BT-Drucksache 17/7646

Aufwandsentschädigungen für kommunale Mandatsträgerinnen und Mandatsträger sowie Amtsträgerinnen und Amtsträger nicht auf Leistungen nach dem Zweiten und Zwölften Buch Sozialgesetzbuch anrechnen

Vom 9. November 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/7646
17. Wahlperiode 09. 11. 2011

Antrag
der Abgeordneten Katrin Kunert, Katja Kipping, Dr. Dietmar Bartsch, Diana Golze,
Herbert Behrens, Karin Binder, Matthias W. Birkwald, Heidrun Bluhm,
Steffen Bockhahn, Dr. Martina Bunge, Roland Claus, Heidrun Dittrich,
Dr. Dagmar Enkelmann, Klaus Ernst, Dr. Rosemarie Hein, Dr. Barbara Höll,
Harald Koch, Jutta Krellmann, Caren Lay, Sabine Leidig, Michael Leutert,
Dr. Gesine Lötzsch, Thomas Lutze, Ulrich Maurer, Cornelia Möhring,
Kornelia Möller, Petra Pau, Jens Petermann, Yvonne Ploetz, Ingrid Remmers,
Dr. Ilja Seifert, Kathrin Senger-Schäfer, Dr. Petra Sitte, Kersten Steinke,
Sabine Stüber, Alexander Süßmair, Dr. Kirsten Tackmann, Frank Tempel,
Dr. Axel Troost, Kathrin Vogler, Halina Wawzyniak, Harald Weinberg,
Jörn Wunderlich, Sabine Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Aufwandsentschädigungen für kommunale Mandatsträgerinnen
und Mandatsträger sowie Amtsträgerinnen und Amtsträger nicht auf Leistungen
nach dem Zweiten und Zwölften Buch Sozialgesetzbuch anrechnen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Dem ehrenamtlichen Engagement kommt in der Gesellschaft eine gewichtige
Rolle zu. Die Bereitschaft der Bürgerinnen und Bürger, ehrenamtliche Tätigkei-
ten zu übernehmen, verdient daher die Anerkennung und Würdigung durch die
Gesellschaft und den Staat.

Dies gilt insbesondere auch für diejenigen Bürgerinnen und Bürger, die sich als
ehrenamtliche Mitglieder in Gemeinde- und Kreisvertretungen engagieren und
ehrenamtliche kommunale Ämter (z. B. ehrenamtliche Bürgermeisterinnen und
Bürgermeister, Orts- und Bezirksvorsteherinnen und -vorsteher usw.) bekleiden.
Gerade weil derartige kommunale Mandate und Ämter im Gegensatz zu politi-
schen Mandaten und Ämtern auf Bundes- und Landesebene nicht mit Diäten
oder sonstigen Vergütungen verbunden sind, ist die Kommunalpolitik in beson-
derem Maße auf die Bereitschaft der Bürgerinnen und Bürger zum ehrenamt-
lichen Engagement angewiesen. Ehrenamtliche kommunale Mandatsträgerinnen
und Mandatsträger sowie Amtsträgerinnen und Amtsträger leisten einen wert-
vollen Beitrag zur Lebendigkeit der Demokratie in den Kommunen und wirken
so auch Politikverdrossenheit und sinkender Wahlbeteiligung entgegen.
Vor diesem Hintergrund ist seitens des Bundesgesetzgebers darauf hinzuwir-
ken, dass der Zugang zu ehrenamtlichen kommunalen Mandaten und Ämtern
und deren Ausübung für alle Bürgerinnen und Bürger gleichermaßen gewähr-
leistet ist. Dies beinhaltet insbesondere auch, dass Beziehende von Leistungen
nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) bei der Ausübung eines
ehrenamtlichen kommunalen Mandates oder Amtes weder unmittelbar noch
mittelbar schlechter gestellt werden dürfen als sonstige Bürgerinnen und Bür-

Drucksache 17/7646 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
ger. Der Zugang zum ehrenamtlichen kommunalen Engagement muss auch
Hartz-IV-Leistungsberechtigten offen stehen.

Pauschale Aufwandsentschädigungen werden seit der jüngsten Hartz-IV-Re-
form grundsätzlich wie Einnahmen aus Erwerbstätigkeit behandelt, wobei ein
erhöhter monatlicher Grundfreibetrag in Höhe von 175 Euro eingeräumt wird
(§ 11b Absatz 2 Satz 3 SGB II). Die Nichtberücksichtigung als Einkommen
gemäß § 11a Absatz 3 SGB II soll nur dann zur Anwendung kommen, wenn die
gegenständliche Leistung mit einer ausdrücklichen Zweckbestimmung (z. B.
Fahrtkostenentschädigung, Kleidergeld, Materialkostenpauschale) versehen ist.
Die Deklarierung als Aufwandsentschädigung ist insoweit nicht ausreichend.
Von Einnahmen, die über die 175 Euro hinausgehen und nicht höher als 1 000
Euro sind, bleiben 20 Prozent anrechnungsfrei (§ 11b Absatz 3 SGB II).

Bei SGB-II-Beziehenden, die neben ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit noch ein
sonstiges (geringes) Einkommen haben, wird unter Umständen sogar ein höhe-
rer Betrag als nach alter Rechtslage angerechnet.

Die derzeitige Rechtslage führt in der Praxis dazu, dass ein Thüringer Ortsteil-
bürgermeister, der eine Aufwandsentschädigung in Höhe von insgesamt 475,50
Euro erhält, hiervon knapp die Hälfte, nämlich 225,40 Euro angerechnet be-
kommt.

Im Ergebnis führt der gegenwärtige Rechtszustand dazu, dass ehrenamtliche
Mandatsträgerinnen und Mandatsträger sowie Amtsträgerinnen und Amtsträger,
die keine Leistungen nach dem SGB II erhalten, ihre (pauschale) Aufwandsent-
schädigung zwar versteuern müssen, diese aber im Übrigen behalten dürfen. Bei
Hartz-IV-Leistungsberechtigten werden hingegen Aufwandsentschädigungen,
die über den Grundfreibetrag in Höhe von 175 Euro hinausgehen, zu 80 Prozent
angerechnet. Eine Nichtanrechnung soll nur erfolgen, soweit im konkreten Ein-
zelfall durch Rechnungen, Belege und Ähnliches detailliert nachgewiesen
werden kann, dass Aufwendungen tatsächlich entstanden sind. Dies ist für die
Betroffenen natürlich mit entsprechendem zusätzlichem Aufwand verbunden
und in der Praxis kaum umsetzbar. Zudem erhöht sich der Aufwand für die Mit-
arbeiterinnen und Mitarbeiter der jeweiligen Verwaltung, die die Belege kontrol-
lieren und administrieren müssen.

In Bezug auf die Anrechnung von Aufwandsentschädigungen auf Leistungen
nach dem SGB XII wird unter Verweis auf einen älteren Beschluss des Bundes-
verwaltungsgericht (Beschluss vom 5. Juli 1989; 5 B 27/89) zwar vertreten,
dass keine Anrechnung stattfindet (vgl. z. B. Wahrendorf in Grube/Wahrendorf,
SGB XII Sozialhilfe, 3. Auflage 2010, § 83 Rn. 8), aus Klarstellungsgründen
ist aber auch im SGB XII diesbezüglich eine eindeutige Regelung zu treffen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

einen Gesetzentwurf vorzulegen, der das Zweite und das Zwölfte Buch Sozial-
gesetzbuch dahingehend ändert, dass Aufwandsentschädigungen für ehrenamt-
liche kommunale Mandatsträgertätigkeit nicht auf die Grundsicherung nach
diesen Gesetzen anzurechnen sind.

Berlin, den 9. November 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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