Bundesgerichtshof, Beschluss vom 17.07.2012, Az. VIII ZR 13/12

8. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 4588

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Aussetzung eines Verfahrens wegen Vorgreiflichkeit eines beim EuGH anhängigen Vorabentscheidungsverfahrens: Europarechtskonformität von Bestimmungen der AVBGasV und der GasGVV


Tenor

Das vorliegende Verfahren wird gemäß § 148 ZPO analog bis zu einer Entscheidung des Gerichtshofs der [X.] in dem dort anhängigen Verfahren [X.]/11 ausgesetzt.

Gründe

1

Der Beklagte bezieht seit Jahren von der Klägerin, einem [X.], leitungsgebunden Erdgas für seinen privaten Haushalt.

2

Die Klägerin erhöhte zum 1. Januar 2005 den Arbeitspreis und machte dies vorher öffentlich bekannt. Der Beklagte widersprach der beabsichtigten Preiserhöhung der Klägerin mit Schreiben vom 17. Dezember 2004 und forderte die Klägerin auf, die Erforderlichkeit und Angemessenheit der Preiserhöhung durch Offenlegung ihrer Kalkulationsgrundlagen darzulegen. Mit Schreiben vom 23. Mai 2005 teilte er der Klägerin weiter mit, dass er seinen Widerspruch aufrechterhalte und daher Zahlungen allein auf der Grundlage des bisherigen Preises zuzüglich eines Zuschlags von 2 % leisten werde.

3

Zum 1. Oktober 2005, 1. Januar 2006 und 1. Oktober 2006 erhöhte die Klägerin - jeweils nach vorheriger öffentlicher Bekanntgabe - drei weitere Male ihren Arbeitspreis. Mit Wirkung zum 1. März 2007 senkte sie den Arbeitspreis wieder etwas ab.

4

Der Beklagte zahlte auf die Jahresabrechnungen der Klägerin aus den Jahren 2005 bis 2008 nur die im Schreiben vom 29. Mai 2005 angekündigten Beträge. Mit ihrer Klage macht die Klägerin die Differenz aus den abgerechneten Beträgen und den erbrachten Zahlungen geltend. Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das [X.] das erstinstanzliche Urteil abgeändert und den Beklagten zur Zahlung des Differenzbetrags verurteilt.

5

Das Berufungsgericht hat den Beklagten als Tarifkunden angesehen und vor diesem Hintergrund angenommen, dass der Klägerin ein einseitiges Preisänderungsrecht gemäß § 4 Abs. 1, 2 [X.] beziehungsweise § 5 Abs. 2 [X.] zugestanden habe. Diese Vorschriften hält das Berufungsgericht für europarechtskonform. Andernfalls müsste, so meint das Berufungsgericht, der Klägerin wegen des für den Tarifkundenbereich beziehungsweise die Grundversorgung bestehenden Kontrahierungszwangs ein einseitiges Preisänderungsrecht im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zugebilligt werden. Es hat daher und im Hinblick darauf, dass Art. 267 Satz 3 AEUV nur denjenigen Gerichten eine Vorlagepflicht auferlegt, deren Entscheidungen nicht mit Rechtsmitteln angefochten werden können, von einem Vorabentscheidungsersuchen an den [X.] abgesehen. Eine Aussetzung des Verfahrens in entsprechender Anwendung des § 148 ZPO hat es aus verfahrensökonomischen Gründen abgelehnt.

6

Die Billigkeit der angegriffenen Preiserhöhungen hat das Berufungsgericht mit einer kumulierten Betrachtung der jeweils in einem Gaswirtschaftsjahr (von 1. Oktober 6 Uhr bis zum 1. Oktober 5.59 Uhr des Folgejahres) vorgenommenen Preisänderungen bejaht.

7

Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt der Beklagte Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils. Er hält eine Vorlage an den [X.], jedenfalls aber eine Aussetzung in entsprechender Anwendung des § 148 ZPO für geboten. Weiter hält er die vom Berufungsgericht angestellte [X.] für rechtsfehlerhaft. Die Klägerin erhebt gegen eine Aussetzung des Verfahrens keine Einwände.

II.

8

Das vorliegende Verfahren ist gemäß § 148 ZPO analog bis zu der Entscheidung des Gerichtshofs der [X.] in dem dort anhängigen Verfahren [X.]/11 auszusetzen.

9

1. Der [X.] hat durch Beschluss vom 18. Mai 2011 in dem Verfahren [X.] ([X.], 1620 ff.) dem [X.] (im Folgenden: Gerichtshof) folgende Frage zur Vorabentscheidung gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV vorgelegt:

Ist Art. 3 Abs. 3 in Verbindung mit Anhang A Buchst. b und/oder c der Richtlinie 2003/55/[X.] und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der [X.]/[X.] dahin auszulegen, dass eine nationale gesetzliche Regelung über Preisänderungen in Erdgaslieferungsverträgen mit Haushalts-Kunden, die im Rahmen der allgemeinen Versorgungspflicht beliefert werden (Tarifkunden), den Anforderungen an das erforderliche Maß an Transparenz genügt, wenn in ihr Anlass, Voraussetzungen und Umfang einer Preisänderung zwar nicht wiedergegeben sind, jedoch sichergestellt ist, dass das [X.] seinen Kunden jede Preiserhöhung mit angemessener Frist im Voraus mitteilt und den Kunden das Recht zusteht, sich durch Kündigung vom [X.], wenn sie die ihnen mitgeteilten geänderten Bedingungen nicht akzeptieren wollen?

2. Diese Frage ist - wie die Revision zutreffend ausführt - auch im vorliegenden Fall entscheidungserheblich. Anders als das Berufungsgericht offenbar meint, kann die Frage der Europarechtskonformität der § 4 Abs. 1, 2 [X.] und § 5 Abs. 2 [X.] nicht im Hinblick auf die vom Berufungsgericht erwogene ergänzende Vertragsauslegung offenbleiben. Eine ergänzende Vertragsauslegung hat sich nicht - nur an dem hypothetischen Parteiwillen, sondern auch an dem objektiven Maßstab von [X.] und Glauben zu orientieren und muss zu einer die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigenden Regelung führen. Es geht daher darum zu ermitteln, was die Parteien bei einer angemessenen, objektiv-generalisierenden Abwägung ihrer Interessen nach [X.] und Glauben redlicherweise vereinbart hätten, wenn sie bedacht hätten, dass die Wirksamkeit der angewendeten Preisänderungsbestimmung jedenfalls unsicher war (vgl. [X.]surteil vom 14. März 2012 - [X.], [X.], 1865 Rn. 24 mwN). Vor diesem Hintergrund hat der [X.] bereits entschieden, dass es bei unwirksamen Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht in Betracht kommt, an die Stelle einer unwirksamen Preisänderungsbestimmung im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung eine (wirksame) Bestimmung gleichen Inhalts zu setzen (vgl. [X.]surteil vom 14. März 2012 - [X.], aaO). Diese Erwägungen lassen sich - jedenfalls im Grundsatz - auch auf die Fälle übertragen, in denen - wie hier - die Europarechtskonformität von Verordnungsbestimmungen, nämlich der § 4 Abs. 1, 2 [X.], § 5 Abs. 2 [X.], in Frage steht.

3. Aufgrund der Entscheidungserheblichkeit der unter Ziffer 1 genannten Frage kann der [X.] in dieser Sache unter Beachtung seiner in Art. 267 Abs. 3 AEUV enthaltenen [X.] keine abschließende Sachentscheidung treffen. Eine Vorlage auch dieses Verfahrens an den Gerichtshof würde jedoch dort nicht zu einer schnelleren Beantwortung der maßgeblichen Rechtsfrage führen ([X.]sbeschluss vom 24. Januar 2012 - [X.], juris Rn. 7 mwN). Hieran ändert auch der Umstand nichts, dass der Gerichtshof seinerseits das Verfahren [X.]/11 bis nach der Urteilsverkündung in den [X.] und [X.]/11 ausgesetzt hat.

Im Gegenteil würde die Funktion des Gerichtshofs im Vorabentscheidungsverfahren beeinträchtigt, wenn die gleiche Rechtsfrage mehrfach vorgelegt würde. Zwar ist die verbindliche Auslegung des Gemeinschaftsrechts dem Gerichtshof vorbehalten. Dem Gerichtshof kommt aber nicht die Funktion eines Rechtsmittelgerichts für sämtliche mitgliedschaftlichen Verfahren zu (vgl. [X.], Beschluss vom 30. März 2005 - [X.], [X.]Z 162, 373, 378; [X.]sbeschluss vom 24. Januar 2012 - [X.], aaO Rn. 8). Es genügt daher, wenn dort über eine klärungsbedürftige Rechtsfrage lediglich in einem Verfahren verhandelt und entschieden wird.

4. Der [X.] hält es nach alledem in Übereinstimmung mit den Parteien für angemessen, das vorliegende Verfahren in entsprechender Anwendung des § 148 ZPO wegen Vorgreiflichkeit des beim Gerichtshof anhängigen Rechtsstreits auszusetzen (vgl. [X.]sbeschluss vom 24. Januar 2012 - [X.], aaO Rn. 9 mwN).

Ball                                             Dr. Frellesen                                           Dr. Achilles

                   Dr. Schneider                                              Dr. Fetzer

Meta

VIII ZR 13/12

17.07.2012

Bundesgerichtshof 8. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Düsseldorf, 21. Dezember 2011, Az: VI-3 U (Kart) 4/11

§ 148 ZPO, § 4 Abs 1 AVBGasV, § 4 Abs 2 AVBGasV, § 5 Abs 2 GasGVV, § 267 Abs 3 AEUV

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 17.07.2012, Az. VIII ZR 13/12 (REWIS RS 2012, 4588)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 4588

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

VIII ZR 13/12 (Bundesgerichtshof)


VIII ZR 158/11 (Bundesgerichtshof)

Verfahrensaussetzung: Zulässigkeit bei Anhängigkeit eines dieselbe Frage betreffenden Vorabentscheidungsverfahrens beim Europäischen Gerichtshof; Aussetzung im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren


VIII ZR 162/11 (Bundesgerichtshof)


VIII ZR 158/11 (Bundesgerichtshof)


VIII ZR 236/10 (Bundesgerichtshof)

Verfahrensaussetzung: Zulässigkeit bei Anhängigkeit eines dieselbe Frage betreffenden Vorabentscheidungsverfahrens beim Europäischen Gerichtshof; Aussetzung im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.