit bislang nicht erfolgt (…). Zudem erfasst das Unionsrecht lediglich Berufsqualifikationen von Unionsbürgern (Art. 20 A[X.]V), während die Mitgliedstaaten zumindest in Teilbereichen für Drittstaatenangehörige zuständig sind. Das findet im Abkommen jedoch keinen Niederschlag.

Im Kapitel 23 (Handel und Arbeit) dürfte es ebenfalls an einer umfassenden ausschließlichen Zuständigkeit der [X.] fehlen. So verfügt sie etwa im Bereich der Verbesserung der [X.] zum Schutz der Gesundheit und der Sicherheit der Arbeitnehmer lediglich über eine Unterstützungs- und Ergänzungskompetenz (Art. 153 Abs. 2 Buchstabe a A[X.]V). Dafür spricht auch, dass die Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Verpflichtung zur Einhaltung von Standards der [X.] ([X.]) (Art. 23.3 [X.]-E) berechtigt sind, strengere Regeln zu treffen (Art. 153 Abs. 4 A[X.]V).

Inwiefern sich diese ein "gemischtes" Abkommen betreffenden Ausführungen auf das als "[X.]-only"-Abkommen konzipierte [X.] übertragen lassen, ist offen. Ebenso offen ist, ob die von der Beurteilung der Zuständigkeitsverteilung zumindest teilweise abweichende Auffassung des [X.] in seinem Gutachten - ihre Fehlerhaftigkeit unterstellt - die in der Rechtsprechung des [X.] entwickelten Anforderungen an eine offensichtliche und strukturell bedeutsame Kompetenzüberschreitung (vgl. [X.] 123, 267 <353 f.>; 126, 286 <302 ff.>; 134, 366 <382 ff. Rn. 23 ff.>; 142, 123 <200 ff. Rn. 146 ff.>; 146, 216 <252 f. Rn. 52 f.>; [X.], Urteil des [X.] vom 30. Juli 2019 - 2 BvR 1685/14, 2 BvR 2631/14 -, Rn. 150 ff.) erfüllt.

bb) In seinem Urteil zu [X.] hat der Senat ferner darauf hingewiesen, dass die Ausgestaltung des dort vorgesehenen Ausschusssystems die Grundsätze des Demokratieprinzips als Teil der Verfassungsidentität des Grundgesetzes berühren könnte (vgl. [X.] 143, 65 <95-98 Rn. 59-65>). Auch insoweit ist offen, ob hier eine Vergleichbarkeit zwischen [X.] und [X.] besteht und inwiefern das als "[X.]-only"-Abkommen konzipierte [X.] im Hinblick auf die Identitätsrüge das Demokratieprinzip berühren kann.

2. Unabhängig vom Ergebnis einer insoweit angezeigten summarischen Prüfung ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung jedoch abzulehnen, weil die von den Antragstellern begehrten Sicherungsmaßnahmen entweder ungeeignet sind, um einen endgültigen [X.] zu verhindern, oder über das [X.] in der Hauptsache hinausgehen.

a) Ergibt eine summarische Prüfung, dass ein Beschluss des Rates der [X.] sich als [X.] darstellt oder dass er die Verfassungsidentität des Grundgesetzes verletzt, können die Rechte aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1, Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG - auch im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes - grundsätzlich dadurch gesichert werden, dass der Bundesregierung die Zustimmung im Rat bis zur Hauptsacheentscheidung des [X.] untersagt wird.

Dies begehren die Antragsteller jedoch nicht. Sie betonen ausdrücklich, dass es nicht ihr Ziel sei, eine Aussetzung der Beschlussfassung im [X.] zu erreichen, und dass sie auch das Inkrafttreten von [X.] nicht verhindern wollten. Vielmehr begehren sie - gewissermaßen als milderes Mittel - Sicherungsmaßnahmen, die aus ihrer Sicht sicherstellen sollen, dass sich die [X.] bei einem Erfolg ihrer Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache von dem sie bindenden Freihandelsabkommen [X.] lösen kann. An diesen Antrag ist das [X.] gebunden.

b) Die von den Antragstellern begehrten Sicherungsmaßnahmen sind jedoch nicht geeignet, ihren Anspruch auf Wahrnehmung der Integrationsverantwortung durch Bundesregierung und [X.] zu sichern. Da es sich bei dem Freihandelsabkommen [X.] - anders als beim Freihandelsabkommen [X.] - um einen als "[X.]-only"-Abkommen konzipierten Vertrag handelt, der keiner Ratifikation durch die Mitgliedstaaten bedarf und in dem die [X.] selbst nicht Vertragspartei ist, ist sie rechtlich nicht in der Lage, einseitig die zur Einlösung der Integrationsverantwortung der Bundesregierung und des [X.]es nach einem möglichen Erfolg der Verfassungsbeschwerde erforderlichen Vorkehrungen sicherzustellen.

aa) Soweit die Bundesregierung verpflichtet werden soll, bei ihrer Zustimmung Vorbehalte hinsichtlich der Klärung der Kompetenzabgrenzung zwischen Mitgliedstaaten und [X.] in den Bereichen Schifffahrt, Nachhaltigkeit und [X.] der [X.] anzubringen, handelt es sich um eine ungeeignete Vorkehrung. Die Verträge sehen eine solche Vorkehrung für die Beschlussfassung im [X.] nicht vor. Zwar ist in der Praxis des Rates die sogenannte Stimmabgabe ad referendum fest etabliert. Dabei gibt ein Mitglied des Rates seine Stimme unter dem Vorbehalt der Zustimmung durch nationale Instanzen, insbesondere des nationalen Parlaments, ab, sodass die Wirkung der Stimmabgabe von einer innerstaatlichen Bedingung abhängig gemacht wird (vgl. [X.], in: [X.]/Hilf/[X.], Das Recht der [X.], Art. 238 A[X.]V Rn. 55 ; Obwexer, in: [X.], [X.]V/A[X.]V, 3. Aufl. 2018, Art. 238 A[X.]V Rn. 60). Die von den Antragstellern begehrte Sicherung ist jedoch nicht darauf gerichtet, die Zustimmung des [X.] Vertreters im Rat an eine bestimmte Genehmigung zu binden, sondern den Inhalt des Beschlusses zu verändern. Derartiges sieht das Unionsrecht nicht vor. Etwaige einseitige Erklärungen [X.]s würden an der Gültigkeit und Bindungswirkung des Beschlusses hingegen nichts ändern.

bb) Soweit die Antragsteller die Bundesregierung verpflichten wollen, eine Selbstverpflichtung des Rates der [X.] dahingehend zu erreichen, dass für die Dauer des Hauptsacheverfahrens beim [X.] kein Beschluss nach Art. 218 Abs. 9 A[X.]V über Entwürfe für Beschlüsse von [X.] mit [X.] herbeigeführt wird, ist die Vorkehrung ungeeignet, weil die Bundesregierung eine solche Verpflichtung des Rates angesichts von Art. 218 Abs. 8 A[X.]V rechtlich nicht einseitig durchsetzen kann. Die erstrebte Vorkehrung liefe zudem auf eine teilweise temporäre Suspendierung des Freihandelsabkommens hinaus und ginge damit über das hinaus, was sie in der Hauptsache erreichen können. Dort ist lediglich die Feststellung möglich, dass die Bundesregierung und andere Verfassungsorgane in Ansehung einer Maßnahme von Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der [X.] ihre Integrationsverantwortung verletzt haben.

cc) Soweit die Bundesregierung schließlich verpflichtet werden soll, eine bindende Erklärung durch den [X.] und die Europäische [X.] herbeizuführen, dass der [X.] bei verfassungsrechtlicher Notwendigkeit ein Ausscheiden aus dem [X.] ermöglicht und eine Kündigung des [X.] durch die [X.] erfolgen wird, wäre auch dies nicht geeignet, das Recht der Antragsteller aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1, Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG zu sichern. Denn auch insoweit gilt, dass die Bundesregierung das Zustandekommen eines Beschlusses im Rat möglicherweise verhindern (vgl. [X.] 142, 123 <211 f. Rn. 171>; 143, 65 <100 Rn. 71>), den [X.] und die Europäische [X.] jedoch nicht zu bindenden Erklärungen wie derjenigen, das Abkommen nach Abschluss des Hauptsacheverfahrens gegebenenfalls zu kündigen, verpflichten kann.

Wie die Bundesregierung im Falle einer festgestellten offensichtlichen und strukturell bedeutsamen Kompetenzüberschreitung oder einer sonstigen Berührung der Verfassungsidentität durch den in Rede stehenden Beschluss auf die (Wieder-)Einhaltung des [X.] hinwirken und mit welchen rechtlichen oder politischen Mitteln sie auf seine Einhaltung drängen und welche Vorkehrungen sie dafür treffen wird, dass seine innerstaatlichen Auswirkungen so weit wie möglich begrenzt bleiben (vgl. [X.] 134, 366 <395 f. Rn. 49>; 142, 123 <211 Rn. 170>), ist im Übrigen eine Frage der Integrationsverantwortung und der mit ihr verbundenen Spielräume der Bundesregierung.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

2 BvR 882/19

07.11.2019

Bundesverfassungsgericht 2. Senat 2. Kammer

Ablehnung einstweilige Anordnung

Sachgebiet: BvR

Art 20 Abs 1 GG, Art 20 Abs 2 GG, Art 38 Abs 1 S 1 GG, Art 79 Abs 3 GG, § 32 Abs 1 BVerfGG, Art 218 Abs 8 AEUV, Art 218 Abs 9 AEUV, EUBes 2018/1599, EUBes 2018/1676

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Ablehnung einstweilige Anordnung vom 07.11.2019, Az. 2 BvR 882/19 (REWIS RS 2019, 1823)

Papier­fundstellen: WM2020,54 REWIS RS 2019, 1823

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2 BvQ 97/20

2 BvR 962/21

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