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Nichtannahmebeschluss: Erfolglose Verfassungsbeschwerden gegen das Programm der EZB zum Ankauf von Vermögenswerten des Unternehmenssektors (Corporate Sector Purchase Programme - CSPP) - Verstoß gegen europäisches Primärrecht nicht ausgeschlossen - allerdings teils unstatthafter Beschwerdegegenstand, teils unzureichende Beschwerdebegründung
Die Verfahren 2 BvR 71/20 und 2 BvR 72/20 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
Die Verfassungsbeschwerden werden, ohne dass es einer Entscheidung über den Antrag der Beschwerdeführer zu II. auf Ruhen des Verfahrens bedarf, nicht zur Entscheidung angenommen.
Die Beschwerdeführer zu I. und zu II. wenden sich jeweils gegen das Programm zum Ankauf von Vermögenswerten des Unternehmenssektors (Corporate Sector Purchase Programme - CSPP). Hierbei handelt es sich um ein Unterprogramm des erweiterten Programms zum Ankauf von Vermögenswerten (Expanded Asset Purchase Programme - EAPP) des Europäischen Systems der Zentralbanken (ESZB).
Am 10. März 2016 beschloss der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB-Rat), das CSPP aufzulegen (vgl. EZB, Pressemitteilung vom 10. März 2016; 3. Erwägungsgrund Beschluss
Durch das CSPP soll die Transmission der Anleihekäufe des Eurosystems auf die Finanzierungsbedingungen der Realwirtschaft weiter verstärkt werden (vgl. EZB, Pressemitteilung vom 10. März 2016; vgl. auch 3. Erwägungsgrund Beschluss
Im Rahmen des CSPP erwerben ausgewählte Zentralbanken des Eurosystems, darunter die Deutsche Bundesbank, notenbankfähige Unternehmensanleihen auf dem Primär- und Sekundärmarkt, bei Anleihen des öffentlichen Unternehmenssektors nur auf dem Sekundärmarkt (Art. 1 Satz 2 Beschluss
Die Anleihen müssen eine Restlaufzeit von sechs Monaten bis zu 30 Jahren und 364 Tagen haben. Für die Beurteilung der Bonitätsanforderungen marktfähiger Schuldtitel sind nur die Bonitätsbeurteilungen externer Ratingagenturen, die in den Rahmenregelungen für Bonitätsbeurteilungen im Eurosystem anerkannt sind, zu berücksichtigen. Ankäufe nominaler marktfähiger Schuldtitel mit negativer Endfälligkeitsrendite (oder mit einer Rendite im schlechtesten Fall) über dem Zinssatz für die Einlagefazilität sind zulässig (Art. 2 Beschluss
Hinsichtlich der von den nationalen Zentralbanken erworbenen Anleihen findet eine vollständige Risikoteilung statt; Verluste einer nationalen Zentralbank werden auf alle nationalen Zentralbanken des Eurosystems entsprechend dem Kapitalschlüssel verteilt (vgl. EZB, Stellungnahme vom 15. November 2016, S. 6 f.).
Die Ankäufe im Rahmen des CSPP begannen am 8. Juni 2016; zum 8. Mai 2020 hielt das Eurosystem im Rahmen des EAPP Wertpapiere im Gesamtwert von 2.868,6 Milliarden Euro, auf das CSPP entfiel ein Anteil von 209,6 Milliarden Euro, was 7,31 % entspricht (vgl. Deutsche Bundesbank, Monatsbericht Mai 2020, S. 30).
Die Beschwerdeführer zu I. und zu II. rügen eine Verletzung ihres grundrechtsgleichen Rechts aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG und einen Verstoß gegen den Grundsatz der Volkssouveränität (Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG).
Die Beschwerdeführer zu I. halten ungeachtet der Ausführungen im OMT-Urteil vom 21. Juni 2016 (BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 21. Juni 2016 - 2 BvR 2728/13 u.a. -) an ihrer Rechtsauffassung fest, dass es "schlichtweg impraktikabel" sei, wenn die dem Programm zugrundeliegenden Beschlüsse des EZB-Rates keine tauglichen Beschwerdegegenstände seien. Im Übrigen verstießen Bundestag und Bundesregierung gegen ihre Integrationsverantwortung, indem sie gegenüber den betreffenden Maßnahmen untätig blieben. Das CSPP führe zu einem unübersehbaren Ausfallrisiko, ohne dass es hierzu eine vorherige Befassung des Parlaments gegeben habe. Darüber hinaus verstoße die EZB gegen den Grundsatz unverfälschten Wettbewerbs. Das CSPP bezwecke eine Verfälschung oder sogar Ausschaltung des Wettbewerbs für europäische Unternehmensanleihen; statt Geldpolitik zu betreiben, begünstige die EZB einzelne in der Eurozone tätige Unternehmen.
Die Beschwerdeführer zu II. tragen vor, dass es zwar zum Mandat der EZB gehören könne, die Finanzierungsbedingungen der Realwirtschaft zu beeinflussen, insbesondere für günstige Finanzierungsbedingungen zu sorgen. Das Programm sei aber nicht darauf gerichtet, diese Bedingungen zu beeinflussen, sondern auf die unmittelbare Finanzierung der Realwirtschaft. Dies sei der Sache nach Wirtschaftsförderung. Es sei nicht Aufgabe des Eurosystems, Geschäftsbanken von Risiken zu entlasten und unmittelbar auf deren Verhalten einzuwirken; die EZB trete hierbei an die Stelle der Geschäftsbanken, finanziere Unternehmen und verzerre dadurch den Wettbewerb. Derart selektive Eingriffe könnten nicht der Währungspolitik zugeordnet werden, sondern seien Teil der Wirtschaftspolitik.
Die Verfassungsbeschwerden sind nicht zur Entscheidung anzunehmen (§ 93a Abs. 2 BVerfGG), weil sie unzulässig sind. Die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführer zu I. richtet sich gegen unzulässige Beschwerdegegenstände und genügt im Übrigen, wie auch die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführer zu II., nicht den Begründungsanforderungen (I.). Einer Entscheidung über den Antrag auf Ruhen des Verfahrens bedarf es daher nicht (II.).
1. Soweit sich die Beschwerdeführer zu I. unmittelbar gegen das CSPP und die hierzu ergangenen Beschlüsse der EZB wenden, handelt es sich nicht um taugliche Beschwerdegegenstände (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG). Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts können Maßnahmen von Organen, Einrichtungen und sonstigen Institutionen der Europäischen Union nicht unmittelbar mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden (vgl. BVerfGE 142, 123 <179 f. Rn. 97>; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 30. Juli 2019 - 2 BvR 1685/14 u.a. -, Rn. 112; Urteil des Zweiten Senats vom 5. Mai 2020 - 2 BvR 859/15 u.a. -, Rn. 93).
2. Die Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführer zu I. und zu II. genügen zudem nicht den Anforderungen der § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1, § 92 BVerfGG; ihre Begründung lässt eine Verletzung von Rechten im Sinne des § 90 Abs. 1 BVerfGG inhaltlich nachvollziehbar nicht erkennen. Für eine zulässige Ultra-vires- und/oder Identitätsrüge hat das Bundesverfassungsgericht spezifische Begründungsanforderungen aufgestellt (a). Auch wenn es möglich erscheint, dass das CSPP nicht sämtliche primärrechtlichen Anforderungen beachtet (b), genügen die Verfassungsbeschwerden nicht den gesetzlichen Begründungsanforderungen (c).
a) Eine zulässige Verfassungsbeschwerde erfordert einen hinreichend substantiierten Vortrag zu den Voraussetzungen entweder der Ultra-vires- oder der Identitätsrüge (vgl. BVerfGE 140, 317 <341 f. Rn. 50>; 142, 123 <174 f. Rn. 83>; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 30. Juli 2019 - 2 BvR 1685/14 u.a. -, Rn. 95 f., 107 ff.).
Eine zulässig erhobene Ultra-vires-Rüge muss einen offensichtlichen und strukturell bedeutsamen Kompetenzverstoß hinreichend substantiiert darlegen. Das setzt - ohne Rücksicht auf den betroffenen Sachbereich - die substantiierte Behauptung voraus, dass eine Maßnahme von Organen, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Europäischen Union offensichtlich außerhalb der ihnen übertragenen Kompetenzen liegt (vgl. BVerfGE 123, 267 <353, 400>; 126, 286 <304>; 134, 366 <392 Rn. 37>; 142, 123 <200 Rn. 148>). Das ist der Fall, wenn sich die Kompetenz bei Anwendung allgemeiner methodischer Standards unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt begründen lässt (vgl. BVerfGE 126, 286 <308>; 142, 123 <200 Rn. 149>; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 30. Juli 2019 - 2 BvR 1685/14 u.a. -, Rn. 151; Urteil des Zweiten Senats vom 5. Mai 2020 - 2 BvR 859/15 u.a. -, Rn. 112). Eine strukturell bedeutsame Verschiebung zulasten mitgliedstaatlicher Kompetenzen (vgl. BVerfGE 126, 286 <309>) liegt nur vor, wenn die Kompetenzüberschreitung ein für das Demokratieprinzip und die Volkssouveränität erhebliches Gewicht besitzt und geeignet ist, das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung zu unterlaufen. Davon ist auszugehen, wenn die Inanspruchnahme der Kompetenz durch das Organ, die Einrichtung oder sonstige Stelle der Europäischen Union eine Vertragsänderung nach Art. 48 EUV oder die Inanspruchnahme einer Evolutivklausel erforderte (vgl. EuGH, Gutachten 2/94 vom 28. März 1996, EMRK-Beitritt, Slg. 1996, I-1783
Eine zulässige Identitätsrüge erfordert eine substantiiert begründete Darlegung, dass die Verfassungsorgane ihrer Integrationsverantwortung mit Blick auf die Verfassungsidentität des Grundgesetzes nicht nachgekommen sind. Maßnahmen von Organen, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Europäischen Union können durch Art. 79 Abs. 3 GG (i.V.m. Art. 23 Abs. 1 Satz 3 GG) für unantastbar erklärte Grundsätze des Art. 20 GG insbesondere berühren, wenn sie die Gestaltungsmacht des Bundestages substantiell einschränken, etwa das Budgetrecht und seine haushaltspolitische Gesamtverantwortung nicht wahren oder wenn sie die Unionsgewalt in einer Weise ausgestalten, die den durch Art. 79 Abs. 3 GG geschützten demokratischen Grundsätzen nicht mehr entspricht (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 30. Juli 2019 - 2 BvR 1685/14 u.a. -, Rn. 155; vgl. auch BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 5. Mai 2020 - 2 BvR 859/15 u.a. -, Rn. 227 f.).
b) Es erscheint jedenfalls nicht völlig ausgeschlossen, dass das CSPP der Wirtschaftspolitik und nicht der Währungspolitik zuzuordnen ist. Die Wirtschaftspolitik ist nach den Verträgen jedoch weit überwiegend den Mitgliedstaaten vorbehalten, während der Union hierbei lediglich unterstützende Befugnisse zukommen (vgl. BVerfGE 142, 123 <222 ff. Rn. 193 ff.>; 146, 216 <260 Rn. 65, 280 f. Rn. 108 f., 283 Rn. 113>; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 5. Mai 2020 - 2 BvR 859/15 u.a. -, Rn. 120 f., 142, 162 ff.).
Ein Fall der Wirtschaftspolitik läge vor, wenn sich der Erwerb ausgewählter Unternehmensanleihen durch das Eurosystem im Rahmen des CSPP als Beihilfe darstellte.
aa) Staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen sind mit dem Binnenmarkt unvereinbar, sofern sie durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen und soweit sie den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen (Art. 107 Abs. 1 AEUV). Der Beihilfebegriff ist dabei grundsätzlich weit auszulegen (grundlegend EuGH, Urteil vom 23. Februar 1961, De Gezamenlijke Steenkolenmijnen, C-30/59, Slg. 1961, I-7
bb) Das gilt in vergleichbarer Weise auch für Beihilfen von Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Europäischen Union. Zwar gilt Art. 107Abs. 1 AEUV ausschließlich für staatliche und aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen, sodass die (unmittelbare) Gewährung von Beihilfen durch Organe, Einrichtungen und sonstige Stellen der Europäischen Union dem in den Art. 107 ff. AEUV geregelten Beihilferegime nicht unterfällt (vgl. Mederer, in: Schröter/Jakob/Klotz/ders., Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2014, Art. 107 AEUV Rn. 30; Catalán, in: v. der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 107 AEUV Rn. 30; Weck/Reinhold, EuZW 2015, S. 376 <377>; Nowak, in: Pechstein/ders./Häde, Frankfurter Kommentar EUV/GRC/AEUV, Bd. 3, 2017, Art. 107 AEUV Rn. 10; Ludwigs, in: Münchener Kommentar Europäisches und Deutsches Wettbewerbsrecht, Bd. 5, 2. Aufl. 2018, Art. 107 AEUV Rn. 20). Zudem besteht bei Beihilfen von Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Europäischen Union nicht die Gefahr der Bevorzugung von Unternehmen eines bestimmten Mitgliedstaates (vgl. EuGH, Urteil vom 16. Juli 1998, Oelmühle u.a./Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung, C-298/96, Slg. 1998, I-4782
Gleichwohl sind auch Organe, Einrichtungen und sonstige Stellen der Europäischen Union insoweit nicht frei, sondern unterliegen - hinsichtlich Reichweite und Intensität uneinheitlich beurteilten - wettbewerbsrechtlichen Bindungen (vgl. Petzold, in: Birnstiel/Bungenberg/Heinrich, Europäisches Beihilfenrecht, 1. Aufl. 2013, Kapitel 4 Rn. 17 ff.; Cremer, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 107 AEUV Rn. 82; Bär-Bouyssière, in: Schwarze/Becker/Hatje/Schoo, EU-Kommentar, 4. Aufl. 2019, Art. 107 AEUV, Rn. 5). Andernfalls würde das von Art. 107 Abs. 1 AEUV verfolgte Ziel, bestimmte Unternehmen oder Wirtschaftszweige nicht einseitig durch hoheitliche oder auf hoheitliche Organe zurückführbare Maßnahmen zu begünstigen, verfehlt (vgl. Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 3, 2007, Rn. 82; vgl. auch 4. Erwägungsgrund der Verordnung
Die Organe der Union haben sich demgemäß verpflichtet, bei der Gewährung von Unionsbeihilfen auf die Vermeidung von Wettbewerbsverfälschungen und Handelsbeeinträchtigungen zu achten (vgl. Entwurf einer Mitteilung der Kommission an die Mitgliedstaaten über die Regionalpolitik und die Wettbewerbspolitik
Darüber hinaus schützt Art. 16 GRCh, der auf die in Art. 119 Abs. 1 und Abs. 3 AEUV statuierten objektiv-rechtlichen Prinzipien aufbaut, die Wettbewerbsfreiheit. Er verleiht diesen eine abwehrrechtliche Dimension (vgl. Wollenschläger, in: v. der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 16 GRCh Rn. 1; Jarass, in: ders., GRCh, 3. Aufl. 2016, Art. 16 Rn. 2; Bernsdorff, in: Meyer/Hölscheidt, GRCh, 5. Aufl. 2019, Art. 16 Rn. 10) und vermittelt einen subjektiv-rechtlichen Schutz vor Wettbewerbsverfälschungen (vgl. EuGH, Urteil vom 22. Januar 2013, Sky/Österreichischer Rundfunk, C-283/11, EU:C:2013:28, Rn. 42; Urteil vom 17. Oktober 2013, Schaible/Land Baden-Württemberg, C-101/12, EU:C:2013:661, Rn. 27). Art. 16 GRCh ist zudem auf die gleichberechtigte Teilhabe an einem unverfälschten Wettbewerb ausgerichtet (vgl. Frenz, EuR 2008, S. 468 <476>; Sasse, EuR 2012, S. 628 <628 f.>; Jarass, in: ders., GRCh, 3. Aufl. 2016, Art. 16 Rn. 9; Kühling, in: Pechstein/Nowak/Häde, Frankfurter Kommentar EUV/GRC/AEUV, 1. Aufl. 2017, Art. 16 GRCh Rn. 11; vgl. auch Wollenschläger, in: v. der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 16 GRCh Rn. 8; Bernsdorff, in: Meyer/Hölscheidt, GRCh, 5. Aufl. 2019, Art. 16 Rn. 15).
cc) Vor diesem Hintergrund ist es nicht ausgeschlossen, dass die im Rahmen des CSPP von den nationalen Zentralbanken vorgenommenen Anleihekäufe gegen das Primärrecht verstoßen, weil das Programm großen - emittierenden und damit programmfähigen - Unternehmen, die sich allein auf dem Kapitalmarkt refinanzieren, verbesserte Kreditbedingungen verschafft. Hierdurch kann es den Wettbewerb zwischen den Unternehmen verzerren. Soweit das Eurosystem Anleihen direkt von den Unternehmen erwirbt, bewirkt dies zudem eine unmittelbare Versorgung der Wirtschaft mit Zentralbankgeld - unter Umgehung des Finanzsektors. Insofern könnten sich die vom CSPP vorgesehenen Anleihekäufe als eine beihilfeähnliche Kreditvergabe an die Realwirtschaft darstellen, und damit als eine Tätigkeit, die wirtschaftspolitischer Natur ist.
c) Die Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführer zu I. und zu II. genügen jedoch nicht den gesetzlichen Begründungsanforderungen. Sie legen nicht dar, dass die begünstigten Unternehmen durch den Erwerb von Unternehmensanleihen durch das Eurosystem unter Verstoß gegen das Primärrecht der Sache nach subventioniert werden und dass es sich dabei um eine offensichtliche und strukturell bedeutsame Überschreitung des in Art. 127 AEUV niedergelegten Mandats der EZB durch den EZB-Rat handelt. Die Beschwerdeführer erschöpfen sich vielmehr in der Behauptung, dass Unternehmen, die Zugang zum Anleihemarkt und damit zu günstigeren Finanzierungsbedingungen hätten, begünstigt würden und dies eine Wettbewerbsverzerrung darstelle.
Ausführungen zur Offensichtlichkeit eines Verstoßes gegen das Primärrecht fehlen, ebenso dazu, welche Maßstäbe an die Vergabe von Beihilfen durch Organe, Einrichtungen und sonstige Stellen der Europäischen Union anzulegen sind und ob Art. 107 Abs. 1 AEUV auch auf diese Anwendung findet. Das wäre schon deshalb erforderlich gewesen, weil diese Frage ungeklärt und im Schrifttum umstritten ist. Näherer Darlegungen hätte in diesem Zusammenhang auch bedurft, ob sich ein marktwirtschaftlich handelnder Kapitalgeber bei den Ankäufen anders verhalten hätte, als es die nationalen Zentralbanken bei ihren Ankäufen im Rahmen des CSPP tun.
Die Beschwerdeführer legen schließlich auch nicht dar, dass ein möglicher Verstoß gegen die unionale Kompetenzordnung strukturell bedeutsam ist. Ihr Vortrag enthält keine näheren Konkretisierungen, etwa zu den von den Ankäufen im Rahmen des CSPP betroffenen Unternehmen und Wirtschaftszweigen sowie zum Ausmaß der von ihnen behaupteten Wettbewerbsverzerrung. Eine selektive Begünstigung einzelner Unternehmen wird ebenfalls nicht dargelegt. Das wäre im Hinblick auf das (relativ) geringe Ankaufvolumen im Rahmen des CSPP jedoch erforderlich gewesen, weil ein strukturell bedeutsamer Verstoß insoweit gerade nicht auf der Hand liegt.
Einer Entscheidung über den Antrag der Beschwerdeführer zu II. vom 31. Januar 2019 auf Ruhen des Verfahrens bedarf es somit nicht.
Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Meta
15.06.2020
Bundesverfassungsgericht 2. Senat 2. Kammer
Nichtannahmebeschluss
Sachgebiet: BvR
vorgehend BVerfG, 14. Januar 2020, Az: 2 BvR 859/15" target="_blank" id="case_link_111032" data-ajxactive="true" data-ajxtype="case" data-ajxpk="111032" data-toggle="tooltip" data-placement="top">2 BvR 859/15, Beschluss
Art 93 Abs 1 Nr 4a GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 90 Abs 1 BVerfGG, § 92 BVerfGG, Art 107 Abs 1 AEUV, Art 107ff AEUV, Art 119 Abs 1 AEUV, Art 119 Abs 3 AEUV, EUBes 2016/16, Art 16 EUGrdRCh, Art 17 EUGrdRCh
Zitiervorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 15.06.2020, Az. 2 BvR 71/20, 2 BvR 72/20 (REWIS RS 2020, 2856)
Papierfundstellen: REWIS RS 2020, 2856
Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.
Bundesverfassungsgericht, 2 BvR 71/20, 2 BvR 72/20, 15.06.2020.
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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.
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