Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 15.09.2020, Az. 1 BvR 2435/18, 1 BvR 2520/18, 1 BvR 908/19

1. Senat 2. Kammer | REWIS RS 2020, 2993

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

BEFANGENHEIT GRUNDRECHTE BANK- UND KAPITALMARKTRECHT VW PORSCHE

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Zum Anspruch auf hinreichende Sachaufklärung im Verfahren über ein Ablehnungsgesuch - Sowie zu den Voraussetzungen einer Vorbefassung iSd § 41 Nr 6 ZPO bzgl der Mitwirkung an Geschäftsverteilungsplänen - hier: Verletzung von Grundrechten durch Handhabung von Ablehnungsgesuchen in einem KapMuG-Verfahren teils nicht hinreichend dargelegt, teils nicht gegeben


Tenor

Die [X.] werden nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

1

Die [X.] richten sich gegen die Zurückweisung dreier aufeinanderfolgender Befangenheitsanträge im Rahmen eines laufenden [X.] (im Folgenden: Musterverfahren) nach dem Gesetz über Musterverfahren in kapitalmarktrechtlichen Streitigkeiten ([X.]gesetz - [X.]). Bei der Beschwerdeführerin handelt es sich um die Musterklägerin.

2

1. Innerhalb des für das Musterverfahren zuständigen Senats des [X.] fanden nach Beginn des [X.] mehrere aufeinanderfolgende [X.]wechsel statt; auch der Berichterstatter wechselte mehrfach. Im Zusammenhang mit einem [X.]ablehnungsgesuch, das nicht Gegenstand der [X.] ist, bat der Bevollmächtigte der Beschwerdeführerin für die [X.]beschwerdeverfahren den Vorsitzenden des Senats um Übersendung der senatsinternen [X.]. Daraufhin übersandte der Senatsvorsitzende [X.] vom 1. September 2017, 1. Januar 2018 und 1. April 2018. Einen weiteren Beschluss über die Geschäftsverteilung ab dem 1. März 2018 erhielten die Prozessbevollmächtigten der Beschwerdeführerin für das Musterverfahren, nicht aber der Bevollmächtigte für die [X.]beschwerdeverfahren, erst nach einem weiteren Ablehnungsgesuch wegen vermeintlicher Unstimmigkeiten, welche die an dem Musterverfahren beteiligten [X.] betrafen. Die [X.] weisen das Musterverfahren jeweils einem der Beisitzer als Berichterstatter zu, zuletzt einem neu in den Senat eingetretenen [X.] am [X.], der nach dem Beschluss über die Geschäftsverteilung ab dem 1. März 2018 ausschließlich mit dem Musterverfahren befasst war. In dem Beschluss über die senatsinterne Geschäftsverteilung ab dem 1. April 2018 heißt es wörtlich: "Zuständig für das Musterverfahren (…) ist nunmehr [X.] ([X.])". Außerdem geht aus den Beschlüssen hervor, dass der Senat mit fünf, beziehungsweise − im März 2018 − mit sechs [X.]n einschließlich des Vorsitzenden besetzt war.

3

2. Die Beschwerdeführerin lehnte daraufhin den Senatsvorsitzenden sowie den Berichterstatter für das Musterverfahren wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Sie vertritt die Ansicht, der Beschluss vom 1. März 2018 sei entweder dem Bevollmächtigten bewusst vorenthalten oder nachträglich gefälscht worden, um zum einen eine unzulässige Überbesetzung des Senats im März 2018 und zum anderen die ebenfalls unzulässige Zuweisung der Berichterstattung zu verschleiern; dies begründe Zweifel an der Unvoreingenommenheit des Vorsitzenden.

4

[X.] vom 10. September 2018, der Gegenstand der [X.]beschwerde 1 BvR 2435/18 ist, wies der Senat durch eine [X.]in sowie zwei weitere [X.] den Befangenheitsantrag der Beschwerdeführerin gegen den Senatsvorsitzenden und den Berichterstatter für das Musterverfahren zurück. Die Zuweisung der Berichterstattung beruhe auf dem sachlichen Grund, dass dem neu eingetretenen [X.] die Möglichkeit zur Einarbeitung in das Musterverfahren unter Freistellung von den übrigen Senatsgeschäften gegeben worden sei. Ohnehin hätten die Parteien keinen Anspruch auf die Berichterstattung durch eine bestimmte Person innerhalb der Sitzgruppe. Eine bewusste Zurückhaltung oder nachträgliche Fälschung des [X.] vom 1. März 2018 sei nicht ersichtlich.

5

3. Daraufhin lehnte die Beschwerdeführerin die [X.]in wegen der Besorgnis der Befangenheit ab. Es liege nahe, dass in ihrer Person ein Ausschließungsgrund gemäß § 41 Nr. 6 ZPO vorliege, der sie hindere, an der Entscheidung über das vorangegangene Ablehnungsgesuch mitzuwirken. Denn die [X.]in habe an den Beschlüssen über die senatsinterne Geschäftsverteilung ab dem 1. März 2018 und ab dem 1. April 2018 mitgewirkt.

6

[X.] vom 4. Oktober 2018, der Gegenstand der [X.]beschwerde 1 BvR 2520/18 ist, wies der Senat das Ablehnungsgesuch betreffend die [X.]in als unbegründet zurück. Sie sei nicht nach § 41 Nr. 6 ZPO analog von der Ausübung des [X.]amtes ausgeschlossen gewesen, da es sich bei den Beschlüssen über die senatsinterne Geschäftsverteilung nicht um mit einem ordentlichen Rechtsmittel angreifbare Entscheidungen handele. Eine analoge Anwendung des § 41 Nr. 6 ZPO komme nicht in Betracht.

7

4. Im Zusammenhang mit einem weiteren, hier nicht gegenständlichen Ablehnungsgesuch gab der Senatsvorsitzende eine dienstliche Stellungnahme ab, in der er unter anderem auf die Versendung der [X.] einging. Daraufhin lehnte eine der Beigeladenen des [X.] den Senatsvorsitzenden erneut wegen der Besorgnis der Befangenheit ab; die Beschwerdeführerin schloss sich dem Befangenheitsantrag an. Der Vorsitzende habe eine unwahre Erklärung des Inhalts abgegeben, der Senat habe die senatsinterne Geschäftsverteilung für den Monat März 2018 an den Bevollmächtigten im [X.]beschwerdeverfahren nachgesandt. Damit stelle der Senatsvorsitzende die unterlassene Versendung als ein korrigiertes Versehen und damit als eine "unbedeutende Lappalie" dar. Dies werde den Umständen jedoch nicht gerecht.

8

[X.] vom 28. März 2019, der Gegenstand der [X.]beschwerde 1 BvR 908/19 ist, wies der Senat das Ablehnungsgesuch als unbegründet zurück, ohne zuvor eine dienstliche Äußerung des abgelehnten [X.]s einzuholen.

9

5. Die von der Beschwerdeführerin in allen drei [X.] erhobenen Anhörungsrügen blieben jeweils erfolglos.

Die Beschwerdeführerin rügt mit ihren [X.] eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG, eine Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen [X.] aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG sowie eine Verletzung des allgemeinen Justizgewährungsanspruchs aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG.

1. Der Senat habe den das [X.] beherrschenden Amtsermittlungsgrundsatz und damit Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verletzt, indem er es versäumt habe, durch Einholung dienstlicher Stellungnahmen aller an den Beschlüssen über die Geschäftsverteilung beteiligten [X.] die Umstände der Zuweisung der Berichterstattung für das Musterverfahren weiter aufzuklären.

Des Weiteren verletze der Beschluss über das Ablehnungsgesuch die Beschwerdeführerin in ihrem grundrechtsgleichen Recht auf den gesetzlichen [X.] aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, soweit an dem Beschluss die [X.]in am [X.] mitgewirkt habe. Diese sei sowohl gemäß § 42 Abs. 1, Abs. 2 ZPO befangen als auch gemäß § 41 Nr. 6 ZPO analog von der Ausübung des [X.]amtes in dieser Sache ausgeschlossen, da sie an dem senatsinternen Geschäftsverteilungsplan mitgewirkt und somit in eigener Sache entschieden habe.

2. Aus denselben Gründen verletze auch die Zurückweisung des [X.] gegen die [X.]in die Beschwerdeführerin in ihrem Recht auf den gesetzlichen [X.] aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.

3. Der Beschluss des Senats, mit dem das erneute Ablehnungsgesuch gegen den Senatsvorsitzenden zurückgewiesen wurde, verletze schließlich Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG sowie Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem [X.] in der Ausprägung des Anspruchs auf Justizgewähr. Angesichts der objektiven Unwahrheit der dienstlichen Erklärung des Senatsvorsitzenden, die dieser offensichtlich in Kenntnis der Unwahrheit abgegeben habe, erweise sich die Zurückweisung des [X.], ohne zuvor eine dienstliche Stellungnahme des Senatsvorsitzenden einzuholen, als willkürlich und unhaltbar.

Die [X.] werden nicht zur Entscheidung angenommen, da die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 [X.] nicht vorliegen. Den [X.] kommt weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu, noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 [X.] genannten Rechte angezeigt (§ 93a Abs. 2 [X.]). Die [X.] 1 BvR 2435/18 und 1 BvR 2520/18 sind nicht ausreichend begründet ([X.]). Auch die [X.]beschwerde 1 BvR 908/19 hat mangels eines plausiblen Grundes für die Annahme von Befangenheit keine Aussicht auf Erfolg (I[X.]).

Die [X.] 1 BvR 2435/18 und 1 BvR 2520/18 sind schon mangels einer den Anforderungen der § 92, § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 [X.] genügenden Begründung unzulässig.

1. Nach diesen Vorschriften ist die Beschwerdeführerin gehalten, den Sachverhalt, aus dem sich die Grundrechtsverletzung ergeben soll, substantiiert und schlüssig darzulegen. Ferner muss sich die [X.]beschwerde mit dem zugrundeliegenden einfachen Recht sowie mit der verfassungsrechtlichen Beurteilung des vorgetragenen Sachverhalts auseinandersetzen und hinreichend substantiiert darlegen, dass eine Grundrechtsverletzung möglich erscheint (vgl. [X.] 89, 155 <171>; 108, 370 <386 f.>). Liegt zu den mit der [X.]beschwerde aufgeworfenen [X.]fragen Rechtsprechung des [X.] bereits vor, so ist der behauptete [X.] in Auseinandersetzung mit den vom [X.] entwickelten Maßstäben zu begründen (vgl. [X.] 123, 186 <234>; 130, 1 <21>).

2. Eine Verletzung der Beschwerdeführerin in ihren Grundrechten weisen die [X.] 1 BvR 2435/18 und 1 BvR 2520/18 aber nicht auf.

a) Insbesondere wird die Rüge der Beschwerdeführerin nicht hinreichend begründet, der mit der [X.]beschwerde 1 BvR 2435/18 angegriffene Beschluss über die Zurückweisung des [X.] gegen den Senatsvorsitzenden und den Berichterstatter für das Musterverfahren genüge nicht dem Grundsatz der Amtsermittlung und verletze das [X.] in der Ausprägung des Anspruchs auf Justizgewähr.

[X.]) Das Rechtsst[X.]tsprinzip des Grundgesetzes enthält auch die Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes, der die grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Verfahrensgegenstands ermöglichen muss (vgl. [X.] 54, 277 <291>; 101, 275 <294 f.>). Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verleiht dem Einzelnen einen Anspruch auf eine tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle. Eine Verletzung der einfachgesetzlichen Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung begründet aber grundsätzlich noch keinen [X.]verstoß. Ein [X.]verstoß kommt vielmehr nur unter besonderen Umständen in Betracht (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 14. September 2015 - 1 BvR 1321/13 -, Rn. 21 f.).

bb) Solche besonderen Umstände werden von der Beschwerdeführerin indes weder vorgetragen, noch sind sie sonst ersichtlich.

(1) Nach der Rechtsauffassung des Senats des [X.] hatten die Parteien keinen Anspruch auf die Übernahme der Berichterstattung durch eine bestimmte Person innerhalb der Sitzgruppe, so dass für den Senatsvorsitzenden kein Anlass bestand, die Zuweisung des [X.] an den Berichterstatter zu verschleiern. Eine weitere Sachverhaltsaufklärung war daher mangels Entscheidungserheblichkeit nicht erforderlich.

(2) Diese Rechtsauffassung entspricht sowohl der Rechtsprechung von [X.] und [X.] (vgl. [X.] 95, 322 <331>; [X.], 63 <79 f.>; [X.], Beschluss vom 8. Januar 2009 - 5 StR 537/08 -, NJW 2009, S. 931 <932>) als auch der Literatur (vgl. [X.], in: [X.]/[X.], [X.], 9. Aufl. 2018, § 21g Rn. 41; [X.], in: [X.] Kommentar ZPO, 5. Aufl. 2017, § 21g [X.] Rn. 5; kritisch [X.], in: BeckOK [X.], § 21g Rn. 5 (Mai 2020) m.w.N.). Danach kann der Vorsitzende grundsätzlich im Einzelfall nach seinem Ermessen ohne Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG bestimmen, wer von den Mitgliedern einer konkreten Sitzgruppe die Aufgaben des Berichterstatters wahrnimmt.

Zwar unterliegen die Gerichte bei der Erstellung der [X.] hinsichtlich der Festlegung der Zuständigkeit der Spruchkörper und der Zuweisung der [X.] den Bindungen des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Für einen überbesetzten Spruchkörper muss sich außerdem aus dem spruchkörperinternen Geschäftsverteilungsplan durch eine abstrakt-generelle und hinreichend klare Regelung ergeben, welcher [X.] bei der Entscheidung welcher Verfahren mitwirkt (vgl. [X.] 95, 322 <328 ff.>). Das Gebot des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verlangt dementsprechend auch, dass immer dann, wenn die Entscheidung eines Rechtsstreits vom Kollegialgericht auf den Einzelrichter übertragen werden kann und der Einzelrichter der jeweilige Berichterstatter sein soll oder die Zusammensetzung der Sitzgruppe von der Person des Einzelrichters abhängt, bereits im Geschäftsverteilungsplan geregelt sein muss, welche [X.] für die anhängig werdenden Sachen jeweils Berichterstatter sein werden (vgl. [X.] 95, 322 <330 f.>).

Nach dem Plan für die senatsinterne Geschäftsverteilung des für das Musterverfahren zuständigen Senats ab dem 1. April 2018 übernimmt eine etwaige Einzelrichtertätigkeit, wem nach dem Geschäftsverteilungsplan die Berichterstattung zugewiesen ist. Die Bestimmung des Berichterstatters hat demnach zwar unmittelbar Auswirkungen auf die Person des Einzelrichters. Allerdings entfaltet diese Regelung keine Bedeutung für Musterverfahren nach dem [X.]gesetz ([X.]), da nach § 11 Abs. 1 Satz 2 [X.] die Übertragung auf den Einzelrichter nach §§ 348 ff. ZPO ausgeschlossen ist. Damit bestand aber kein Anlass für den Senatsvorsitzenden, die Zuweisung der Berichterstattung für das Musterverfahren an einen bestimmten Beisitzer durch Zurückhaltung oder Fälschung von [X.]n zu verschleiern. Somit war auch der von der Beschwerdeführerin gerügte Umgang des Senatsvorsitzenden mit den [X.]n nicht geeignet, die Besorgnis der Befangenheit zu begründen, so dass im Rahmen des [X.]s auch kein Anlass für weitere Nachforschungen bestand.

(3) Soweit die Beschwerdeführerin darüber hinaus ein weiteres Motiv für die ursprüngliche Nichtversendung des Beschlusses über die Geschäftsverteilung ab dem 1. März 2018 in einer unzulässigen Überbesetzung des für das Musterverfahren zuständigen Senats mit dem Doppelten seiner gesetzlichen Mitgliederzahl im Monat März 2018 zu erkennen glaubt, legt sie bereits nicht substantiiert dar, dass dies von [X.] wegen zu beanstanden wäre.

Der [X.] war ausweislich des Beschlusses über die Geschäftsverteilung ab dem 1. März 2018 mit sechs [X.]n einschließlich des Vorsitzenden und damit mit dem Doppelten seiner gesetzlichen Mitgliederzahl nach § 122 Abs. 1 [X.] besetzt. Zwar galt nach mehreren frühen Entscheidungen des [X.] (vgl. [X.] 17, 294 <301>; 18, 65, <70>; 18, 344 <349 f.>), dass im Hinblick auf Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ein Spruchkörper jeweils nur weniger als das Doppelte seiner gesetzlichen Mitgliederzahl haben dürfe (vgl. [X.], in: [X.]/[X.], [X.], 9. Aufl. 2018, § 21e Rn. 130). Seit der Entscheidung des Plenums des [X.] vom 8. April 1997 (vgl. [X.] 95, 322 <327 ff.>) ist jedoch geklärt, dass auch auf [X.] des − überbesetzten − Spruchkörpers abstrakt-generelle Regelungen für die Mitwirkung der [X.] aufgestellt werden müssen. Wenn solche abstrakt-generellen [X.] bestehen, ist aber eine strenge zahlenmäßige Begrenzung auf weniger als das Doppelte der gesetzlichen Mitgliederzahl eines Spruchkörpers zur Gewährleistung des gesetzlichen [X.]s jedenfalls dann grundsätzlich nicht erforderlich, wenn sich die beteiligten [X.] an einem Verfahren aus dem Geschäftsverteilungsplan ergeben (für die besondere Situation einer Großen Strafkammer offen gelassen in [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 3. Mai 2004 - 2 BvR 1825/02 -, Rn. 12 f.).

Die Beschwerdeführerin hätte sich zur Begründung der behaupteten Unzulässigkeit der Überbesetzung daher mit den Anforderungen an die Geschäftsverteilung innerhalb eines überbesetzten Spruchkörpers auseinandersetzen und deren Umsetzung im konkreten Fall darlegen müssen; allein der Verweis auf die Anzahl von sechs [X.]n reicht zur Begründung eines Verstoßes gegen die Garantie des gesetzlichen [X.]s aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG jedenfalls nicht aus.

b) Auch die Rüge, der [X.] habe mit falscher Besetzung entschieden und so das Recht der Beschwerdeführerin auf den gesetzlichen [X.] nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt, wird nicht hinreichend substantiiert begründet.

[X.]) Eine "Entziehung" des gesetzlichen [X.]s kann nicht in jeder fehlerhaften Rechtsanwendung gesehen werden. Die Grenzen zum [X.]verstoß sind erst dann überschritten, wenn die Auslegung einer Zuständigkeitsnorm oder ihre Handhabung im Einzelfall willkürlich oder offensichtlich unhaltbar ist oder wenn die richterliche Entscheidung Bedeutung und Tragweite der [X.]garantie des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkennt (vgl. [X.] 3, 359 <364>; 29, 45 <49>; 58, 1 <45>; 82, 159 <197>; 82, 286 <299>; 131, 268 <311 f.>).

bb) Aus dem Vortrag der Beschwerdeführerin ergibt sich indes nicht, dass die Mitwirkung der [X.]in am [X.] an der angegriffenen Entscheidung offensichtlich unhaltbar gewesen wäre.

(1) Das [X.] hat bereits wiederholt entschieden, dass Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG keine verfassungskonforme Auslegung dahingehend gebietet, dass über den Wortlaut des § 41 Nr. 6 ZPO hinaus in Fällen, in denen der [X.] ohne Beteiligung an der angefochtenen Entscheidung mit der Sache bereits befasst war, er von der Ausübung des [X.]amtes ausgeschlossen ist (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 4. Juli 2001 - 1 BvR 730/01 -, Rn. 10; Beschluss der [X.] des [X.] vom 2. Oktober 2017 - 1 BvR 1574/17 -, Rn. 12). Das geltende Verfahrensrecht ist von dem Gedanken geprägt, dass ein [X.] grundsätzlich auch dann unvoreingenommen an die Beurteilung einer Sache herantritt, wenn er sich schon früher über denselben Sachverhalt ein Urteil gebildet hat (vgl. [X.] 30, 149 <153 f.>). Bei der näheren Ausgestaltung denkbarer Konfliktfälle steht dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum zu (vgl. [X.] 30, 149 <154>). Der Ausschluss kraft Gesetzes nach § 41 Nr. 6 ZPO ist geeignet, für bestimmte Fallgruppen aus sich heraus Klarheit zu schaffen. Daneben ermöglicht das [X.] nach §§ 42 ff. ZPO die Berücksichtigung von besonderen Umständen des Einzelfalls. Auf dieser Grundlage kann bei gegebenem Anlass den Belangen der Prozessparteien auch dann Rechnung getragen werden, wenn § 41 Nr. 6 ZPO nicht eingreift (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 4. Juli 2001 - 1 BvR 730/01 -, Rn. 10).

(2) Über eine analoge Anwendung des § 41 Nr. 6 ZPO wird zwar in solchen Fällen diskutiert, in denen ein [X.] an einem vorausgegangenen nicht-gerichtlichen Verfahren (z.B. einem Verwaltungsverfahren) beteiligt war (vgl. [X.], in: [X.], ZPO, 23. Aufl. 2014, § 41 Rn. 17). Die Darstellung der diesbezüglichen Rechtsauffassung der Beschwerdeführerin ist indes nicht geeignet zu begründen, warum die Auffassung des Senats des [X.], wonach eine analoge Anwendung auf die Mitwirkung an [X.] nicht geboten ist, offensichtlich unhaltbar sein sollte.

(3) Die Beschwerdeführerin legt auch nicht substantiiert dar, dass der Senat in willkürlicher oder offensichtlich unhaltbarer Weise eine Besorgnis der Befangenheit im Sinne des § 42 Abs. 1, Abs. 2 ZPO hinsichtlich der abgelehnten [X.]in verneint habe.

Die Mitwirkung an der spruchkörperinternen Geschäftsverteilung allein führt nicht zu Zweifeln an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung der mitwirkenden [X.], wenn in einem nachfolgenden Verfahren Fragen zum Zustandekommen oder zu einzelnen Formulierungen des [X.] zu klären sind. Vielmehr müssen besondere Umstände hinzukommen, die vom Standpunkt des [X.] aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der [X.] stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber. Solche besonderen Umstände hat die Beschwerdeführerin indes weder vorgetragen noch sind sie sonst ersichtlich.

Soweit die Beschwerdeführerin mit der [X.]beschwerde 1 BvR 908/19 eine Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG und Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG durch die Zurückweisung ihres erneuten [X.] gegen den Senatsvorsitzenden geltend macht, ist eine Annahme der [X.]beschwerde ebenfalls nicht angezeigt. Die [X.]beschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg (vgl. [X.] 90, 22 <25 f.>).

Weder für die [X.]ablehnung noch für die anschließende Anhörungsrüge der Beschwerdeführerin gab es einen vernünftigen Anlass. Für sie ist unerheblich, ob der Beschluss ihren Prozessbevollmächtigten für das Musterverfahren oder ihrem Bevollmächtigten für die [X.]beschwerdeverfahren zugesandt wurde; für eine bewusste Vorenthaltung gegenüber dem Bevollmächtigten für das [X.]beschwerdeverfahren sind Gründe nicht ersichtlich. Da mit hinreichender Sicherheit der Erfolg des Antrags ausgeschlossen werden konnte, führte dessen Zurückweisung auch ohne vorherige Einholung einer dienstlichen Stellungnahme des abgelehnten [X.]s nicht zu einem die Annahme der [X.]beschwerde rechtfertigenden Nachteil (vgl. [X.], Beschluss des [X.] vom 23. Oktober 2007 - 1 BvR 782/07 -, Rn. 29).

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 [X.] abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvR 2435/18, 1 BvR 2520/18, 1 BvR 908/19

15.09.2020

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 2. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend OLG Celle, 8. Oktober 2018, Az: 13 Kap 1/16, Beschluss

Art 2 Abs 1 GG, Art 20 Abs 3 GG, Art 101 Abs 1 S 2 GG, § 23 Abs 1 S 2 Halbs 1 BVerfGG, § 92 BVerfGG, § 11 Abs 1 S 2 KapMuG 2012, § 41 Nr 6 ZPO, § 42 Abs 1 ZPO, § 42 Abs 2 ZPO, § 45 Abs 1 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 15.09.2020, Az. 1 BvR 2435/18, 1 BvR 2520/18, 1 BvR 908/19 (REWIS RS 2020, 2993)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 2993

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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1 BvR 1321/13

1 BvR 1574/17

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