Bundesverfassungsgericht, Ablehnung einstweilige Anordnung vom 30.10.2019, Az. 2 BvR 980/16

2. Senat | REWIS RS 2019, 2044

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Ablehnung des Erlasses einer einstweiligen Anordnung bzgl des Ankaufs von Staatsanleihen durch die Bundesbank im Rahmen des PSPP (Public Sector Purchase Programme) - unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache - kein schwerer Nachteil mit Blick auf bevorstehende Hauptsacheentscheidung


Tenor

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird verworfen.

Gründe

1

Die Beschwerdeführer haben mit Schriftsatz vom 22. Oktober 2019 gemäß § 32 [X.] den Erlass einer einstweiligen Anordnung folgenden Inhalts beantragt:

1. Die [X.] wird vom Vollzug des [X.] (Beschlüsse der [X.] vom 4. März 2015, vom 5. November 2015) in Gestalt des Beschlusses vom 12. September 2019 durch Wiederaufnahme des Anleihenkaufs ab 1. November 2019 dispensiert.

2. Dem Präsidenten der [X.] wird aufgegeben, bei zukünftigen Beschlüssen des [X.]es sein Stimmrecht gemäß Art. 10.2 der [X.] auszuüben und auf die Beschlussfassung im [X.] durch Abstimmung gemäß Art. 10.2 der [X.] in Verbindung mit Art. 4.2 der [X.] der [X.] hinzuwirken.

3. Der Bundesregierung wird aufgegeben, gegen das [X.] der [X.] in Gestalt der Beschlüsse vom 12. September 2019 Klage vor dem [X.] zu erheben und - solange die Maßnahmen fortwirken - geeignete Vorkehrungen dafür zu treffen, dass deren innerstaatliche Auswirkungen soweit wie möglich begrenzt bleiben.

2

Zur Begründung führen die Beschwerdeführer im Wesentlichen aus, dass der Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Abwehr schwerer Nachteile für die demokratische Partizipation, insbesondere für die Budgethoheit des [X.], sowie für die Funktionsfähigkeit der [X.] und somit zum gemeinen Wohl dringend geboten sei. Die Abwägung der Konsequenzen führe zu dem Ergebnis, dass etwaige Nachteile durch den Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenüber den sicheren Nachteilen eines Unterbleibens der einstweiligen Anordnung zu vernachlässigen seien.

3

Im Hinblick auf die durch die Beschlüsse vom 12. September 2019 veranlasste Gefahrenlage sei der Erlass der einstweiligen Anordnung zwingend geboten. Es sei zu befürchten, dass die [X.] ([X.]) auf absehbare [X.] ihre unkonventionelle Aufkauf- und Nullzins-Politik bereits deshalb steigern werde, weil diese sich im Hinblick auf das Inflationsziel von rund 2 % als wirkungslos erwiesen habe. Es solle verhindert werden, dass das als [X.] zu qualifizierende [X.] durch die Wiederaufnahme der [X.] vertieft werde. Nur durch die Dispensierung der Deutschen [X.] von ihrer Vollzugspflicht der [X.]-Beschlüsse vom 12. September 2019 könnten die bisherigen und künftigen Verlustrisiken und damit die Gefahren für den Haushalt der [X.] in Grenzen gehalten werden. Bei Verwerfung des Antrags auf Erlass der einstweiligen Anordnung bestünde für die Beschwerdeführer keine Möglichkeit, die Vorwegnahme der Hauptsache durch die [X.] beziehungsweise die näher beschriebenen Unterlassungen von [X.], Bundesregierung und [X.] zu verhindern.

4

Der Antrag ist unzulässig.

5

Durch eine einstweilige Anordnung darf die Hauptsache nicht vorweggenommen werden (vgl. [X.] 34, 160 <162>; 46, 160 <163 f.>; 67, 149 <151>; 147, 39 <46 f. Rn. 11>; stRspr). Über die in der Hauptsache aufgeworfenen Fragen kann im Verfahren nach § 32 [X.] grundsätzlich nicht entschieden werden (vgl. [X.] 12, 276 <279>; 15, 77 <78>); durch den Erlass einer einstweiligen Anordnung soll lediglich ein Zustand vorläufig geregelt, nicht aber die Hauptsache präjudiziert werden (vgl. [X.] 8, 42 <46>; 15, 219 <221>). Eine Vorwegnahme der Hauptsache steht der Zulässigkeit eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nur dann nicht entgegen, wenn eine Entscheidung in der Hauptsache möglicherweise zu spät käme und dem Antragsteller in anderer Weise ausreichender Rechtsschutz nicht mehr gewährt werden könnte (vgl. [X.] 34, 160 <162 f.>; 67, 149 <151>; 108, 34 <40>; 130, 367 <369>). Unzulässig ist ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung regelmäßig dann, wenn es dem Antragsteller nur um eine eilige Entscheidung über die im Hauptsacheverfahren angegriffene Maßnahme geht (vgl. [X.] 147, 39 <47 Rn. 11>).

6

Eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache ist anzunehmen, wenn der beantragte Inhalt der einstweiligen Anordnung und das Rechtsschutzziel in der Hauptsache, wenn nicht deckungsgleich, so doch zumindest vergleichbar sind, wenn also die stattgebende einstweilige Anordnung mit dem [X.]punkt ihres Erlasses einen Zustand in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht zu verwirklichen erlaubt, der erst durch die zeitlich spätere Entscheidung in der Hauptsache hergestellt werden soll.

7

Danach kann der Antrag keinen Erfolg haben, weil eine einstweilige Anordnung des von den Beschwerdeführern begehrten Inhalts die Entscheidung in der Hauptsache vorwegnähme.

8

1. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung hätte, soweit dadurch der Ankauf von Staatsanleihen durch die [X.] im Rahmen des [X.] untersagt würde, nicht nur vorläufigen Charakter. Mit der Unterbrechung der Anleihekäufe durch die [X.] würde die Zielsetzung des [X.], durch eine weitere Lockerung der monetären und finanziellen Bedingungen eine Transmission der geldpolitischen Effekte des Programms auf die Realwirtschaft und dadurch eine Anhebung der Inflation auf knapp 2 % zu bewirken, aufgrund des prozentualen Anteils der von der [X.] getätigten Ankäufe jedenfalls stark eingeschränkt oder womöglich sogar verhindert werden ([X.] 147, 39 <47 f. Rn. 14>). Ob der Ausfall dieses Anteils ohne Weiteres von den übrigen Mitgliedern des [X.] kompensiert werden könnte und würde, ist ungewiss. Es ist auch unwahrscheinlich, dass im Fall des Scheiterns der Beschwerdeführer im Hauptsacheverfahren nach einer im Wege der einstweiligen Anordnung erwirkten Aussetzung der von der [X.] getätigten Ankäufe die damit verbundenen Folgen ohne Weiteres wieder beseitigt werden könnten, ohne dass Zielsetzung und Durchführung der von dem [X.] beabsichtigten Impulse dauerhaft beeinträchtigt würden. Eine antragsgemäße einstweilige Anordnung ginge daher über die bloße Sicherung des Status quo hinaus und wäre weitgehend identisch mit einer stattgebenden Entscheidung in der Hauptsache.

9

2. Dies gilt auch, soweit die Beschwerdeführer beantragen, der Bundesregierung aufzugeben, während der Dauer des [X.] der Maßnahmen geeignete Vorkehrungen dafür zu treffen, dass deren innerstaatliche Auswirkungen soweit wie möglich begrenzt bleiben, und dem Präsidenten der [X.] aufzugeben, bei zukünftigen Beschlüssen des [X.]es sein Stimmrecht in der näher bezeichneten Weise auszuüben und auf die Beschlussfassung im [X.] hinzuwirken.

3. Die Vorwegnahme der Hauptsache ist auch nicht ausnahmsweise zulässig, weil den Antragstellern sonst ein schwerer, nicht wieder gutzumachender Nachteil entstünde. Die Entscheidung des [X.] in der Hauptsache steht nach der mündlichen Verhandlung am 30./31. Juli 2019 kurz bevor, sodass im Hinblick auf das bisherige Gesamtankaufvolumen des [X.] eine temporäre Wiederaufnahme beziehungsweise Fortsetzung des Programms bei einem monatlichen Netto-Ankaufvolumen in Höhe von 20 Milliarden Euro keinen schweren Nachteil, insbesondere für die Budgethoheit des [X.], herbeizuführen geeignet ist.

4. Soweit die Antragsteller beantragen, die Bundesregierung im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, gegen das [X.] Klage vor dem [X.] zu erheben, fehlt dem Antrag das Rechtsschutzbedürfnis, weil sich dieser bereits auf den Vorlagebeschluss des Senats vom 18. Juli 2017 ([X.] 146, 216) mit den auch für den vorliegenden Antrag relevanten Rechtsfragen im Urteil vom 11. Dezember 2018 ([X.], [X.]/17, [X.]:C:2018:1000) befasst hat.

Meta

2 BvR 980/16

30.10.2019

Bundesverfassungsgericht 2. Senat

Ablehnung einstweilige Anordnung

Sachgebiet: BvR

vorgehend EuGH, 11. Dezember 2018, Az: C-493/17, Urteil

§ 32 Abs 1 BVerfGG, Art 127 AEUV, Art 127ff AEUV, Art 10.2 ESZB/EZBSa, EUBes 2015/10, EUBes 2015/33, EUBes 2019/1558

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Ablehnung einstweilige Anordnung vom 30.10.2019, Az. 2 BvR 980/16 (REWIS RS 2019, 2044)

Papier­fundstellen: WM2019,2152 REWIS RS 2019, 2044

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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