Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 05.06.2014, Az. 6 AZN 267/14

6. Senat | REWIS RS 2014, 5006

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Gegenstand

(Absoluter Revisionsgrund des § 547 Nr 1 ZPO - analoge Anwendung von § 72a Abs 7 ArbGG)


Leitsatz

Bei Vorliegen eines absoluten Revisionsgrundes iSv. § 72 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 1 ArbGG, § 547 Nr. 1 bis 5 ZPO ist § 72a Abs. 7 ArbGG analog anzuwenden.

Tenor

1. Auf die Beschwerde des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 27. August 2013 - 8 [X.]/08 - aufgehoben.

2. Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens - an eine andere Kammer des Landesarbeitsgerichts zurückverwiesen.

3. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 9.900,00 Euro festgesetzt.

Gründe

1

I. Die [X.]en streiten über die Wirksamkeit eines gerichtlichen Vergleichs.

2

Der Kläger stand auf der Grundlage gerichtlicher Beschlüsse vom 12. Juli 2005 unter Betreuung. Die [X.]en begründeten im Jahre 2007 ein Arbeitsverhältnis, welches der Beklagte mit zwei Kündigungen innerhalb der Wartezeit beenden wollte. Der Kläger hat hiergegen Kündigungsschutzklage erhoben. Die [X.]en haben vor dem Arbeitsgericht am 12. März 2008 einen verfahrensbeendenden Vergleich geschlossen, welcher ua. die Zahlung einer Abfindung iHv. 56.000,00 Euro brutto als Ausgleich für den Verlust des Arbeitsplatzes vorsieht. Der Beklagte hat daraufhin sowohl den Abschluss des Arbeitsvertrags als auch des Prozessvergleichs wegen arglistiger Täuschung und Irrtums angefochten. Der Kläger hält an der Wirksamkeit des Vergleichs fest.

3

Durch Beschluss des zuständigen [X.] vom 31. August 2009 wurde die Betreuung des [X.] aufgehoben. Das [X.] hat diese Entscheidung am 30. August 2010 dahin gehend abgeändert, dass die Betreuerbestellung noch für Gerichtsverfahren nach § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO sowie bezüglich Gerichtsverfahren mit Auslandsbezug besteht. Schließlich hat das Betreuungsgericht mit Beschluss vom 31. Mai 2011 diese Betreuung gänzlich aufgehoben.

4

Das Arbeitsgericht hat in seinem Urteil vom 2. Dezember 2008 den auf die Unwirksamkeit des Vergleichs gerichteten Feststellungsantrag des Beklagten als unbegründet angesehen. Das [X.] hat nach dem Ende der Vertretung des [X.] durch seinen vormaligen Betreuer mit Beschluss vom 3. Dezember 2010 einen Rechtsanwalt als Prozessbevollmächtigten beigeordnet. Es hat zur Prüfung der Prozessfähigkeit des [X.] ein Gutachten eingeholt. Am 27. November 2012 hat das [X.] nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem Kläger beschlossen, dass der Kläger für das vorliegende Verfahren als prozessunfähig angesehen wird. Ihm wurde Gelegenheit gegeben, bis zum 10. Januar 2013 für die Bestellung eines Betreuers zu sorgen. Am 9. Januar 2013 hat der Kläger das Betreuungsgericht hierüber informiert und gebeten „das Notwendige“ zu veranlassen. Bis zur nächsten mündlichen Verhandlung vor dem [X.] am 16. Juli 2013 erfolgte keine Entscheidung über die erneute Bestellung eines Betreuers.

5

In diesem Termin war der Kläger mit dem beigeordneten Rechtsanwalt anwesend. Das [X.] hat den Kläger jedoch als nicht wirksam vertreten und damit säumig angesehen. Der beigeordnete Rechtsanwalt handle ohne wirksame Vollmacht, da der Kläger partiell prozessunfähig für arbeitsgerichtliche Verfahren sei und insoweit keine Prozessvollmachten erteilen könne. Zwar komme das eingeholte Sachverständigengutachten nicht eindeutig zu dem Ergebnis der [X.]keit des [X.]. Diese sei aber aus dem gesamten prozessualen Verhalten des [X.] in einer Vielzahl von Prozessen erkennbar. Auch frühere Begutachtungen sowie ein von dem Beklagten vorgelegtes Gutachten vom 11. September 2011 kämen zu diesem Ergebnis. Der Kläger sei aufgrund einer Geistesstörung nicht in der Lage, seinen Willen frei zu bilden und nach zutreffend gewonnenen Einsichten zu handeln. Insbesondere sei er krankhaft außer Stande, eigene Überzeugungen kritisch zu hinterfragen, den situativen Erfordernissen anzupassen oder gar zu revidieren. Der Kläger sei auch nicht unverschuldet säumig geblieben. Er habe die ihm bis zum 10. Januar 2013 gesetzte Frist nicht genutzt und durch die Mitteilung falscher Anschriften das eingeleitete Betreuungsverfahren verzögert.

6

Auf Antrag des Beklagten hat das [X.] unter Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung nach Lage der Akten entschieden, dass der Rechtsstreit durch den Vergleich vom 12. März 2008 nicht beendet worden ist. Die Kündigungsschutzklage hat das [X.] abgewiesen.

7

Das vom Kläger mit Schreiben vom 9. Januar 2013 angeregte Betreuungsverfahren wurde durch das Betreuungsgericht mit Beschluss vom 27. Dezember 2013 eingestellt.

8

II. Die Beschwerde führt zulässig und begründet den absoluten Revisionsgrund des § 547 Nr. 1 ZPO sowie eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG an. Nach § 72a Abs. 7 ArbGG hat der Senat das angefochtene Urteil aufgehoben und den Rechtsstreit an eine andere Kammer des [X.]s zurückverwiesen. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob weitere Verletzungen des Anspruchs auf rechtliches Gehör vorliegen, welche ebenfalls zur Zurückverweisung gemäß § 72a Abs. 7 ArbGG geführt hätten. Es bedarf auch keiner Entscheidung, ob die Voraussetzungen einer Grundsatz- oder Divergenzbeschwerde hier erfüllt sind.

9

1. Die Beschwerde ist nicht wegen Versäumung der Fristen zur Einlegung und Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 72a Abs. 2 Satz 1 und § 72a Abs. 3 Satz 1 ArbGG unzulässig.

a) Zum Zeitpunkt der Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde am 1. April 2014 waren diese Fristen mit Blick auf die Zustellung des Urteils des [X.]s am 2. September 2013 versäumt.

b) Dem Kläger ist jedoch die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 233 ZPO zu gewähren. Der Kläger war wegen Mittellosigkeit und somit ohne sein Verschulden verhindert, die Fristen zur Einlegung und Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde einzuhalten. Er hat aber innerhalb der einmonatigen Notfrist des § 72a Abs. 2 Satz 1 ArbGG am 2. Oktober 2013 Prozesskostenhilfe beantragt, die ihm mit Beschluss des Senats vom 10. März 2014 - 6 [X.] 16/13 - bewilligt worden ist (vgl. [X.] 11. Oktober 2010 - 9 [X.] - Rn. 5). Die Entscheidung wurde dem Kläger am 18. März 2014 zugestellt. Der am 1. April 2014 eingegangene Wiedereinsetzungsantrag wahrte die zweiwöchige [X.] des § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die Frist begann mit dem Tag, an dem das der Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde entgegenstehende Hindernis behoben war (§ 234 Abs. 2 ZPO). Das Hindernis der Mittellosigkeit entfiel mit der Bekanntgabe des Beschlusses über die Bewilligung der Prozesskostenhilfe an den Kläger (vgl. [X.] 22. November 2000 - XII ZB 28/00 - zu II 1 der Gründe). Die [X.] endete folglich mit Ablauf des 1. April 2014 (§ 222 Abs. 1 ZPO, § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 BGB). Die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde ging am 16. April 2014 und damit innerhalb der Monatsfrist des § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO ein.

2. Die mögliche mangelnde Prozessfähigkeit des [X.] führt nicht zur Unzulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde.

a) Die Prozessfähigkeit gemäß § 51 Abs. 1, § 52 ZPO ist zwingende Prozessvoraussetzung. Bestehen konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die [X.] prozessunfähig sein könnte, hat deshalb das jeweils mit der Sache befasste Gericht nach § 56 Abs. 1 ZPO von Amts wegen zu ermitteln, ob [X.]keit vorliegt. Dabei ist es nicht an die förmlichen Beweismittel des Zivilprozesses gebunden, vielmehr gilt der Grundsatz des Freibeweises (vgl. [X.] 9. November 2010 - VI ZR 249/09 - Rn. 4). Das mögliche Fehlen der Prozessfähigkeit ist in jeder Lage des Verfahrens, also auch noch in der Berufungs- und Revisionsinstanz, von Amts wegen zu berücksichtigen ([X.] 20. Januar 2000 - 2 [X.] - zu II 2 b der Gründe, [X.]E 93, 248; zum Ermessenspielraum des [X.], ob es den Sachverhalt selbst aufklären will vgl. [X.] 26. August 1988 - 7 [X.] - zu I 2 der Gründe). Die höhere Instanz ist an die Tatsachenfeststellungen der unteren Instanz zu den Prozessvoraussetzungen nicht gebunden und hat auch neues Tatsachenvorbringen zu berücksichtigen ([X.]/[X.]. § 56 Rn. 2 mwN). Für den Streit über die Prozessfähigkeit ist die davon betroffene [X.] aber in jedem Fall als prozessfähig anzusehen ([X.] 28. Mai 2009 - 6 [X.] 17/09 - Rn. 3; [X.] 9. November 2010 - VI ZR 249/09 - Rn. 3). So kann auch eine [X.], deren Prozessfähigkeit in der Vorinstanz verneint worden ist, wirksam ein Rechtsmittel einlegen, um eine andere Beurteilung zu erreichen ([X.] 6. Dezember 2013 - V ZR 8/13 - Rn. 4).

b) Nach den zutreffenden Ausführungen des [X.]s in der anzufechtenden Entscheidung wurde die [X.]keit des [X.] gutachterlich nicht mit hinreichender Sicherheit festgestellt. Die dennoch durch das [X.] vorgenommene Einschätzung des [X.] als „partiell prozessunfähig für arbeitsgerichtliche Verfahren“ begegnet Bedenken.

aa) Für die Prozessfähigkeit ist maßgeblich, ob eine Person sich durch Verträge verpflichten kann ( § 52 ZPO ). [X.], weil geschäftsunfähig, sind deshalb Volljährige unter den Voraussetzungen des § 104 Nr. 2 BGB. Danach ist geschäftsunfähig, wer sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden, dauerhaften Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet. Ein solcher Zustand ist gegeben, wenn jemand nicht im Stande ist, seinen Willen frei und unbeeinflusst von einer vorliegenden Geistesstörung zu bilden und nach zutreffend gewonnenen Einsichten zu handeln. Das kann auch der Fall sein, wenn lediglich eine Geistesschwäche vorliegt. Abzustellen ist allein darauf, ob eine freie Entscheidung nach Abwägung des Für und Wider bei sachlicher Prüfung der in Betracht kommenden Gesichtspunkte möglich ist oder ob umgekehrt von einer freien Willensbildung nicht mehr gesprochen werden kann, etwa weil infolge der Geistesstörung Einflüsse dritter Personen den Willen übermäßig beherrschen ([X.] 28. Mai 2009 - 6 [X.] 17/09 - Rn. 8 mwN).

bb) Ein Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit des [X.] ist jedenfalls bezogen auf das vorliegende Verfahren nicht zu erkennen. Der Kläger verfolgt nur noch das Ziel, sich gegen die Angriffe des Beklagten gegen die Wirksamkeit des am 12. März 2008 geschlossenen Prozessvergleichs zu verteidigen. Dies ist nachvollziehbar, denn schließlich sieht dieser Vergleich für die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses während der Wartezeit eine Abfindung iHv. 56.000,00 Euro brutto vor. Die vom [X.] diagnostizierten Wahnvorstellungen kommen hier nicht zum Ausdruck. Im Gegensatz zum [X.] hat das Betreuungsgericht zudem in seinem Beschluss vom 31. Mai 2011 angeführt, dass der Kläger in der Lage sei, sich in anhängigen Prozessen als [X.] zu artikulieren oder einen Prozessbevollmächtigten zu mandatieren. Er sei auf die Unterstützung durch einen gesetzlichen Vertreter nicht angewiesen.

c) In der Gesamtschau der zahlreichen Prozesse des [X.] in den letzten Jahren erscheint es dennoch möglich, dass der Kläger (wieder) prozessunfähig ist. Bezüglich des [X.]s kann dies jedoch offenbleiben. Mit dem Beschwerdeverfahren wird der Streit über die Prozessfähigkeit des [X.] fortgeführt, da die Beschwerde [X.] erhebt, die sich auf die Führung des Verfahrens durch das [X.] bei von diesem unterstellter [X.]keit des [X.] beziehen.

3. Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Es liegt der absolute Revisionsgrund der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts vor (§ 547 Nr. 1 ZPO iVm. § 72 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 1 ArbGG).

a) Die Beschwerdebegründung enthält eine ausreichende Geltendmachung dieses Revisionsgrundes.

aa) Wird mit einer Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 3 ArbGG das Vorliegen eines absoluten Revisionsgrundes geltend gemacht, muss nach § 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ArbGG die Beschwerdebegründung die Darlegung des absoluten Revisionsgrundes nach § 547 Nr. 1 bis 5 ZPO enthalten. Die bloße Benennung eines [X.] genügt nicht. Der Beschwerdeführer hat vielmehr die Tatsachen, aus denen sich der Verfahrensfehler des Berufungsgerichts ergeben soll, substantiiert vorzutragen ([X.] 5. Dezember 2011 - 5 [X.] 1036/11 - Rn. 7).

bb) Diese Voraussetzungen sind hier bezüglich des absoluten Revisionsgrundes nach § 547 Nr. 1 ZPO erfüllt. Der Beschwerdeführer hat diese Rechtsnorm zwar nicht konkret bezeichnet, sondern als absoluten Revisionsgrund unter Nr. 3, 4 und 5 der Beschwerdebegründung nur § 547 Nr. 4 ZPO ausdrücklich angeführt sowie einen Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) gerügt. Die Beschwerdebegründung lässt aber deutlich erkennen, dass der Beschwerdeführer die nicht vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts iSd. § 547 Nr. 1 ZPO als gegeben ansieht (vgl. [X.] 25. Januar 2012 - 4 [X.] - Rn. 12). Dies ergibt sich daraus, dass die Beschwerdebegründung anführt, dass die Voraussetzungen einer Entscheidung nach Aktenlage gemäß § 331a ZPO, wie sie das [X.] hier vorgenommen hat, nicht gegeben seien. Da im arbeitsgerichtlichen Verfahren bei einer solchen Entscheidung gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 4 ArbGG eine Alleinentscheidung durch die Vorsitzende oder den Vorsitzenden erfolgt (vgl. GMP/Germelmann ArbGG 8. Aufl. § 55 Rn. 17), umfasst die erhobene und begründete Rüge bezüglich der Entscheidung nach Aktenlage zwingend die Rüge der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts. Die Beschwerde macht damit deutlich, dass die Entscheidung unzulässigerweise ohne Mitwirkung [X.] erfolgte.

b) Der absolute Revisionsgrund des § 547 Nr. 1 ZPO ist gegeben, da das [X.] keine Entscheidung nach Aktenlage gemäß § 331a ZPO durch Alleinentscheidung der Vorsitzenden treffen durfte. Die Alleinentscheidung stellt eine Entscheidung bei nicht vorschriftsmäßiger Besetzung des Gerichts dar. Dies gilt unabhängig davon, ob der Kläger prozessfähig oder prozessunfähig war.

aa) Wäre der Kläger - entgegen der Auffassung des [X.]s - prozessfähig gewesen, so wäre er durch den ihm beigeordneten Rechtsanwalt in der mündlichen Verhandlung ordnungsgemäß vertreten gewesen (§ 11 Abs. 4 ArbGG). Eine Säumnis hätte nicht vorgelegen.

bb) Bei zu jedem Zeitpunkt des Verfahrens vorliegender [X.]keit des [X.] hätte das [X.] den Antrag des Beklagten auf Entscheidung nach Lage der Akten gemäß § 335 Abs. 1 Nr. 2 ZPO zurückweisen müssen. In diesem Fall wäre keine ordnungsgemäße Ladung des [X.] zum Termin am 16. Juli 2013 erfolgt.

(1) Nicht verkündete [X.] sind gemäß § 329 Abs. 2 Satz 2 ZPO zuzustellen. Gemäß § 170 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist bei nicht prozessfähigen Personen an ihren gesetzlichen Vertreter zuzustellen. Die Zustellung an die nicht prozessfähige Person ist unwirksam (§ 170 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Betreute Personen werden im Aufgabenkreis des Betreuers gemäß § 1902 BGB durch diesen gerichtlich und außergerichtlich vertreten.

(2) Bei unterstellter [X.]keit des [X.] hätte die am 27. März 2013 vorgenommene und nicht verkündete Terminsbestimmung mit Ladung einem Betreuer des [X.] zugestellt werden müssen. Dies ist nicht erfolgt.

(3) Entgegen der Auffassung des [X.]s konnte die nicht an den gesetzlichen Vertreter des [X.] erfolgte Zustellung auch nicht durch das Erscheinen des [X.] und des beigeordneten Anwalts im Termin geheilt werden. Eine Heilung von [X.] kommt gemäß § 189 ZPO nur in Betracht, wenn das Dokument der Person, an die die Zustellung dem Gesetz gemäß gerichtet war oder gerichtet werden konnte, tatsächlich zugegangen ist. Diese Person wäre ein Betreuer gewesen. An einen Betreuer erfolgte aber zu keinem Zeitpunkt eine Ladung.

(4) Die Zustellung der Ladung an den beigeordneten Anwalt als Prozessbevollmächtigten nach § 172 Abs. 1 ZPO war entgegen der Auffassung des [X.]s auch nicht ausreichend, weil der Streit über die Prozessfähigkeit noch andauerte. Das [X.] hatte bereits mit Beschluss vom 27. November 2012 entschieden, dass es den Kläger für das vorliegende Verfahren als prozessunfähig ansieht.

cc) Selbst bei Annahme einer ordnungsgemäßen Ladung und Vorliegen einer Säumnis hätte das [X.] keine Entscheidung nach Aktenlage treffen dürfen.

(1) Ein Urteil nach Lage der Akten darf nach § 331a Satz 2, § 251a Abs. 2 ZPO nur ergehen, wenn in einem früheren Termin mündlich verhandelt worden ist. Es darf frühestens in zwei Wochen verkündet werden. Das Gericht hat der nicht erschienenen [X.] den [X.] formlos mitzuteilen. Es bestimmt neuen Termin zur mündlichen Verhandlung, wenn die [X.] dies spätestens am siebenten Tag vor dem zur Verkündung bestimmten Termin beantragt und glaubhaft macht, dass sie ohne ihr Verschulden ausgeblieben ist und die Verlegung des Termins nicht rechtzeitig beantragen konnte.

(2) Der Kläger hatte mit [X.] vom 1. Juli 2013 die Verlegung des Termins am 16. Juli 2013 beantragt, weil über die Bestellung eines Betreuers noch nicht entschieden worden sei. Ihm stünde kein Mittel zur Verfahrensbeschleunigung zur Verfügung. Nach Durchführung des Termins wiederholte er dies mit [X.] vom 31. Juli 2013, welcher am selben [X.] einging, und beantragte die Bestimmung eines neuen Termins zur mündlichen Verhandlung. Das [X.] verkündete in dem vom 13. August 2013 auf den 27. August 2013 verlegten [X.] dennoch das angegriffene Urteil. Es hätte aber antragsgemäß einen neuen Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmen müssen. Die wegen der nicht erfolgten Vertretung durch einen Betreuer angenommene Säumnis wäre nicht auf ein Verschulden des [X.] zurückzuführen.

(a) Das erkennende Gericht muss darauf hinwirken, dass ein nach Auffassung des Gerichts prozessunfähiger Kläger, der damit mangels Geschäftsfähigkeit auch keinen Prozessbevollmächtigten wirksam hatte bestellen können, seine prozessualen Rechte wahrnehmen kann. Das Gericht muss den Kläger also darauf hinweisen, dass er für eine ordnungsgemäße Vertretung zu sorgen hat und sich deshalb selbst um die Bestellung eines Betreuers nach § 1896 BGB bemühen muss, der nur vom Betreuungsgericht, nicht aber vom Prozessgericht bestellt werden kann. Es muss dem Kläger dafür vor Erlass des [X.] die nötige Zeit einräumen (vgl. [X.] 28. Mai 2009 - 6 [X.] 17/09 - Rn. 6; [X.] 9. November 2010 - VI ZR 249/09 - Rn. 7). Dabei ist zu berücksichtigen, dass selbst die Bestellung eines vorläufigen Betreuers durch einstweilige Anordnung nach § 300 FamFG nicht ohne eine ärztliche Stellungnahme und eine vorherige Anhörung des Betroffenen durch das Betreuungsgericht zulässig ist, was eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt ([X.] 6. Dezember 2013 - V ZR 8/13 - Rn. 21). Zudem muss das Gericht im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht nach § 26 FamFG etwaigen Zweifeln am Vorliegen der Voraussetzungen einer Betreuerbestellung nachgehen (vgl. [X.]/[X.] FamFG 18. Aufl. § 300 Rn. 4). Diese Umstände sind unter Berücksichtigung der Komplexität des jeweiligen Falls bei der Einschätzung des erforderlichen Zeitrahmens zu berücksichtigen.

(b) Die Beschwerdebegründung weist unter Nr. 4 zutreffend darauf hin, dass die dem Kläger für die Bestellung eines Betreuers bis zum 10. Januar 2013 gesetzte Frist praktisch unhaltbar war. Das [X.] hat dem Kläger erst mit Beschluss vom 27. November 2012 mitgeteilt, dass es ihn für das vorliegende Verfahren als prozessunfähig ansieht. Die Zeitspanne bis zum Fristablauf war offensichtlich nicht ausreichend, um das gerichtliche Verfahren bzgl. der Bestellung eines Betreuers abzuschließen. Es ist daher ohne Belang, dass der Kläger sich erst am 9. Januar 2013 an das zuständige Betreuungsgericht gewandt hat. Hinsichtlich des weiteren Ablaufs des Verfahrens kann dem Kläger entgegen der Auffassung des [X.]s nicht mit auschlaggebender Wirkung angelastet werden, dass eine Entscheidung über die Betreuerbestellung bis zur mündlichen Verhandlung am 16. Juli 2013 nicht getroffen wurde. Es sprechen zwar durchaus Umstände dafür, dass sich der Kläger hinsichtlich der Angabe der zutreffenden Adresse zunächst nicht konstruktiv verhalten hat. Zumindest gegenüber dem [X.] hat er jedoch mit [X.] vom 12. April 2013 seine aktuelle Adresse mitgeteilt. Eine Weitergabe an das Betreuungsgericht wäre gemäß § 22a Abs. 2 FamFG in Betracht gekommen. Es obliegt im Übrigen dem Betreuungsgericht im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht mit hinreichendem Nachdruck die entsprechende Klarheit herbeizuführen.

4. Die Verfahrensgestaltung des [X.]s verletzt den Kläger auch in seinem Recht aus Art. 103 Abs. 1 GG ([X.] 28. Mai 2009 - 6 [X.] 17/09 - Rn. 5; [X.] 6. Dezember 2013 - V ZR 8/13 - Rn. 19). Dies rügt die Beschwerde zu Recht.

5. Zur Beschleunigung des Verfahrens hat der Senat den Rechtsstreit nach § 72a Abs. 7 ArbGG an das [X.] zurückverwiesen und dabei wegen der Gesamtumstände von der Möglichkeit der Zurückverweisung an eine andere Kammer Gebrauch gemacht. Hinsichtlich der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör gründet sich dies auf die direkte Anwendung des § 72a Abs. 7 ArbGG. Bezüglich des absoluten Revisionsgrundes nach § 547 Nr. 1 ZPO ist § 72a Abs. 7 ArbGG analog anzuwenden.

a) Nach § 72a Abs. 7 ArbGG kann das [X.] bei Verletzung des Anspruchs des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise in dem der Beschwerde stattgebenden Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverweisen. Dem Wortlaut der Vorschrift nach besteht diese Möglichkeit nicht bei Vorliegen eines anderen [X.]. § 72a Abs. 7 ArbGG ist aber bei Vorliegen eines absoluten Revisionsgrundes iSv. § 72 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 1 ArbGG, § 547 Nr. 1 bis 5 ZPO analog anzuwenden.

aa) Analoge Gesetzesanwendung setzt voraus, dass der gesetzlich ungeregelte Fall nach Maßgabe des Gleichheitssatzes und zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen nach der gleichen Rechtsfolge verlangt wie die erfassten Fälle ([X.] 24. Oktober 2013 - 2 [X.] - Rn. 25). Es muss allerdings eine positiv festzustellende Gesetzeslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes vorliegen ([X.] 16. Mai 2013 - 6 [X.] - Rn. 56).

bb) Nach diesen Grundsätzen ist eine analoge Anwendung des § 72a Abs. 7 ArbGG bei Vorliegen eines absoluten Revisionsgrundes gemäß § 547 Nr. 1 bis 5 ZPO geboten.

(1) § 72a Abs. 7 ArbGG wurde durch das Anhörungsrügengesetz vom 9. Dezember 2004 ([X.]I S. 3220) neu eingefügt. Die Vorschrift orientiert sich an § 544 Abs. 7 ZPO und dient der Beschleunigung des Verfahrens ([X.]. 663/04 S. 49; [X.]. 15/3706 S. 20). Diesem Zweck der Verfahrensbeschleunigung würde es widersprechen, wenn bei Vorliegen eines absoluten Revisionsgrundes die angefochtene Entscheidung zunächst im Revisionsverfahren ohne weitere Sachprüfung aufgehoben und das Verfahren erst dann an das [X.] zurückverwiesen werden müsste ([X.] 2005, 65, 76; [X.]/[X.] 14. Aufl. § 72a ArbGG Rn. 10; [X.]/[X.]/[X.] ArbGG 3. Aufl. § 72a Rn. 59).

(2) Für eine unbewusste Gesetzeslücke im Sinne eines Redaktionsversehens spricht die ausweislich der Gesetzesbegründung erfolgte Orientierung an dem im Wesentlichen wortgleichen § 544 Abs. 7 ZPO, der wiederum § 133 Abs. 6 VwGO zum Vorbild hat ([X.]. 15/3706 S. 17; [X.] 12. Dezember 2006 - 3 [X.] 625/06 - Rn. 34, [X.]E 120, 322). Dabei ist offenbar übersehen worden, dass § 543 ZPO anders als § 72 Abs. 2 Nr. 3 ArbGG eine Zulassung der Revision wegen Vorliegens eines absoluten Revisionsgrundes nicht vorsieht (vgl. [X.] 2005, 65, 76; [X.]/[X.]/[X.] ArbGG 3. Aufl. § 72a Rn. 59). Die Berücksichtigung absoluter Revisionsgründe war bei § 544 Abs. 7 ZPO daher nicht veranlasst.

(3) All dies spricht dafür, dass die mit § 72a Abs. 7 ArbGG bezweckte Verfahrensbeschleunigung zur Vermeidung eines lediglich entscheidungsverzögernden Revisionsverfahrens auch bei Darlegung eines absoluten Revisionsgrundes im [X.] gemäß § 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 Alt. 1 ArbGG ermöglicht werden soll. Eine entsprechende Analogie entspricht auch der Interessenlage der [X.]en und dem allgemeinen Beschleunigungsgebot nach § 9 Abs. 1 ArbGG ([X.]/[X.] 14. Aufl. § 72a ArbGG Rn. 10). In der Literatur wird die analoge Anwendung des § 72a Abs. 7 ArbGG daher überwiegend befürwortet (so [X.]/[X.] ArbGG 8. Aufl. § 72a Rn. 51; [X.]/[X.]/[X.]. ArbGG § 72a Rn. 87a; [X.] [X.]/[X.] Stand 1. März 2014 ArbGG § 72a Rn. 21; [X.]/[X.] Stand April 2010 § 72a Rn. 84; GMP/[X.] 8. Aufl. § 72a Rn. 62).

b) § 72a Abs. 7 ArbGG ermöglicht auch die Zurückverweisung an eine andere Kammer des [X.]s. Die Vorschrift sieht dies zwar nicht ausdrücklich vor. Dieser Weg ist jedoch in entsprechender Anwendung von § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO eröffnet. Eine derartige Notwendigkeit kann auch bei einer Zurückverweisung im Rahmen des [X.]s entstehen ([X.] 12. Dezember 2006 - 3 [X.] 625/06 - Rn. 33, [X.]E 120, 322).

6. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung gemäß § 72a Abs. 5 Satz 5 ArbGG ab.

III. Die nach der Zurückverweisung zuständige Kammer des [X.]s wird zu prüfen haben, ob sie - ggf. nach Einholung eines erneuten Sachverständigengutachtens - ebenfalls von der [X.]keit des [X.] ausgeht. In diesem Fall wird zu klären sein, ob eine durchgehende [X.]keit seit Beginn des Verfahrens vorliegt, so dass eine konkludente Genehmigung der bisherigen Prozesshandlungen durch den zeitweise prozessfähigen Kläger ausscheidet (vgl. [X.] 28. Mai 2009 - 6 [X.] 17/09 - Rn. 10). Bei zeitweiser Prozessfähigkeit wären die Vorgaben der §§ 86, 246 ZPO zu beachten. Bei durchgehender [X.]keit wird das [X.] dem Kläger wiederum Gelegenheit geben müssen, für eine gesetzliche Vertretung durch Bestellung eines Betreuers zu sorgen.

Sollte das [X.] demgegenüber zu der Auffassung gelangen, dass der Kläger prozessfähig ist, wird es den Rechtsstreit nach mündlicher Verhandlung unter Hinzuziehung [X.] entscheiden müssen.

IV. Das [X.] wird auch über die Kosten des [X.]s zu entscheiden haben.

V.  Die Wertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 GKG.

        

    Fischermeier    

        

    Spelge    

        

    [X.]    

        

        

        

    Augat    

        

    Kreis    

                 

Meta

6 AZN 267/14

05.06.2014

Bundesarbeitsgericht 6. Senat

Beschluss

Sachgebiet: AZN

vorgehend ArbG Heilbronn, 2. Dezember 2008, Az: 4 Ca 162/08, Urteil

Art 103 Abs 1 GG, § 547 Nr 1 ZPO, § 51 Abs 1 ZPO, § 52 ZPO, § 56 Abs 1 ZPO, § 170 Abs 1 ZPO, § 172 Abs 1 ZPO, § 189 ZPO, § 251a Abs 2 ZPO, § 331a ZPO, § 335 Abs 1 Nr 2 ZPO, § 55 Abs 1 Nr 4 ArbGG, § 72 Abs 2 Nr 3 ArbGG, § 72a Abs 3 S 2 Nr 3 ArbGG, § 72a Abs 7 ArbGG, § 104 Nr 2 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 05.06.2014, Az. 6 AZN 267/14 (REWIS RS 2014, 5006)

Papier­fundstellen: NJW 2015, 269 REWIS RS 2014, 5006

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Einreichung der Nichtzulassungsbeschwerdebegründung - elektronisches Dokument - besonderes elektronisches Anwaltspostfach (beA) - fehlende Personenidentität zwischen …


5 AZN 640/19 (Bundesarbeitsgericht)

Nichtzulassungsbeschwerde - absoluter Revisionsgrund - nicht vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts - gleiche Kammerbesetzung


Referenzen
Wird zitiert von

2 Ca 504/21

5 PB 10/15

6 Sa 13/15

7 Sa 683/17

7 Ca 415/15

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