Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 18.09.2019, Az. 5 AZN 640/19

5. Senat | REWIS RS 2019, 3457

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Gegenstand

Nichtzulassungsbeschwerde - absoluter Revisionsgrund - nicht vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts - gleiche Kammerbesetzung


Tenor

1. Auf die Beschwerde der Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 19. Dezember 2018 - 8 [X.]/17 - aufgehoben.

2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens - an das [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Die [X.]arteien streiten darüber, ob die beklagte Rechtsanwältin Forderungen gegen die Staatskasse aus einer Tätigkeit als [X.]flichtverteidigerin an die Klägerin, ihre vormalige Arbeitgeberin, abtreten muss.

2

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das [X.] hat in der Berufungsverhandlung am 7. Februar 2018, zu der die ehrenamtlichen [X.] M und [X.] herangezogen worden waren, Beweis erhoben zum [X.]punkt des [X.] der Berufungsbegründung in den Nachtbriefkasten des Gerichts durch Zeugeneinvernahme und sodann mit - inzwischen rechtskräftigem - Zwischenurteil vom 2. März 2018 entschieden, dass die Berufung der Beklagten zulässig i[X.] Nach einer weiteren Berufungsverhandlung am 5. Dezember 2018 hat das [X.] mit Urteil vom 19. Dezember 2018, das der Beklagten am 27. Mai 2019 zugestellt worden ist, deren Berufung zurückgewiesen. An dieser Entscheidung haben die ehrenamtlichen [X.] F und [X.] mitgewirkt. Das [X.] hat die Revision nicht zugelassen. Dagegen richtet sich die Beschwerde der Beklagten, die am 19. Juni 2019 beim [X.] eingegangen und „vorsorglich“ zusätzlich zu einer am 17. Juni 2019 anhängig gemachten sofortigen Beschwerde nach § 72b ArbGG eingelegt i[X.] Die sofortige Beschwerde wegen verspäteter Absetzung des Berufungsurteils hat der Senat mit Beschluss vom heutigen Tag (- 5 [X.] -) zurückgewiesen.

3

II. Die Beschwerde ist zulässig und begründet, § 72 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 1, § 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 Alt. 1 ArbGG. Die anzufechtende Entscheidung beruht auf der von der Beklagten substantiiert dargelegten (zu den Anforderungen an die ordnungsgemäße Darlegung eines absoluten Revisionsgrundes sh. [X.] 14. September 2016 - 4 [X.] 540/16 - Rn. 3 mwN) nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Berufungsgerichts und damit auf dem absoluten Revisionsgrund des § 547 Nr. 1 Z[X.]O. Die [X.] des [X.]s München war bei Erlass des anzufechtenden Urteils mit den ehrenamtlichen [X.]n F und [X.] nicht vorschriftsmäßig besetzt.

4

1. Ob das Gericht iSd. § 547 Nr. 1 Z[X.]O ordnungsgemäß besetzt war, beurteilt sich nach dem Inhalt des [X.], der im [X.]punkt der letzten mündlichen Verhandlung galt (BG[X.] 12. März 2015 - [X.]/13 - Rn. 27 mwN). Der Geschäftsverteilungsplan 2018 des [X.]s München bestimmt unter dem Regelungspunkt „Gleiche Kammerbesetzung“ in Nr. 3.1 der Anlage 1 - wie schon wortgleich der Geschäftsverteilungsplan 2017 und nachfolgend derjenige für das [X.] - Folgendes: Wenn in einem Sa-Verfahren „nach Beginn einer Beweisaufnahme vor der Kammer durch Zeugen- oder [X.]arteivernehmung, Augenschein oder mündliche Anhörung des Sachverständigen keine die Instanz vollständig beendende Entscheidung ergeht, (sind) für die weiteren Sitzungen diejenigen ehrenamtlichen [X.]innen/[X.] heranzuziehen, die an der Beweisaufnahme mitgewirkt haben (gleiche Kammerbesetzung)“.

5

2. Danach hätte das Berufungsgericht bei der Fortsetzung der Berufungsverhandlung am 5. Dezember 2018 in der Besetzung mit den ehrenamtlichen [X.]n, die schon an der (ersten) Berufungsverhandlung am 7. Februar 2018 teilgenommen hatten, verhandeln und entscheiden müssen. Denn in dieser wurde ausweislich des [X.]rotokolls Zeugenbeweis erhoben und ist in deren [X.] mit dem Zwischenurteil vom 2. März 2018 über die Zulässigkeit der Berufung keine die Instanz „vollständig beendende Entscheidung“ ergangen. Mit Rechtskraft des Zwischenurteils stand lediglich die Zulässigkeit der Berufung bindend fest (§ 318 Z[X.]O). Eine die Instanz - noch dazu „vollständig“ - beendende Entscheidung war mit dem Zwischenurteil indes nicht ergangen.

6

3. Die Regelungen zur gleichen Kammerbesetzung im Geschäftsverteilungsplan 2018 des [X.]s München, der von allen Kammervorsitzenden des Gerichts unterschrieben ist, sind wirksam. Sollen - wie beim [X.] München gemäß Nr. 1 der Anlage 1 zum Geschäftsverteilungsplan 2018 - die allen Kammern zugewiesenen ehrenamtlichen [X.] nicht nach einer vom Kammervorsitzenden aufgestellten Liste (§ 39 Satz 1 ArbGG), sondern nach einer vom [X.]räsidium mit ausdrücklicher oder stillschweigender Billigung der Vorsitzenden für sämtliche Kammern angefertigten Liste (zur [X.] vgl. [X.] 16. Oktober 2008 - 7 [X.] 427/08 - Rn. 9 mwN, [X.]E 128, 130; [X.]/[X.] 19. Aufl. ArbGG § 31 Rn. 2) herangezogen werden, steht Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG einer „gleichen Kammerbesetzung“ dann entgegen, wenn sie von einer Ad-hoc-Entscheidung des Spruchkörpers abhängig gemacht wird, nicht jedoch, wenn sie - wie im Streitfall - durch eine abstrakt-generelle, zu Beginn des Geschäftsjahrs aufgestellte, jedes Ermessen ausschließende Regelung erfolgt (vgl. [X.] 26. September 1996 - 8 [X.] - zu [X.] der Gründe, [X.]E 84, 189; 7. Mai 1998 - 2 [X.] - zu II 5 c aa der Gründe, [X.]E 88, 344 und - zu einer früheren Fassung des [X.] des Berufungsgerichts - 2. Dezember 1999 - 2 [X.] 843/98 - zu II 2 der Gründe, [X.]E 93, 55).

7

4. Entgegen der Auffassung der Beschwerdegegnerin lässt sich Nr. 3.1 der Anlage 1 des [X.] 2018 des [X.]s München nicht „nach Sinn und Zweck“ einschränkend dahingehend auslegen, in Fällen wie dem vorliegenden sei nicht die gleiche Kammerbesetzung heranzuziehen.

8

a) Dabei kann dahinstehen, in welchem Umfang Geschäftsverteilungspläne eines Gerichts angesichts von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, dessen Zweck verlangt, dass die Regelungen, die der Bestimmung des gesetzlichen [X.]s dienen, im Voraus so eindeutig wie möglich festlegen müssen, welches Gericht, welcher Spruchkörper und welcher [X.] zur Entscheidung des Einzelfalls berufen sind ([X.] 16. Januar 2017 - 2 BvR 2011/16, 2 BvR 2034/16 - Rn. 21 mwN), auslegbar sind (vgl. dazu etwa [X.] 23. März 2010 - 9 [X.] 1030/09 - Rn. 9; [X.]/[X.] GVG 9. Aufl. § 16 Rn. 9 f. und § 21e Rn. 95; MüKoZ[X.]O/Zimmermann 5. Aufl. § 21e GVG Rn. 15, jeweils mwN). Denn die entsprechende Regelung im Geschäftsverteilungsplan des [X.]s München ist eindeutig: Ergeht nach Beginn einer Beweisaufnahme ua. durch Zeugenvernehmung keine die Instanz vollständig beendende Entscheidung, ist für alle weiteren Berufungsverhandlungen die gleiche Kammerbesetzung heranziehen, und zwar solange, bis eine die Instanz vollständig beendende Entscheidung ergeht.

9

b) Ob die gleiche Kammerbesetzung in einem Falle wie dem vorliegenden, in dem das Berufungsverfahren durch eine im Ermessen der Kammer liegende Entscheidung gleichsam in zwei Abschnitte „aufgespalten“ wird und die Beweisaufnahme nur für den ersten [X.] hat, zweckmäßig ist, obliegt allein der Beurteilung des [X.]räsidiums bei der Aufstellung des [X.] (zur Gestaltungsfreiheit des [X.]räsidiums sh. [X.] 25. August 2016 - 2 BvR 877/16 - Rn. 18 mwN). Es wäre zudem mit Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht vereinbar, die Anwendung der eindeutigen Regelung in Nr. 3.1 der Anlage 1 zum Geschäftsverteilungsplan 2018 des [X.]s München davon abhängig zu machen, ob etwa der Kammervorsitzende oder die Geschäftsstelle zu der Auffassung gelangen, durch ein vorangegangenes Zwischen- oder Teilurteil sei die Instanz „insoweit“ vollständig beendet (vgl. [X.] 16. Januar 2017 - 2 BvR 2011/16, 2 BvR 2034/16 - Rn. 26).

5. Dass die ehrenamtlichen [X.] aus der Berufungsverhandlung vom 7. Februar 2018 nicht an derjenigen vom 5. Dezember 2018 teilgenommen haben (zur Teilnahme an der mündlichen Verhandlung als Voraussetzung für die Mitwirkung am Urteil sh. [X.] 23. Juni 2016 - 8 [X.] 205/16 - Rn. 7 mwN), ist durch das [X.]rotokoll belegt (§ 165 Z[X.]O). Für die Annahme, dass sie - beide - verhindert gewesen wären (Nr. 3.4 der Anlage 1 zum Geschäftsverteilungsplan 2018 des [X.]s München), ergeben sich aus der Berufungsakte keine Anhaltspunkte. Vielmehr wurden entgegen Nr. 3.1 der Anlage 1 zum Geschäftsverteilungsplan 2018 des [X.]s München zur (weiteren) Berufungsverhandlung am 5. Dezember 2018 die ehrenamtlichen [X.] aus der gemeinsamen allgemeinen Beisitzerliste (Nr. 1.1 der Anlage 1 zum Geschäftsverteilungsplan 2018 des [X.]s München) herangezogen. Ihr dahingehendes Vorbringen hat die Beschwerdeführerin durch eine ihr unter dem Briefkopf des [X.]räsidenten des [X.]s München erteilte Auskunft des Geschäftsleiters, die sich auch in der Berufungsakte findet, belegt. Damit im Einklang steht, dass nach Aktenlage die Terminsverfügung des Kammervorsitzenden keinen [X.]inweis auf das Erfordernis der [X.]eranziehung der gleichen Kammerbesetzung enthält, obwohl ein solcher angesichts der seit Erlass des Zwischenurteils verstrichenen [X.]spanne als „[X.]ilfestellung“ für die Geschäftsstelle durchaus nahegelegen hätte.

6. Weil bereits der absolute Revisionsgrund des § 547 Nr. 1 Z[X.]O zur Zulassung der Revision führt, bedarf es keiner Entscheidung über die weitere Rüge, mit der die Beschwerdeführerin die Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend macht. Somit kann dahingestellt bleiben, ob die Beschwerdebegründung mit der seitenlangen wörtlichen Wiedergabe von in den Vorinstanzen eingereichten Schriftsätzen den gesetzlichen Anforderungen an die Darlegung eines entscheidungserheblichen Gehörsverstoßes (vgl. [X.] 1. September 2010 - 5 [X.] 599/10 - Rn. 9 f. mwN) genügt und ob die Beschwerdeführerin im Gewande der [X.] nicht lediglich eine - aus ihrer Sicht - fehlerhafte Rechtsanwendung des [X.]s moniert.

III. Zur Beschleunigung des Verfahrens und weil die Sache beim derzeitigen Verfahrensstand keine revisionsrechtlich bedeutsamen Rechtsfragen aufwirft, hat der Senat in analoger Anwendung des § 72a Abs. 7 ArbGG den Rechtsstreit an das [X.] zurückverwiesen (zur analogen Anwendung des § 72a Abs. 7 ArbGG bei Vorliegen eines absoluten Revisionsgrundes ausführlich [X.] 5. Juni 2014 - 6 [X.] 267/14 - Rn. 35 ff., [X.]E 148, 206, seither [X.] Rspr.).

Im fortgesetzten Berufungsverfahren wird das [X.] zu beachten haben, dass mit der Zurückverweisung kein „neues“ Berufungsverfahren beginnt, sondern die Berufungsinstanz lediglich wieder eröffnet und das Verfahren in die Lage zurückversetzt wird, in der es sich zu der [X.] befand, als die Verhandlung vor Erlass des aufgehobenen Urteils geschlossen wurde ([X.] 8. Mai 2014 - 2 [X.] 75/13 - Rn. 23 mwN, [X.]E 148, 129; BG[X.] 13. Dezember 1962 - III ZR 89/62 -; GM[X.]/[X.] 9. Aufl. § 74 Rn. 141; vgl. auch MüKoZ[X.]O/[X.] 5. Aufl. § 563 Rn. 5 f.; [X.]/[X.]eßler Z[X.]O 32. Aufl. § 563 Rn. 2). Das aufgehobene Berufungsurteil stellt sich damit als keine die Instanz „endgültig“ beendende Entscheidung dar.

IV. Die Entscheidung des Senats ist unter [X.]inzuziehung der ehrenamtlichen [X.] ergangen (§ 72a Abs. 5 Satz 2 ArbGG).

        

    Linck    

        

    Berger    

        

    Biebl    

        

        

        

    Ilgenfritz-Donné    

        

    Mattausch    

                 

Meta

5 AZN 640/19

18.09.2019

Bundesarbeitsgericht 5. Senat

Beschluss

Sachgebiet: AZN

vorgehend ArbG München, 22. Februar 2017, Az: 20 Ca 8699/16, Urteil

§ 39 ArbGG, § 72a ArbGG, § 547 Nr 1 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 18.09.2019, Az. 5 AZN 640/19 (REWIS RS 2019, 3457)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 3457

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