Bundesgerichtshof, Beschluss vom 16.06.2020, Az. II ZB 10/19

2. Zivilsenat | REWIS RS 2020, 727

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ZIVIL- UND ZIVILVERFAHRENSRECHT BUNDESGERICHTSHOF (BGH) SCHADENSERSATZ ABGASAFFÄRE UNTERNEHMEN MUSTERFESTSTELLUNGSKLAGE AKTIEN

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Gegenstand

KapMuG: Möglichkeit der Einleitung eines weiteren Musterverfahrens


Leitsatz

1. Ob die Einleitung des Musterverfahrens unzulässig ist, hat das Oberlandesgericht anhand des Vorlagebeschlusses zu beurteilen.

2. Ein weiteres Musterverfahren ist wegen der Sperrwirkung des Vorlagebeschlusses ausgeschlossen, soweit die Entscheidung über die Feststellungsziele in dem bereits eingeleiteten Musterverfahren in den Verfahren, die im Hinblick auf die Feststellungsziele des weiteren Musterverfahrens auszusetzen wären, die Prozessgerichte bindet.

3. Für Schadensersatzansprüche, die auf das Unterlassen einer öffentlichen Kapitalmarktinformation gestützt werden, kann eine Entscheidung über die Feststellungsziele eines bereits eingeleiteten Musterverfahrens nur dann bindende Wirkung haben, wenn diese Feststellungsziele dieselbe öffentliche Kapitalmarktinformation betreffen.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerden der Kläger wird der Beschluss des 20. Zivilsenats des [X.] vom 27. März 2019 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung über die Bestimmung eines Musterklägers an das [X.] zurückverwiesen.

Der Wert wird für das Rechtsbeschwerdeverfahren auf 75.956,62 € festgesetzt.

Gründe

1

I. Die [X.] zu 1 ist als Holdinggesellschaft mit rund 52 % der Stimmrechte an der [X.] zu 2 beteiligt. [X.] stellte die [X.] zu 2 eine neue Baureihe von Dieselmotoren unter der Bezeichnung [X.] vor, die sie ab dem [X.] baute und auch in [X.] vermarktete. Am 22. September 2015 veröffentlichte die [X.] zu 2 eine Ad-hoc-Meldung, der zufolge nach bisherigen internen Prüfungen weltweit rund 11 Millionen Fahrzeuge mit Dieselmotoren des Typs [X.] Auffälligkeiten bezüglich ihres Stickoxidausstoßes aufwiesen, weshalb sie beabsichtige, im dritten Quartal des laufenden Geschäftsjahres rund 6,5 Mrd. € ergebniswirksam zurückzustellen. Ebenfalls am 22. September 2015 informierte die [X.] zu 1 in einer Ad-hoc-Meldung hierüber und teilte mit, dass infolge der Kapitalbeteiligung der [X.] zu 1 an der [X.] zu 2 ein entsprechender ergebnisbelastender Effekt bei der [X.] zu 1 zu erwarten sei. In der [X.] ab Mitte September 2015 brachen die Aktienkurse der Stamm- und Vorzugsaktien beider [X.] ein.

2

Seit 2015 wurden vor dem [X.] eine Vielzahl von Verfahren rechtshängig, in denen die Kläger als Aktionäre der [X.] zu 2 sowie teilweise als Aktionäre der [X.] zu 1 und einzelne Kläger auch als Erwerber von Anleihen der [X.] zu 2 bzw. ihrer Tochtergesellschaften sowie von Swaps Ansprüche gegen die [X.] zu 2 wegen unterlassener Ad-hoc-Mitteilungen im Hinblick auf den sog. Abgasskandal geltend machen. Am 5. August 2016 erließ das [X.] einen Vorlagebeschluss (5 OH 62/16), der lediglich die [X.] zu 2 als [X.] bezeichnet und zu einem Musterverfahren beim [X.] (3 Kap 1/16) geführt hat. Mit den [X.] dieses [X.] soll geklärt werden, ob im Einzelnen benannte Umstände im Zusammenhang mit der Entwicklung, Herstellung und Vermarktung der Dieselmotoren des Typs [X.] und Ermittlungen [X.] Umweltbehörden im [X.]raum 2007 bis 2015 die [X.] zu 2 betreffende Insiderinformationen waren, die sie unverzüglich hätte veröffentlichen müssen. Weitere [X.] betreffen die Unrichtigkeit der Geschäfts- und Finanzberichterstattung sowie von [X.] der [X.] zu 2 und Fragen ihrer Haftung. Das [X.] hat mit Beschluss vom 15. Juni 2018 festgestellt, dass sich das Musterverfahren auch gegen die [X.] zu 1 im vorliegenden Verfahren richte, nachdem das [X.] auch gegen diese gerichtete Ausgangsverfahren ausgesetzt habe und die hiergegen gerichteten Beschwerden zurückgenommen worden seien.

3

In weiteren, vor dem [X.] geführten Ausgangsverfahren sind sowohl die [X.] zu 1 als auch die [X.] zu 2 wegen unterlassener Kapitalmarktinformationen in Anspruch genommen worden, u.a. auch von den Klägern, die - neben weiteren Klägern und der [X.] zu 1 - [X.]anträge gestellt haben. Das [X.] hat am 28. Februar 2017 einen Vorlagebeschluss (22 AR 1/17 Kap) erlassen, der lediglich die [X.] zu 1 als [X.] bezeichnet, und dem [X.] [X.] zur Herbeiführung eines [X.]s vorgelegt, mit denen die unmittelbare Betroffenheit der [X.] zu 1 von Vorgängen aus der Sphäre der [X.] zu 2, hieraus resultierende [X.], und Fragen der Wissenszurechnung an die [X.] zu 1 geklärt werden sollen. Das [X.] hat nach Bekanntmachung des [X.] anhängige Verfahren ausgesetzt, teilweise auch solche, in denen neben der [X.] zu 1 die [X.] zu 2 in Anspruch genommen wird. Das [X.] hat die [X.] zum Teil aufgehoben, soweit sie die Aussetzung im Verhältnis zur [X.] zu 2 betreffen. Das [X.] hat mit rechtskräftigem Beschluss vom 23. Oktober 2018 einen Antrag auf Erweiterung des [X.] 3 Kap 1/16 um diejenigen [X.], die Gegenstand des [X.] des [X.] vom 28. Februar 2017 sind, abgelehnt.

4

Das [X.] hat festgestellt, dass das vorgelegte Musterverfahren unzulässig sei und die Bestimmung eines Musterklägers abgelehnt. Gegen diese Entscheidung wenden sich die Kläger mit ihren vom [X.] zugelassenen Rechtsbeschwerden.

5

II. [X.] sind zulässig, haben in der Sache Erfolg und führen zur Zurückverweisung der Sache an das [X.].

6

1. [X.] sind statthaft und auch im Übrigen zulässig. Rechtsschutz gegen die Entscheidungen des [X.]s im Kapitalanleger-Musterverfahren ist nur nach § 20 Abs. 1 Satz 1 [X.] gegen den [X.] oder dann eröffnet, wenn das Gesetz die Entscheidung nicht für unanfechtbar erklärt und das [X.] die Rechtsbeschwerde nach § 3 Abs. 1 EGZPO, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO zugelassen hat ([X.], Beschluss vom 10. Juli 2018 - [X.], [X.], 2307 Rn. 140; Beschluss vom 1. Oktober 2019 - [X.], [X.], 2405 Rn. 4). Das [X.] hat die Rechtsbeschwerde zugelassen und das Kapitalanleger-[X.]gesetz erklärt die Entscheidung, mit der die Unzulässigkeit des [X.] nach § 7 Satz 1 [X.] festgestellt wird, nicht für unanfechtbar. Es ist auch nicht anzunehmen, dass der Gesetzgeber diese Entscheidung einer Überprüfung im Rechtsmittelverfahren entziehen wollte. § 7 Satz 2 [X.], nach dem ein unter Verstoß gegen die Sperrwirkung ergangener Vorlagebeschluss nicht bindend ist, lehnt sich an die Rechtsprechung des [X.] zu § 5 [X.] aF an, die eine Ausnahme von der Bindungswirkung nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 [X.] ungeachtet einer ausdrücklichen Regelung anerkannt hat ([X.], Beschluss vom 6. Dezember 2011 - [X.], [X.], 269 Rn. 7) und soll diese Einschränkung klarstellen([X.] eines Gesetzes zur Reform des Kapitalanleger-[X.]-gesetzes, BT-Drucks. 17/8799, [X.]). Dass der Gesetzgeber die Möglichkeit der Anfechtung eines die Sperrwirkung feststellenden Beschlusses (vgl. [X.], Beschluss vom 6. Dezember 2011 - [X.], [X.], 269 Rn. 6) einschränken wollte, ist nicht ersichtlich (vgl. auch [X.], Beschluss vom 4. Mai 2017 - [X.]/16, AG 2017, 543 Rn. 5).

7

2. [X.] haben in der Sache Erfolg.

8

a) Das [X.] ([X.], [X.], 1059) hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

9

Das vorgelegte Musterverfahren sei unzulässig und die Bestimmung eines Musterklägers abzulehnen, weil im Hinblick auf das beim [X.] anhängige Musterverfahren (3 Kap 1/16) die Sperrwirkung nach § 7 Satz 1 [X.] eingreife. Der Vorlagebeschluss des [X.] sei gemäß § 7 Satz 2 [X.] nicht bindend.

Die Sperrwirkung greife nach § 7 Satz 1 [X.] ein, wenn die fraglichen Ausgangsverfahren schon im Hinblick auf ein anderes, zuerst eingeleitetes Musterverfahren gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 [X.] auszusetzen seien, ihre Entscheidung also von der Entscheidung über die dort zu klärenden [X.] abhängig sei, was das [X.] in vollem Umfang zu prüfen habe. Eine Abhängigkeit von den [X.] des zuerst eingeleiteten [X.] liege nicht nur dann vor, wenn im zuerst erlassenen und im zeitlich späteren Vorlagebeschluss jeweils identische [X.] zur Entscheidung gestellt würden. Eine die Sperrwirkung begründende Abhängigkeit sei auch dann gegeben, wenn sich rechtliche oder tatsächliche Fragen, die Gegenstand der im zeitlich späteren Vorlagebeschluss aufgeworfenen [X.] seien, nicht mehr stellten, sofern die im zuerst eingeleiteten Musterverfahren aufgeworfenen [X.] in bestimmter Weise beschieden würden. Eine Abhängigkeit könne daneben auch dann zu bejahen sein, wenn zwar das Ergebnis des zuerst eingeleiteten [X.] für keines der [X.] vorgreiflich sei, die im zeitlich nachfolgenden Vorlagebeschluss (ausdrücklich) zur Entscheidung gestellt würden, eine Abhängigkeit vom Ergebnis des zeitlich früheren [X.] jedoch in Ansehung weiterer tatsächlicher oder rechtlicher Fragen gegeben sei, die sich in den dem zeitlich späteren Vorlagebeschluss zugrundeliegenden Ausgangsverfahren stellten.

In Anwendung dieser Grundsätze sei eine Abhängigkeit unter mehreren Aspekten zu bejahen. Die Entscheidung im vor dem [X.] geführten Musterverfahren sei vorgreiflich für die Frage, ob sich die im Vorlagebeschluss des [X.] vom 28. Februar 2017 als mögliche Insider-Informationen genannten Umstände tatsächlich ereignet hätten. Die Entscheidung im vor dem [X.] geführten Musterverfahren sei weiter vorgreiflich für die Frage, ob es sich bei den im Vorlagebeschluss des [X.] vom 28. Februar 2017 genannten Umständen um Insiderinformationen handele. Dies sei nicht deshalb zu verneinen, weil in dem beim [X.] anhängigen Musterverfahren die Einordnung der hier in Rede stehenden Umstände als Insiderinformationen lediglich in Ansehung der [X.] zu 2 streitgegenständlich sei, während im Vorlagebeschluss des [X.] vom 28. Februar 2017 die Frage lediglich in Ansehung der [X.] zu 1 aufgeworfen werde. [X.] seien auch die Fragen, ob es sich um konkrete Informationen handele und ob die Umstände nicht öffentlich bekannt seien. Diese Fragen seien Gegenstand der [X.] des beim [X.] anhängigen [X.] und stellten sich in den Verfahren, die dem Vorlagebeschluss des [X.] zugrunde lägen. Entsprechendes gelte für die Frage, ob in den streitgegenständlichen Umständen eigenständige Insiderinformationen zu sehen seien, die als rechtliche Frage unabhängig von der Person des konkret betroffenen Emittenten zu beantworten sei.

Die Entscheidung im vor dem [X.] geführten Musterverfahren sei möglicherweise auch insoweit vorgreiflich, als Kläger eine Warnung von einem Zulieferer im [X.] und eine Information im Jahr 2011 durch Techniker der [X.] zu 2 behaupteten. Diese Umstände würden in den dem Vorlagebeschluss zugrundeliegenden Ausgangsverfahren streitig diskutiert. Abgesehen davon, dass die Erweiterung des [X.] um [X.] zur Verjährung beantragt werden könne, könnten Feststellungen zu diesen Informationen Indizwirkung für die Kenntnis der Vorstandsmitglieder der [X.] von den im Vorlagebeschluss des [X.] aufgeführten Umständen haben. Eine [X.]keit sei zur Frage nach der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast und für methodische Fragen zur Schadensberechnung gegeben, die als Rechtsfragen von der Person des konkreten Emittenten bzw. vom betroffenen Insiderpapier unabhängig seien.

Die Sperrwirkung setze unabhängig vom jeweiligen [X.] stets voraus, dass dem zuerst eingeleiteten Musterverfahren einerseits und dem zeitlich später erlassenen Vorlagebeschluss bzw. den dem Vorlagebeschluss zugrundeliegenden Ausgangsverfahren andererseits der gleiche Lebenssachverhalt zugrunde liege. Dies gelte nicht nur, wenn die Klärung einer anspruchsbegründenden oder anspruchsausschließenden Voraussetzung Gegenstand des [X.] sei, sondern auch dann, wenn im Musterverfahren eine Rechtsfrage zu klären sei.

Zur Ausgestaltung des Kriteriums des gleichen [X.] sei vom kollektivrechtlichen Streitgegenstandsbegriff auszugehen, der weit auszulegen sei. Ein gleicher Lebenssachverhalt sei auch dann zu bejahen, wenn im zuerst eingeleiteten Musterverfahren einerseits und in den dem zeitlich späteren Vorlagebeschluss zugrundeliegenden Ausgangsverfahren andererseits verschiedene Kapitalmarktinformationen verfahrensgegenständlich seien. Weder sei eine (teilweise) Identität der Parteien erforderlich noch habe die Abgrenzung [X.] bzw. emittentenbezogen zu erfolgen. Den dem Vorlagebeschluss vom 28. Februar 2017 zugrundeliegenden Ausgangsverfahren einerseits und dem vor dem [X.] geführten Musterverfahren andererseits liege derselbe Lebenssachverhalt zugrunde.

b) Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Prüfung in einem entscheidenden Punkt nicht stand. Mit der vom [X.] gegebenen Begründung kann die Sperrwirkung des [X.] beim [X.] (3 Kap 1/16) gemäß § 7 Satz 1 [X.] nicht angenommen werden. Eine die Sperrwirkung begründende Abhängigkeit liegt nicht schon dann vor, wenn mit den [X.] des zeitlich späteren [X.] rechtliche oder tatsächliche Fragen aufgeworfen werden, die sich nicht mehr stellen, wenn die im zuerst eingeleiteten Musterverfahren aufgeworfenen [X.] in bestimmter Weise beschieden werden.

[X.]) Das [X.] hat allerdings zutreffend angenommen, dass bei der Prüfung der Sperrwirkung nach § 7 Satz 1 [X.] den Besonderheiten Rechnung zu tragen ist, die sich aus konkurrierenden Musterverfahren ergeben.

(1) Das [X.], dem ein Vorlagebeschluss gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 [X.] vorgelegt wird, hat die Frage, ob die Einleitung des [X.] nach § 7 Satz 1 [X.] unzulässig ist, nicht anhand der Verfahren zu beurteilen, in denen gleichgerichtete [X.]anträge gestellt oder die nach der Bekanntmachung des [X.] nach § 8 Abs. 1 [X.] ausgesetzt wurden, sondern anhand des [X.], der nach § 6 Abs. 3 [X.] die [X.] und eine knappe Darstellung des den [X.]anträgen zu Grunde liegenden [X.] enthält ([X.] in KK-[X.], 2. Aufl., § 7 Rn. 16).

(2) Danach kommt es, wie das [X.] ebenfalls zutreffend angenommen hat, für die Frage der Sperrwirkung nach § 7 Satz 1 [X.] auch nicht darauf an, ob die Verfahren, die dem Vorlagebeschluss zu Grunde liegen, unabhängig von den [X.] des bereits eingeleiteten [X.] entscheidungsreif sind (dazu [X.], Beschluss vom 30. April 2019 - [X.], [X.]Z 222, 15 Rn. 20). Ob der [X.]antrag unzulässig ist, weil der zu Grunde liegende Rechtsstreit unabhängig von den geltend gemachten [X.] entscheidungsreif ist, hat gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 [X.] allein das Prozessgericht zu beurteilen ([X.], Beschluss vom 9. März 2017 - [X.]/15, [X.], 720 Rn. 20).

(3) Ferner schließt § 7 Satz 1 [X.] aus, dass ein Prozessgericht durch einen Vorlagebeschluss ein Musterverfahren zu derselben oder zu einer weiteren Anspruchsvoraussetzung einleitet, wenn bereits ein Musterverfahren für die gemäß § 8 Abs. 1 [X.] auszusetzenden Verfahren eingeleitet worden ist. Damit sollen parallellaufende Musterverfahren aus prozessökonomischen Gründen vermieden werden ([X.], Beschluss vom 6. Dezember 2011 - [X.], [X.], 269 Rn. 10 für § 5 [X.] aF).

bb) Aus den auf der Konstellation konkurrierender Musterverfahren folgenden Besonderheiten ist entgegen der Sicht des [X.]s jedoch nicht abzuleiten, dass eine Abhängigkeit von den [X.] des bereits eingeleiteten [X.] nach § 7 Satz 1, § 8 Abs. 1 [X.] dann besteht, wenn die [X.] des [X.] auf tatsächliche oder rechtliche Fragen aufbauen, die [X.] des bereits eingeleiteten [X.] sind oder eine Abhängigkeit vom Ergebnis dieses [X.] in Ansehung weiterer tatsächlicher oder rechtlicher Fragen gegeben ist, die sich in den dem zeitlich späteren Vorlagebeschluss zugrundeliegenden Ausgangsverfahren stellen ([X.] in Vorwerk/[X.], [X.], 2. Aufl., § 8 Rn. 10; aA [X.] in KK-[X.], 2. Aufl., § 7 Rn. 16). Maßgeblich für die Frage der Abhängigkeit nach § 7 Satz 1, § 8 Abs. 1 [X.] ist vielmehr, ob mit der Entscheidung über die [X.] des bereits eingeleiteten [X.] eine Bindung des [X.] nach § 22 Abs. 1 Satz 1 [X.] eintreten kann ([X.] in Vorwerk/[X.], [X.], 2. Aufl., § 7 Rn. 4). Für Schadensersatzansprüche, die auf das Unterlassen einer öffentlichen Kapitalmarktinformation gestützt werden, kann eine Entscheidung über die [X.] eines bereits eingeleiteten [X.] nur dann bindende Wirkung haben, wenn diese [X.] dieselbe öffentliche Kapitalmarktinformation betreffen.

(1) Das Prozessgericht setzt das Verfahren nach § 8 Abs. 1 Satz 1 [X.] bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die [X.] im Musterverfahren aus, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits von den geltend gemachten [X.] abhängt. [X.] ist das auf die Feststellung des Vorliegens oder [X.] einer anspruchsbegründenden oder anspruchsausschließenden Voraussetzung oder die Klärung einer Rechtsfrage gerichtete Begehren (§ 2 Abs. 1 Satz 1 [X.]). Jedes [X.] bildet ein gesondertes Rechtsschutzbegehren und mithin einen eigenständigen Streitgegenstand des [X.] ([X.], Beschluss vom 19. September 2017 - [X.], [X.]Z 216, 37 Rn. 32).

Die Abhängigkeit der Entscheidung muss sich auf die im Musterverfahren statthaften [X.] beziehen. Nach der Rechtsprechung des [X.] werden Rechtsstreitigkeiten, in denen kein Musterfeststellungsantrag nach § 2 [X.] gestellt werden kann, von § 8 Abs. 1 [X.] von vornherein nicht erfasst ([X.], Beschluss vom 16. Juni 2009 - [X.], [X.], 1393 Rn. 10 zu § 7 Abs. 1 [X.] aF; Beschluss vom 8. April 2014 - [X.], [X.], 1045 Rn. 19, 22; Beschluss vom 2. Dezember 2014 - [X.], [X.], 245 Rn. 11; Beschluss vom 5. November 2015 - [X.], [X.]Z 207, 306 Rn. 16; Beschluss vom 30. April 2019 - [X.], [X.]Z 222, 15 Rn. 33). Der Erfolg einer solchen nicht musterverfahrensfähigen Anspruchsbegründung kann nicht vom Ausgang des [X.] abhängen, weil es zur Klärung der nicht musterverfahrensfähigen Anspruchsbegründung nichts beitragen kann ([X.], Beschluss vom 30. April 2019 - [X.], [X.]Z 222, 15 Rn. 33).

(2) Der Rechtsstreit hängt im Sinne des § 8 Abs. 1 [X.] erst dann von den [X.] des [X.] ab, wenn nur noch Tatsachen oder Rechtsfragen offen sind, die unabhängig vom Ausgang des [X.] nicht beantwortet werden können. Es ist dem Rechtsuchenden nicht zuzumuten, dass sein individueller Rechtsstreit ausgesetzt wird und er unabsehbare [X.] auf das Ergebnis des oft jahrelang dauernden [X.] warten muss, obwohl nicht feststeht, dass es auf den Ausgang des [X.] in seinem Prozess tatsächlich ankommt. Neben der reinen Verzögerung kann er erhebliche Rechtsnachteile in der Beweisführung dadurch erleiden, dass Zeugen verstorben sind oder sich wegen des [X.]ablaufs nicht mehr genau an den Sachverhalt erinnern können. Ferner ist kein sachlicher Grund dafür ersichtlich, eine Partei an den Kosten eines [X.] anteilig zu beteiligen (vgl. § 24 [X.]), das für ihren Rechtsstreit nicht entscheidungserheblich ist ([X.], Beschluss vom 30. April 2019 - [X.], [X.]Z 222, 15 Rn. 28 f.). Vor der Aussetzungsentscheidung nach § 8 Abs. 1 Satz 1 [X.] müssen nicht nur die im Musterverfahren statthaften [X.] offenbleiben, sondern auch solche Tatsachen oder Rechtsfragen, die nur auf diese bezogen geprüft werden können. Das Prozessgericht ist nicht gehalten, hierzu vor seiner Aussetzungsentscheidung hypothetische Erwägungen anzustellen ([X.], Beschluss vom 30. April 2019 - [X.], [X.]Z 222, 15 Rn. 34).

Auch wenn, wie oben unter [X.]) (2) aufgezeigt, die konkrete Entscheidungserheblichkeit der [X.] des bereits eingeleiteten [X.] für die Annahme der Sperrwirkung nach § 7 Satz 1, § 8 Abs. 1 [X.] nicht zu prüfen ist, ist die Aussetzung eines Verfahrens nach § 8 Abs. 1 [X.] nur dann gerechtfertigt, wenn die Parteien mit einer bindenden Entscheidung über den von der Aussetzung betroffenen Streitgegenstand im Rahmen der [X.] rechnen können. Es genügt nicht, dass Feststellungen in dem bereits eingeleiteten Musterverfahren Einfluss auf die Entscheidung haben können (vgl. [X.], Beschluss vom 16. Juni 2009 - [X.], [X.], 1393 Rn. 15 zu § 7 Abs. 1 [X.] aF und Rn. 18 zu § 148 ZPO). Das vom [X.] für seinen abweichenden Standpunkt hervorgehobene Interesse an einer einheitlichen rechtlichen Beurteilung des [X.] in einem Musterverfahren rechtfertigt eine andere Sichtweise nicht.

(3) Von der Frage der Abhängigkeit von den [X.] eines [X.] zu unterscheiden ist demgegenüber die Frage, ob in einem Ausgangsverfahren gleichgerichtete [X.] (§ 2 Abs. 1 Satz 1, § 4 Abs. 1 [X.]) zum Gegenstand eines [X.]antrags oder - im Falle der Aussetzung des Verfahrens - zum Gegenstand eines Erweiterungsantrags (§ 15 Abs. 1 Satz 1 [X.]) gemacht werden können. Diese Vorschriften, die die Bündelung der [X.] in einem Musterverfahren betreffen, beziehen sich auf den den [X.] zu Grunde liegenden Lebenssachverhalt (§ 4 Abs. 1, § 6 Abs. 1 Satz 1 und § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.]). Die aus einem Lebenssachverhalt in diesem Sinne herrührenden [X.] können einen, aber auch mehrere Ansprüche im Sinne des § 1 Abs. 1 [X.] betreffen. Ob von unterschiedlichen Lebenssachverhalten stets dann gesprochen werden muss, wenn sich in einem gestreckten Sachverhalt unterschiedliche Anknüpfungspunkte für [X.] ergeben können (so [X.]/[X.], [X.], 2947, 2950; Söhner, [X.], 7, 10; [X.], Das Kapitalanleger-[X.]gesetz ["[X.]"], 2012, [X.] f., 90 f.; [X.] in Vorwerk/[X.], [X.], 2. Aufl., § 4 Rn. 3; [X.] in KK-[X.], 2. Aufl., § 4 Rn. 103; Rimmelspacher, Festschrift [X.], 2009, [X.], 134 f.) oder, wie das [X.] angenommen hat, von einem Lebenssachverhalt auch Informationspflichten verschiedener Emittenten erfasst werden können (vgl. auch [X.], Beschluss vom 16. Juni 2009 - [X.], [X.], 1393 Rn. 14 zu § 7 [X.] aF), muss vom Senat in diesem Zusammenhang nicht entschieden werden. § 7 Satz 1 [X.] sieht eine Sperrwirkung für weitere Musterverfahren nämlich nicht für sämtliche Verfahren vor, die den nach diesen Vorschriften abzugrenzenden Lebenssachverhalt betreffen, sondern nur für solche Verfahren, die in Bezug auf die [X.] des bereits eingeleiteten [X.] nach § 8 Abs. 1 [X.] auszusetzen sind.

(4) Die Bindungswirkung erfasst in objektiver Hinsicht zwar nicht nur die Beantwortung des [X.]s im Tenor der Entscheidung, sondern auch die diesen Entscheidungssatz tragenden tatsächlichen und rechtlichen Begründungselemente. Sie reicht jedoch nicht über die [X.] des [X.] hinaus ([X.], Beschluss vom 19. September 2017 - [X.], [X.]Z 216, 37 Rn. 54). Den Feststellungen des [X.]s kommt daher keine Bindungswirkung für Folgeprozesse zu, denen lediglich parallele Fallgestaltungen zugrunde liegen. Das Musterverfahren bildet einen Abschnitt der von den [X.] ausgesetzten Ausgangsverfahren. Die Feststellungen im [X.] sind von vornherein auf erstinstanzliche Verfahren mit der Art nach bestimmten Streitgegenständen im Sinne des § 1 Abs. 1 [X.] bezogen und entfalten daher nur in den gemäß § 8 Abs. 1 [X.] ausgesetzten Verfahren und dort nur innerhalb des Streitgegenstands Wirkung, anlässlich dessen das Ausgangsverfahren im Hinblick auf das zugehörige Musterverfahren ausgesetzt worden ist ([X.], Beschluss vom 22. November 2016 - [X.], [X.]Z 213, 65 Rn. 52).

Die Bindungswirkung des [X.]s ist zudem auf diejenigen Ansprüche nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 [X.] beschränkt, die Gegenstand der [X.] sind. Für Schadensersatzansprüche, die auf die Unrichtigkeit einer anderen Kapitalmarktinformation gestützt werden, entfalten die Feststellungen des [X.]s keine Wirkung ([X.], Beschluss vom 22. November 2016 - [X.], [X.]Z 213, 65 Rn. 53). Nichts anderes gilt, wenn es um einen Schadensersatzanspruch wegen unterlassener öffentlicher Kapitalmarktinformation geht.

(5) Dass § 7 Satz 1 [X.] die Einleitung eines weiteren [X.] auch für Anspruchsvoraussetzungen sperrt, die nicht Gegenstand der [X.] des bereits eingeleiteten [X.] sind (oben [X.]) (3) ), steht dem nicht entgegen. Zwar könnte ein Ausgangsverfahren in diesem Fall nur im Hinblick auf die [X.] des bereits eingeleiteten [X.] gemäß § 8 Abs. 1 [X.] und nicht im Hinblick auf weitere [X.] zu den verfahrensgegenständlichen Ansprüchen nach § 1 Abs. 1 Satz 1 [X.] ausgesetzt werden. Dies ändert aber nichts daran, dass eine Entscheidung über die [X.] des bereits eingeleiteten [X.] im Falle der Aussetzung bindende Wirkung hätte.

cc) Eine Sperrwirkung nach § 7 Satz 1, § 8 Abs. 1 [X.] liegt danach im Hinblick auf das Musterverfahren des [X.]s Braunschweig (3 Kap 1/16) nicht vor.

(1) Die [X.] des [X.] des [X.] Braunschweig vom 5. August 2016 (5 OH 62/16), hinsichtlich derer das [X.] eine Sperrwirkung angenommen hat, betreffen ausschließlich Schadensersatzansprüche in Bezug auf öffentliche Kapitalmarktinformationen der [X.] zu 2 des vorliegenden Verfahrens. Gegenstand der [X.] dieses [X.] sind hingegen ausschließlich Schadensersatzansprüche wegen öffentlicher Kapitalmarktinformationen der [X.] zu 1, so dass die Feststellungen des [X.]s Braunschweig im Musterverfahren 3 Kap 1/16 keine Bindungswirkung nach § 22 Abs. 1 Satz 1 [X.] für die Schadensersatzansprüche nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 [X.] haben können, auf die sich die [X.] des [X.] des [X.] vom 28. Februar 2017 beziehen.

(2) Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass nach den Feststellungen des [X.]s im Hinblick auf den Gegenstand des [X.] vor dem [X.] auch gegen die [X.] zu 1 gerichtete Verfahren ausgesetzt wurden und - jedenfalls zum [X.]punkt der mündlichen Verhandlung des [X.]s - auch gegen die [X.] zu 2 gerichtete Ausgangsverfahren im Hinblick auf den Vorlagebeschluss des [X.] ausgesetzt waren, bzw. in diesen Verfahren teilweise auch die [X.] zu 2 wegen unterlassener Kapitalmarktinformationen in Anspruch genommen wird. Die Aussetzung des Verfahrens nach § 8 Abs. 1 [X.] führt nach § 9 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 5 [X.] zwar dazu, dass die [X.] zu 2 als Beklagte des Ausgangsverfahrens Beteiligte des jeweiligen [X.] geworden ist. Eine Sperrwirkung gemäß § 7 Satz 1 [X.] ergibt sich daraus aber nicht. Vielmehr kann der [X.] in diesem Fall entsprechend den unter bb) dargelegten Grundsätzen keine Wirkung in einem zu Unrecht ausgesetzten Verfahren entfalten (vgl. für die Aussetzung eines Verfahren im Hinblick auf ein nicht statthaftes [X.] [X.], Beschluss vom 30. April 2019 - [X.], [X.]Z 222, 15 Rn. 33). Soweit die [X.] zu 2 von Aktionären der [X.] zu 1 wegen unterlassener Kapitalmarktinformationen auf Schadensersatz in Anspruch genommen wird, ist die Entscheidung über diese Ansprüche von den [X.] des vorliegenden [X.] nicht abhängig, weil dieses nur Schadensersatzansprüche wegen unterlassener Kapitalmarktinformationen der [X.] zu 1 betrifft.

Gleiches gilt im Hinblick auf einen Beitritt der [X.] zu 2 als Nebenintervenientin in den (allein) gegen die [X.] zu 1 gerichteten Ausgangsverfahren. Die Wirkung der Nebenintervention ist nach § 68 ZPO von vornherein auf das Verhältnis zur Hauptpartei und die tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen begrenzt, auf denen das Urteil im Vorprozess beruht ([X.], Beschluss vom 27. November 2003 - [X.], [X.]Z 157, 97, 99). Das vorliegende Musterverfahren kann entsprechend nur bindende Wirkung in Bezug auf etwaige Schadensersatzansprüche wegen unterlassener Kapitalmarktinformationen der [X.] zu 1 entfalten.

3. Die Entscheidung des [X.]s wird gemäß § 3 Abs. 1 EGZPO, § 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO aufgehoben und zur erneuten Entscheidung über die Bestimmung eines Musterklägers gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1 [X.] an das [X.] zurückverwiesen.

[X.]     

      

Bernau     

      

B. Grüneberg

      

[X.]     

      

von Selle     

      

Meta

II ZB 10/19

16.06.2020

Bundesgerichtshof 2. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend OLG Stuttgart, 27. März 2019, Az: 20 Kap 2/17, Beschluss

§ 7 S 1 KapMuG, § 8 Abs 1 KapMuG, § 22 Abs 1 S 1 KapMuG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 16.06.2020, Az. II ZB 10/19 (REWIS RS 2020, 727)

Papier­fundstellen: MDR 2020, 1078-1079 WM2020,1418 REWIS RS 2020, 727

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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