Bundesgerichtshof, Beschluss vom 04.02.2010, Az. I ZB 3/09

1. Zivilsenat | REWIS RS 2010, 9715

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Gegenstand

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Anwaltsverschulden bei der Telefax-Übermittlung eines fristwahrenden Schriftsatzes durch einen Kanzleimitarbeiter


Leitsatz

Die einer Kanzleiangestellten erteilte konkrete Weisung, die in der Berufungsschrift angegebene Faxnummer des Berufungsgerichts noch einmal zu überprüfen, reicht in Verbindung mit der in der Rechtsanwaltskanzlei bestehenden allgemeinen Weisung, zur Ermittlung der Telefaxnummer des zuständigen Gerichts das Ortsverzeichnis „Gerichte und Finanzbehörden“ zu verwenden, aus, um Fehler bei der Ermittlung der Faxnummer oder ihrer Übertragung in den Schriftsatz aufzudecken. Es ist dann ausnahmsweise nicht erforderlich, die Faxnummer nach dem Absenden des Schriftsatzes nochmals anhand eines zuverlässigen Verzeichnisses zu überprüfen .

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Beklagten zu 3 wird der Beschluss des 29. Zivilsenats des [X.] vom 18. Dezember 2008 aufgehoben.

Dem Beklagten zu 3 wird gegen die Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 50.000 € festgesetzt.

Gründe

1

I. Der [X.] zu 3 (nachfolgend nur: der [X.]) erstrebt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist.

2

Das Urteil des [X.], das der Klage im Wesentlichen stattgegeben und die Widerklage des [X.]n abgewiesen hat, ist diesem am 10. Oktober 2008 zugestellt worden. Die Berufungsschrift des [X.]n ist am 10. November 2008 durch Telefax an den [X.] versandt worden. Dieser hat das Telefax an das Berufungsgericht weitergeleitet, wo es am 11. November 2008 eingegangen ist.

3

Der [X.] hat wegen der Versäumung der Berufungsfrist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und hierzu vorgetragen:

4

In der Kanzlei seiner [X.] bestehe eine allgemeine Anweisung, bei fristwahrenden [X.]riftsätzen eine [X.] durch Telefax vorzubereiten und hierfür die entsprechende Telefaxnummer herauszusuchen. Dafür sei regelmäßig das Ortsverzeichnis „Gerichte und Finanzbehörden“ des [X.] zu verwenden. Vor der Absendung solle die Richtigkeit der Faxnummer erneut überprüft werden. Dabei sei anhand des [X.] zu kontrollieren, ob die aus dem [X.]riftsatz ersichtliche Faxnummer fehlerfrei in das Faxgerät eingegeben worden sei.

5

Der in der Kanzlei seiner Prozessbevollmächtigten angestellte Rechtsanwalt [X.] habe die Berufungsschrift vorbereitet und der Rechtsanwaltsfachangestellten [X.]. zur Ausfertigung übergeben. Dabei habe er das Ortsverzeichnis „Gerichte und Finanzbehörden“ des [X.] zur Hand genommen, Frau [X.]. auf der aufgeschlagenen Seite die Kontaktdaten (Adresse und Telefaxnummer) des Berufungsgerichts gezeigt und ausdrücklich darauf hingewiesen, die Faxnummer sorgfältig in die Berufungsschrift zu übertragen und die eingetragenen Daten zu überprüfen. Frau [X.]. habe die Faxnummer des Berufungsgerichts jedoch anhand des Eintrags bei „[X.]“ ermittelt. Sie habe die dort für das Berufungsgericht angegebene Telefaxnummer - die tatsächlich die Telefaxnummer des [X.]s sei - in die Berufungsschrift übertragen.

6

Die Berufungsschrift sei später Rechtsanwältin [X.] zur Unterschrift vorgelegt worden. Diese habe die Kanzleimitarbeiterin [X.] gebeten, die Angaben in der Berufungsschrift noch einmal zu überprüfen. Frau [X.] habe die Faxnummer jedoch nicht erneut überprüft, sondern den [X.]riftsatz per Telefax unter Eingabe der aus dem [X.]riftsatz ersichtlichen Telefaxnummer versandt. Sodann habe sie die Richtigkeit der Angaben auf der Sendebestätigung überprüft.

7

Das Berufungsgericht hat dem [X.]n die begehrte Wiedereinsetzung versagt und hierzu ausgeführt:

8

Der [X.] sei nicht ohne sein Verschulden verhindert gewesen, die Berufungsfrist einzuhalten. Deren Versäumung beruhe auf einem Organisationsverschulden seiner [X.], das er sich nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen müsse.

9

Die nach dem Vorbringen des [X.]n in der Kanzlei seiner [X.] bestehende allgemeine Anweisung, zur Kontrolle des Ausgangs von [X.] anhand des [X.] zu überprüfen, ob die aus dem [X.]riftsatz ersichtliche Telefaxnummer fehlerfrei in das Faxgerät eingegeben worden sei, genüge nicht der erforderlichen Sorgfalt, weil Fehler bei der Ermittlung der in den [X.]riftsatz aufgenommenen Nummer dadurch nicht erkannt werden könnten. Eine [X.] an die Fachangestellte [X.], die im Sendeprotokoll ausgewiesene Nummer noch einmal mit dem - ansonsten in der Kanzlei verwendeten - Ortsverzeichnis „Gerichte und Finanzbehörden“ abzugleichen, sei nach dem Vortrag des [X.]n nicht gegeben worden.

Die Fristversäumung beruhe auf diesem Organisationsmangel, weil bei einer hinreichenden Anweisung nach der Versendung des Berufungsschriftsatzes an den [X.] die Verwendung einer falschen Telefaxnummer bemerkt und der [X.]riftsatz noch einmal fristwahrend an das Berufungsgericht gesandt worden wäre.

Bei dieser Sachlage komme es nicht darauf an, dass der Internetauftritt „[X.]“ keine zuverlässige Quelle für die Ermittlung von Telefaxnummern sei.

II. Die gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 1, § 238 Abs. 2 Satz 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig. Eine Entscheidung des [X.] ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO) erforderlich. Der angefochtene [X.]uss verletzt den [X.]n in seinem verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Dieser verbietet es, einer [X.] die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflichten ihres Prozessbevollmächtigten zu versagen, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und mit denen sie unter Berücksichtigung der Entscheidungspraxis des angerufenen Gerichts auch nicht rechnen musste (st. Rspr.; vgl. nur [X.], [X.]. v. 9.4.2008 - [X.], NJW-RR 2008, 1288 [X.]. 7; [X.]. v. 11.6.2008 - XII ZB 184/07, [X.], 2713 [X.]. 6).

Das Berufungsgericht hätte dem [X.]n die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht versagen dürfen. Der [X.] war ohne sein Verschulden verhindert, die Berufungsfrist einzuhalten (§§ 233, 517 ZPO). Die Versäumung der Berufungsfrist beruht nicht auf einem Verschulden seiner Prozessbevollmächtigten, das der [X.] sich nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss. Die in der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten praktizierte [X.] beim Versand fristgebundener [X.]riftsätze per Telefax genügt zwar nicht den Anforderungen der Rechtsprechung (dazu 1). Das ist im Streitfall jedoch unerheblich, weil die Prozessbevollmächtigten des [X.]n eine konkrete [X.] erteilt haben, deren Befolgung die Fristwahrung sichergestellt hätte (dazu 2).

1. Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] müssen Prozessbevollmächtigte in ihrem Büro für eine [X.] sorgen, die zuverlässig gewährleistet, dass fristgebundene [X.]riftsätze rechtzeitig abgesandt werden. Soll ein fristgebundener [X.]riftsatz durch Telefax übermittelt werden, ist in der Regel ein Sendebericht zu erstellen und auf etwaige Übermittlungsfehler und insbesondere auf die Richtigkeit der verwendeten [X.] zu überprüfen. Hat der Rechtsanwalt es zulässigerweise einer ausreichend ausgebildeten und zuverlässigen [X.] überlassen, die Faxnummer des Gerichts zu ermitteln und in den [X.]riftsatz einzufügen, darf sich die Kontrolle des [X.] nicht darauf beschränken, die darin ausgedruckte Faxnummer mit der zuvor in den [X.]riftsatz eingefügten Faxnummer zu vergleichen. Der Abgleich hat vielmehr anhand eines zuverlässigen Verzeichnisses zu erfolgen, um nicht nur Fehler bei der Eingabe, sondern auch schon bei der Ermittlung der Faxnummer oder ihrer Übertragung in den [X.]riftsatz aufdecken zu können (st. Rspr.; vgl. [X.], [X.]. v. 26.9.2006 - VIII ZB 101/05, [X.], 996 [X.]. 8; [X.]. v. 17.4.2007 - [X.] 39/06, [X.], 1095 [X.]. 5; [X.]. v. [X.] - III ZB 80/07, NJW-RR 2008, 1379 [X.]. 5 m.w.N.).

Nach dem Vorbringen des [X.]n besteht in der Kanzlei seiner Prozessbevollmächtigten lediglich eine allgemeine Anweisung, zur Kontrolle des Ausgangs von [X.] anhand des [X.] zu überprüfen, ob die aus dem [X.]riftsatz ersichtliche Telefaxnummer fehlerfrei in das Faxgerät eingegeben worden ist. Das genügt, wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, der erforderlichen Sorgfalt nicht, weil Fehler bei der Ermittlung der in den [X.]riftsatz aufgenommenen Nummer dadurch nicht erkannt werden können.

2. Auf Unzulänglichkeiten der allgemeinen organisatorischen Vorkehrungen einer Kanzlei für die [X.] kommt es allerdings nicht an, wenn im Einzelfall konkrete Anweisungen erteilt worden sind, bei deren Befolgung die Fristwahrung sichergestellt gewesen wäre (vgl. [X.] NJW-RR 2008, 1379 [X.]. 7 m.w.N.). Das ist hier der Fall.

Hätte die Kanzleiangestellte [X.] die [X.] der Rechtsanwältin [X.] befolgt, die Angaben in der Berufungsschrift noch einmal zu überprüfen, wäre die Berufungsfrist gewahrt worden. Der [X.] hat zwar nicht vorgetragen, die Rechtsanwältin habe der [X.] die konkrete Anweisung erteilt, zur Überprüfung der Faxnummer ein zuverlässiges Verzeichnis zu verwenden. Einer solchen konkreten Weisung bedurfte es entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts aber auch nicht. Nach dem Vorbringen des [X.]n bestand in der Kanzlei seiner Prozessbevollmächtigten die allgemeine Weisung, zur Ermittlung der Telefaxnummer des zuständigen Gerichts das Ortsverzeichnis „Gerichte und Finanzbehörden“ zu verwenden. Hätte die Kanzleiangestellte die Faxnummer in der Berufungsschrift anhand dieses Verzeichnisses überprüft, hätte sie den Fehler bei der Ermittlung der Faxnummer entdeckt.

Hätte die Kanzleiangestellte die Faxnummer in der Berufungsschrift vor dem Absenden des [X.]riftsatzes weisungsgemäß anhand des Ortsverzeichnisses „Gerichte und Finanzbehörden“ überprüft, um Fehler bei der Ermittlung der Faxnummer oder ihrer Übertragung in den [X.]riftsatz aufzudecken, hätte sie sich - wie geschehen - darauf beschränken dürfen, die im Sendebericht ausgedruckte Faxnummer mit der Faxnummer in der Berufungsschrift zu vergleichen, um Fehler bei der Eingabe der Faxnummer aufzuspüren. Unter diesen Umständen wäre es nicht erforderlich gewesen, die Faxnummer nach dem Absenden des [X.]riftsatzes nochmals anhand eines zuverlässigen Verzeichnisses zu überprüfen.

[X.]Büscher

                           [X.]affert                                      Koch

Meta

I ZB 3/09

04.02.2010

Bundesgerichtshof 1. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend OLG München, 18. Dezember 2008, Az: 29 U 5157/08, Beschluss

§ 85 Abs 2 ZPO, § 233 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 04.02.2010, Az. I ZB 3/09 (REWIS RS 2010, 9715)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 9715

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