Bundesgerichtshof, Beschluss vom 16.06.2020, Az. II ZB 30/19

2. Zivilsenat | REWIS RS 2020, 726

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Gegenstand

KapMuG: Möglichkeit der Einleitung eines weiteren Musterverfahrens


Leitsatz

1. Maßgeblich für die Frage der Abhängigkeit der Entscheidung des Rechtsstreits von den geltend gemachten Feststellungszielen ist, ob mit der Entscheidung über die Feststellungsziele des Musterverfahrens eine Bindung des Prozessgerichts eintreten kann. Für Schadensersatzansprüche, die auf das Unterlassen einer öffentlichen Kapitalmarktinformation gestützt werden, kann eine Entscheidung über die Feststellungsziele eines bereits eingeleiteten Musterverfahrens nur dann bindende Wirkung haben, wenn diese Feststellungsziele dieselbe öffentliche Kapitalmarktinformation betreffen.

2. Die Abhängigkeit der Entscheidung des Rechtsstreits von den geltend gemachten Feststellungszielen kann nicht darauf gestützt werden, dass eine Erweiterung des Musterverfahrens um weitere Feststellungsziele naheliegt.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerinnen wird der Beschluss des 1. Zivilsenats des [X.] vom 29. Oktober 2019 aufgehoben. Die Fortsetzung des Verfahrens wird angeordnet.

Der Streitwert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 30.000.000 € festgesetzt.

Gründe

1

I. Die [X.] ist als Holdinggesellschaft mit rund 52 % der Stimmrechte an der Nebenintervenientin beteiligt. [X.] stellte die Nebenintervenientin eine neue Baureihe von Dieselmotoren unter der Bezeichnung [X.] vor, die sie ab dem [X.] baute und auch in [X.] vermarktete. Am 22. September 2015 veröffentlichte die Nebenintervenientin eine Ad-hoc-Meldung, der zufolge nach bisherigen internen Prüfungen weltweit rund 11 Millionen Fahrzeuge mit Dieselmotoren des Typs [X.] Auffälligkeiten bezüglich ihres Stickoxidausstoßes aufwiesen, weshalb sie beabsichtige, im dritten Quartal des laufenden Geschäftsjahres rund 6,5 Mrd. € ergebniswirksam zurückzustellen. Ebenfalls am 22. September 2015 informierte die [X.] in einer Ad-hoc-Meldung hierüber und teilte mit, dass infolge der Kapitalbeteiligung der [X.]n an der Nebenintervenientin ein entsprechender ergebnisbelastender Effekt bei der [X.]n zu erwarten sei. In der [X.] ab Mitte September 2015 brachen die Aktienkurse der Stamm- und Vorzugsaktien der Nebenintervenientin und der [X.]n ein.

2

Die [X.], zwei Fondsgesellschaften, erwarben in den Jahren 2013 bis 2015 Vorzugsaktien der [X.]n und verlangen von ihr Schadensersatz, insbesondere wegen der Verletzung kapitalmarktrechtlicher Publizitätspflichten, in Höhe von rund 160 Mio. €.

3

Am 5. August 2016 erließ das [X.] einen Vorlagebeschluss (5 OH 62/16), der lediglich die Nebenintervenientin als Musterbeklagte bezeichnet und zu einem Musterverfahren beim [X.] geführt hat (3 [X.]). Mit den [X.] dieses [X.] soll geklärt werden, ob im Einzelnen benannte Umstände im Zusammenhang mit der Entwicklung, Herstellung und Vermarktung der Dieselmotoren des Typs [X.] und Ermittlungen [X.] Umweltbehörden im [X.]raum 2007 bis 2015 die Nebenintervenientin betreffende Insiderinformationen waren, die sie unverzüglich hätte veröffentlichen müssen. Weitere [X.] betreffen die Unrichtigkeit der Geschäfts- und Finanzberichterstattung sowie von [X.] und Fragen ihrer Haftung. Das [X.] stellte mit Beschluss vom 15. Juni 2018 fest, dass sich das Musterverfahren auch gegen die [X.] im vorliegenden Verfahren richte.

4

Das [X.] erließ am 28. Februar 2017 einen Vorlagebeschluss (22 AR 1/17 Kap), der lediglich die [X.] als Musterbeklagte bezeichnet. Dem [X.] wurden [X.] zur Herbeiführung eines Musterentscheids vorgelegt, mit denen die unmittelbare Betroffenheit der [X.]n von Vorgängen aus der Sphäre der Nebenintervenientin, hieraus resultierende Ad-hoc-Mitteilungspflichten und Fragen der Wissenszurechnung an die [X.] geklärt werden sollen ([X.] [X.], 20 [X.]). Das [X.] lehnte mit Beschluss vom 23. Oktober 2018 einen Antrag auf Erweiterung des [X.] 3 [X.] um diejenigen [X.], die Gegenstand des [X.] des [X.] vom 28. Februar 2017 sind, ab. Das [X.] [X.] stellte im Verfahren 20 [X.] mit Beschluss vom 27. März 2019 fest, dass das Musterverfahren 20 [X.] wegen der Sperrwirkung des [X.] des [X.] nach § 7 [X.] unzulässig sei und lehnte die Bestimmung eines Musterklägers ab.

5

Das [X.] hat den vorliegenden Rechtsstreit mit Beschluss vom 20. Oktober 2017 im Hinblick auf die [X.] der [X.] vom 3. Juni 2014 bis 6. Juli 2015 bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die im Vorlagebeschluss des [X.] vom 28. Februar 2017 genannten [X.] ausgesetzt. Mit Urteil vom 24. Oktober 2019 hat es die Teilaussetzung aufgehoben und die [X.] unter Abweisung der weitergehenden Klage zur Zahlung von etwa 44 Mio. € verurteilt sowie eine weitergehende Ersatzpflicht für einen Geldentwertungsschaden festgestellt. Auf die Berufungen der [X.] und der [X.]n hat das Berufungsgericht das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Kapitalanleger-Musterverfahren des [X.]s [X.] (3 [X.]) und des [X.]s [X.] (20 [X.]) ausgesetzt. Hiergegen wenden sich die [X.] mit ihrer vom [X.] zugelassenen Rechtsbeschwerde.

6

II. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet.

7

1. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, das Verfahren sei gemäß § 8 [X.] im Hinblick auf die Musterverfahren vor den [X.]en [X.] und [X.] auszusetzen.

8

Die Entscheidung des Rechtsstreits hänge von den [X.] des [X.] [X.] ab. Die Klage sei nicht unabhängig von den [X.] des [X.] als unzulässig oder unbegründet abzuweisen. Das Musterverfahren beziehe sich insbesondere auf tatsächliche und rechtliche Fragen zu nicht unverzüglich veröffentlichten Insiderinformationen, der Befreiung der Nebenintervenientin von der Pflicht zur Veröffentlichung, des rechtmäßigen Alternativverhaltens der Nebenintervenientin, des Vorsatzes der Nebenintervenientin, der Schadensberechnung und der Verjährung gemäß § 37b Abs. 4 WpHG in der bis 9. Juli 2015 geltenden Fassung. Die entsprechenden, zunächst die Nebenintervenientin betreffenden [X.] des [X.] in [X.] seien auch für die streitgegenständlichen Ansprüche gegen die [X.] rechtlich und tatsächlich vorgreiflich. Die unmittelbare Betroffenheit der [X.]n, die Frage der Zurechnung von Wissen der Nebenintervenientin oder ein rechtmäßiges Alternativverhalten der [X.]n könnten nicht unabhängig von den [X.] beurteilt werden, sondern knüpften an das Vorliegen von Insiderinformationen an. Insofern genüge die teilweise Relevanz der [X.].

9

Dem Rechtsstreit liege auch derselbe Lebenssachverhalt zu Grunde wie dem Musterverfahren des [X.]s [X.], obwohl kapitalmarktrechtliche und deliktische Pflichtverletzungen unterschiedlicher Emittenten geltend gemacht würden. Die gegen die [X.] gerichteten Ansprüche gingen auf das in der Öffentlichkeit als Diesel- oder Abgasskandal bei der Nebenintervenientin bekannte tatsächliche Geschehen zurück, das nach den [X.] im Musterverfahren aufgeklärt und rechtlich gewürdigt werde. Die mit der Klage geltend gemachten kapitalmarktrechtlichen und allgemein deliktsrechtlichen Schadensersatzansprüche bauten auf den Vorgängen auf und hätten ihre Grundlage im selben Lebenssachverhalt. Die Ablehnung der Erweiterung des [X.] um die [X.], die die [X.] beträfen, rechtfertige keine andere Beurteilung. Hierdurch könne zwar ein weiteres Musterverfahren erforderlich werden. Dies sei aber für die [X.] nicht unzumutbar. Weder der Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes noch eine Beteiligung der [X.] an den Kosten des [X.] stehe der Aussetzung entgegen.

Der Rechtsstreit hänge auch von den [X.] des [X.] beim [X.] [X.] ab. Die [X.] bezögen sich unter anderem auf die für das vorliegende Berufungsverfahren zentralen Kernfragen der unmittelbaren Betroffenheit der [X.]n durch Vorgänge bei der Nebenintervenientin und der Wissenszurechnung, insbesondere der Darlegungs- und Beweislast für die Kenntnis der [X.]n von einer Insiderinformation, und der Zurechnung von Kenntnissen der Mitglieder des [X.], die zugleich Mitglieder des Vorstands der [X.]n seien oder gewesen seien. Das Verfahren betreffe auch den gleichen Lebenssachverhalt.

Selbst wenn der die Unzulässigkeit des [X.] feststellende Beschluss des [X.]s [X.] vom 27. März 2019 (20 [X.]) abgeändert würde, sei die Unzulässigkeit nicht ohne Weiteres zu verneinen. Zwar wäre das [X.] Musterverfahren in diesem Fall für den vorliegenden Fall nicht bindend, so dass sich die Frage stellen würde, ob die entsprechenden Tatsachen- und Rechtsfragen im vorliegenden Fall zu klären seien. Es läge jedoch eine Erweiterung der [X.] im Musterverfahren 20 [X.] gemäß § 15 Abs. 1 [X.] nahe, weil dem [X.] über die ausgesprochenen [X.] hinaus noch weitere [X.]anträge vorgelegen hätten, die es in dem Vorlagebeschluss teils als unzulässig und teils als noch nicht entscheidungserheblich behandelt habe.

Der Vorlagebeschluss des [X.] vom 28. Februar 2017 habe sich nicht erledigt. Das [X.] habe sich mit seiner gegenteiligen Sicht ohne gesetzliche Grundlage über die Bindungswirkung des eigenen [X.] hinweggesetzt. Die Erledigung des [X.] könne nur vom [X.] in eigener Sachprüfung festgestellt oder von allen Beteiligten erklärt werden. Die Dauer des [X.] bis zum Erlass des angegriffenen Urteils rechtfertige das Vorgehen schon deswegen nicht, weil [X.] von den [X.]en grundsätzlich im Wege des [X.] geltend zu machen seien. Das [X.] berufe sich zu Unrecht auf den Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes.

2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Abhängigkeit der Entscheidung des Rechtsstreits kann mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung weder in Bezug auf die [X.] des [X.] beim [X.] noch in Bezug auf die [X.] des [X.] beim [X.] [X.] bejaht werden.

a) Mit Recht hat das Berufungsgericht aber angenommen, dass die Aussetzung des Verfahrens nach § 8 Abs. 1 [X.] zwingend und auch im Berufungsverfahren möglich ist ([X.], [X.], 2077, 2078; [X.], [X.], 465, 466; [X.] in [X.], 2. Aufl., § 8 Rn. 6; vgl. [X.], Beschluss vom 3. Dezember 2007 - [X.], [X.], 137 Rn. 8).

b) Die Entscheidung des Rechtsstreits ist entgegen der Sicht des Berufungsgerichts nicht von der Entscheidung über die [X.] des [X.] im Musterverfahren beim [X.] abhängig.

aa) Der Senat hat im Verfahren über die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des [X.]s [X.] vom 27. März 2019 (20 [X.]) mit Beschluss vom heutigen Tag entschieden, dass es für die Frage der Abhängigkeit nach § 7 Satz 1, § 8 Abs. 1 [X.] maßgeblich ist, ob mit der Entscheidung über die [X.] in dem bereits eingeleiteten Musterverfahren eine Bindung des [X.] nach § 22 Abs. 1 Satz 1 [X.] eintreten kann. Für Schadensersatzansprüche, die auf das Unterlassen einer öffentlichen Kapitalmarktinformation gestützt werden, kann eine Entscheidung über die [X.] eines bereits eingeleiteten [X.] nur dann bindende Wirkung haben, wenn diese [X.] dieselbe öffentliche Kapitalmarktinformation betreffen ([X.], Beschluss vom 16. Juni 2020 - [X.]). Für die Aussetzung eines Verfahrens nach § 8 Abs. 1 Satz 1 [X.] gilt nichts anderes.

bb) Die Aussetzung des Verfahrens kann danach nicht auf die [X.] des [X.] beim [X.] gestützt werden, weil die Feststellungen des [X.]s [X.] keine Bindungswirkung nach § 22 Abs. 1 Satz 1 [X.] für mögliche, auf die Verletzung von Informationspflichten der [X.]n gestützte Schadensersatzansprüche gegen die [X.] hätten. Die [X.] im Musterverfahren beim [X.] betreffen ausschließlich anspruchsbegründende oder anspruchsausschließende Voraussetzungen bzw. Rechtsfragen in Bezug auf Schadensersatzansprüche wegen öffentlicher Kapitalmarktinformationen der Nebenintervenientin.

c) Die Aussetzung des Verfahrens im Hinblick auf das Musterverfahren beim [X.] [X.] ist nicht schon deswegen unzulässig, weil dieses mit Beschluss vom 27. März 2019 festgestellt hat, dass das Musterverfahren 20 [X.] wegen der Sperrwirkung des [X.] des [X.] nach § 7 [X.] unzulässig sei und die Bestimmung eines Musterklägers abgelehnt hat. Die Aussetzung des Verfahrens widerspricht unter diesem Gesichtspunkt auch nicht dem Anspruch der [X.] auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG).

aa) Der Senat hat zu § 5 [X.] aF ausgesprochen, dass die Sperrwirkung bereits mit Erlass des ersten [X.] einsetzt und durch eine nicht rechtskräftige Aufhebung dieses [X.] durch das [X.] nicht entfällt ([X.], Beschluss vom 6. Dezember 2011 - [X.], [X.], 269 Rn. 11). Soweit dem unter Hinweis darauf widersprochen wurde, dass die Rechtsbeschwerde gegen einen den Vorlagebeschluss aufhebenden Beschluss nach § 575 Abs. 5, § 570 Abs. 1 ZPO keine aufschiebende Wirkung habe und daher der Vorlagebeschluss mit der Aufhebung den Erlass eines weiteren [X.] nicht mehr hindern könne ([X.]/[X.], [X.] 2012, 581, 583), vermag der Senat dem nicht zuzustimmen. Nach § 7 Satz 1, § 8 Abs. 1 Satz 1 [X.] ist für die Sperrwirkung die rechtskräftige Entscheidung über die [X.] maßgeblich. Solange aufgrund eines Rechtsmittels noch offen ist, ob es noch zu einer rechtskräftigen Entscheidung über die [X.] kommen kann, dauert die Sperrwirkung an. Daher ist auch die Aussetzung eines Verfahrens nach § 8 Abs. 1 Satz 1 [X.] weiterhin zulässig.

bb) Entgegen der Sicht der Rechtsbeschwerde gebietet es der Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) nicht, dass das Prozessgericht von der Aussetzung des Verfahrens Abstand nimmt, wenn ein Gericht das Musterverfahren für unzulässig hält. Die Entscheidung über die Aussetzung steht nicht im Ermessen des [X.], sondern hängt ausschließlich von den in § 8 Abs. 1 Satz 1 [X.] genannten Voraussetzungen ab und ist bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die [X.] möglich.

Die normative Ausgestaltung des Rechtswegs ist unter Berücksichtigung dieser Auslegung von § 8 Abs. 1 [X.] weder ungeeignet oder unangemessen noch für den Rechtssuchenden unzumutbar (vgl. [X.], NJW 2007, 3118, 3119). Verzögerungen des [X.] sind nicht zu vermeiden, wenn das [X.] von der Unzulässigkeit des [X.] gemäß § 7 Satz 1, § 8 Abs. 1 [X.] ausgeht und diese Entscheidung im Rechtsbeschwerdeverfahren überprüft werden muss. Ebenso liegt es in diesem Fall in der Natur der Sache, dass es bis zur endgültigen Klärung der Frage der Sperrwirkung Unklarheit darüber gibt, ob und gegebenenfalls im Hinblick auf welches Musterverfahren letztlich eine Aussetzung zu erfolgen hat. Im Regelfall dürfte sich in Verfahren, in denen eine Sperrwirkung im Raum steht, schon nicht die Frage stellen, ob dem Verfahren Fortgang zu geben ist. Ungeachtet dessen geht von der Möglichkeit, das Verfahren - möglicherweise nur vorübergehend - fortzusetzen, keine wesentliche Verbesserung der Rechtsschutzmöglichkeiten aus, sondern diese würde den mit der Bündelung der Verfahren angestrebten Zweck unterlaufen.

cc) Etwas anderes ergibt sich entgegen der Sicht der Rechtsbeschwerde auch nicht daraus, dass das [X.] [X.] auf den Vorlagebeschluss des [X.] vom 28. Februar 2017 mit Beschluss vom 5. August 2018 auf die Unzulässigkeit des [X.] gemäß § 7 Satz 1 [X.] hingewiesen und diese mit Beschluss vom 27. März 2019 festgestellt hat. Diese Abläufe stützen schon nicht die Behauptung der Rechtsbeschwerde, das [X.] sei elf Monate oder länger untätig geblieben, anstatt das Verfahren zu bearbeiten und zu fördern. Das [X.] hat auch mit Recht darauf hingewiesen, dass die Pflicht zur Aussetzung des Verfahrens nicht davon abhängig ist, ob die Sachbehandlung des [X.]s im Musterverfahren aus der Sicht des vorlegenden [X.]s zutreffend ist.

d) Das Berufungsgericht hat die Abhängigkeit der Entscheidung des Rechtsstreits von den geltend gemachten [X.] rechtsfehlerhaft darauf gestützt, dass eine Erweiterung des [X.] beim [X.] [X.] um weitere [X.] naheliege.

aa) Der Rechtsstreit hängt im Sinne des § 8 Abs. 1 [X.] erst dann von den [X.] des [X.] ab, wenn nur noch Tatsachen oder Rechtsfragen offen sind, die unabhängig vom Ausgang des [X.] nicht beantwortet werden können. Es ist dem Rechtsuchenden nicht zuzumuten, dass sein individueller Rechtsstreit ausgesetzt wird und er unabsehbare [X.] auf das Ergebnis des oft jahrelang dauernden [X.] warten muss, obwohl nicht feststeht, dass es auf den Ausgang des [X.] in seinem Prozess tatsächlich ankommt. Neben der reinen Verzögerung kann er erhebliche Rechtsnachteile in der Beweisführung dadurch erleiden, dass Zeugen verstorben sind oder sich wegen des [X.]ablaufs nicht mehr genau an den Sachverhalt erinnern können. Ferner ist kein sachlicher Grund dafür ersichtlich, eine [X.] an den Kosten eines [X.] anteilig zu beteiligen (vgl. § 24 [X.]), das für ihren Rechtsstreit nicht entscheidungserheblich ist ([X.], Beschluss vom 30. April 2019 - [X.], [X.]Z 222, 15 Rn. 28 f.). Vor der Aussetzungsentscheidung nach § 8 Abs. 1 Satz 1 [X.] müssen nicht nur die im Musterverfahren statthaften [X.] offenbleiben, sondern auch solche Tatsachen oder Rechtsfragen, die nur auf diese bezogen geprüft werden können. Das Prozessgericht ist nicht gehalten, hierzu vor seiner Aussetzungsentscheidung hypothetische Erwägungen anzustellen ([X.], Beschluss vom 30. April 2019 - [X.], [X.]Z 222, 15 Rn. 34).

bb) Das Berufungsgericht konnte die Abhängigkeit der Entscheidung des Rechtsstreits von der Entscheidung über die [X.] des [X.] nicht darauf stützen, dass eine Erweiterung des [X.] beim [X.] [X.] (20 [X.]) um weitere [X.] naheliege, weil das [X.] im Vorlagebeschluss weitergehende Musterfeststellungsanträge teils als unzulässig und teils als noch nicht entscheidungserheblich behandelt habe. In diesem Fall ist es dem Rechtsuchenden ebenfalls nicht zuzumuten, dass sein individueller Rechtsstreit ausgesetzt wird und er unabsehbare [X.] auf das Ergebnis des oft jahrelang dauernden [X.] warten muss, obwohl nicht feststeht, dass es auf den Ausgang des [X.] in seinem Prozess tatsächlich ankommt. Eine Aussetzung des Verfahrens kann in solchen Fällen erst erfolgen, wenn das Musterverfahren entweder tatsächlich gemäß § 15 Abs. 1 [X.] um weitere [X.] erweitert wurde, von denen die Entscheidung des [X.] abhängt, oder vom Prozessgericht festgestellt wurde, dass nur noch Tatsachen oder Rechtsfragen offen sind, die unabhängig vom Ausgang des [X.] nicht beantwortet oder bezogen auf die Entscheidung über die [X.] geprüft werden können.

e) Die Aussetzungsentscheidung des [X.]s erweist sich in dem zuletzt genannten Punkt auch nicht deswegen teilweise als richtig, weil das Verfahren weiterhin auf der Grundlage und im Umfang des [X.] vom 20. Oktober 2017 ausgesetzt ist. Dies wäre nur dann der Fall, wenn die Entscheidung des [X.]s über die Aufhebung des [X.] mangels verfahrensrechtlicher Grundlage wirkungslos geblieben wäre (vgl. [X.], Beschluss vom 18. Januar 1995 - [X.], NJW-RR 1995, 765; Beschluss vom 22. September 2010 - [X.], [X.], 2160 Rn. 19). Die Entscheidung hat allerdings eine verfahrensrechtliche Grundlage. Der Aufhebung des [X.] steht nicht entgegen, dass dieser - mangels Einlegung eines Rechtsbehelfs rechtskräftig geworden ist. Die dadurch eingetretene Unanfechtbarkeit gilt nur für den Aussetzungsbeschluss selbst, nicht aber für eine Entscheidung des [X.]s, mit der der Aussetzungsbeschluss aufgehoben oder der Antrag auf Fortsetzung des Verfahrens abgelehnt wird. Dies folgt aus §§ 150, 250 ZPO, die die Aufnahme eines ausgesetzten Verfahrens grundsätzlich zulassen und die Entscheidung darüber in das Ermessen des Gerichts stellen, soweit nicht einerseits ein Aussetzungszwang oder andererseits eine Fortsetzungspflicht besteht. Aufgrund dessen wird mit der Aufhebung des [X.] auch die Frist des § 569 Abs. 1 ZPO nicht umgangen ([X.], Beschluss vom 8. April 2014 - [X.], [X.], 1045 Rn. 10). Selbst wenn, wie es das Berufungsgericht angenommen hat, das [X.] bei seiner Beurteilung, der Rechtsstreit sei ungeachtet des [X.] entscheidungsreif, in unzulässiger Weise das Ergebnis des [X.] vorweggenommen haben sollte, führt dies nicht dazu, dass der Aufhebungsentscheidung eine verfahrensrechtliche Grundlage fehlt.

III. Die angefochtene Entscheidung ist gemäß § 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO aufzuheben. Da die Sache zur Endentscheidung reif ist, hat der Senat in der Sache selbst zu entscheiden (§ 577 Abs. 5, § 563 Abs. 3 ZPO). Dem Verfahren ist Fortgang zu geben. Eine Aussetzung des Verfahrens nach § 8 Abs. 1 Satz 1 [X.] kommt erst in Betracht, wenn das Berufungsgericht entsprechend der unter [X.]) dargestellten Voraussetzungen die Abhängigkeit der Entscheidung des Rechtsstreits von den [X.] des [X.] beim [X.] feststellt.

IV. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Die [X.] wenden sich gegen die Aussetzung des Rechtsstreits nach § 8 Abs. 1 Satz 1 [X.]. Die Kosten des [X.] bilden einen Teil der Kosten des Ausgangsrechtsstreits, welche die in der Sache unterliegende [X.] unabhängig vom Ausgang des Beschwerde- und [X.] nach §§ 91 ff. ZPO zu tragen hat ([X.], Beschluss vom 30. April 2019 - [X.], [X.]Z 222, 15 Rn. 36 mwN).

[X.]     

      

Bernau     

      

B. Grüneberg

      

[X.]     

      

von Selle     

      

Meta

II ZB 30/19

16.06.2020

Bundesgerichtshof 2. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend OLG Stuttgart, 29. Oktober 2019, Az: 1 U 205/18, Beschluss

§ 8 Abs 1 S 1 KapMuG, § 22 Abs 1 S 1 KapMuG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 16.06.2020, Az. II ZB 30/19 (REWIS RS 2020, 726)

Papier­fundstellen: MDR 2020, 1079-1080 WM2020,1422 REWIS RS 2020, 726

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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