Bundesgerichtshof, Beschluss vom 24.01.2012, Az. VIII ZR 236/10

8. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 9882

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Gegenstand

Verfahrensaussetzung: Zulässigkeit bei Anhängigkeit eines dieselbe Frage betreffenden Vorabentscheidungsverfahrens beim Europäischen Gerichtshof; Aussetzung im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren


Leitsatz

1. Die Aussetzung des Verfahrens ist in entsprechender Anwendung von § 148 ZPO auch ohne gleichzeitiges Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union grundsätzlich zulässig, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits von der Beantwortung derselben Frage abhängt, die bereits in einem anderen Rechtsstreit dem Gerichtshof der Europäischen Union zur Vorabentscheidung nach Art. 267 AEUV vorgelegt wurde (Anschluss an BAG, 20. Mai 2010, 6 AZR 481/09 (A), NJW 2011, 1836; BAG, Beschlüsse vom 5. Juni 1984, 3 AZR 168/81, juris Rn. 2 f.; vom 6. November 2002, 5 AZR 279/01 (A), juris; BPatG, 16. April 2002, 33 W (pat) 25/01, GRUR 2002, 734 f.; Fortführung von BGH, Beschlüsse vom 25. März 1998, VIII ZR 337/97, NJW 1998, 1957; vom 18. Juli 2000, VIII ZR 323/99, RdE 2001, 20 und vom 30. März 2005, X ZB 26/04, BGHZ 162, 373, 378; BVerfG, 11. Januar 2000, 1 BvR 1392/99, NJW 2000, 1484, 1485).

2. Eine Aussetzung nach § 148 ZPO (analog) ist auch im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren möglich (Anschluss an BGH, Beschluss vom 6. April 2004, X ZR 272/02, BGHZ 158, 372, 374 f.)

Tenor

Das vorliegende Verfahren wird gemäß § 148 ZPO analog bis zu einer Entscheidung des Gerichtshofs der [X.] in dem dort anhängigen Verfahren [X.]/11 ausgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Klägerin bezieht von der [X.], einem regionalen [X.], seit 1998 leitungsgebunden Erdgas für ihren privaten Haushalt und wendet sich im Wege der Feststellungsklage gegen mehrere Gaspreisanpassungen. Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben.

2

Das Berufungsgericht hat - ebenso wie das [X.] - die Klägerin als [X.] qualifiziert und vor diesem Hintergrund angenommen, dass der [X.] ein einseitiges Preisänderungsrecht gemäß § 4 Abs. 1 und 2 [X.] beziehungsweise § 5 Abs. 2 [X.] zugestanden habe. Eine Billigkeitskontrolle der angegriffenen Preiserhöhungen hat das Berufungsgericht abgelehnt, da die Klägerin den einseitigen Preisanpassungen der [X.] nicht innerhalb angemessener Zeit widersprochen habe.

3

Mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde wendet sich die Klägerin zunächst unter verschiedenen Gesichtspunkten gegen die Qualifikation des Vertragsverhältnisses als Tarifkundenvertrag und bezweifelt ferner, ob die im Tarifkundenverhältnis geltenden gesetzlichen Preisänderungsrechte des § 4 [X.] beziehungsweise § 5 [X.] den europarechtlichen Transparenzvorgaben genügen.

II.

4

Das vorliegende Verfahren ist gemäß § 148 ZPO analog bis zu der Entscheidung des Gerichtshofs der [X.] in dem dort anhängigen Verfahren [X.]/11 auszusetzen.

5

1. Der Senat hat durch Beschluss vom 18. Mai 2011 in dem Verfahren [X.] ([X.], 1620 ff.) dem Gerichtshof der [X.] (im Folgenden: Gerichtshof) folgende Frage zur Vorabentscheidung gemäß Art. 267 AEUV vorgelegt:

Ist Art. 3 Abs. 3 in Verbindung mit Anhang A Buchst. b und/oder c der Richtlinie 2003/55/[X.] und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der [X.]/[X.] dahin auszulegen, dass eine nationale gesetzliche Regelung über Preisänderungen in Erdgaslieferungsverträgen mit Haushalts-Kunden, die im Rahmen der allgemeinen Versorgungspflicht beliefert werden (Tarifkunden), den Anforderungen an das erforderliche Maß an Transparenz genügt, wenn in ihr Anlass, Voraussetzungen und Umfang einer Preisänderung zwar nicht wiedergegeben sind, jedoch sichergestellt ist, dass das [X.] seinen Kunden jede Preiserhöhung mit angemessener Frist im Voraus mitteilt und den Kunden das Recht zusteht, sich durch Kündigung vom [X.], wenn sie die ihnen mitgeteilten geänderten Bedingungen nicht akzeptieren wollen?

6

2. Diese Frage ist auch im vorliegenden Fall entscheidungserheblich. Soweit die Klägerseite sich in ihrer Stellungnahme auf den Hinweis des Senats zur beabsichtigten Vorgehensweise gegen diese Einschätzung wendet, verweist sie lediglich auf ihre Ausführungen zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde. Diese hat der Senat bereits beim Erlass des [X.] vom 25. Oktober 2011 berücksichtigt.

7

3. Aufgrund der Entscheidungserheblichkeit der unter Ziffer 1 genannten Frage kann der Senat in dieser Sache unter Beachtung seiner in Art. 267 Abs. 3 AEUV enthaltenen [X.] keine abschließende Sachentscheidung treffen. Eine Vorlage auch dieses Verfahrens an den Gerichtshof würde jedoch dort nicht zu einer schnelleren Beantwortung der maßgeblichen Rechtsfrage führen (vgl. hierzu [X.], [X.], 1836, 1837). Hieran ändert nichts, dass der Gerichtshof seinerseits das Verfahren [X.]/11 bis nach der Urteilsverkündung in den [X.] und [X.]/11 ausgesetzt hat.

8

Im Gegenteil würde die Funktion des Gerichtshofs im Vorabentscheidungsverfahren beeinträchtigt, wenn die gleiche Rechtsfrage mehrfach vorgelegt würde (vgl. [X.], Beschluss vom 30. März 2005 - [X.], [X.]Z 162, 373, 378). Das Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV stellt ein grundlegendes Instrument dar, um den Grundsatz des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts vor nationalem Recht zu verwirklichen und die einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts in allen Mitgliedstaaten zu gewährleisten ([X.], [X.], 734, 735). Die verbindliche Auslegung des Gemeinschaftsrechts ist dem Gerichtshof vorbehalten. Da der Gerichtshof aber kein Rechtsmittelgericht für sämtliche mitgliedschaftlichen Verfahren darstellt ([X.], Beschluss vom 30. März 2005 - [X.], aaO), genügt es, wenn dort über eine klärungsbedürftige Rechtsfrage lediglich in einem Verfahren verhandelt und entschieden wird.

9

4. Der Senat hält es daher für angemessen, das vorliegende Verfahren gemäß § 148 ZPO analog wegen Vorgreiflichkeit des beim Gerichtshof anhängigen Rechtsstreits auszusetzen (zur Zulässigkeit dieser Vorgehensweise vgl. auch [X.], aaO S. 1836 f.; [X.], Beschlüsse vom 5. Juni 1984 - 3 [X.], juris; vom 6. November 2002 - 5 [X.] (A), juris; [X.], aaO S. 734 ff.; noch offen gelassen von [X.], Beschluss vom 30. März 2005 - [X.], aaO).

5. Eine Aussetzung nach § 148 ZPO (analog) ist auch im [X.] möglich (vgl. [X.], Beschluss vom 6. April 2004 - [X.], [X.]Z 158, 372, 374 f.).

Ball                                                Dr. Milger                                                   Dr. Hessel

                       Dr. Fetzer                                                 Dr. Bünger

Meta

VIII ZR 236/10

24.01.2012

Bundesgerichtshof 8. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Koblenz, 26. August 2010, Az: U 204/10 Kart

§ 148 ZPO, Art 267 AEUV

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 24.01.2012, Az. VIII ZR 236/10 (REWIS RS 2012, 9882)

Papier­fundstellen: WM 2016, 2186 REWIS RS 2012, 9882


Verfahrensgang

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Az. VIII ZR 236/10

Bundesgerichtshof, VIII ZR 236/10, 06.04.2016.

Bundesgerichtshof, VIII ZR 236/10, 24.01.2012.


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