Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 24.09.2014, Az. 1 BvR 3017/11

1. Senat 3. Kammer | REWIS RS 2014, 2705

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

VEREINE BUNDESVERFASSUNGSGERICHT (BVERFG) VERWALTUNGSRECHT STAATSRECHT UND STAATSORGANISATIONSRECHT GRUNDRECHTE RAUCHEN RAUCHVERBOT

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Rauchverbot für öffentlich zugängliche Räumlichkeiten eines "Rauchervereins" berührt nicht den Schutzbereich der Vereinigungsfreiheit gem Art 9 Abs 1 GG


Gründe

1

Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen ihre Verurteilung in einem Bußgeldverfahren und mittelbar gegen das Gesetz zum Schutz der Gesundheit ([X.] - [X.]).

2

1. Seit dem 1. August 2010 gilt in [X.] mit dem [X.] in der Fassung vom 23. Juli 2010 ([X.]) ein striktes Rauchverbot. Nach Art. 2 Nr. 6 und 8 [X.] findet das Gesetz unter anderem Anwendung auf

6. Kultur- und Freizeiteinrichtungen:

Einrichtungen, die der Bewahrung, Vermittlung, Aufführung und Ausstellung künstlerischer, unterhaltender oder historischer Inhalte oder Werke oder der Freizeitgestaltung dienen, soweit sie öffentlich zugänglich sind, insbesondere Kinos, Museen, Bibliotheken, Theater und Vereinsräumlichkeiten,

(…)

8. Gaststätten:

Gaststätten im Sinn des Gaststättengesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 20. November 1998 ([X.]), zuletzt geändert durch Art. 10 des Gesetzes vom 7. September 2007 (BGBl I S. 2246),

(…)

3

Das Rauchverbot ist in Art. 3 [X.] normiert:

(1)

(2) Rauchverbote in anderen Vorschriften oder auf Grund von Befugnissen, die mit dem Eigentum oder dem Besitzrecht verbunden sind, bleiben unberührt.

4

Ausnahmen regelt Art. 5 [X.] unter anderem für Privaträume zu Wohnzwecken. Die Möglichkeit, einen Raucherraum einzurichten, die Art. 6 Abs. 1 [X.] vorsieht, gilt nicht für Gaststätten und Vereinsräumlichkeiten.

5

2. Die Beschwerdeführerin ist Geschäftsführerin der [X.], welche die "[X.] " in [X.] betreibt. Die Räumlichkeiten wurden mit Pachtvertrag vom 31. Dezember 2007 - einen Tag vor dem Inkrafttreten des ursprünglichen [X.]es in der Fassung vom 20. Dezember 2007 ([X.]) - an den "[X.] e.V." (im Folgenden: der Verein) zur ausschließlichen Nutzung verpachtet. Der Zweck dieses drei Tage zuvor gegründeten und im Februar 2008 im Vereinsregister eingetragenen Vereins, dessen Gründungsmitglied die Beschwerdeführerin war, ist die Förderung der [X.] und asiatischen Gastronomiekultur in [X.]. Laut Satzung wird dieser Zweck durch Besuch der Vereinsräumlichkeiten - die [X.] - und dortigem geselligen Beisammensein verwirklicht. Der Verein hatte im Zeitpunkt des amtsgerichtlichen Urteils circa 37.000 Mitglieder. In die Räumlichkeiten, in denen Getränke und kleinere Speisen verkauft werden und Wasserpfeife (Shisha) geraucht wird, werden nur Mitglieder des Vereins eingelassen. Möchten Interessierte die Räumlichkeiten betreten, müssen sie Vereinsmitglied werden. Voraussetzung ist ein Mindestalter von 20 Jahren, ein Antrag mit Namen und Adresse und ein Jahresmitgliedsbeitrag von 1 €. Jedes Mitglied bekommt einen Ausweis; wer den Ausweis nicht vorzeigen kann, muss einen neuen Antrag auf Mitgliedschaft ausfüllen, was zu [X.] führt. Die Kontrolle der Mitgliedsausweise erfolgt am Wochenende durch Türsteher, wochentags durch Servicepersonal. Alle Beschäftigten der [X.] sind Vereinsmitglieder.

6

3. Am 7. August 2010 wurde bei einer Kontrolle der Bar festgestellt, dass dort Shishas und Zigaretten geraucht wurden. Nach Anhörung wurde gegen die Beschwerdeführerin eine Geldbuße von 750 € festgesetzt.

7

Nach Einspruch verurteilte das Amtsgericht die Beschwerdeführerin wegen Verstoßes gegen das Rauchverbot zu einer Geldbuße in Höhe von 750 €. Das Rauchverbot erfasse auch die von dem Verein genutzten Räumlichkeiten. Es handele sich bei den Zusammenkünften der Mitglieder nicht um eine echte geschlossene Gesellschaft, für die das gesetzliche Rauchverbot in Gaststätten nicht greife. Echte geschlossene Gesellschaften seien dadurch gekennzeichnet, dass sie nicht für jedermann oder einen bestimmten Personenkreis zugänglich seien, sondern nur im Vorhinein eindeutig bestimmten, also nicht beliebig wechselnden Einzelpersonen Zutritt gewährt werde. Insbesondere private Familienfeiern und auch interne Vereinssitzungen erfüllten diese Voraussetzungen.

8

Trotz der Zugangskontrollen und der Vereinsmitgliedschaft könne hier aufgrund der Vielzahl der Mitglieder gerade nicht mehr von einem feststehenden und jederzeit namentlich bekannten Personenkreis gesprochen werden. Vielmehr könne, wer mindestens 20 Jahre alt sei, Mitglied des Vereins werden und erhalte dann sofort Zutritt. Dass ein Mitglied, das den Mitgliedsausweis vergessen habe, einen neuen "Mitgliedsantrag" stellen und die "Aufnahmegebühr" zahlen müsse, verdeutliche, dass es gerade nicht auf eine echte Vereinsmitgliedschaft, sondern lediglich auf den Besitz eines Ausweises ankomme. Es handele sich bei dem Verein mithin um einen "Raucherclub" in Gestalt eines Vereins mit offener Mitgliederstruktur zur Umgehung des Rauchverbots in der Gastronomie. Dies habe mit der Neufassung durch das [X.] vom 23. Juli 2010 gerade verhindert werden sollen. Es sei auch grundrechtskonform, das Merkmal einer geschlossenen Gesellschaft, für die kein Rauchverbot gelte, eng auszulegen.

9

Die Rechtsbeschwerde gegen das amtsgerichtliche Urteil verwarf das [X.] unter Bezugnahme auf die Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft als unbegründet. Die nachfolgende [X.] (§ 356a StPO in Verbindung mit § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG) wurde ebenfalls als unbegründet verworfen. Der [X.] habe alle Ausführungen der Beschwerdeführerin zur Kenntnis genommen, das Vorbringen aber nicht als durchgreifend erachtet.

4. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung von Art. 9 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 [X.]. Im Hinblick auf die kurze Begründung des Beschlusses des [X.] rügt sie eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 [X.].

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. [X.] im Sinne von § 93a Abs. 2 [X.] liegen nicht vor. Der zulässigen Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu, denn die von ihr aufgeworfenen Fragen sind in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung geklärt. Sie ist auch nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 [X.] genannten Rechte angezeigt, weil sie offensichtlich unbegründet ist und daher keine Aussicht auf Erfolg hat.

1. Eine Verletzung von Art. 9 Abs. 1 [X.] ist nicht ersichtlich.

a) Das Grundrecht des Art. 9 Abs. 1 [X.] gewährleistet die Freiheit, sich zu Vereinigungen des privaten Rechts zusammenzuschließen (vgl. [X.] 10, 89 <102>; 10, 354 <361 f.>). Mit dem Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden, garantiert Art. 9 Abs. 1 [X.] die freie [X.] Gruppenbildung (vgl. [X.] 38, 281 <302 f.>). Der Schutz des Grundrechts umfasst sowohl für Mitglieder als auch für die Vereinigung die Selbstbestimmung über die eigene Organisation, das Verfahren ihrer Willensbildung und die Führung ihrer Geschäfte (vgl. [X.] 50, 290 <354>) sowie das Recht auf Entstehen und Bestehen (vgl. [X.] 13, 174 <175>).

Art. 9 Abs. 1 [X.] schützt insbesondere vor einem Eingriff in den Kernbereich des [X.] und der Vereinstätigkeit (vgl. [X.] 30, 227 <241>; 80, 244 <252 f.>). Das Grundrecht kann indes einem gemeinsam verfolgten Zweck keinen weitergehenden Schutz vermitteln als einem individuell verfolgten Interesse (vgl. [X.] 50, 290 <353>; 54, 237 <251>). Betätigt sich eine Vereinigung im Rechtsverkehr wie Einzelpersonen auch, ist diese Betätigung grundrechtlich nicht durch Art. 9 Abs. 1 [X.] geschützt, denn die Vereinigung und ihre Tätigkeit bedürfen insoweit nicht als solche des Grundrechtsschutzes; dieser richtet sich vielmehr nach den materiellen (Individual-)Grundrechten (vgl. [X.] 70, 1 <25>).

b) Nach diesen Maßstäben ist der Schutzbereich von Art. 9 Abs. 1 [X.] durch ein Rauchverbot bereits nicht berührt. Das Rauchverbot betrifft den Verein - und damit auch die Beschwerdeführerin als Vereinsmitglied - nicht in einer von Art. 9 Abs. 1 [X.] geschützten Tätigkeit. Die Regelungen des [X.]es verbieten ebenso wie die angegriffenen Entscheidungen weder die Gründung, das Bestehen oder den Fortbestand des Vereins noch stehen sie dem Beitritt oder der Mitgliederwerbung entgegen. Ein Rauchverbot in den Vereinsräumlichkeiten ist jedenfalls dann kein Eingriff in die Betätigungsfreiheit des Vereins und der Vereinsmitglieder, wenn die Räumlichkeiten zwar zur Ausübung des gemeinsam verfolgten Vereinszwecks - dem gemeinsamen Rauchen - genutzt werden sollen, aber aufgrund der offenen Mitgliederstruktur tatsächlich öffentlich zugänglich sind. Die Gründung eines Vereins kann den Grundrechtsschutz einer individuellen Tätigkeit insofern nicht erweitern (vgl. [X.] 54, 237 <251>; [X.], Beschluss der [X.] des Ersten [X.]s vom 12. Oktober 1995 - 1 BvR 1938/93 -, juris, Rn. 9; Beschluss der [X.] des Ersten [X.]s vom 15. Dezember 1999 - 1 BvR 2161/93 -, juris, Rn. 7; vgl. auch [X.], Entscheidung vom 31. Januar 2012 - [X.]. 26-VII-10 -, juris, Rn. 61 ff.; Entscheidung vom 11. September 2013 - [X.]. 100-VI-12 -, juris, Rn. 24 ff.). Die rechtliche Zulässigkeit des Vereinszwecks muss an der Zulässigkeit des entsprechenden Individualverhaltens gemessen werden; Art. 9 Abs. 1 [X.] privilegiert nicht die kollektive gegenüber der individuellen Zweckverfolgung (vgl. [X.], in: von [X.]/[X.], [X.], [X.], 6. Aufl. 2012, Art. 9 Rn. 25). Dagegen spricht auch nicht, dass ein Rauchverbot für einen Raucherverein existenzbedrohend sein kann, denn Art. 9 Abs. 1 [X.] schützt nicht den gemeinsamen [X.], dem ein spezifischer Bezug zur korporativen Organisation fehlt (vgl. [X.], in: [X.], [X.], Art. 9 Rn. 14 ).

2. Soweit die Beschwerdeführerin die Vorschriften des [X.]es auch mit Blick auf Art. 2 Abs. 1 [X.] angreift, hat die Verfassungsbeschwerde ebenfalls keine Aussicht auf Erfolg (vgl. [X.] 121, 317 <358 f.>).

3. Eine Verletzung des allgemeinen Gleichbehandlungsrechts aus Art. 3 Abs. 1 [X.], auf das sich die Rüge beschränkt, ist nicht ersichtlich. Zwar werden "geschlossene Gesellschaften" anders behandelt als große, allgemein zugängliche Vereine. Doch sind an die Rechtfertigung für die daraus resultierende Benachteiligung nur geringe Anforderungen zu stellen (vgl. [X.] 130, 131 <142>), da der Verein die Ungleichbehandlung durch eigenes Verhalten - eine andere Mitgliederstruktur, persönliche Einladungen an einen bestimmten, alternierenden Mitgliederkreis - steuern kann. Die Unterscheidung ist jedenfalls nicht willkürlich, da der Gesetzgeber [X.] des Gesundheitsschutzes Vorrang vor anderen Interessen einräumen durfte (vgl. [X.] 121, 317 <357 ff.>).

4. Eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 [X.] liegt offensichtlich nicht vor. Das Grundgesetz zwingt die Gerichte nicht dazu, sich mit allen Aspekten des Vorbringens der Beteiligten in der schriftlichen Begründung ausführlich auseinander zu setzen (vgl. [X.] 54, 86 <91 f.>; für letztinstanzliche Entscheidungen [X.] 104, 1 <7 f.>).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvR 3017/11

24.09.2014

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 3. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend OLG Bamberg, 17. November 2011, Az: 2 Ss OWi 1197/2011, Beschluss

Art 3 Abs 1 GG, Art 9 Abs 1 GG, Art 2 Nr 6 GesSchG BY 2010, Art 2 Nr 8 GesSchG BY 2010, Art 3 Abs 1 GesSchG BY 2010, Art 3 Abs 2 GesSchG BY 2010, Art 6 Abs 1 GesSchG BY 2010

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 24.09.2014, Az. 1 BvR 3017/11 (REWIS RS 2014, 2705)

Papier­fundstellen: NJW 2015, 612 REWIS RS 2014, 2705

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

1 B 18/15

1 B 310/14

AN 9 K 17.00754, AN 9 K 17.01518

AN 9 K 17.00754

Zitiert

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