BT-Drucksache 16/11342

Wirkungsvolle Hilfen in Konfliktsituationen während der Schwangerschaft ausbauen - Volle Teilhabe für Menschen mit Behinderung sicherstellen

Vom 10. Dezember 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/11342
16. Wahlperiode 10. 12. 2008

Antrag
der Abgeordneten Christel Humme, Irmingard Schewe-Gerigk, Elke Ferner, Caren
Marks, Dr. Carola Reimann, Birgitt Bender, Priska Hinz (Herborn), Dr. Peter Struck,
Dr. Lale Akgün, Gerd Andres, Rainer Arnold, Doris Barnett, Klaus Barthel, Sören
Bartol, Uwe Beckmeyer, Klaus Uwe Benneter, Dr. Axel Berg, Ute Berg, Petra
Bierwirth, Lothar Binding (Heidelberg), Volker Blumentritt, Clemens Bollen, Gerd
Bollmann, Alexander Bonde, Klaus Brandner, Willi Brase, Marco Bülow, Edelgard
Bulmahn, Ulla Burchardt, Martin Burkert, Dr. Peter Danckert, Ekin Deligöz, Martin
Dörmann, Dr. Carl-Christian Dressel, Elvira Drobinski-Weiß, Garrelt Duin, Detlef
Dzembritzki, Dr. Uschi Eid, Dr. h. c. Gernot Erler, Petra Ernstberger, Karin Evers-
Meyer, Annette Faße, Gabriele Fograscher, Gabriele Frechen, Dagmar Freitag,
Martin Gerster, Iris Gleicke, Renate Gradistanac, Angelika Graf (Rosenheim),
Monika Griefahn, Hans-Joachim Hacker, Bettina Hagedorn, Alfred Hartenbach,
Britta Haßelmann, Nina Hauer, Rolf Hempelmann, Winfried Hermann, Gabriele
Hiller-Ohm, Petra Hinz (Essen), Bärbel Höhn, Iris Hoffmann (Wismar), Dr. Anton
Hofreiter, Eike Hovermann, Klaas Hübner, Brunhilde Irber, Johannes Kahrs,
Dr. h. c. Susanne Kastner, Ulrich Kelber, Hans-Ulrich Klose, Dr. Bärbel Kofler,
Walter Kolbow, Rolf Kramer, Anette Kramme, Nicolette Kressl, Volker Kröning,
Dr. Hans-Ulrich Krüger, Jürgen Kucharczyk, Helga Kühn-Mengel, Dr. Uwe Küster,
Ute Kumpf, Undine Kurth (Quedlinburg), Christine Lambrecht, Christian Lange
(Backnang), Monika Lazar, Waltraud Lehn, Gabriele Lösekrug-Möller, Helga Lopez,
Anna Lührmann, Lothar Mark, Hilde Mattheis, Petra Merkel (Berlin), Ulrike Merten,
Dr. Matthias Miersch, Jerzy Montag, Marko Mühlstein, Detlef Müller (Chemnitz),
Michael Müller (Düsseldorf), Dr. Rolf Mützenich, Gesine Multhaupt, Holger Ortel,
Detlef Parr, Heinz Paula, Johannes Pflug, Joachim Poß, Christoph Pries, Florian
Pronold, Dr. Sascha Raabe, Mechthild Rawert, Gerold Reichenbach, Christel
Riemann-Hanewinckel, Sönke Rix, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Karin Roth
(Esslingen), Ortwin Runde, Marlene Rupprecht (Tuchenbach), Krista Sager, Anton
Schaaf, Axel Schäfer (Bochum), Elisabeth Scharfenberg, Heinz Schmitt (Landau),
Ottmar Schreiner, Swen Schulz (Spandau), Frank Schwabe, Dr. Angelica Schwall-
Düren, Wolfgang Spanier, Dr. Ditmar Staffelt, Dieter Steinecke, Ludwig Stiegler,
Rolf Stöckel, Christoph Strässer, Joachim Stünker, Dr. Rainer Tabillion, Jörg
Tauss, Jella Teuchner, Rüdiger Veit, Simone Violka, Hedi Wegener, Petra Weis,
Dr. Rainer Wend, Lydia Westrich, Dr. Margrit Wetzel, Andrea Wicklein, Waltraud
Wolff (Wolmirstedt), Uta Zapf, Brigitte Zypries
Wirkungsvolle Hilfen in Konfliktsituationen während der Schwangerschaft
ausbauen – Volle Teilhabe für Menschen mit Behinderung sicherstellen

Drucksache 16/11342 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Schwangere Frauen und ihre Partner können während der Schwangerschaft in
schwierige Konflikte geraten. Daher müssen ihnen wirkungsvolle Hilfen zur
Verfügung gestellt werden.

Um werdende Eltern bei ihren Entscheidungen zu begleiten und zu unterstützen,
auch in Hinsicht auf die Entscheidung für ein Leben mit einem behinderten oder
kranken Kind, müssen Beratung und Aufklärung eine Schlüsselrolle im Zusam-
menhang mit Schwangerschaft und pränataler Diagnostik spielen.

Weiter müssen die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für ein Leben mit ei-
nem behinderten oder kranken Kind verbessert werden. Hier wie auch bei der
Beratung im Zusammenhang mit möglichen Schwangerschaftskonflikten ist
Handlungsbedarf gegeben.

1. Schwangerschaftsabbrüche nach medizinischer Indikation

Die geltenden Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch beruhen im Wesent-
lichen auf der durch die unterschiedliche Rechtslage in beiden Teilen Deutsch-
lands notwendig gewordenen Neuregelung durch das Schwangeren- und Fami-
lienhilfeänderungsgesetz von 1995. Inhaltlich orientieren sie sich an den Vorga-
ben des Bundesverfassungsgerichts in seiner Entscheidung vom 28. Mai 1993.

Schwangerschaftsabbrüche sind demnach grundsätzlich strafbar (§ 218 des
Strafgesetzbuchs – StGB), bleiben aber straflos, wenn der Abbruch bis zur
12. Schwangerschaftswoche nach einer vorherigen Teilnahme an einer Schwan-
gerschaftskonfliktberatung erfolgt (Beratungsregelung nach § 218a Abs. 1
StGB). Nach der 12. Schwangerschaftswoche ist ein Abbruch nur dann nicht
rechtswidrig, wenn eine medizinische (§ 218a Abs. 2 StGB) oder kriminologi-
sche Indikation (§ 218a Abs. 3 StGB) gegeben ist. Damit hat der Gesetzgeber
der Einsicht Rechnung getragen, dass auch bei fortgeschrittener Schwanger-
schaft unter eng definierten Bedingungen ein Schwangerschaftsabbruch mög-
lich sein muss.

Die embryopathische Indikation wurde durch die neue medizinische Indikation
abgelöst. Zwingende Voraussetzung für eine medizinische Indikation ist, dass
die Fortsetzung der Schwangerschaft die physische oder psychische Gesundheit
der Schwangeren gefährdet. Das heißt, die Behinderung des Kindes allein stellt
nach geltender Rechtslage keinen Abbruchgrund dar.

„Der mit Einwilligung der Schwangeren von einem Arzt vorgenommene
Schwangerschaftsabbruch ist nicht rechtswidrig, wenn der Abbruch der Schwan-
gerschaft unter Berücksichtigung der gegenwärtigen und zukünftigen Lebens-
verhältnisse der Schwangeren nach ärztlicher Erkenntnis angezeigt ist, um eine
Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung
des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren abzu-
wenden, und die Gefahr nicht auf eine andere für sie zumutbare Weise abgewen-
det werden kann.“ (§ 218a Abs. 2 StGB).

Neben der akuten Lebensgefahr für die werdende Mutter kann auch ein pränatal-
diagnostischer Befund mit seiner aktuellen Bedeutung für die Schwangere, sei-
ner eventuellen Aussage über die kindliche Entwicklung und deren Auswirkun-
gen auf die zukünftigen Lebensverhältnisse der Schwangeren eine solche
Gefahrensituation verursachen. Die Indikationsstellung zum Schwangerschafts-
abbruch hat sich jedoch ausschließlich danach zu richten, ob in der Situation
nach einem auffälligen pränataldiagnostischen Befund – unabhängig von der Art
des Befundes und der Schwere einer zu erwartenden kindlichen Erkrankung
oder Behinderung – nach ärztlicher Erkenntnis die Gefahr für eine schwerwie-

gende Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes
der Schwangeren besteht und nicht anders abgewendet werden kann.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/11342

Die medizinische Indikation beruht auf der ärztlichen Erkenntnis, dass der
Schwangerschaftsabbruch die einzige Möglichkeit zur Abwendung der Gefahr
für die Schwangere ist. Dabei soll die Ärztin/der Arzt auch die gegenwärtigen
und künftigen Lebensverhältnisse der Frau mit einbeziehen. Dabei ist zu berück-
sichtigen, dass entsprechend dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit die Vor-
aussetzungen für das Vorliegen einer medizinischen Indikation bei Fortschreiten
der Schwangerschaft immer enger zu ziehen sind, insbesondere dann, wenn die
Lebensfähigkeit des Kindes außerhalb des Mutterleibs nicht auszuschließen ist.

Der Anspruch auf Beratung ist schon heute geregelt. So sind die Ärztin und der
Arzt im Rahmen ihrer Berufsausübung zur Beratung verpflichtet. Ebenfalls se-
hen die Richtlinien der Bundesärztekammer zur pränatalen Diagnostik von
Krankheiten und Krankheitsdispositionen Information und Beratung der
Schwangeren vor und nach gezielter vorgeburtlicher Diagnostik vor. In ihrer Er-
klärung zum Schwangerschaftsabbruch nach Pränataldiagnostik vom November
1998 geht die Bundesärztekammer auch auf die ärztliche Beratung nach gesi-
cherter Diagnose einer fetalen Erkrankung ein und sieht in diesem Zusammen-
hang eine angemessene Bedenkzeit zwischen Beratung und Schwangerschafts-
abbruch vor. Daneben ist festgehalten, dass mindestens zwei Ärztinnen/Ärzte
einvernehmlich die medizinische Indikation gestellt haben müssen.

Grundsätzlich haben Frauen und Männer nach § 2 des Schwangerschaftskon-
fliktgesetzes zur Vermeidung und Bewältigung von Schwangerschaftskonflik-
ten einen Anspruch auf Beratung in einer unabhängigen Beratungsstelle. Der
Anspruch gilt für alle Fragen, die eine Schwangerschaft unmittelbar oder mittel-
bar berühren. Beratung umfasst hierbei nicht nur die medizinische Information,
sondern auch Fragen der Sexualaufklärung, Verhütung, Familienplanung und
vor allem psychosoziale Beratung in allen Fragen, die sich aus dem Verlauf der
Schwangerschaft und eventuellen Vorsorgeuntersuchungen ergeben. Der Bera-
tungsanspruch umfasst auch Informationen, Hilfen und Unterstützung für ein
Leben mit einem behinderten Kind.

Schwangerschaftsabbrüche nach medizinischer Indikation und der Rechts-
anspruch von Frauen und Männern auf Beratung sind in Deutschland rechtlich
geregelt.

Auch die Zahlen des Statistischen Bundesamtes zu Schwangerschaftsabbrüchen
dokumentieren dies. Die Zahl der medizinisch indizierten Schwangerschafts-
abbrüche ist seit der Neuregelung im Jahr 1996 bis 2007 um rund 36 Prozent,
von 4 818 auf 3 072, zurückgegangen. Auch ihr Anteil an allen Schwanger-
schaftsabbrüchen ist von 3,7 Prozent im Jahr 1996 auf 2,6 Prozent im Jahr 2007
gesunken. Dies ist umso bedeutsamer angesichts der Tatsache, dass die Anzahl
vorgenommener pränataldiagnostischer Untersuchungen in den vergangenen
Jahren stetig gestiegen ist. Die Datenlage zur medizinischen Indikation begrün-
det keinen gesetzlichen Handlungsbedarf.

2. Durchführung und Qualität der Beratung während der Schwangerschaft

Der medizinische Fortschritt hat zur Folge, dass jede Schwangere mit einem
breiten Angebot von vorgeburtlichen Untersuchungsmethoden konfrontiert
wird. Diese dienen neben der Kontrolle des Schwangerschaftsverlaufs auch der
gezielten Suche nach Fehlbildungen und Erkrankungen.

Der Durchführung und Qualität der Beratung während einer Schwangerschaft
und vor allem bei pränataldiagnostischen Untersuchungen kommt daher eine
wesentliche Bedeutung zu.

Der medizinischen Aufklärungs- und Beratungspflicht des behandelnden Arz-
tes/der behandelnden Ärztin vor einer pränatalen Untersuchung wird in der

Praxis sehr unterschiedlich nachgekommen. Die Untersuchungen werden den
Schwangeren häufig nahe gelegt, oft ohne über Chancen und Risiken zu

Drucksache 16/11342 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

informieren. Frauen wird so die Möglichkeit verwehrt, vor Inanspruchnahme
von Pränataldiagnostik gut informiert zu entscheiden, ob sie überhaupt eine
Diagnostik wünschen. Ihr Recht auf Selbstbestimmung und ggf. auch ihr Recht
auf Nichtwissen wird damit nicht gewahrt.

Wird die Schädigung des Ungeborenen festgestellt, ist umfassende und verant-
wortungsvolle Beratung durch die behandelnde Ärztin bzw. den behandelnden
Arzt erforderlich. Hier sind Defizite in der ärztlichen Praxis erkennbar. Die be-
treuenden Ärztinnen/Ärzte verfügen nicht in allen Fällen über die notwendige
Qualifikation, um über die ärztliche Aufklärung hinaus die entsprechende Bera-
tung in Konfliktsituationen durchzuführen. Daher ist der Hinweis auf den An-
spruch auf psychosoziale Beratung in unabhängigen Beratungsstellen dringend
erforderlich.

Der Anspruch auf psychosoziale Beratung ist zu wenigen Betroffenen bekannt
und dementsprechend wird die Beratung nicht ausreichend in Anspruch genom-
men. Vor allem im Zusammenhang mit pränataler Diagnostik werden Schwan-
gere leider zu selten auf ihren Beratungsanspruch in einer unabhängigen Bera-
tungsstelle hingewiesen.

3. Geplante Regelungen im Gendiagnostikgesetz

Damit Schwangere und ihre Partner während der Schwangerschaft und beson-
ders in einer Konfliktsituation wirkungsvolle Unterstützung erfahren, muss sich
die Durchführung und die Qualität der Beratung verbessern.

Der Deutsche Bundestag begrüßt daher die für pränatale genetische Unter-
suchungen vorgesehenen Regelungen im Gendiagnostikgesetz. Das Gen-
diagnostikgesetz sieht unter anderem eine Beratungspflicht der Ärztin/des Arz-
tes vor und nach allen vorgeburtlich genetischen Untersuchungen vor (§ 15
Abs. 2 des Gesetzentwurfs der Bundesregierung über genetische Untersuchun-
gen bei Menschen (Gendiagnostikgesetz – GenDG) und die Hinweispflicht der
Ärztinnen und Ärzte auf den Rechtsanspruch der Schwangeren gemäß § 2 des
Schwangerschaftskonfliktgesetzes auf Beratung in einer unabhängigen Bera-
tungsstelle (§ 15 Abs. 2 des Gesetzentwurfs). Weiterhin wird gesetzlich gere-
gelt, dass die Beratung nur von hierfür qualifizierten Ärztinnen und Ärzten vor-
genommen werden darf (§ 7 Abs. 3 des Gesetzentwurfs). Diese haben die Ver-
pflichtung, Inhalt der Aufklärung und Beratung zu dokumentieren.

Die Regelungen werden zu einer besseren Information und Beratung der
schwangeren Frau, vor allem auch vor pränatalen genetischen Untersuchungen,
führen. Außerdem wird der Rechtsanspruch auf Beratung nach § 2 des Schwan-
gerschaftskonfliktgesetzes stärker in das Bewusstsein der werdenden Eltern und
der Ärzteschaft gerückt.

Diese weitreichenden Regelungen im Gendiagnostikgesetz werden für die
Mehrzahl der pränataldiagnostischen Untersuchungen verpflichtend sein. Nicht
umfasst sind Ultraschalluntersuchungen im Rahmen der Schwangerschafts-
betreuung, die der Kontrolle der körperlichen Entwicklung des ungeborenen
Kindes dienen, sowie Untersuchungen zur Abklärung möglicher Erkrankungen
oder Störungen nichtgenetischer Ursachen.

Ziel muss es jedoch sein, dass die Trias aus ärztlicher Beratungspflicht vor und
nach den pränatalen Untersuchungen, Hinweispflicht auf psychosoziale Bera-
tung und Sicherung einer fachlich qualifizierten Beratung bei allen pränatal-
diagnostischen Untersuchungen Anwendung findet.

4. Mutterschafts-Richtlinien und Mutterpass
Diejenigen Untersuchungen, die nicht unter das Regelungskonzept des Gendia-
gnostikgesetzes fallen, bedürfen einer anderen rechtlichen Verankerung. Hierfür

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/11342

eignen sich die Richtlinien über die ärztliche Betreuung während der Schwan-
gerschaft und nach der Entbindung (Mutterschafts-Richtlinien), die für die
Ärzteschaft bindend sind. Diese werden gegenwärtig überarbeitet. Die bereits in
den Mutterschafts-Richtlinien enthaltene Hinweispflicht des Arztes auf den
Rechtsanspruch der Schwangeren auf Beratung wird in ihrer Ausgestaltung als
Soll-Vorschrift unterschiedlich umgesetzt.

Der Gemeinsame Bundesausschuss sollte deshalb prüfen, wie in den Mutter-
schafts-Richtlinien für die verbleibenden pränataldiagnostischen Untersuchun-
gen im Rahmen der regulären Schwangerenvorsorge ebenfalls die Trias aus ärzt-
licher Beratungspflicht vor und nach den pränatalen Untersuchungen, Hinweis-
pflicht auf psychosoziale Beratung und Sicherung einer fachlich qualifizierten
Beratung verankert werden kann.

Dabei würde es der Deutsche Bundestag begrüßen, wenn in den Mutterschafts-
Richtlinien, unabhängig von der Regelung im Entwurf des Gendiagnostikgeset-
zes, diese Trias für alle vorgeburtlichen Untersuchungen festgeschrieben würde.
Das Recht der Schwangeren auf Nichtwissen ist dabei zu wahren.

Um mit weiteren Maßnahmen die Information von schwangeren Frauen zu ver-
bessern und damit ihr Selbstbestimmungsrecht zu stärken, bedarf es zusätzlicher
Instrumente. Hierfür bietet sich der Mutterpass an, den jede schwangere Frau
erhält und für die Dauer der Schwangerschaft in der Regel auch mit sich führt.
Momentan ist er als medizinisches Dokument für die Ärztinnen und Ärzte aus-
gestaltet. Es gilt, ihn weiterzuentwickeln hin zu einem Informationsdokument
auch für die schwangere Frau. Dort sollte ein Hinweis auf den Rechtsanspruch
auf psychosoziale Beratung in einer unabhängigen Beratungsstelle und umfas-
sende medizinische Beratung durch die Ärztinnen und Ärzte aufgenommen wer-
den. Der Gemeinsame Bundesausschuss sollte darüber hinaus prüfen, welche
weiteren Informationen eine sinnvolle Ergänzung des Mutterpasses darstellen.

5. Rahmenbedingungen für Kinder und Familien und umfassende Teilhabe für
Menschen mit Behinderung

Menschen mit Behinderung müssen in allen Lebensbereichen selbstverständ-
licher Teil unserer Gesellschaft werden. Das Übereinkommen der Vereinten
Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen hat für die Verbes-
serung gleicher Lebenschancen behinderter Menschen weltweit neue Impulse
gegeben. Es gilt, die Politik zur vollen Teilhabe und Selbstbestimmung behin-
derter Menschen am Leben in der Gesellschaft fortzusetzen und ihre individuel-
len Bedürfnisse in allen Lebensbereichen konsequent in den Mittelpunkt zu stel-
len.

Der Deutsche Bundestag tritt dafür ein, dass jede Form der Diskriminierung von
behinderten und kranken Kindern und deren Familien zu unterbinden und ab-
zubauen ist. Ziel ist eine barrierefreie Gesellschaft, in der sich jedes Kind, unab-
hängig von einer möglichen Erkrankung oder Behinderung, entfalten und ent-
wickeln kann. Für die Eltern behinderter Kinder gilt das Recht auf Teilhabe und
auf Erwerbsarbeit. Es müssen die Rahmenbedingungen erhalten bzw. geschaf-
fen werden, die es ihnen ermöglichen, an ihrer Lebensplanung festzuhalten.

Eltern müssen darauf vertrauen können, dass Menschen mit Behinderung eine
volle Teilhabe in allen gesellschaftlichen Bereichen ermöglicht wird. Dies be-
inhaltet ein Umfeld, das die besonderen Anforderungen psychischer, physischer
und finanzieller Art durch fachkundige Beratung und Hilfe in allen Situationen
von der Geburt bis zum Arbeitsleben einschließlich Unterstützung und Förde-
rung auffängt.

Die Frühförderung behinderter Kinder muss weiter ausgebaut und auf eine

sichere Grundlage durch Vereinbarung der beteiligten Leistungsträger vor Ort
(Krankenkassen und Sozialhilfeträger) gestellt werden. Frühförderung und

Drucksache 16/11342 – 6 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

„frühe Hilfen“ umfassen hierbei pädagogische und therapeutische Maßnahmen
für behinderte und von Behinderung bedrohte Kinder in den ersten Lebensjah-
ren, von der Geburt bis zum individuellen Schuleintritt. Hierbei sollen die medi-
zinischen und die nichtärztlichen Maßnahmen zum Wohl der betroffenen Kinder
interdisziplinär erbracht werden, denn behinderte und von Behinderung be-
drohte Kinder haben regelmäßig einen Bedarf an einem Ineinandergreifen von
medizinisch-therapeutischen und pädagogisch-psychologischen Hilfen in Form
eines ganzheitlichen Ansatzes, der auch das familiäre Umfeld gezielt einbezieht.

Darüber hinaus muss die Hilfeleistung der vielen Beteiligten von den Einrich-
tungen der Zivilgesellschaft bis zu den verschiedenen Behörden wie Jugend-
ämter, Sozialämter, Landesstiftungen und Rehabilitationsträger effektiver mit-
einander koordiniert werden.

Das gemeinsame Aufwachsen von Kindern mit und ohne Behinderung muss
verstärkt ermöglicht werden. Teilhabe von Anfang an bedeutet, gemeinsames
Leben und Lernen für Kinder und junge Menschen von der Krippe bis zur beruf-
lichen Ausbildung zu ermöglichen. So müssen inklusive Kindertagesstätten und
Ganztagsschulen, die den Bedürfnissen aller Kinder gerecht werden, zur Regel
werden.

Parallel zu den Bemühungen der Länder im Vorschul- und Schulbereich muss
der Bund die integrative Aus- und Berufsausbildung sowie die Förderung der
Übergänge von Menschen mit Behinderung in den allgemeinen Arbeitsmarkt
weiter ausbauen, damit die Beschäftigungssituation von Menschen mit Behinde-
rung weiter verbessert werden kann. So muss auch die Zahl der Betriebe, die kei-
nen einzigen Menschen mit Behinderung beschäftigen, obwohl sie dazu ver-
pflichtet sind, weiter reduziert werden.

Eine besondere Hilfe und Unterstützung müssen Eltern erfahren, die selbst be-
hindert sind. Im Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) ist bereits eine ent-
sprechende Verpflichtung für alle Rehabilitationsträger vorgesehen. Es sollte
eine gesetzliche Klarstellung im SGB IX erfolgen, wonach behinderten Eltern
Leistungen zur Betreuung ihrer Kinder zur Verfügung zu stellen sind. Sind dafür
sowohl Leistungen der Sozial- als auch der Kinder- und Jugendhilfe erforder-
lich, sollen die Rehabilitationsträger eng zusammenarbeiten und diese Leistun-
gen als Komplexleistung erbringen, damit behinderte Eltern nur eine Anlauf-
stelle aufsuchen müssen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. darauf hinzuwirken, dass der Gemeinsame Bundesausschuss die Mutter-
schafts-Richtlinien dahingehend überarbeitet, dass für die nicht vom Entwurf
eines Gendiagnostikgesetzes erfassten pränataldiagnostischen Untersuchun-
gen im Rahmen der regulären Schwangerenvorsorge ebenfalls die Trias aus
ärztlicher Beratungspflicht vor und nach den pränatalen Untersuchungen,
Hinweispflicht auf psychosoziale Beratung und Sicherung einer fachlich
qualifizierten Beratung angemessen verankert wird sowie das Recht der
Schwangeren auf Nichtwissen gewahrt bleibt;

2. darauf hinzuwirken, dass der Gemeinsame Bundesausschuss den Mutterpass
zu einem Informationsdokument auch für die Schwangere ausgestaltet, in
dem unter anderem ein Hinweis auf den Rechtsanspruch auf medizinische so-
wie psychosoziale Beratung enthalten sein sollte, in dem auf die von der Bun-
deszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) angebotene Internetseite
www.schwanger-info.de hingewiesen wird und dem Einlegeblätter mit den
Adressen regionaler psychosozialer Beratungsstellen beizufügen sind;

3. darauf hinzuwirken, dass die Ärztekammern der Länder sowohl für die vom

Entwurf eines Gendiagnostikgesetzes erfassten als auch die nicht erfassten
pränataldiagnostischen Untersuchungen im Rahmen der Fort- und Weiterbil-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 7 – Drucksache 16/11342

dung für die Qualitätssicherung von Aufklärung, Beratung und Anwendung
pränataler Diagnostik Sorge tragen;

4. darauf hinzuwirken, dass die Bundesärztekammer für die nicht vom Entwurf
eines Gendiagnostikgesetzes erfassten pränataldiagnostischen Untersuchun-
gen Richtlinien zur verbindlichen Information und Beratung der Schwange-
ren, die auch entsprechende Kooperationen mit anderen betroffenen Berufs-
gruppen sicherstellen, erarbeitet und die Ärztekammern der Länder diese in
verbindliches Satzungsrecht umsetzen;

5. darauf hinzuwirken, dass die für die Schwangerenberatung zuständigen Län-
der und die Ärzteschaft dafür Sorge tragen, dass Kooperationen und flexible
Beratungsangebote zwischen Beratungsträgern und pränataldiagnostischen
Zentren entwickelt werden, um die psychosoziale Beratung den Schwange-
ren bedarfsgerecht und zeitnah zur Verfügung stellen zu können;

6. sich bei den Ländern dafür einzusetzen, dass die Frühförderung von Kindern
mit Behinderung weiter ausgebaut wird;

7. sich bei den Ländern dafür einzusetzen, dass der Ausbau der Kinderbe-
treuung und Ganztagsschulen zügig vorangebracht wird, damit schnellst-
möglich ein bedarfsdeckendes Angebot zur Verfügung gestellt werden kann.
Das Angebot von inklusiven Kindertagesstätten sowie Ganztagsschulen
muss zur Regel werden, so dass Kinder mit Behinderung auf Wunsch der
Eltern Zugang zu diesen Regeleinrichtungen haben;

8. im SGB IX eine Klarstellung vorzunehmen, wonach behinderten Eltern Leis-
tungen zur Betreuung ihrer Kinder zur Verfügung zu stellen sind.

Berlin, den 10. Dezember 2008

Christel Humme
Irmingard Schewe-Gerigk
Elke Ferner
Caren Marks
Dr. Carola Reimann
Birgitt Bender
Priska Hinz (Herborn)
Dr. Peter Struck
Dr. Lale Akgün
Gerd Andres
Rainer Arnold
Doris Barnett
Klaus Barthel
Sören Bartol
Uwe Beckmeyer
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Petra Bierwirth
Lothar Binding (Heidelberg)
Volker Blumentritt
Clemens Bollen
Gerd Bollmann
Alexander Bonde
Klaus Brandner
Willi Brase

Ulla Burchardt
Martin Burkert
Dr. Peter Danckert
Ekin Deligöz
Martin Dörmann
Dr. Carl-Christian Dressel
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Detlef Dzembritzki
Dr. Uschi Eid
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Gabriele Fograscher
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Martin Gerster
Iris Gleicke
Renate Gradistanac
Angelika Graf (Rosenheim)
Monika Griefahn
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Alfred Hartenbach
Britta Haßelmann

Winfried Hermann
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz (Essen)
Bärbel Höhn
Iris Hoffmann (Wismar)
Dr. Anton Hofreiter
Eike Hovermann
Klaas Hübner
Brunhilde Irber
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Ulrich Klose
Dr. Bärbel Kofler
Walter Kolbow
Rolf Kramer
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Jürgen Kucharczyk
Helga Kühn-Mengel
Dr. Uwe Küster
Ute Kumpf
Undine Kurth (Quedlinburg)
Christine Lambrecht
Marco Bülow
Edelgard Bulmahn

Nina Hauer
Rolf Hempelmann

Christian Lange (Backnang)
Monika Lazar

Drucksache 16/11342 – 8 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
Waltraud Lehn
Gabriele Lösekrug-Möller
Helga Lopez
Anna Lührmann
Lothar Mark
Hilde Mattheis
Petra Merkel (Berlin)
Ulrike Merten
Dr. Matthias Miersch
Jerzy Montag
Marko Mühlstein
Detlef Müller (Chemnitz)
Michael Müller (Düsseldorf)
Dr. Rolf Mützenich
Gesine Multhaupt
Holger Ortel
Detlef Parr
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Christoph Pries

Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Gerold Reichenbach
Christel Riemann-Hanewinckel
Sönke Rix
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth (Esslingen)
Ortwin Runde
Marlene Rupprecht (Tuchenbach)
Krista Sager
Anton Schaaf
Axel Schäfer (Bochum)
Elisabeth Scharfenberg
Heinz Schmitt (Landau)
Ottmar Schreiner
Swen Schulz (Spandau)
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Wolfgang Spanier
Dr. Ditmar Staffelt

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Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Christoph Strässer
Joachim Stünker
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