Bundessozialgericht, Beschluss vom 03.03.2022, Az. B 4 AS 321/21 B

4. Senat | REWIS RS 2022, 904

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren - Willkürverbot


Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 18. Mai 2021 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil weder der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 [X.]) noch ein Verfahrensmangel (§ 160 Abs 2 [X.] [X.]) in der erforderlichen Weise dargelegt bzw bezeichnet worden ist (§ 160a Abs 2 Satz 3 [X.]). Die Beschwerde ist daher ohne Zuziehung [X.] zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 [X.], § 169 [X.]).

2

1. Grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs 2 [X.]) hat eine Rechtssache nur, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Die Darlegung einer grundsätzlichen Bedeutung erfordert, dass eine konkrete Rechtsfrage klar formuliert wird. Weiter muss ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit im jeweiligen Rechtsstreit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) aufgezeigt werden (stRspr; vgl etwa [X.] vom [X.] [X.] 142/02 B - [X.] 3-1500 § 160a [X.]4 S 70 mwN).

3

Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Der Kläger hat folgende Frage formuliert:

"Kann ein Vermittlungsangebot Grundlage für eine Leistungsminderung gem. § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 [X.] sein, wenn damit lediglich die Vermittlung an einen Dienstleister verbunden ist, der im Wege der Arbeitnehmerüberlassung den Leistungsbezieher möglicherweise an einen Entleiher weitervermittelt und das Vermittlungsangebot keine Angaben dazu enthält, an welchen Entleiher der Leistungsbezieher unter welchen Bedingungen (insbesondere Arbeitszeit, Arbeitsort und Arbeitsentgelt) verliehen werden soll?
oder anders:
Stellt eine Arbeitnehmerüberlassung überhaupt eine 'Arbeit' im Sinne des § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 [X.] dar?
oder noch anders:
Ist die Vermittlung in eine bloße Arbeitnehmerüberlassung stets zu unbestimmt, um eine Leistungsminderung gem. § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 [X.] zu begründen?"

4

Soweit der Kläger damit die Frage aufwirft, ob auch die Tätigkeit für einen Entleiher Arbeit im Sinne des § 31 Abs 1 Satz 1 [X.] sein kann, hat er die Klärungsbedürftigkeit nicht hinreichend dargelegt. Er verweist selbst auf das Urteil des [X.] ([X.] [X.] 31/01 R - [X.] 3-4300 § 144 [X.]), in dem dieses entschieden hat, dass auch ein Stellenangebot bei einem Arbeitnehmerüberlassungsunternehmen eine Beschäftigung iS des § 144 Abs 1 [X.]I aF sein und dessen Nichtannahme eine Sperrzeit wegen Arbeitsablehnung zur Folge haben kann (aaO, RdNr 15). Das [X.] hat dort ausgeführt, dass sich dem Gesetz nicht entnehmen lasse, dass ein Arbeitgeber, der als Verleiher einem Dritten Leiharbeitnehmer zur Arbeitsleistung überlassen will (§ 1 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz), kein Arbeitgeber iS des § 144 Abs 1 [X.]I aF sei. Der Kläger legt nicht dar, weshalb sich hieraus nicht schon ergibt, dass auch das Tatbestandsmerkmal "Arbeit" in § 31 Abs 1 Satz 1 [X.] durch eine Tätigkeit bei einem Verleiher im Sinne des Arbeitnehmerüberlassungsrechts erfüllt ist, zumal § 31 Abs 1 [X.] sein Vorbild gerade in der entsprechenden Sperrzeitvorschrift hat (seit dem 1.4.2012 § 159 Abs 1 Satz 2 [X.]I; vgl entspr [X.] in [X.]/[X.], [X.], § 159 RdNr 23, Stand August 2020). Da mit dem Begriff "Arbeit" in § 31 Abs 1 Satz 1 [X.] insbesondere ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis iS des § 7 Abs 1 Satz 1 [X.] gemeint ist [X.] in Eicher/[X.]/[X.], [X.], 5. Aufl 2021, § 31 RdNr 27; [X.] in [X.]/[X.], [X.], § 31 RdNr 92, Stand März 2018), hätte es zudem der Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des [X.] bedurft, wonach ein Beschäftigungsverhältnis im sozialversicherungsrechtlichen Sinne (§ 7 [X.]) auch zwischen Arbeitnehmer und Verleiher bestehen kann ([X.] vom [X.] - [X.]2 R 12/18 R - juris RdNr 15; siehe zur Arbeitgebereigenschaft des [X.] auch [X.] vom 13.12.2001 - 5 C 26/01 - [X.]E 115, 312 [315] = [X.] 436.61 § 11 [X.] = juris RdNr 13).

5

Soweit der Kläger die Frage aufwirft, ob ein Vermittlungsangebot für eine Tätigkeit bei einem Verleiher stets zu unbestimmt sei, handelt es sich der Sache nach nicht um eine abstrakte Rechtsfrage, sondern um eine Subsumtionsfrage, also die Frage, ob die vom [X.] für Arbeitsgelegenheiten ([X.] vom 16.12.2008 - [X.] AS 60/07 R - [X.]E 102, 201 = [X.] 4-4200 § 16 [X.], Rd[X.]0 ff) aufgezeigten Maßstäbe, deren Anwendung auch auf Angebote für sozialversicherungspflichtige Beschäftigung der Kläger postuliert, im konkreten Fall erfüllt worden sind. Dies betrifft aber nur die Rechtsanwendung im konkreten Fall, wirft aber keine Fragen von grundsätzlicher Bedeutung auf. Nur ungeklärte Rechtsfragen, nicht aber der Wunsch nach einer höchstrichterlichen Überprüfung des in einem Einzelfall von der Vorinstanz gefundenen Subsumtionsergebnisses vermögen die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache zu begründen ([X.] vom 30.10.2019 - [X.] [X.] 22/19 B - juris RdNr 10; [X.] vom 10.11.2021 - [X.] KR 5/21 B - juris RdNr 25).

6

2. Nach § 160 Abs 2 [X.] [X.] ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der § 109 (Anhörung eines bestimmten Arztes) und § 128 Abs 1 Satz 1 [X.] (freie richterliche Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 [X.] (Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das [X.] ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Wer eine Nichtzulassungsbeschwerde auf diesen Zulassungsgrund stützt, muss zu seiner Bezeichnung (§ 160a Abs 2 Satz 3 [X.]) die diesen Verfahrensmangel des [X.] (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dartun, also die Umstände schlüssig darlegen, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (stRspr; vgl bereits [X.] vom 29.9.1975 - 8 [X.] 64/75 - [X.] 1500 § 160a [X.]; [X.] in [X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.], 13. Aufl 2020, § 160a RdNr 16 mwN). Darüber hinaus ist aufzuzeigen, dass und warum die Entscheidung - ausgehend von der Rechtsansicht des [X.] - auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit der Beeinflussung des Urteils besteht (stRspr; vgl bereits [X.] vom 18.2.1980 - 10 BV 109/79 - [X.] 1500 § 160a [X.]6).

7

Der Kläger rügt als Verfahrensmangel eine Verletzung seines Rechts auf ein faires Verfahren nach Art 2 Abs 1 GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip (Art 20 Abs 3 GG) - dies der Sache nach aber schon nur hilfsweise für den hier nicht gegebenen Fall, dass der Senat die Auffassung vertritt, dass eine Vermittlung in eine Arbeitnehmerüberlassung nie Grundlage für eine Leistungsminderung nach § 31 Abs 1 Satz 1 [X.] sein könne. Dass diese Frage grundsätzlich zu entscheiden sei, hat der Kläger jedoch - wie ausgeführt - nicht aufgezeigt. Schon dies steht der hinreichenden Bezeichnung eines Verfahrensmangels entgegen.

8

Aber auch inhaltlich wird die Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren nicht aufgezeigt. Der Kläger rügt insoweit, dass das [X.] eine "erkennbar eindeutig zu beantwortende Rechtsfrage" zu seinen Lasten ignoriert und sowohl die "Tragfähigkeit" des [X.] als auch die Rechtmäßigkeit der dem Vermittlungsangebot beigefügten Rechtsfolgenbelehrung gar nicht oder jedenfalls nicht zutreffend geprüft habe.

9

Damit ist ein Verfahrensmangel nicht hinreichend bezeichnet. Aus Art 2 Abs 1 GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip (Art 20 Abs 3 GG) folgt zwar ein Recht auf ein faires Verfahren. An diesem Recht sind - wie der Kläger selbst ausführt - aber nur solche Umstände zu messen, die von den speziellen Gewährleistungen des Grundgesetzes nicht erfasst werden ([X.] vom [X.] - 1 BvR 207/87 - [X.]E 83, 182 [194] mwN; [X.] vom 5.11.2003 - 2 BvR 1243/03 - [X.]E 109, 13 [34]; [X.] [Kammer] vom 15.10.2009 - 2 BvR 2438/08 - [X.]K 16, 299 [301]).

Soweit der Kläger rügt, dass das [X.] eine materiell falsche Entscheidung getroffen habe, macht er der Sache nach eine Verletzung des Art 3 Abs 1 GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot geltend. Das Willkürverbot ist nur verletzt, wenn die Rechtsanwendung oder das Verfahren unter keinem denkbaren Aspekt mehr rechtlich vertretbar sind und sich daher der Schluss aufdrängt, dass die Entscheidung auf sachfremden und damit willkürlichen Erwägungen beruht ([X.] vom 7.4.1992 - 1 BvR 1772/91 - [X.]E 86, 59 [62 f]; [X.] [Kammer] vom 29.5.2019 - 2 BvR 2630/18 - juris RdNr 19), wobei es darauf ankommt, ob die Entscheidung im Ergebnis objektiv nicht vertretbar ist ([X.] vom 6.8.2021 - [X.] SF 9/21 S - juris RdNr 5 mwN; [X.] vom [X.] - [X.] SF 12/21 S - juris RdNr 5). Soweit sich der Willkürvorwurf nicht gegen die Anwendung von Verfahrensvorschriften, sondern gegen die Anwendung von Vorschriften des materiellen Rechts richtet, wird nicht die Verletzung einer dem Verfahren dienenden Regelung geltend gemacht, so dass dann auch die Verletzung des Willkürverbots keinen Verfahrensmangel begründen kann (vgl [X.] vom 12.12.2018 - [X.] [X.] 23/18 B - juris Rd[X.]1; [X.] vom 7.10.2021 - [X.] KR 23/21 B - juris RdNr 5; [X.] vom [X.] - [X.] KR 20/21 B - juris RdNr 12). Dass die Zulassung der Revision nicht auf eine fehlerhafte Anwendung des materiellen Rechts im Einzelfall gestützt werden kann (vgl [X.] vom [X.] - [X.]3 R 205/19 B - juris RdNr 8; [X.] vom 19.10.2021 - [X.] [X.]/21 B - juris Rd[X.]; [X.] vom 10.11.2021 - [X.] KR 5/21 B - juris RdNr 8), darf nicht erfolgreich dadurch unterlaufen werden, diese Behauptung in die Rüge eines Verfahrensmangels einzukleiden.

Soweit der Kläger der Sache nach eine unzureichende Begründung durch das [X.] rügt, macht er eine Verletzung von § 128 Abs 1 Satz 2, § 136 Abs 1 [X.] [X.] geltend. Über die dortigen Anforderungen hinausgehende Begründungserfordernisse ergeben sich auch nicht aus dem Recht auf ein faires Verfahren. Eine Entscheidung ist nicht schon dann nicht mit Gründen versehen, wenn das Gericht sich unter Beschränkung auf den Gegenstand der Entscheidung kurz gefasst und nicht jeden Gesichtspunkt, der möglicherweise hätte erwähnt werden können, behandelt hat oder wenn seine Ausführungen zu den rechtlichen Voraussetzungen oder zum tatsächlichen Geschehen falsch, oberflächlich oder wenig überzeugend sind ([X.] vom 4.9.2018 - [X.]2 KR 16/17 R - juris RdNr 25). Selbst fehlerhafte Gründe sind dem vollständigen Fehlen von Gründen vielmehr erst dann gleichzusetzen, wenn sie rational nicht nachvollziehbar, sachlich inhaltslos oder aus sonstigen Gründen derart unbrauchbar sind, dass die angeführten Gründe unter keinem Gesichtspunkt geeignet sind, den [X.] zu tragen ([X.] vom 4.9.2018 - [X.]2 KR 16/17 R - juris RdNr 25). Dem Vorbringen des [X.] lässt sich nicht entnehmen, dass diese Voraussetzungen hier vorliegen. Sein Vortrag, welche Elemente in der Begründung des [X.] aus seiner Sicht nicht ausreichend sind, betrifft erneut lediglich die Richtigkeit der Entscheidung im Einzelfall. Dass das [X.] Vortrag des [X.] in den Entscheidungsgründen nicht hinreichend berücksichtigt und hierdurch seinen Anspruch auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 [X.]) verletzt habe (vgl zu den Anforderungen [X.] vom 21.12.2021 - [X.] [X.] 61/21 B - juris Rd[X.] mwN), behauptet der Kläger nicht.

[X.] beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 Satz 1, Abs 4 [X.].

                [X.]

Meta

B 4 AS 321/21 B

03.03.2022

Bundessozialgericht 4. Senat

Beschluss

Sachgebiet: AS

vorgehend SG Berlin, 31. Januar 2017, Az: S 102 AS 26149/13, Urteil

§ 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, Art 2 Abs 1 GG, Art 20 Abs 3 GG, Art 3 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 03.03.2022, Az. B 4 AS 321/21 B (REWIS RS 2022, 904)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 904

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2 BvR 1243/03

2 BvR 2630/18

1 BvR 1772/91

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