Bundessozialgericht, Beschluss vom 21.12.2021, Az. B 4 AS 232/21 B

4. Senat | REWIS RS 2021, 119

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - keine ausreichende Begründung eines Verfahrensfehlers - Übertragung der Berufung auf den Berichterstatter - Entscheidung des Sozialgerichts durch Gerichtsbescheid - Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter


Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des [X.] vom 2. Juni 2021 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil ein Zulassungsgrund (§ 160 Abs 2 [X.]) nicht in der erforderlichen Weise dargelegt bzw bezeichnet worden ist (§ 160a Abs 2 Satz 3 [X.]). Die Beschwerde ist daher ohne Zuziehung [X.] zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2, § 169 [X.]).

2

a) Grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs 2 [X.]) hat eine Rechtssache nur, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fort-bildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Die Darlegung einer grundsätzlichen Bedeutung erfordert, dass eine konkrete Rechtsfrage klar formuliert wird. Weiter muss ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit im jeweiligen Rechtsstreit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) aufgezeigt werden (stRspr; vgl etwa [X.] vom [X.] [X.] 142/02 B - [X.] 3-1500 § 160a [X.] mwN).

3

Der Kläger, der in der Sache im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens die Rücknahme eines Verwaltungsakts begehrt, mit dem der Beklagte die Aufrechnung wegen eines Mietkautionsdarlehens verfügt hat (Bescheid vom 22.4.2013), wirft folgende Fragen auf:

-       

ob Aufrechnungen zur Tilgung eines zweiten Mietkautionsdarlehens gegen den Regelsatz nach [X.] bedingungslos möglich sind,

-       

ob § 51 [X.] iVm § 850c ZPO einer Aufrechnung entgegensteht,

-       

ob eine weitere Aufrechnung aufgrund eines zweiten Mietkautionsdarlehens von vorneherein rechtmäßig sein kann,

-       

ob das Jobcenter darauf hinweisen muss, dass zur Verhinderung der [X.] ergänzende Ansprüche gegen das Jobcenter geltend gemacht werden können und welche dies sind,

-       

ob § 51 [X.] der Aufrechnung entgegensteht, da kein pfändbares Einkommen vorliegt.

4

Der Senat lässt dahinstehen, ob es sich dabei um hinreichend konkrete Rechtsfragen handelt. Zumindest fehlt es an den weiteren oben genannten Voraussetzungen einer Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung. Im Hinblick auf die Klärungsbedürftigkeit hat der Kläger lediglich behauptet, das von den Vorinstanzen zur Begründung ihrer Entscheidungen herangezogene Urteil des [X.] [X.] [X.]/17 R ([X.], 63 = [X.] 4-4200 § 42a [X.]) beantworte die von ihm aufgeworfenen Rechtsfragen nicht. Die Beschwerdebegründung lässt aber jede inhaltliche Auseinandersetzung mit den Entscheidungsgründen dieses Urteils vermissen. Im Hinblick auf die Klärungsfähigkeit wird nicht dargelegt, weshalb die Fragen, die sich auf die Aufrechnung eines zweiten Darlehens beziehen, entscheidungserheblich sein sollten, obgleich die Sachverhaltsdarstellung erkennen lässt, dass der Beklagte seinen zur Überprüfung gestellten Bescheid vom 22.4.2013 insoweit bereits korrigiert hat. Die Klärungsfähigkeit der § 51 [X.] betreffenden Fragen ist nicht nachvollziehbar, weil nicht vorgetragen wird, dass der Beklagte seine Entscheidung auf diese Rechtsgrundlage gestützt hätte. Schließlich wird auch die erforderliche Breitenwirkung nur behauptet, aber nicht begründet.

5

b) Eine Abweichung (Divergenz) iS von § 160 Abs 2 [X.] [X.] ist nur dann hinreichend dargelegt, wenn aufgezeigt wird, mit welcher genau bestimmten entscheidungserheblichen rechtlichen Aussage die angegriffene Entscheidung des [X.] von welcher ebenfalls genau bezeichneten rechtlichen Aussage des [X.], des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes ([X.]) oder des [X.] abweicht. Eine Abweichung liegt nicht schon vor, wenn die angefochtene Entscheidung nicht den Kriterien entsprechen sollte, die das [X.], der [X.] oder das [X.] aufgestellt haben, weil die Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall nicht die Zulassung einer Revision wegen Abweichung rechtfertigt. Erforderlich ist vielmehr, dass das [X.] diesen Kriterien widersprochen und über den Einzelfall hinausgehende andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Nicht die - behauptete - Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die fehlende Übereinstimmung im Grundsätzlichen kann die Zulassung wegen Abweichung begründen (stRspr; vgl etwa [X.] vom [X.] [X.] 142/02 B - [X.] 3-1500 § 160a [X.]; [X.] in [X.]/[X.], [X.], 2017, § 160 RdNr 119).

6

Diese Anforderungen sind ebenfalls nicht erfüllt. Die vom Kläger dem Urteil des [X.] und der og Entscheidung des [X.] sinngemäß entnommenen Rechtssätze sind gedanklich miteinander vereinbar. Schon nach dem klägerischen Vortrag nicht nachvollziehbar ist die Annahme, das [X.] habe einen seine Entscheidung tragenden Rechtssatz aufgestellt, es bestünden keine Zweifel an der Verfassungskonformität von § 42a [X.], indem es diese Norm nicht unangewendet gelassen habe (vgl Art 100 GG). Schließlich bezeichnet der Kläger auch keinen abstrakten Rechtssatz des [X.], der dem von ihm angedeuteten Gehalt der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zur Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums widersprechen könnte.

7

c) Nach § 160 Abs 2 [X.] [X.] ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 (Anhörung eines bestimmten Arztes) und 128 Abs 1 Satz 1 [X.] (freie richterliche Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 [X.] (Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das [X.] ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Wer eine Nichtzulassungsbeschwerde auf diesen Zulassungsgrund stützt, muss zu seiner Bezeichnung (§ 160a Abs 2 Satz 3 [X.]) die diesen Verfahrensmangel des [X.] (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dartun, also die Umstände schlüssig darlegen, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (stRspr; siehe bereits [X.] vom 29.9.1975 - 8 [X.] 64/75 - [X.] 1500 § 160a [X.]; [X.] in [X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.], 13. Aufl 2020, § 160a Rd[X.] mwN). Darüber hinaus ist aufzuzeigen, dass und warum die Entscheidung - ausgehend von der Rechtsansicht des [X.] - auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit der Beeinflussung des Urteils besteht (stRspr; vgl bereits [X.] vom 18.2.1980 - 10 BV 109/79 - [X.] 1500 § 160a [X.]6).

8

Der Kläger bezeichnet indes auch einen Verfahrensfehler nicht hinreichend. Soweit er das Ergebnis des [X.] inhaltlich rügt, macht er schon keinen Mangel des gerichtlichen Verfahrens geltend. Ein solcher erfasst begrifflich nur das prozessuale Vorgehen des Gerichts ("error in procedendo", dazu [X.] in [X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.], 13. Aufl 2020, § 160 Rd[X.]a mwN).

9

Insoweit rügt der Kläger, die mit Beschluss des [X.]-Senats vom 7.10.2020 nach § 153 Abs 5 [X.] erfolgte Übertragung der Berufung auf die Berichterstatterin zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern verletze sein Recht auf [X.] aus Art 101 Abs 1 Satz 2 GG, weil es bereits an den gesetzlichen Voraussetzungen für die erstinstanzliche Entscheidung durch Gerichtsbescheid gefehlt habe. Er setzt sich jedoch nicht mit der Rechtsprechung des [X.] auseinander, wonach dies von § 153 Abs 5 [X.] auch nicht verlangt wird ([X.] vom [X.] [X.] 3/16 R - [X.] 4-1500 § 153 [X.] RdNr 13; [X.] vom [X.] - B 11 [X.] 8/18 R - [X.] 4-4300 § 144 [X.]7 RdNr 12 mit [X.] jurisPR-[X.] 21/2019 [X.] 1). Sollte der Kläger der Ansicht sein, das [X.] habe mit dem Übertragungsbeschluss die gesetzlichen Grenzen seines Ermessens überschritten, hätte er dies näher begründen und auf die relevanten Ermessenskriterien eingehen müssen (vgl [X.] vom [X.] - B 8 [X.] 72/16 B - juris RdNr 10; [X.] vom 27.5.2020 - B 9 SB 67/19 B - juris RdNr 9). Dafür genügt es nicht, seine eigene Einschätzung von der Schwierigkeit des Verfahrens an die Stelle derjenigen des [X.] zu setzen.

Schließlich genügt die Nichtzulassungsbeschwerde den Darlegungserfordernissen auch nicht, soweit der Kläger seinen Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 GG, § 62 Halbsatz 1 [X.]) verletzt sieht. Die Beschwerdebegründung lässt nicht erkennen, dass das [X.] dem Kläger in der mündlichen Verhandlung vom [X.] (§ 202 Satz 1 [X.] iVm § 283 ZPO) hätte gewähren müssen, weil seiner Prozessbevollmächtigten erst an diesem Tag eine Kopie des Bescheids vom 22.4.2013 überreicht worden sei. Zwar darf ein Urteil nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten (§ 128 Abs 2 [X.]), was eine angemessene Vorbereitungszeit voraussetzt. Der Kläger hat aber nicht vorgetragen, dass der Bescheid, dessen Überprüfung durch den Beklagten den Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens darstellt, ihm nicht schon seit seinem Erlass bekannt ist. Ebenso wenig hat der Kläger das Vorliegen einer Überraschungsentscheidung dargetan, indem er anführt, das [X.] habe vor seinem Urteil nicht auf die Entscheidung des [X.] [X.] [X.]/17 R ([X.], 63 = [X.] 4-4200 § 42a [X.]) und deren Folgen für den Rechtsstreit hingewiesen. Denn aus seiner Sachverhaltsdarstellung ergibt sich, dass sich schon das [X.] maßgebend auf dieses Urteil gestützt hatte. Vor diesem Hintergrund hätte ein gewissenhafter Prozessbeteiligter aufgrund des bisherigen Prozessverlaufs damit rechnen müssen, dass möglicherweise auch das Berufungsgericht seine Entscheidung hieran ausrichten würde (siehe zu diesem Aspekt nur [X.] vom [X.] - B 12 KR 2/21 B - juris RdNr 7 mwN). Auch eine Verletzung des Anspruchs auf ein faires Verfahren (Art 1 Abs 1, Art 2 Abs 1 iVm Art 20 Abs 3 GG, vgl dazu [X.] vom 8.10.1974 - 2 BvR 747/73 - [X.]E 38, 105, 111) hat der Kläger deshalb nicht dargetan. Auf einen Verstoß gegen Denkgesetze durch das [X.] im Rahmen seiner Beweiswürdigung kann der Kläger die Nichtzulassungsbeschwerde nicht stützen (§ 160 Abs 2 [X.] [X.]; vgl dazu [X.] vom [X.] R 233/17 B - juris RdNr 17 mwN).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 Satz 1, Abs 4 [X.].

Meta

B 4 AS 232/21 B

21.12.2021

Bundessozialgericht 4. Senat

Beschluss

Sachgebiet: AS

vorgehend SG Darmstadt, 7. Mai 2020, Az: S 24 AS 642/18, Gerichtsbescheid

§ 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 153 Abs 5 SGG, Art 101 Abs 1 S 2 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 21.12.2021, Az. B 4 AS 232/21 B (REWIS RS 2021, 119)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 119

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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