Bundesgerichtshof, Beschluss vom 02.12.2020, Az. XII ZB 324/20

12. Zivilsenat | REWIS RS 2020, 600

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Vertrauensschutz für den Rechtsanwalt in die Gewährung einer Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist


Leitsatz

Ein Rechtsanwalt darf regelmäßig erwarten, dass einem ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist entsprochen wird, wenn er einen erheblichen Grund vorträgt. Demgemäß besteht keine Verpflichtung, sich innerhalb des Laufs der Berufungsbegründungsfrist beim Gericht zu erkundigen, ob der Verlängerungsantrag rechtzeitig eingegangen ist und ob ihm stattgegeben werde (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 31. Januar 2018 - XII ZB 565/16, FamRZ 2018, 841).

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des 4. [X.] des [X.] vom 22. Juni 2020 aufgehoben.

Der Antragstellerin wird gegen die Versäumung der Frist zur Begründung ihrer Beschwerde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

Die Sache wird zur weiteren Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des [X.], an das [X.] zurückverwiesen.

Wert: 5.000 €

Gründe

I.

1

Die Antragstellerin nimmt den Antragsgegner im Stufenverfahren auf Trennungsunterhalt in Anspruch. Das [X.] hat den Antrag in der Auskunftsstufe mit einem der Antragstellerin am 27. Januar 2020 zugestellten Teilbeschluss abgewiesen. Hiergegen hat die Antragstellerin rechtzeitig Beschwerde eingelegt. Nachdem eine Beschwerdebegründung nicht innerhalb der bis zum 27. März 2020 laufenden Begründungsfrist beim [X.] eingegangen war, hat dieses durch eine der Antragstellerin am 6. April 2020 zugegangene richterliche Verfügung auf die Versäumung der [X.] hingewiesen. Am 4. Mai 2020 hat die Antragstellerin die Beschwerde begründet und wegen der Versäumung der Frist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Hierzu hat sie vorgetragen und durch eidesstattliche Versicherung glaubhaft gemacht, am 18. März 2020 einen an das [X.] adressierten Antrag auf Verlängerung der [X.] um einen Monat zur Post gegeben zu haben.

2

Das [X.] hat die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt und die Beschwerde der Antragstellerin verworfen. Hiergegen wendet sich diese mit der Rechtsbeschwerde.

II.

3

1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG i.V.m. § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO sowie § 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG i.V.m § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig (§ 574 Abs. 2 ZPO). Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des [X.]. Das [X.] hat durch seine Entscheidung das Verfahrensgrundrecht der Antragstellerin auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt, welches es den Gerichten verbietet, den [X.]en den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus [X.] nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (Senatsbeschluss vom 25. Januar 2017 - [X.] 504/15 - FamRZ 2017, 821 Rn. 5 mwN).

4

2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, zur Gewährung der begehrten Wiedereinsetzung und im Übrigen zur Zurückverweisung der Sache an das [X.].

5

a) Das [X.] hat seine Entscheidung wie folgt begründet: Nach dem zugrunde zu legenden Sachvortrag der Antragstellerin lasse sich nicht feststellen, dass die Versäumung der [X.] unverschuldet gewesen sei. Es ergebe sich ein Organisationsverschulden des Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin dahin, dass die gerichtliche Fristverlängerung nicht ordnungsgemäß kontrolliert worden sei. Auf die Verlängerung der Frist habe er nicht vertrauen dürfen, solange er keine anderslautende Nachricht vom Gericht erhalten habe. Er habe vor Ablauf der ursprünglichen Frist am 27. März 2020 beim Beschwerdegericht nachfragen müssen, ob und in welchem Umfang dem Verlängerungsgesuch stattgegeben worden sei. Zur Einhaltung dieser Nachfrageobliegenheit habe er keine ausreichenden organisatorischen Vorkehrungen dargelegt.

6

b) Dies hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Das [X.] hat der Antragstellerin zu Unrecht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der [X.] versagt.

7

aa) Wird Wiedereinsetzung mit der Behauptung begehrt, dass ein zur Post aufgegebener fristgebundener [X.] verloren gegangen sei, so bedarf dies einer aus sich heraus verständlichen, geschlossenen Schilderung der tatsächlichen Abläufe bis zur rechtzeitigen Aufgabe zur Post als Grundlage für die Glaubhaftmachung, dass der Verlust mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht im Verantwortungsbereich der [X.] oder ihres Prozessbevollmächtigten eingetreten ist ([X.] Beschluss vom 28. April 2020 - [X.] - NJW-RR 2020, 818 Rn. 15 mwN). Insoweit hat das [X.] zu Recht den von der Antragstellerin glaubhaft gemachten Sachvortrag zugrunde gelegt, einen Antrag auf Fristverlängerung um einen Monat rechtzeitig am 18. März 2020 zur Post gegeben zu haben.

8

bb) Handelt es sich wie hier um einen ersten Fristverlängerungsantrag, der auf erhebliche Gründe gestützt ist, darf der Antragsteller auf die Bewilligung der Fristverlängerung vertrauen (Senatsbeschluss vom 31. Januar 2018 - [X.] 565/16 - FamRZ 2018, 841 Rn. 19; vgl. bereits [X.] NJW 1989, 1147).

9

cc) Der Antragsteller eines Fristverlängerungsantrags muss sich insoweit auch nicht innerhalb des Laufs der [X.] beim Gericht erkundigen, ob der Verlängerungsantrag rechtzeitig eingegangen ist und ob ihm stattgegeben werde (Senatsbeschluss vom 31. Januar 2018 - [X.] 565/16 - FamRZ 2018, 841 Rn. 30 mwN). Das folgt schon daraus, dass die Fristverlängerung auch noch durch einen am letzten Tag der Frist nach Dienstschluss eingehenden Fristverlängerungsantrag, über den naturgemäß erst nach Ablauf der Frist entschieden wird, erwirkt werden kann (vgl. [X.] Beschluss vom 13. Dezember 2005 - [X.] - [X.], 568 Rn. 7).

Soweit abweichend davon einer früheren Entscheidung des [X.]. Zivilsenats des [X.] eine Erkundigungspflicht noch vor Ablauf der gesetzlichen Frist entnommen werden könnte ([X.] Beschluss vom 24. November 2011 - [X.] ZB 69/08 - FamRZ 2010, 370 Rn. 10; vgl. auch [X.] Beschluss vom 16. Oktober 2014 - [X.]I ZB 15/14 - NJW-RR 2015, 700 Rn. 12), hält dieser Senat selbst daran nicht fest ([X.] Beschluss vom 30. Mai 2017 - [X.] ZB 54/16 - NJW-RR 2017, 1532 Rn. 13).

Der Vertrauensschutz gilt grundsätzlich so lange, bis das Gericht über den Verlängerungsantrag entschieden hat (Senatsbeschluss vom 15. August 2007 - [X.] 82/07 - FamRZ 2007, 1724 Rn. 10 f.).

dd) Nach diesen Maßstäben fällt dem Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin kein Verschulden zur Last.

Der Wiedereinsetzungsantrag und die Beschwerdebegründung sind rechtzeitig eingegangen. Das Hindernis zur Einhaltung der Frist entfiel am 6. April 2020, als der Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin die gerichtliche Mitteilung erhielt, dass eine Beschwerdebegründung nicht eingegangen sei. Zu einem früheren Zeitpunkt wurde die Frist auch nicht unter dem Aspekt in Gang gesetzt, dass die Antragstellerin sich wegen ungewöhnlich langen Ausbleibens einer Reaktion auf ihren Fristverlängerungsantrag bei Gericht hätte erkundigen müssen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 2. Dezember 2015 - [X.] 211/12 - FamRZ 2016, 366 Rn. 14 ff. und vom 28. März 2001 - [X.] 100/00 - VersR 2002, 1045, 1046).

Ab dem 6. April 2020 lief die Frist von einem Monat, um Wiedereinsetzung zu beantragen und die Beschwerdebegründung einzureichen, § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG i.V.m. § 234 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO. Diese Frist hat die Antragstellerin gewahrt; Wiedereinsetzungsantrag und Beschwerdebegründung sind am 4. Mai 2020 und damit rechtzeitig beim Beschwerdegericht eingegangen. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand liegen daher vor.

ee) Diesem Ergebnis steht auch nicht entgegen, dass die Antragstellerin um Verlängerung der [X.] nur bis zum 27. April 2020 nachgesucht und nicht binnen dieser Frist die Beschwerdebegründung eingereicht hat.

Allerdings hat der [X.] entschieden, dass dem Berufungskläger Wiedereinsetzung nur gewährt werden kann, wenn sein Prozessbevollmächtigter die in einem ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist begehrte Frist eingehalten hat ([X.] Beschlüsse vom 14. Oktober 1993 - [X.] 2/93 - NJW 1994, 55, 56 und vom 4. März 2004 - [X.] 121/03 - NJW 2004, 1742). Diese Entscheidungen betrafen jedoch Sachverhalte, in denen die [X.] nicht schon vor Ablauf der beantragten verlängerten Begründungsfrist zu laufen begann. Dann entspricht es der Pflicht des Rechtsanwalts zur Wahl des sichersten Weges, die durch den Antrag sich selbst gesetzte Frist einzuhalten. Dagegen hat hier das [X.] innerhalb der beantragten Verlängerungsfrist mitgeteilt, dass die Beschwerdebegründung (und damit auch der Antrag auf Fristverlängerung) nicht eingegangen sei. Damit wurde eine neue, für die Wiedereinsetzung maßgebliche Monatsfrist nach § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG i.V.m. § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO in Gang gesetzt. Diese vom Gesetz vorgegebene Frist ist nicht von der zuvor von der Antragstellerin beantragten Fristverlängerung abhängig. Sie wird durch den Antrag der Antragstellerin nicht verkürzt, sondern steht ihr in voller Länge zur Verfügung (vgl. [X.] Beschluss vom 16. April 2009 - [X.]I ZB 66/08 - NJW-RR 2009, 1583 Rn. 9 f. mwN).

Dose     

      

Schilling     

      

Günter

      

Nedden-Boeger     

      

Guhling     

      

Meta

XII ZB 324/20

02.12.2020

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend Brandenburgisches Oberlandesgericht, 22. Juni 2020, Az: 13 UF 42/20

§ 85 Abs 2 ZPO, § 233 ZPO, § 234 ZPO, § 520 ZPO, § 58 FamFG, §§ 58ff FamFG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 02.12.2020, Az. XII ZB 324/20 (REWIS RS 2020, 600)

Papier­fundstellen: MDR 2021, 545-547 REWIS RS 2020, 600

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

XII ZB 4/20 (Bundesgerichtshof)

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Voraussetzungen einer unverschuldeten Fristversäumung bei krankheitsbedingtem Ausfall des Rechtsanwalts am …


XII ZB 96/23 (Bundesgerichtshof)

Wiedereinsetzungsgesuch bei abgelehnter Fristverlängerung über den einwilligungsfreien Zeitraum hinaus


XII ZB 155/13 (Bundesgerichtshof)

Rechtsmittel in Ehe- und Familienstreitsachen: Pflicht des Verfahrensbevollmächtigten zur rechtzeitigen Stellung eines Fristverlängerungsantrages für eine …


XII ZB 172/20 (Bundesgerichtshof)

Rechtsanwaltsverschulden bei Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist: Einholung der Zustimmung des Beschwerdegegners für erneute Fristverlängerung


XII ZB 329/20 (Bundesgerichtshof)

Wiedereinsetzung in die Beschwerdebegründungsfrist in einer Familienstreitsache: Behauptung des Verlustes des fristwahrenden Schriftstücks auf dem …


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.