Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.09.2013, Az. VI ZB 61/12

6. Zivilsenat | REWIS RS 2013, 2960

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Gegenstand

Wiedereinsetzung: Pflicht zur nachträglichen Überprüfung der Faxnummer bei Telefaxübermittlung eines fristgebundenen Schriftsatzes


Leitsatz

Das Büropersonal ist anzuweisen, bei einem fristgebundenen Schriftsatz die in einem Sendebericht ausgewiesene Faxnummer nach Ausdruck noch einmal anhand eines aktuellen Verzeichnisses oder einer anderen geeigneten Quelle auf ihre Zuordnung zu dem vom Rechtsanwalt bezeichneten Empfangsgericht zu überprüfen.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 20. Zivilsenats des [X.] vom 27. September 2012 wird auf Kosten der Klägerin verworfen.

[X.]: 9.000 €

Gründe

I.

1

Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Schmerzensgeld nach einer ärztlichen Behandlung in Anspruch. Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Gegen das am 26. März 2012 zugestellte Urteil hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit einem am 24. April 2012 beim [X.] eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt. Mit einem am 29. Juni 2012 beim [X.] eingegangenen Schriftsatz hat er die Berufung begründet und für eine gewährte Fristverlängerung gedankt. Mit Verfügung vom 12. Juli 2012 hat der [X.] darauf hingewiesen, dass ein Fristverlängerungsantrag beim [X.] nie eingegangen sei, dass sich aber bei den Akten des [X.]s ein Fristverlängerungsgesuch adressiert an das [X.] befinde, welches am [X.], dem 29. Mai 2012, beim [X.] eingegangen sei.

2

Daraufhin hat die Klägerin mit einem am 31. Juli 2012 eingegangenen Schriftsatz Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist beantragt. Sie hat sinngemäß vorgetragen, die [X.] ihres Prozessbevollmächtigten habe zunächst den Fristverlängerungsantrag an das [X.] Berlin adressiert und mit dessen Faxnummer versehen. Dies sei ihrem Prozessbevollmächtigten bei der Unterschrift aufgefallen, worauf er die [X.] erteilt habe, den Schriftsatz zu vernichten und mit der korrekten Adresse wieder vorzulegen. Bei Unterschrift (am 25. Mai 2012) unter dem neu vorgelegten Schreiben habe er die [X.] erteilt, diesen Antrag an das [X.] zu faxen. Am 29. Mai 2012 habe die [X.] jedoch den ersten Schriftsatz an das [X.] gefaxt. Zur Glaubhaftmachung hat der Prozessbevollmächtigte eine eidesstattliche Versicherung der Mitarbeiterin vorgelegt.

3

Das [X.] hat den Antrag auf Wiedereinsetzung zurückgewiesen und die Berufung der Klägerin verworfen. Es komme zwar auf allgemeine organisatorische Vorkehrungen bzw. Anweisungen für die Fristwahrung nicht mehr an, wenn der Rechtsanwalt einer [X.], die sich bisher als zuverlässig erwiesen habe, eine konkrete [X.] erteile, die bei Befolgung die Fristwahrung gewährleistet hätte. Im Streitfall erfülle die vorgetragene [X.] die Anforderungen der Rechtsprechung aber nicht. Es sei nicht einmal vorgetragen, dass die Kanzleiangestellte angewiesen worden sei, nach Übersendung der Berufungsschrift den Sendebericht auszudrucken und diesen auf die Richtigkeit der verwendeten [X.] anhand eines aktuellen Verzeichnisses oder einer anderen geeigneten Quelle zu überprüfen und die [X.] erst zu löschen, wenn eine solche Überprüfung erfolgt sei.

II.

4

Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist nicht zulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO, die auch bei einer Rechtsbeschwerde gegen einen die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss gewahrt sein müssen, nicht erfüllt sind.

5

1. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde erfordert die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des [X.]. Der angefochtene Beschluss verletzt die Klägerin weder in ihrem verfahrensrechtlich gewährleisteten Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) noch deren rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Danach darf einer [X.] die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflichten ihres Prozessbevollmächtigten versagt werden, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und den [X.]en den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus [X.] nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschweren (vgl. Senatsbeschluss vom 12. Juni 2012 - [X.], [X.], 1411 Rn. 5 mwN).

6

2. Die angefochtene Entscheidung entspricht der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Das Berufungsgericht hat die Anforderungen an die anwaltliche Sorgfaltspflicht in Bezug auf die Übersendung fristgebundener Schriftsätze per Telefax nicht überspannt.

7

a) Nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] muss der Rechtsanwalt bei Versendung von Schriftsätzen per Telefax durch organisatorische Vorkehrungen sicherstellen, dass die Telefaxnummer des angeschriebenen Gerichts verwendet wird. Hierzu gehört, dass bei der erforderlichen Ausgangskontrolle in der Regel ein Sendebericht ausgedruckt und dieser auf die Richtigkeit der verwendeten [X.] überprüft wird, um nicht nur Fehler bei der Eingabe, sondern auch bereits bei der Ermittlung der Faxnummer oder ihrer Übertragung in den Schriftsatz aufdecken zu können. Die Überprüfung der Richtigkeit der im Sendebericht ausgewiesenen [X.] ist anhand eines aktuellen Verzeichnisses oder einer anderen geeigneten Quelle vorzunehmen, aus dem bzw. der die Faxnummer des Gerichts hervorgeht, für das die Sendung bestimmt ist (vgl. Senatsbeschlüsse vom 27. März 2012 - [X.], NJW-RR 2012, 744 Rn. 7 und vom 12. Juni 2012 - [X.], aaO Rn. 7 mwN). Diese Art der Ausgangskontrolle soll nicht nur Fehler bei der Übermittlung ausschließen, sondern auch die Feststellung ermöglichen, ob der Schriftsatz auch tatsächlich übermittelt worden ist. Eine [X.] darf erst nach einer solchen Kontrolle des [X.] gelöscht werden (Senatsbeschluss vom 12. Juni 2012 - [X.], aaO; [X.], Beschlüsse vom 16. Juni 1998 - [X.], - [X.], [X.], 996; vom 7. Juli 2010 - [X.], NJW-RR 2010, 1648 Rn. 12, 14). Das Büropersonal muss daher stets angewiesen werden, die angegebene Faxnummer noch einmal auf eine Zuordnung zu dem vom Rechtsanwalt angegebenen Empfangsgericht zu überprüfen, auch dann, wenn eine Kanzleiangestellte die anzuwählende Telefaxnummer des Gerichts aus einem in der Akte befindlichen Schreiben des Gerichts in einen fristgebundenen Schriftsatz überträgt ([X.], Beschluss vom 14. Oktober 2010 - [X.], NJW 2011, 312 Rn. 10). Sofern den Senatsbeschlüssen vom 13. Februar 2007 - [X.], [X.], 272 und vom 22. Juni 2004 - [X.], [X.], 573 etwas anderes zu entnehmen sein sollte, wird daran nicht festgehalten.

8

b) Die nach dieser Rechtsprechung geforderten Sorgfaltspflichten hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin nicht erfüllt. Das Verschulden ihres Anwalts ist der Klägerin zuzurechnen (§ 85 Abs. 2, § 233 ZPO).

9

aa) Es entspricht zwar der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. Senatsbeschluss vom 17. April 2012 - [X.]/11, NJW-RR 2012, 1084 Rn. 17 mwN), dass der Rechtsanwalt Tätigkeiten im Zusammenhang mit dem Faxversand fristgebundener Schriftsätze grundsätzlich dem geschulten und zuverlässigen Kanzleipersonal eigenverantwortlich überlassen darf. Es trifft auch zu, dass es nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] für den Ausschluss des einer [X.] zuzurechnenden Verschuldens ihres Anwalts (§ 85 Abs. 2, § 233 ZPO) auf allgemeine organisatorische Vorkehrungen bzw. Anweisungen für die Fristwahrung in einer Anwaltskanzlei nicht mehr ankommt, wenn der Rechtsanwalt einer [X.], die sich bisher als zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete [X.] erteilt, die bei Befolgung die Fristwahrung gewährleistet hätte (vgl. Senatsbeschlüsse vom 20. September 2011 - [X.], [X.], 1544 Rn. 8; vom 12. Juni 2012 - [X.], aaO Rn. 9 mwN). Im Streitfall erfüllt die von der Klägerin vorgetragene und durch die eidesstattliche Versicherung der [X.] glaubhaft gemachte [X.] die Anforderungen der Rechtsprechung aber nicht. Es ist nicht einmal vorgetragen, dass die Kanzleiangestellte angewiesen worden sei, nach Übersendung des [X.] den Sendebericht auszudrucken und diesen auf die Richtigkeit der verwendeten [X.] (hier also des Berufungsgerichts) anhand eines aktuellen Verzeichnisses oder einer anderen geeigneten Quelle zu überprüfen und die [X.] erst zu löschen, wenn eine solche Überprüfung erfolgt ist.

bb) Eine allgemeine Büroanweisung der Prozessbevollmächtigten der Klägerin, aus der sich eine Anordnung hinsichtlich der Prüfungspflichten der Büroangestellten nach Übermittlung fristgebundener Schriftsätze per Telefax ergibt, ist ebenfalls nicht vorgetragen. Eine solche lässt sich auch nicht der eidesstattlichen Versicherung der Büroangestellten entnehmen. Einen Hinweis des Berufungsgerichts nach § 139 ZPO, dass es den Vortrag als unzureichend ansieht, war insoweit entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nicht erforderlich. Dem Wiedereinsetzungsantrag lässt sich auch nicht ansatzweise entnehmen, dass die Anforderungen der Rechtsprechung erfüllt worden sind, so dass ein Hinweis zur Präzisierung oder Klarstellung einer zuvor bereits vorgetragenen Tatsache nicht veranlasst war (vgl. Senatsbeschluss vom 12. Juni 2012 - [X.], aaO Rn. 11).

cc) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist das Unterlassen einer entsprechenden Ausgangskontrolle auch ursächlich geworden. Hätte die Kanzleiangestellte einen Sendebericht ausgedruckt und entsprechend den Anforderungen der Rechtsprechung überprüft, ob die richtige Telefaxnummer und das richtige Gericht ausgewählt wurden, so hätte ihr auffallen können und müssen, dass das Telefax nicht an das [X.] übersandt worden ist. Dann hätte sie ihren Fehler entdecken können, weil es für eine zuverlässige Büroangestellte offensichtlich ist, dass ein Schriftsatz zur Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist an das Berufungsgericht übersandt werden muss, und zusätzlich gemäß dem Vorbringen ihres Prozessbevollmächtigten eine entsprechende [X.] vorlag.

c) Entgegen dem Vorbringen der Rechtsbeschwerde ist kein Anhaltspunkt dafür ersichtlich, dass eine wirksame Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist seitens des Berufungsgerichts erfolgt ist. Soweit die Rechtsbeschwerde dies aus der Verfügung des Vorsitzenden [X.] vom 5. Juli 2012, die den handschriftlichen Vermerk enthält "Begründungsfrist verlängert", ableiten will, beachtet sie nicht, dass diese Verfügung vor Eingang der Akten vom [X.] erfolgte. Bereits mit Verfügung vom 12. Juli 2012 wies [X.] darauf hin, nach Eingang der Akten sei festgestellt worden, dass der Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist an das [X.] gerichtet worden sei.

[X.]                          Zoll                       Wellner

               Pauge                        [X.]

Meta

VI ZB 61/12

10.09.2013

Bundesgerichtshof 6. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend KG Berlin, 27. September 2012, Az: 20 U 118/12

§ 233 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.09.2013, Az. VI ZB 61/12 (REWIS RS 2013, 2960)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 2960

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