Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.01.2023, Az. VIII ZR 9/21

8. Zivilsenat | REWIS RS 2023, 355

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Gegenstand

(Substantiierungsanforderungen hinsichtlich der Darlegung einer Arglist des Verkäufers in einem Dieselfall)


Leitsatz

1. Zur Verletzung des Anspruchs der Partei auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG durch überspannte Substantiierungsanforderungen hinsichtlich des zur Darlegung einer Arglist des Verkäufers eines vom sogenannten Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs gehaltenen Vortrags zur Prüfstandsbezogenheit der Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung.

2. Eine Partei ist nicht deshalb gezwungen, den behaupteten Sachverhalt in allen Einzelheiten wiederzugeben, weil der Gegner ihn bestreitet. Der Grundsatz, dass der Umfang der Darlegungslast sich nach der Einlassung des Gegners richtet, besagt nur, dass dann, wenn infolge der Einlassung des Gegners der Tatsachenvortrag unklar wird und nicht mehr den Schluss auf die Entstehung des geltend gemachten Rechts zulässt, er der Ergänzung bedarf (im Anschluss an BGH, Beschluss vom 12. Juni 2008 - V ZR 223/07, juris Rn. 8; BGH, Beschluss vom 2. April 2009 - V ZR 177/08, NJW-RR 2009, 1236 Rn. 12 und BGH, Beschluss vom 25. Oktober 2011 - VIII ZR 125/11, NJW 2012, 382 Rn. 20).

Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wird das Urteil des 5. Zivilsenats des [X.] vom 2. Dezember 2020 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des [X.]s, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert für das [X.] wird auf bis 30.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Klägerin erwarb mit Kaufvertrag vom Dezember 2014 bei der [X.] ein Gebrauchtfahrzeug [X.] CDI 4M, das mit einem Dieselmotor des Typs [X.] (Abgasnorm Euro 5) ausgestattet ist, zum Preis von 36.480 €. Die Beklagte ist zugleich Herstellerin dieses Fahrzeugs. Die Übergabe des Fahrzeugs an die Klägerin erfolgte am 9. Januar 2015.

2

Das [X.] ordnete im Juni 2019 für den von der Klägerin erworbenen Fahrzeugtyp einen Rückruf an. Dieser war - nach den Feststellungen des Berufungsgerichts - maßgeblich darauf gestützt, dass die [X.] des [X.] unter normalen Betriebsbedingungen "oft nicht" greife und die Einhaltung der Grenzwerte ohne das geregelte [X.] nicht hinreichend sichergestellt sei. Die Beklagte legte gegen den Rückruf Widerspruch ein, über den noch nicht entschieden ist. Gleichwohl rüstete sie die Fahrzeuge (freiwillig) mit einem vom [X.] freigegebenen Software-Update um.

3

Mit anwaltlichem Schreiben vom 25. September 2019 erklärte die Klägerin gegenüber der [X.] den Rücktritt vom Kaufvertrag.

4

Die auf Rückzahlung des Kaufpreises (abzüglich einer Nutzungsentschädigung) nebst Zinsen, Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs, auf Feststellung des Annahmeverzugs der [X.] sowie auf Erstattung und Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten gerichtete Klage hat vor dem [X.] keinen Erfolg gehabt. Die hiergegen eingelegte Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen.

5

Die Revision hat das Berufungsgericht nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der Nichtzulassungsbeschwerde, mit der sie ihr Klagebegehren in vollem Umfang weiterverfolgt.

II.

6

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit für das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde von Interesse, im Wesentlichen ausgeführt:

7

Die Klägerin könne wegen des behaupteten Einsatzes unzulässiger Abschalteinrichtungen in der [X.]teuerung ihres Fahrzeugs unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt von der [X.] die Rückzahlung des Kaufpreises verlangen. Insbesondere folge ein solcher Anspruch weder aus dem kaufrechtlichen Gewährleistungsrecht (§ 437 Nr. 2, § 434 Abs. 1, §§ 433, 323, 346 BGB) noch aus einer Schadensersatzverpflichtung der [X.] wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung (§§ 826, 31 BGB). Der von ihr erklärte Rücktritt vom Kaufvertrag sei gemäß § 218 Abs. 1 BGB unwirksam, weil es am arglistigen Verschweigen eines Sachmangels durch die Beklagte im Sinne des § 438 Abs. 3 BGB fehle und deshalb im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung ein Nacherfüllungsanspruch der Klägerin bereits gemäß § 438 Abs. 1 Nr. 3 BGB verjährt gewesen sei. Bezogen auf den geltend gemachten Schadensersatzanspruch fehle es der [X.] am Schädigungsvorsatz und dem für die Sittenwidrigkeit erforderlichen Bewusstsein der Rechtswidrigkeit ihres Handelns.

8

Insoweit könne dahinstehen, ob die im Fahrzeug zum Einsatz kommende [X.] eine unzulässige Abschalteinrichtung sei und deshalb einen Sachmangel darstelle. Anhaltspunkte dafür, dass die Software den Prüfstand erkenne und die vorbezeichnete Regelung nur dort greife, bestünden nicht. Die Beklagte sei dem Vorwurf der Klägerin, wonach die Software die Vorbereitung des Fahrzeugs auf eine Messung im Prüfstand erkenne und die [X.] nur unter im normalen Fahrbetrieb nicht zu erwartenden Bedingungen arbeite, substantiiert entgegengetreten. Danach verhalte sich die beanstandete Regelung der [X.] in der Prüfung und im realen Straßenbetrieb gleich. Das geregelte [X.] sei unter bestimmten Betriebsbedingungen regelmäßig in der Warmlaufphase aktiv; die Regelung sei von der Außentemperatur bei Betrieb des Fahrzeugs abhängig. Die [X.] stellten nicht auf den Prüfzyklus, den Betrieb auf dem Prüfstand selbst oder auf Bedingungen ab, die nahezu nur auf dem Prüfstand herrschten. Diesem Vortrag sei die Klägerin nicht mehr erheblich entgegengetreten. Soweit sie weiterhin behaupte, höhere Abgasrückführungsraten kämen anhand der Vorbereitung des Fahrzeugs für die Prüfung (Konditionierung) durch eine Verlängerung der Warmlaufphase mittels Regelung des Thermostatventils - fast ausschließlich auf dem Prüfstand - zum Einsatz, erfolge dieses Vorbringen nunmehr ersichtlich ins Blaue hinein.

9

Jedenfalls habe die Beklagte nicht einen Mangel arglistig verschwiegen oder sittenwidrig gehandelt. Es lasse sich nicht feststellen, dass sie in dem Bewusstsein, möglicherweise eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, gehandelt und dies billigend in Kauf genommen habe. Die Beklagte habe nachvollziehbar dargetan, dass die Regelung des [X.]s eine das Emissionsverhalten im Motorwarmlauf auf dem Prüfstand und unter vergleichbaren Bedingungen (auch) im Straßenverkehr positiv beeinflussende Maßnahme sei. Sie gehe selbst jetzt noch davon aus, dass es sich bei dieser Regelung schon nicht um eine Abschalteinrichtung handele, diese aber jedenfalls unter dem Gesichtspunkt des Motor- und Bauteilschutzes sowie des sicheren Betriebs gerechtfertigt wäre. Die so begründete Annahme der [X.] sei bei der gebotenen objektiven ex ante-Betrachtung nicht unvertretbar gewesen. Sollte die Beklagte die Rechtslage fahrlässig fehlerhaft beurteilt haben, fehlte es ihr am erforderlichen Bewusstsein der Rechtswidrigkeit.

[X.].

Die zulässige Nichtzulassungsbeschwerde hat in der Sache Erfolg (§ 544 Abs. 9 ZPO), weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des [X.] erfordert (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO). Das Berufungsgericht hat den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt. Denn es hat deren für die Beurteilung des Streitfalls bedeutsames beweisbewehrtes Vorbringen zu einer im Fahrzeug verbauten prüfstandsbezogenen unzulässigen Abschalteinrichtung in Gestalt einer [X.] gehörswidrig übergangen und es in der Folge versäumt, die von der Klägerin hierfür angebotenen Beweise zu erheben.

1. Das Gebot rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verpflichtet das entscheidende Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (st. Rspr.; vgl. etwa [X.], NJW 2022, 3413 Rn. 26; Senatsbeschlüsse vom 5. Oktober 2022 - [X.], [X.], 2242 Rn. 10; vom 13. Dezember 2022 - [X.], zur [X.] bestimmt, unter [X.]; jeweils mwN). Als grundrechtsgleiches Recht soll es sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, welche ihren Grund in der unterlassenen Kenntnisnahme und der Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der [X.]en haben. In diesem Sinne gebietet Art. 103 Abs. 1 GG in Verbindung mit den Grundsätzen der Zivilprozessordnung auch die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (st. Rspr.; hierzu etwa [X.], Beschluss vom 25. März 2020 - 2 BvR 113/20, juris Rn. 45; Senatsbeschlüsse vom 26. April 2022 - [X.], juris Rn. 12; vom 5. Oktober 2022 - [X.], aaO; jeweils mwN).

Dies gilt auch dann, wenn die Nichtberücksichtigung des betreffenden Sachvortrags sowie eines damit zusammenhängenden Beweisangebots darauf beruht, dass das Gericht verfahrensfehlerhaft überspannte Anforderungen an den Vortrag einer [X.] gestellt hat. Eine solche nur scheinbar das [X.]vorbringen würdigende Verfahrensweise stellt sich als Weigerung des Tatgerichts dar, in der nach Art. 103 Abs. 1 GG gebotenen Weise den [X.]vortrag zur Kenntnis zu nehmen und sich mit ihm inhaltlich auseinanderzusetzen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 29. September 2021 - [X.], juris Rn. 12; vom 5. Oktober 2022 - [X.], aaO Rn. 11; vom 13. Dezember 2022 - [X.], aaO).

2. Gemessen hieran ist dem Berufungsgericht eine Gehörsverletzung nach Art. 103 Abs. 1 GG anzulasten. Wie die Nichtzulassungsbeschwerde mit Recht rügt, ist das Berufungsgericht zu seiner Annahme, es gebe keine Anhaltspunkte für eine Prüfstandsbezogenheit der im Fahrzeug eingebauten - und von der Klägerin als unzulässige Abschalteinrichtung beanstandeten - [X.], unter Berücksichtigung allein des Sachvortrags der [X.] und unter Übergehung des von der Klägerin gehaltenen und unter Beweis gestellten gegensätzlichen Vorbringens zur Wirkungsweise der vorbezeichneten Regelung gelangt. Das Berufungsgericht hätte die von der Klägerin zum Nachweis ihrer Behauptungen angebotenen Beweise erheben müssen, weil die Klägerin den diesbezüglich von der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen an ein substantiiertes Vorbringen gerecht geworden und dieses Vorbringen (auch) für den vom Berufungsgericht für maßgeblich erachteten Gesichtspunkt der fehlenden Arglist (§ 438 Abs. 3 Satz 1 BGB) beziehungsweise Sittenwidrigkeit (§ 826 BGB) des Handelns der [X.] entscheidungserheblich ist.

a) Ein Sachvortrag zur Begründung eines Anspruchs ist bereits dann schlüssig und erheblich, wenn die [X.] Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person der [X.] entstanden erscheinen zu lassen. Die Angabe näherer Einzelheiten ist nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind (st. Rspr.; vgl. nur Senatsurteil vom 29. Januar 2020 - [X.]/18, [X.], 302 Rn. 55; Senatsbeschlüsse vom 5. Oktober 2022 - [X.], [X.], 2242 Rn. 20; vom 13. Dezember 2022 - [X.], zur [X.] bestimmt, unter [X.] 2 a; jeweils mwN).

Das gilt insbesondere dann, wenn die [X.] keine unmittelbare Kenntnis von den Vorgängen hat (Senatsbeschlüsse vom 28. Januar 2020 - V[X.] ZR 57/19, NJW 2020, 1740 Rn. 7; vom 22. Juni 2021 - V[X.] ZR 134/20, NJW-RR 2021, 1093 Rn. 33; vom 5. Oktober 2022 - [X.], aaO; jeweils mwN). Eine [X.] darf auch von ihr nur vermutete Tatsachen als Behauptung in einen Rechtsstreit einführen, wenn sie mangels entsprechender Erkenntnisquellen oder Sachkunde keine sichere Kenntnis von [X.] haben kann. [X.] ist der auf Vermutungen gestützte Sachvortrag einer [X.] erst dann, wenn die [X.] ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich Behauptungen "aufs Geratewohl" oder "ins Blaue hinein" aufstellt. Bei der Annahme von Willkür in diesem Sinne ist allerdings Zurückhaltung geboten. In der Regel wird sie nur bei Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte vorliegen (vgl. [X.], Urteil vom 13. Juli 2021 - [X.], [X.], 1609 Rn. 21 f.; Beschluss vom 28. Januar 2020 - V[X.] ZR 57/19, aaO Rn. 7 f.; jeweils mwN).

Eine [X.] ist nicht deshalb gezwungen, den behaupteten Sachverhalt in allen Einzelheiten wiederzugeben, weil der Gegner ihn bestreitet. Der Grundsatz, dass der Umfang der Darlegungslast sich nach der Einlassung des Gegners richtet, besagt nur, dass dann, wenn infolge der Einlassung des Gegners der Tatsachenvortrag unklar wird und nicht mehr den Schluss auf die Entstehung des geltend gemachten Rechts zulässt, er der Ergänzung bedarf ([X.], Beschlüsse vom 12. Juni 2008 - [X.], juris Rn. 8; vom 2. April 2009 - [X.], NJW-RR 2009, 1236 Rn. 12; vgl. auch Senatsbeschluss vom 25. Oktober 2011 - V[X.] ZR 125/11, [X.], 382 Rn. 20; jeweils mwN).

Sind diese Anforderungen erfüllt, ist das Gericht also in die Lage versetzt, aufgrund des tatsächlichen Vorbringens der [X.] zu entscheiden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für das Bestehen des geltend gemachten Rechts vorliegen (vgl. Senatsbeschluss vom 26. April 2022 - [X.], juris Rn. 27 mwN), ist es Sache des Tatrichters, in die Beweisaufnahme einzutreten und dabei gegebenenfalls die benannten Zeugen oder die zu vernehmende [X.] nach weiteren Einzelheiten zu befragen oder einem Sachverständigen die beweiserheblichen Streitfragen zu unterbreiten (st. Rspr.; vgl. Senatsbeschlüsse vom 26. April 2022 - [X.], aaO; vom 5. Oktober 2022 - [X.], aaO; jeweils mwN).

b) Nach diesem Maßstab hat die Klägerin ausreichend substantiiert zum Vorliegen von Anhaltspunkten für eine Prüfstandsbezogenheit der im Fahrzeug unstreitig eingebauten [X.] vorgetragen. Das Berufungsgericht hätte diesen Vortrag nicht aufgrund der Erwägung, die Beklagte sei ihm "substantiiert entgegengetreten" und die Klägerin sei dem ihrerseits "nicht mehr erheblich entgegengetreten", unberücksichtigt lassen und eine Prüfstandsbezogenheit nicht ohne Erhebung der von der Klägerin zum Nachweis ihrer diesbezüglichen Behauptungen angebotenen Beweise verneinen dürfen. Das entsprechende Vorgehen des Berufungsgerichts beruht - wie die Nichtzulassungsbeschwerde zu Recht rügt - auf einer offenkundigen Überspannung der Anforderungen an die Substantiierungspflicht der Klägerin.

aa) Die Klägerin hat - wie die Nichtzulassungsbeschwerde zutreffend aufzeigt - unter Beweisantritt (Sachverständigengutachten, Zeugenbeweis, Einholung einer Auskunft des [X.]s) zur Wirkungsweise der im Fahrzeug eingebauten [X.] vorgetragen, die Anlass für den unstreitig erfolgten Rückruf des von der Klägerin erworbenen Fahrzeugtyps durch das [X.] gewesen war.

Danach sei das Fahrzeug so konzipiert, dass durch die Regelung des Thermostatventils die Warmlaufphase des Fahrzeugs verlängert werde. Hierdurch würden - fast ausschließlich auf dem Prüfstand - höhere [X.], die volle Kühlung des rückgeführten Abgases und somit die Einhaltung der Stickoxidgrenzwerte erreicht. Befinde sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand, werde die Kühlflüssigkeit so stark gekühlt, dass aufgrund der verminderten Verbrennungstemperatur so wenig Stickoxide entstünden, dass das Fahrzeug die geltenden Grenzwerte einhalte. Ohne diese [X.] halte das von der Klägerin erworbene Fahrzeug die Grenzwerte im [X.] ([X.]) hingegen nicht ein. Die von der [X.] eingebaute Steuerung erkenne die Randbedingungen des gesetzlichen Prüfverfahrens anhand der Vorbereitung des Fahrzeugs auf die Prüfung (Konditionierung). Die - von der Klägerin im Einzelnen beschriebenen - Bedingungen dieser Konditionierung kämen in der Natur praktisch nicht vor. Da die Kühlregelung außerhalb der Bedingungen des [X.] abgeschaltet werde, sei in das Fahrzeug eine Einrichtung eingebaut, die bewirke, dass auf dem Prüfstand eine niedrigere Kühlmitteltemperatur und eine andere Abgasreinigungsstrategie, einschließlich höherer Abgasrückführungsraten, angewendet würden als im realen Straßenbetrieb. Die Verwendung der entsprechenden Software sei als echte Prüfstandserkennung und damit als sittenwidrig einzustufen. Es könne ausgeschlossen werden, dass die Beklagte hiervon keine Kenntnis gehabt habe.

Die Klägerin hat dabei auf den unstreitig wegen der [X.] erfolgten Rückruf durch das [X.], auf eine vom [X.] in einem anderen gegen die Beklagte geführten Rechtsstreit betreffend denselben Fahrzeugtyp erteilte Auskunft sowie auf einen den von ihr erworbenen Fahrzeugtyp betreffenden Medienbericht verwiesen. In der vorbezeichneten Auskunft hat das [X.] unter anderem mitgeteilt, dass die von der [X.] angewandten Schaltkriterien der [X.] so gewählt seien, dass wesentliche Randbedingungen des gesetzlichen Prüfverfahrens erkannt werden könnten und die Sollwertabsenkung "mit Sicherheit" bei der Prüfung im [X.] aktiv sei, während sie schon bei normalen Betriebsbedingungen "oft abgeschaltet" sei. Die Sollwertabsenkung sei eine Einrichtung, welche die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems beeinflusse.

Außerdem hat die Klägerin die Antwort der Bundesregierung(BT-Drucks. 19/15320, [X.]) zu einer Kleinen Anfrage von Bundestagsabgeordneten (BT-Drucks. 19/14690, [X.]) betreffend den Rückruf von ebenfalls durch die Beklagte hergestellten [X.] wiedergegeben, dem dieselben Beanstandungen durch das [X.] zugrunde gelegen hätten, und sich diese ausdrücklich zu eigen gemacht. In dieser Stellungnahme wurde die eingesetzte Abschalteinrichtung als unzulässig bewertet und ausgeführt, dass außerhalb der [X.] ein AGR-Kennfeld mit niedrigeren Abgasrückführungsraten genutzt werde als unter den [X.].

bb) Indem das Berufungsgericht diesen - unter Beweis gestellten - Sachvortrag der Klägerin ohne nähere Auseinandersetzung als unzureichende Behauptung "ersichtlich ins Blaue hinein" gewertet und - weil "die Klägerin [dem] nicht mehr erheblich entgegengetreten" sei - seiner Würdigung allein den Vortrag der [X.] zur Funktionsweise der [X.] zugrunde gelegt hat, hat es die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen an die Substantiierung des [X.]vortrags offenkundig überspannt (vgl. hierzu auch [X.], Urteil vom 13. Juli 2021 - [X.], [X.], 1609 Rn. 24 ff.; Beschlüsse vom 20. April 2022 - [X.], juris Rn. 18, 22 f.; vom 4. Mai 2022 - [X.], juris Rn. 19, 23 f.; vom 21. September 2022 - [X.], juris Rn. 15 f.).

Denn das (umfangreiche) Vorbringen der Klägerin erweist sich als ausreichend substantiiert für die schlüssige Darlegung, dass die in dem erworbenen Fahrzeug zum Einsatz kommende Software die Prüfung des Fahrzeugs im [X.] beziehungsweise die Vorbereitung hierauf erkenne und dass die auf diese Weise gesteuerte [X.], welche für die Einhaltung der gesetzlichen Grenzwerte erforderlich sei, nahezu ausschließlich auf dem Prüfstand eingreife und dort zu geringeren Stickoxidemissionen führe als im realen Fahrbetrieb. Die Mitteilung weitergehender (technischer) Einzelheiten war von der Klägerin weder zu fordern noch gaben die Erklärungen der [X.] prozessual hierzu Veranlassung.

Der Umstand, dass die Beklagte dem Vortrag der Klägerin - wie das Berufungsgericht gemeint hat - "substantiiert entgegengetreten" sei, führte nicht dazu, dass die Klägerin nun ihrerseits einen auf Expertenwissen beruhenden, noch stärker detaillierten Sachvortrag hätte halten müssen, um dessen Beweisbedürftigkeit herbeizuführen. Soweit das Berufungsgericht hiervon jedoch offenkundig ausgegangen ist und ein - hinsichtlich der von ihm verlangten Anforderungen nicht näher ausgeführtes - "erhebliches Entgegentreten" der Klägerin vermisst hat, hat es verkannt, dass die Klägerin mangels eigener Sachkunde und weiterer Erkenntnismöglichkeiten letztlich auf Vermutungen angewiesen ist und diese naturgemäß nur auf einige greifbare Gesichtspunkte stützen kann. Sie musste deshalb nicht im Einzelnen - und jedenfalls nicht noch weitergehend als bereits erfolgt - darlegen, wie die von ihr behauptete Abschalteinrichtung konkret funktioniert (vgl. hierzu [X.], Urteil vom 13. Juli 2021 - [X.], [X.], 1609 Rn. 26; Beschluss vom 28. Januar 2020 - V[X.] ZR 57/19, NJW 2020, 1740 Rn. 10). Von ihr war hier nur zu fordern, greifbare Umstände anzuführen, auf die sie den Verdacht gründet, ihr Fahrzeug weise eine prüfstandsbezogene unzulässige Abschalteinrichtung auf (vgl. [X.], Urteil vom 13. Juli 2021 - [X.], aaO; Beschlüsse vom 28. Januar 2020 - V[X.] ZR 57/19, aaO; vom 4. Mai 2022 - [X.], aaO Rn. 24). Diesen Anforderungen ist die Klägerin gerecht geworden.

Die von ihr aufgestellten tatsächlichen Behauptungen waren durch das Bestreiten seitens der [X.] und durch deren Ausführungen zur Funktionsweise der [X.] auch nicht ergänzungsbedürftig geworden. Sie erlaubten weiterhin den Schluss auf die von der Klägerin geltend gemachte Prüfstandsbezogenheit dieser Regelung. Da auch keine Anhaltspunkte dafür bestanden, dass die Klägerin ihren bisherigen Vortrag nun nicht mehr würde aufrechterhalten wollen - sie hat diesen vielmehr mit einem nachfolgenden Schriftsatz wiederholt und unter Auseinandersetzung mit dem Vorbringen der [X.] vertieft -, war das Berufungsgericht gehalten, die von der Klägerin angebotenen Beweise zu erheben.

b) Die unterlaufene Gehörsverletzung ist - aus der maßgeblichen Sicht des Berufungsgerichts - entscheidungserheblich (§ 544 Abs. 9 ZPO). Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht, hätte es das Vorbringen der Klägerin in gebotener Weise zur Kenntnis genommen und die angebotenen Beweise zur Funktionsweise der [X.] erhoben, zur Annahme einer Arglist der [X.] im Sinne von § 438 Abs. 3 Satz 1 BGB und damit zur Geltung der regelmäßigen Verjährungsfrist (§§ 195, 199 Abs. 1 BGB) gelangt wäre. Der noch vor Ablauf dieser Frist erklärte Rücktritt wäre in diesem Fall rechtzeitig gewesen (§ 218 Abs. 1 BGB). Zudem kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht hinsichtlich der Beurteilung des Vorliegens einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung im Sinne des § 826 BGB zu einer anderen Beurteilung gekommen wäre.

Zwar hat das Berufungsgericht das genannte Vorbringen der Klägerin in erster Linie unter dem Gesichtspunkt des Vorliegens eines Sachmangels angesprochen. Es stünde jedoch auch seiner - die Verneinung von Ansprüchen der Klägerin tragenden - Annahme entgegen, der [X.] habe das für ein arglistiges Handeln beziehungsweise für eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung nötige Unrechtsbewusstsein gefehlt. Denn [X.] des Vorbringens der Klägerin bestand in der Behauptung einer Prüfstandsbezogenheit, bei der es sich um ein grundsätzlich geeignetes Kriterium handelt, um zwischen nur unzulässigen Abschalteinrichtungen und solchen, deren Implementierung die Kriterien einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung erfüllen können, zu unterscheiden. Die Tatsache, dass eine Manipulationssoftware ausschließlich im Prüfstand die Abgasreinigung verstärkt aktiviert, indiziert eine arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde (vgl. [X.], Beschluss vom 4. Mai 2022 - [X.], juris Rn. 18). Eine Software, die bewusst und gewollt so programmiert ist, dass die gesetzlichen Abgaswerte nur auf dem Prüfstand beachtet, im normalen Fahrbetrieb hingegen überschritten werden, zielt unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde ab. Das Inverkehrbringen solcher Fahrzeuge durch den Fahrzeughersteller ist sittenwidrig und steht einer unmittelbaren arglistigen Täuschung der Fahrzeugerwerber gleich (vgl. [X.], Urteile vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, [X.]Z 225, 316 Rn. 25; vom 23. Juni 2022 - [X.], juris Rn. 22).

Sollte die [X.] daher - wie von der Klägerin behauptet - nahezu ausschließlich im Prüfstand die Abgasreinigung verstärkt aktivieren, wäre dieser Umstand grundsätzlich geeignet, um auf eine arglistige Täuschung der Genehmigungsbehörden und ein entsprechendes Unrechtsbewusstsein der [X.] schließen zu lassen (vgl. [X.], Beschlüsse vom 4. Mai 2022 - [X.], aaO Rn. 26; vom 21. September 2022 - [X.], juris Rn. 18; jeweils mwN).

3. Die weiteren von der Nichtzulassungsbeschwerde erhobenen [X.] hat der Senat geprüft, jedoch nicht für durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird insoweit abgesehen (§ 544 Abs. 6 Satz 2 ZPO).

IV.

Nach alledem ist das Urteil des Berufungsgerichts aufzuheben und der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 544 Abs. 9 ZPO).

Dr. Bünger     

      

Kosziol     

      

Wiegand

      

Dr. Matussek     

      

Dr. Reichelt     

      

Meta

VIII ZR 9/21

10.01.2023

Bundesgerichtshof 8. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZR

vorgehend Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt, 2. Dezember 2020, Az: 5 U 92/20

§ 218 Abs 1 BGB, § 346 BGB, § 437 Nr 2 BGB, § 438 Abs 3 S 1 BGB, § 826 BGB, Art 103 Abs 1 GG, § 138 Abs 1 ZPO, § 138 Abs 2 ZPO, § 543 Abs 2 S 1 Nr 2 Alt 2 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.01.2023, Az. VIII ZR 9/21 (REWIS RS 2023, 355)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 355

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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