Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 15.06.2020, Az. 2 BvR 71/20, 2 BvR 72/20

2. Senat 2. Kammer | REWIS RS 2020, 2856

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Erfolglose Verfassungsbeschwerden gegen das Programm der EZB zum Ankauf von Vermögenswerten des Unternehmenssektors (Corporate Sector Purchase Programme - CSPP) - Verstoß gegen europäisches Primärrecht nicht ausgeschlossen - allerdings teils unstatthafter Beschwerdegegenstand, teils unzureichende Beschwerdebegründung


Tenor

Die Verfahren 2 BvR 71/20 und 2 BvR 72/20 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.

Die [X.] werden, ohne dass es einer Entscheidung über den Antrag der Beschwerdeführer zu II. auf Ruhen des Verfahrens bedarf, nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

1

Die Beschwerdeführer zu [X.] und zu I[X.] wenden sich jeweils gegen das Programm zum Ankauf von Vermögenswerten des Unternehmenssektors ([X.] - [X.]). Hierbei handelt es sich um ein Unterprogramm des erweiterten Programms zum Ankauf von Vermögenswerten (Expanded Asset Purchase Programme - [X.]) des [X.] der Zentralbanken (ESZB).

2

Am 10. März 2016 beschloss der [X.] ([X.]), das [X.] aufzulegen (vgl. [X.], Pressemitteilung vom 10. März 2016; 3. Erwägungsgrund Beschluss <[X.]> 2016/948 der [X.] vom 1. Juni 2016 zur Umsetzung des Programms zum Ankauf von Wertpapieren des Unternehmenssektors, [X.] Nr. L 157 vom 15. Juni 2016, [X.]). Mit unveröffentlichtem Beschluss vom 21. April 2016 legte er die technischen Merkmale des Programms fest (vgl. [X.], Pressemitteilung vom 21. April 2016) und führte es mit Beschluss ([X.]) 2016/948 der [X.] vom 1. Juni 2016 zur Umsetzung des Programms zum Ankauf von Wertpapieren des Unternehmenssektors ([X.]/2016/16, [X.] Nr. L 157 vom 15. Juni 2016, [X.]) ein.

3

Durch das [X.] soll die Transmission der Anleihekäufe des [X.] auf die Finanzierungsbedingungen der Realwirtschaft weiter verstärkt werden (vgl. [X.], Pressemitteilung vom 10. März 2016; vgl. auch 3. Erwägungsgrund Beschluss <[X.]> 2016/948). Es soll mittelfristig dazu beitragen, die Inflationsrate auf ein Niveau von unter, aber nahe 2 % anzuheben (vgl. 3. Erwägungsgrund Beschluss <[X.]> 2016/948), dabei aber den Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb achten (vgl. 7. Erwägungsgrund Beschluss <[X.]> 2016/948).

4

Im Rahmen des [X.] erwerben ausgewählte Zentralbanken des [X.], darunter die [X.], notenbankfähige Unternehmensanleihen auf dem Primär- und Sekundärmarkt, bei Anleihen des öffentlichen Unternehmenssektors nur auf dem Sekundärmarkt (Art. 1 Satz 2 Beschluss <[X.]> 2016/948). Die [X.] selbst erwirbt im Rahmen des [X.] keine Vermögenswerte.

5

Die Anleihen müssen eine Restlaufzeit von sechs Monaten bis zu 30 Jahren und 364 Tagen haben. Für die Beurteilung der Bonitätsanforderungen marktfähiger Schuldtitel sind nur die Bonitätsbeurteilungen externer Ratingagenturen, die in den Rahmenregelungen für Bonitätsbeurteilungen im Eurosystem anerkannt sind, zu berücksichtigen. Ankäufe nominaler marktfähiger Schuldtitel mit negativer Endfälligkeitsrendite (oder mit einer Rendite im schlechtesten Fall) über dem Zinssatz für die Einlagefazilität sind zulässig (Art. 2 Beschluss <[X.]> 2016/948). Ausschließlich für Anleihen des öffentlichen Unternehmenssektors gilt eine Mindestfrist, vor deren Ablauf ein Erwerb unzulässig ist. Die Frist soll die Bildung eines Marktpreises ermöglichen (Art. 3 Abs. 2 Beschluss <[X.]> 2016/948). Einzelheiten über die nähere Ausgestaltung der Frist wurden bislang - wie auch im Rahmen des [X.] ([X.]) - nicht bekannt gemacht. Pro Internationaler Wertpapierkennnummer ([X.]) gilt für sämtliche Unternehmensanleihen mit Ausnahme der Unternehmensanleihen des öffentlichen Sektors eine Ankaufobergrenze von 70 % (Art. 4 Abs. 1 [X.]. 1 Satz 2 Beschluss <[X.]> 2016/948). Unternehmensanleihen des öffentlichen Sektors "sollten wie im Rahmen des [X.] behandelt werden" (Art. 4 Abs. 1 [X.]. 2 Satz 2 Beschluss <[X.]> 2016/948).

6

Hinsichtlich der von den nationalen Zentralbanken erworbenen Anleihen findet eine vollständige Risikoteilung statt; Verluste einer nationalen Zentralbank werden auf alle nationalen Zentralbanken des [X.] entsprechend dem [X.] verteilt (vgl. [X.], Stellungnahme vom 15. November 2016, [X.] f.).

7

Die Ankäufe im Rahmen des [X.] begannen am 8. Juni 2016; zum 8. Mai 2020 hielt das Eurosystem im Rahmen des [X.] Wertpapiere im Gesamtwert von 2.868,6 Milliarden Euro, auf das [X.] entfiel ein Anteil von 209,6 Milliarden Euro, was 7,31 % entspricht (vgl. [X.], Monatsbericht Mai 2020, [X.] 30).

8

Die Beschwerdeführer zu [X.] und zu I[X.] rügen eine Verletzung ihres grundrechtsgleichen Rechts aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1 [X.] und einen Verstoß gegen den Grundsatz der Volkssouveränität (Art. 20 Abs. 2 Satz 1 [X.]).

9

Die Beschwerdeführer zu [X.] halten ungeachtet der Ausführungen im [X.] vom 21. Juni 2016 ([X.], Urteil des [X.] vom 21. Juni 2016 - 2 BvR 2728/13 u.a. -) an ihrer Rechtsauffassung fest, dass es "schlichtweg impraktikabel" sei, wenn die dem Programm zugrundeliegenden Beschlüsse des [X.]es keine tauglichen Beschwerdegegenstände seien. Im Übrigen verstießen [X.] und Bundesregierung gegen ihre Integrationsverantwortung, indem sie gegenüber den betreffenden Maßnahmen untätig blieben. Das [X.] führe zu einem unübersehbaren Ausfallrisiko, ohne dass es hierzu eine vorherige Befassung des [X.] gegeben habe. Darüber hinaus verstoße die [X.] gegen den Grundsatz unverfälschten [X.]. Das [X.] bezwecke eine Verfälschung oder sogar Ausschaltung des [X.] für [X.] Unternehmensanleihen; statt Geldpolitik zu betreiben, begünstige die [X.] einzelne in der [X.] tätige Unternehmen.

Die Beschwerdeführer zu I[X.] tragen vor, dass es zwar zum Mandat der [X.] gehören könne, die Finanzierungsbedingungen der Realwirtschaft zu beeinflussen, insbesondere für günstige Finanzierungsbedingungen zu sorgen. Das Programm sei aber nicht darauf gerichtet, diese Bedingungen zu beeinflussen, sondern auf die unmittelbare Finanzierung der Realwirtschaft. Dies sei der Sache nach Wirtschaftsförderung. Es sei nicht Aufgabe des [X.], Geschäftsbanken von Risiken zu entlasten und unmittelbar auf deren Verhalten einzuwirken; die [X.] trete hierbei an die Stelle der Geschäftsbanken, finanziere Unternehmen und verzerre dadurch den Wettbewerb. Derart selektive Eingriffe könnten nicht der Währungspolitik zugeordnet werden, sondern seien Teil der Wirtschaftspolitik.

Die [X.] sind nicht zur Entscheidung anzunehmen (§ 93a Abs. 2 [X.]G), weil sie unzulässig sind. Die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführer zu [X.] richtet sich gegen unzulässige Beschwerdegegenstände und genügt im Übrigen, wie auch die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführer zu I[X.], nicht den Begründungsanforderungen ([X.]). Einer Entscheidung über den Antrag auf Ruhen des Verfahrens bedarf es daher nicht (I[X.]).

1. Soweit sich die Beschwerdeführer zu [X.] unmittelbar gegen das [X.] und die hierzu ergangenen Beschlüsse der [X.] wenden, handelt es sich nicht um taugliche Beschwerdegegenstände (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a [X.], § 90 Abs. 1 [X.]G). Nach gefestigter Rechtsprechung des [X.] können Maßnahmen von Organen, Einrichtungen und sonstigen Institutionen der [X.] nicht unmittelbar mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden (vgl. [X.]E 142, 123 <179 f. Rn. 97>; [X.], Urteil des [X.] vom 30. Juli 2019 - 2 BvR 1685/14 u.a. -, Rn. 112; Urteil des [X.] vom 5. Mai 2020 - 2 BvR 859/15 u.a. -, Rn. 93).

2. Die [X.] der Beschwerdeführer zu [X.] und zu I[X.] genügen zudem nicht den Anforderungen der § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1, § 92 [X.]G; ihre Begründung lässt eine Verletzung von Rechten im Sinne des § 90 Abs. 1 [X.]G inhaltlich nachvollziehbar nicht erkennen. Für eine zulässige Ultra-vires- und/oder Identitätsrüge hat das [X.] spezifische Begründungsanforderungen aufgestellt (a). Auch wenn es möglich erscheint, dass das [X.] nicht sämtliche primärrechtlichen Anforderungen beachtet (b), genügen die [X.] nicht den gesetzlichen Begründungsanforderungen (c).

a) Eine zulässige Verfassungsbeschwerde erfordert einen hinreichend substantiierten Vortrag zu den Voraussetzungen entweder der Ultra-vires- oder der Identitätsrüge (vgl. [X.]E 140, 317 <341 f. Rn. 50>; 142, 123 <174 f. Rn. 83>; [X.], Urteil des [X.] vom 30. Juli 2019 - 2 BvR 1685/14 u.a. -, Rn. 95 f., 107 ff.).

Eine zulässig erhobene [X.] muss einen offensichtlichen und strukturell bedeutsamen Kompetenzverstoß hinreichend substantiiert darlegen. Das setzt - ohne Rücksicht auf den betroffenen Sachbereich - die substantiierte Behauptung voraus, dass eine Maßnahme von Organen, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der [X.] offensichtlich außerhalb der ihnen übertragenen Kompetenzen liegt (vgl. [X.]E 123, 267 <353, 400>; 126, 286 <304>; 134, 366 <392 Rn. 37>; 142, 123 <200 Rn. 148>). Das ist der Fall, wenn sich die Kompetenz bei Anwendung allgemeiner methodischer Standards unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt begründen lässt (vgl. [X.]E 126, 286 <308>; 142, 123 <200 Rn. 149>; [X.], Urteil des [X.] vom 30. Juli 2019 - 2 BvR 1685/14 u.a. -, Rn. 151; Urteil des [X.] vom 5. Mai 2020 - 2 BvR 859/15 u.a. -, Rn. 112). Eine strukturell bedeutsame Verschiebung zulasten mitgliedstaatlicher Kompetenzen (vgl. [X.]E 126, 286 <309>) liegt nur vor, wenn die Kompetenzüberschreitung ein für das Demokratieprinzip und die Volkssouveränität erhebliches Gewicht besitzt und geeignet ist, das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung zu unterlaufen. Davon ist auszugehen, wenn die Inanspruchnahme der Kompetenz durch das Organ, die Einrichtung oder sonstige Stelle der [X.] eine Vertragsänderung nach Art. 48 [X.]V oder die Inanspruchnahme einer [X.] erforderte (vgl. [X.], Gutachten 2/94 vom 28. März 1996, [X.], [X.]. 1996, [X.] ), für [X.] also ein Tätigwerden des Gesetzgebers, sei es nach Art. 23 Abs. 1 Satz 2 [X.], sei es nach Maßgabe des Integrationsverantwortungsgesetzes (vgl. [X.]E 89, 155 <210>; 142, 123 <201 f. Rn. 151>; [X.], Urteil des [X.] vom 30. Juli 2019 - 2 BvR 1685/14 u.a. -, Rn. 153; Urteil des [X.] vom 5. Mai 2020 - 2 BvR 859/15 u.a. -, Rn. 110).

Eine zulässige Identitätsrüge erfordert eine substantiiert begründete Darlegung, dass die Verfassungsorgane ihrer Integrationsverantwortung mit Blick auf die Verfassungsidentität des Grundgesetzes nicht nachgekommen sind. Maßnahmen von Organen, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der [X.] können durch Art. 79 Abs. 3 [X.] (i.V.m. Art. 23 Abs. 1 Satz 3 [X.]) für unantastbar erklärte Grundsätze des Art. 20 [X.] insbesondere berühren, wenn sie die Gestaltungsmacht des [X.]es substantiell einschränken, etwa das Budgetrecht und seine haushaltspolitische Gesamtverantwortung nicht wahren oder wenn sie die [X.]sgewalt in einer Weise ausgestalten, die den durch Art. 79 Abs. 3 [X.] geschützten [X.] Grundsätzen nicht mehr entspricht (vgl. [X.], Urteil des [X.] vom 30. Juli 2019 - 2 BvR 1685/14 u.a. -, Rn. 155; vgl. auch [X.], Urteil des [X.] vom 5. Mai 2020 - 2 BvR 859/15 u.a. -, Rn. 227 f.).

b) Es erscheint jedenfalls nicht völlig ausgeschlossen, dass das [X.] der Wirtschaftspolitik und nicht der Währungspolitik zuzuordnen ist. Die Wirtschaftspolitik ist nach den [X.] jedoch weit überwiegend den Mitgliedstaaten vorbehalten, während der [X.] hierbei lediglich unterstützende Befugnisse zukommen (vgl. [X.]E 142, 123 <222 ff. Rn. 193 ff.>; 146, 216 <260 Rn. 65, 280 f. Rn. 108 f., 283 Rn. 113>; [X.], Urteil des [X.] vom 5. Mai 2020 - 2 BvR 859/15 u.a. -, Rn. 120 f., 142, 162 ff.).

Ein Fall der Wirtschaftspolitik läge vor, wenn sich der Erwerb ausgewählter Unternehmensanleihen durch das Eurosystem im Rahmen des [X.] als Beihilfe darstellte.

aa) Staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen sind mit dem Binnenmarkt unvereinbar, sofern sie durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen und soweit sie den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen (Art. 107 Abs. 1 A[X.]V). Der [X.] ist dabei grundsätzlich weit auszulegen (grundlegend [X.], Urteil vom 23. Februar 1961, [X.], [X.]/59, [X.]. 1961, [X.] ) und erfasst nicht nur Subventionen, sondern auch Maßnahmen, die in verschiedener Form Belastungen mindern (vgl. [X.], Urteil vom 8. Dezember 2011, [X.], [X.]/10 P, [X.]. 2011, [X.] ; Urteil vom 24. Januar 2013, [X.], [X.]/11 P, [X.]:[X.], Rn. 69; Urteil vom 16. April 2014, [X.]/[X.] u.a., [X.]/13, [X.]:C:2015:235, Rn. 21; Urteil vom 9. Oktober 2014, [X.], [X.]/13, [X.]:C:2014:2262, Rn. 22). Der Gerichtshof der [X.] stellt insoweit auf die Wirkungen - und nicht etwa die Ziele oder Techniken - der Maßnahme ab (vgl. [X.], Urteil vom 5. Juni 2012, [X.]/[X.], [X.]/10 P, [X.]:[X.], Rn. 76 f.; Urteil vom 19. März 2013, Bouygues u.a./[X.] u.a., [X.]/10 P u.a., [X.]:[X.], Rn. 99; Urteil vom 3. April 2014, [X.]/[X.], [X.]/12 P, [X.]:[X.], Rn. 94; Urteil vom 9. Oktober 2014, [X.], [X.]/13, [X.]:C:2014:2262, Rn. 22; Urteil vom 16. Juli 2015, [X.], [X.]/14, [X.]:[X.], Rn. 52; Urteil vom 25. Juli 2018, [X.]/Spanien u.a., [X.]/16 P, [X.]:C:2018:591, Rn. 36). So enthalten staatliche Kapitalzuführungen an Unternehmen, wie etwa der Erwerb von Unternehmensbeteiligungen, Elemente einer Beihilfe, wenn ein rational handelnder Kapitalgeber vergleichbarer Größe, der zumindest mittelfristig einen marktüblichen Ertrag erwirtschaften will, nicht in vergleichbarem Umfang Mittel investiert hätte. Umgekehrt scheidet eine staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 A[X.]V aus, wenn sich der Staat wie ein marktwirtschaftlich handelnder Kapitalgeber verhält und sein Verhalten langfristig wirtschaftlich vernünftig ist (vgl. [X.], Urteil vom 10. Juli 1986, [X.]/[X.], [X.]/85, [X.]. 1986, [X.] ; [X.]/[X.], [X.] 2003, [X.] 73 <74 f.>; [X.], [X.] 2012, [X.] 576 <577>; [X.]/[X.]/[X.], [X.] 2012, [X.] 408 <408>; Kliemann, in: [X.]/[X.], Europäisches [X.]recht, 2. Aufl. 2014, Art. 107 A[X.]V Rn. 109; v. [X.]/[X.], in: [X.]/Hilf/[X.], Das Recht der [X.], Art. 107 A[X.]V Rn. 90 ; Müller-Graff, in: [X.]/[X.], Europäisches [X.]srecht, 2. Aufl. 2018, Art. 107 A[X.]V Rn. 14; vgl. auch [X.], Urteil vom 14. November 1984, [X.]/[X.], [X.]/82, [X.]. 1984, [X.] ; Urteil vom 13. März 1985, [X.] u.a./[X.], [X.]/12 u.a., [X.]. 1985, [X.] ).

bb) Das gilt in vergleichbarer Weise auch für Beihilfen von Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der [X.]. Zwar gilt Art. 107Abs. 1 A[X.]V ausschließlich für staatliche und aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen, sodass die (unmittelbare) Gewährung von Beihilfen durch Organe, Einrichtungen und sonstige Stellen der [X.] dem in den Art. 107 ff. A[X.]V geregelten [X.] nicht unterfällt (vgl. [X.], in: [X.]/[X.]., Europäisches [X.]recht, 2. Aufl. 2014, Art. 107 A[X.]V Rn. 30; [X.], in: v. der Groeben/Schwarze/[X.], Europäisches [X.]srecht, 7. Aufl. 2015, Art. 107 A[X.]V Rn. 30; [X.]/[X.], [X.] 2015, [X.] 376 <377>; [X.], in: [X.]/[X.]./[X.], [X.] Kommentar [X.]V/[X.]/A[X.]V, [X.], 2017, Art. 107 A[X.]V Rn. 10; [X.], in: [X.] Kommentar Europäisches und [X.] [X.]recht, [X.], 2. Aufl. 2018, Art. 107 A[X.]V Rn. 20). Zudem besteht bei Beihilfen von Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der [X.] nicht die Gefahr der Bevorzugung von Unternehmen eines bestimmten Mitgliedstaates (vgl. [X.], Urteil vom 16. Juli 1998, [X.] u.a./Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung, [X.]/96, [X.]. 1998, [X.] ).

Gleichwohl sind auch Organe, Einrichtungen und sonstige Stellen der [X.] insoweit nicht frei, sondern unterliegen - hinsichtlich Reichweite und Intensität uneinheitlich beurteilten - wettbewerbsrechtlichen Bindungen (vgl. [X.], in: [X.]/[X.]/[X.], [X.], 1. Aufl. 2013, Kapitel 4 Rn. 17 ff.; [X.], in: [X.]/[X.], [X.]V/A[X.]V, 5. Aufl. 2016, Art. 107 A[X.]V Rn. 82; [X.], in: Schwarze/[X.]/[X.]/[X.], [X.]-Kommentar, 4. Aufl. 2019, Art. 107 A[X.]V, Rn. 5). Andernfalls würde das von Art. 107 Abs. 1 A[X.]V verfolgte Ziel, bestimmte Unternehmen oder Wirtschaftszweige nicht einseitig durch hoheitliche oder auf hoheitliche Organe zurückführbare Maßnahmen zu begünstigen, verfehlt (vgl. [X.], Handbuch Europarecht, [X.], 2007, Rn. 82; vgl. auch 4. Erwägungsgrund der Verordnung <[X.]> Nr. 702/2014 der [X.] zur Feststellung der Vereinbarkeit bestimmter Arten von Beihilfen im Agrar- und Forstsektor und in ländlichen Gebieten mit dem Binnenmarkt in Anwendung der Artikel 107 und 108 des Vertrags über die Arbeitsweise der [X.] <[X.] Nr. L 193 vom 1. Juli 2014, [X.] 2>). Vor diesem Hintergrund muss die unmittelbare Gewährung von Beihilfen durch Organe, Einrichtungen und sonstige Stellen der [X.] zumindest mit dem Grundsatz des freien [X.] (vgl. [X.], in: v. der Groeben/Schwarze/[X.], Europäisches [X.]srecht, 7. Aufl. 2015, [X.]. zu Art. 107 bis 109 A[X.]V Rn. 16) und den in Art. 16 und Art. 17 [X.]h genannten Grundrechten vereinbar sein.

Die Organe der [X.] haben sich demgemäß verpflichtet, bei der Gewährung von [X.]sbeihilfen auf die Vermeidung von [X.]verfälschungen und [X.] zu achten (vgl. Entwurf einer Mitteilung der [X.] an die Mitgliedstaaten über die Regionalpolitik und die [X.]politik ; 4. Erwägungsgrund der Verordnung <[X.]> Nr. 702/2014 der [X.] zur Feststellung der Vereinbarkeit bestimmter Arten von Beihilfen im Agrar- und Forstsektor und in ländlichen Gebieten mit dem Binnenmarkt in Anwendung der Artikel 107 und 108 des Vertrags über die Arbeitsweise der [X.] <[X.] Nr. L 193 vom 1. Juli 2014, [X.] 2>; vgl. auch Gemeinsame Erklärung der Vertragsparteien des Abkommens über den [X.] über Beihilfen aus den [X.] oder anderen Finanzierungsinstrumenten ). Ob Beihilfen von Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der [X.] ähnlichen Beschränkungen wie mitgliedstaatliche Beihilfen unterliegen (vgl. [X.], in: [X.]/[X.]/[X.], [X.], 1. Aufl. 2013, Kapitel 4 Rn. 22), bedarf hier keiner Entscheidung. Ungeachtet des insoweit bestehenden weitreichenden Entscheidungsspielraums muss die Gewährung zur Erreichung der verfolgten [X.]sziele jedenfalls notwendig sein und mit dem Grundsatz des freien [X.] (vgl. [X.], in: [X.]/[X.], [X.]V/A[X.]V, 5. Aufl. 2016, Art. 107 A[X.]V Rn. 82) sowie den Grundrechten von Wettbewerbern abgewogen werden.

Darüber hinaus schützt Art. 16 [X.]h, der auf die in Art. 119 Abs. 1 und Abs. 3 A[X.]V statuierten objektiv-rechtlichen Prinzipien aufbaut, die [X.]freiheit. Er verleiht diesen eine abwehrrechtliche Dimension (vgl. [X.], in: v. der Groeben/Schwarze/[X.], Europäisches [X.]srecht, 7. Aufl. 2015, Art. 16 [X.]h Rn. 1; [X.], in: [X.]., [X.]h, 3. Aufl. 2016, Art. 16 Rn. 2; [X.], in: [X.], [X.]h, 5. Aufl. 2019, Art. 16 Rn. 10) und vermittelt einen subjektiv-rechtlichen Schutz vor [X.]verfälschungen (vgl. [X.], Urteil vom 22. Januar 2013, [X.]/[X.], [X.]/11, [X.]:[X.], Rn. 42; Urteil vom 17. Oktober 2013, [X.]/[X.], [X.]/12, [X.]:[X.], Rn. 27). Art. 16 [X.]h ist zudem auf die gleichberechtigte Teilhabe an einem unverfälschten Wettbewerb ausgerichtet (vgl. [X.], [X.] 2008, [X.] 468 <476>; [X.], [X.] 2012, [X.]28 <628 f.>; [X.], in: [X.]., [X.]h, 3. Aufl. 2016, Art. 16 Rn. 9; [X.], in: [X.]/[X.]/[X.], [X.] Kommentar [X.]V/[X.]/A[X.]V, 1. Aufl. 2017, Art. 16 [X.]h Rn. 11; vgl. auch [X.], in: v. der Groeben/Schwarze/[X.], Europäisches [X.]srecht, 7. Aufl. 2015, Art. 16 [X.]h Rn. 8; [X.], in: [X.], [X.]h, 5. Aufl. 2019, Art. 16 Rn. 15).

cc) Vor diesem Hintergrund ist es nicht ausgeschlossen, dass die im Rahmen des [X.] von den nationalen Zentralbanken vorgenommenen Anleihekäufe gegen das Primärrecht verstoßen, weil das Programm großen - emittierenden und damit programmfähigen - Unternehmen, die sich allein auf dem Kapitalmarkt refinanzieren, verbesserte Kreditbedingungen verschafft. Hierdurch kann es den Wettbewerb zwischen den Unternehmen verzerren. Soweit das Eurosystem Anleihen direkt von den Unternehmen erwirbt, bewirkt dies zudem eine unmittelbare Versorgung der Wirtschaft mit Zentralbankgeld - unter Umgehung des Finanzsektors. Insofern könnten sich die vom [X.] vorgesehenen Anleihekäufe als eine beihilfeähnliche Kreditvergabe an die Realwirtschaft darstellen, und damit als eine Tätigkeit, die wirtschaftspolitischer Natur ist.

c) Die [X.] der Beschwerdeführer zu [X.] und zu I[X.] genügen jedoch nicht den gesetzlichen Begründungsanforderungen. Sie legen nicht dar, dass die begünstigten Unternehmen durch den Erwerb von Unternehmensanleihen durch das Eurosystem unter Verstoß gegen das Primärrecht der Sache nach subventioniert werden und dass es sich dabei um eine offensichtliche und strukturell bedeutsame Überschreitung des in Art. 127 A[X.]V niedergelegten Mandats der [X.] durch den [X.] handelt. Die Beschwerdeführer erschöpfen sich vielmehr in der Behauptung, dass Unternehmen, die Zugang zum Anleihemarkt und damit zu günstigeren Finanzierungsbedingungen hätten, begünstigt würden und dies eine [X.]verzerrung darstelle.

Ausführungen zur Offensichtlichkeit eines Verstoßes gegen das Primärrecht fehlen, ebenso dazu, welche Maßstäbe an die Vergabe von Beihilfen durch Organe, Einrichtungen und sonstige Stellen der [X.] anzulegen sind und ob Art. 107 Abs. 1 A[X.]V auch auf diese Anwendung findet. Das wäre schon deshalb erforderlich gewesen, weil diese Frage ungeklärt und im Schrifttum umstritten ist. [X.] Darlegungen hätte in diesem Zusammenhang auch bedurft, ob sich ein marktwirtschaftlich handelnder Kapitalgeber bei den Ankäufen an[X.] verhalten hätte, als es die nationalen Zentralbanken bei ihren Ankäufen im Rahmen des [X.] tun.

Die Beschwerdeführer legen schließlich auch nicht dar, dass ein möglicher Verstoß gegen die unionale Kompetenzordnung strukturell bedeutsam ist. Ihr Vortrag enthält keine näheren Konkretisierungen, etwa zu den von den Ankäufen im Rahmen des [X.] betroffenen Unternehmen und Wirtschaftszweigen sowie zum Ausmaß der von ihnen behaupteten [X.]verzerrung. Eine selektive Begünstigung einzelner Unternehmen wird ebenfalls nicht dargelegt. Das wäre im Hinblick auf das (relativ) geringe Ankaufvolumen im Rahmen des [X.] jedoch erforderlich gewesen, weil ein strukturell bedeutsamer Verstoß insoweit gerade nicht auf der Hand liegt.

Einer Entscheidung über den Antrag der Beschwerdeführer zu I[X.] vom 31. Januar 2019 auf Ruhen des Verfahrens bedarf es somit nicht.

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 [X.]G abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

2 BvR 71/20, 2 BvR 72/20

15.06.2020

Bundesverfassungsgericht 2. Senat 2. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend BVerfG, 14. Januar 2020, Az: 2 BvR 859/15, Beschluss

Art 93 Abs 1 Nr 4a GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 90 Abs 1 BVerfGG, § 92 BVerfGG, Art 107 Abs 1 AEUV, Art 107ff AEUV, Art 119 Abs 1 AEUV, Art 119 Abs 3 AEUV, EUBes 2016/16, Art 16 EUGrdRCh, Art 17 EUGrdRCh

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 15.06.2020, Az. 2 BvR 71/20, 2 BvR 72/20 (REWIS RS 2020, 2856)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 2856


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 2 BvR 859/15, 2 BvR 1651/15, 2 BvR 2006/15, 2 BvR 980/16

Bundesverfassungsgericht, 2 BvR 859/15, 2 BvR 1651/15, 2 BvR 2006/15, 2 BvR 980/16, 27.05.2020.

Bundesverfassungsgericht, 2 BvR 859/15, 2 BvR 1651/15, 2 BvR 2006/15, 2 BvR 980/16, 05.05.2020.

Bundesverfassungsgericht, 2 BvR 859/15, 2 BvR 1651/15, 2 BvR 2006/15, 2 BvR 980/16, 10.10.2017.

Bundesverfassungsgericht, 2 BvR 859/15, 2 BvR 1651/15, 2 BvR 2006/15, 2 BvR 980/16, 18.07.2017.


Az. 2 BvR 859/15, 2 BvR 980/16

Bundesverfassungsgericht, 2 BvR 859/15, 2 BvR 980/16, 14.01.2020.


Az. 2 BvR 859/15

Az. 2 BvR 71/20, 2 BvR 72/20

Bundesverfassungsgericht, 2 BvR 71/20, 2 BvR 72/20, 15.06.2020.


Az. 2 BvR 2006/15

Bundesverfassungsgericht, 2 BvR 2006/15, 12.01.2021.


Az. 2 BvR 1651/15, 2 BvR 2006/15

Bundesverfassungsgericht, 2 BvR 1651/15, 2 BvR 2006/15, 29.04.2021.


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