Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 29.06.2016, Az. 1 BvR 1717/15

1. Senat 3. Kammer | REWIS RS 2016, 9096

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

BUNDESVERFASSUNGSGERICHT (BVERFG) STAATSRECHT UND STAATSORGANISATIONSRECHT SCHMERZENSGELD GRUNDRECHTE PERSÖNLICHKEITSRECHT DEMONSTRATIONEN

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Gegenstand

Stattgebender Kammerbeschluss: Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art 2 Abs 1 GG iVm Art 1 Abs 1 GG) sowie des Grundrechts auf Freiheit der Person (Art 2 Abs 2 S 2 GG) durch gerichtliche Verweigerung einer Geldentschädigung wegen insgesamt unrechtmäßiger polizeilicher Ingewahrsamnahme - hier: unzureichende Berücksichtigung der Rechtswidrigkeit der Freiheitsentziehung selber - verfehlte Annahme anderweitiger Genugtuung - Gegenstandswertfestsetzung


Tenor

1. Das Urteil des [X.] vom 8. April 2015 - 2 O 221/14 - und der darauf bezogene Beschluss des [X.] vom 8. Juni 2015 - 2 O 221/14 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit seinen Grundrechten aus Artikel 1 Absatz 1 und Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes, soweit sie die Klage als unbegründet abgewiesen haben. Sie werden insoweit aufgehoben. Die Sache wird an das [X.] zurückverwiesen. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

2. Das [X.] hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.

3. Der Wert des Gegenstands wird auf 25.000 € (in Worten: fünfundzwanzigtausend Euro) festgesetzt.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die Abweisung eines Geldentschädigungsanspruchs wegen einer rechtswidrigen Freiheitsentziehung durch [X.] am Rande einer Großdemonstration.

2

1. Der Beschwerdeführer nahm vom 26. auf den 27. November 2011 an einer Blockade der Bahnstrecke zwischen [X.] und [X.] (Ost) im Bereich [X.] teil, welche anlässlich des [X.] nach [X.] stattfand. Für den betroffenen [X.] galt mit Blick auf den Castortransport ein Versammlungsverbot auf und neben der Bahnstrecke in einem Abstand von 50 Metern. Während des gesamten Transports kam es auf der Bahnstrecke zu [X.]. Die Polizei löste die Sitzblockade im Bereich [X.] durch fünf Lautsprecherdurchsagen zwischen 2:40 Uhr und 2:56 Uhr auf und forderte die Versammlungsteilnehmer auf, sich zu entfernen. Dieser Aufforderung kam rund die Hälfte der circa 3.000 Versammlungsteilnehmer nach. Insgesamt 1.346 Personen - unter ihnen der Beschwerdeführer - verbrachte die Polizei gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe b des [X.] über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (Nds. [X.]) in einen naheliegenden [X.]. Nach dieser Vorschrift kann die Polizei eine Person in Gewahrsam nehmen, wenn dies unerlässlich ist, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Gefahr für die Allgemeinheit zu verhindern. Gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 des [X.] (Nds. [X.]) handelt ordnungswidrig, wer sich nach einer vollziehbar angeordneten Auflösung der Versammlung nicht unverzüglich entfernt. Eine Vorführung zur richterlichen Anhörung nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nds. [X.], etwa bei der Gefangenensammelstelle [X.], wo ein richterlicher Bereitschaftsdienst eingerichtet war, erfolgte nicht. Sanitäre Einrichtungen waren in Form von circa 30 mobilen Toilettenkabinen vorhanden. Die Außentemperaturen auf dem Feld lagen in der betreffenden Nacht bei circa 5 bis 10 Grad Celsius. Im Laufe des Vormittags begann es leicht zu regnen. Ab 9:00 Uhr kam es im [X.] vereinzelt zu Unruhen. Eine Gruppe von rund 200 Personen legte [X.] an und attackierte die Sicherheitskräfte an der [X.]. Einige mobile Toilettenkabinen wurden in Brand gesetzt. In diesem Zusammenhang kam es zum Einsatz von Pfefferspray durch Polizeibeamte. Der Beschwerdeführer konnte den [X.] am folgenden Tage gegen 12:15 Uhr nach Angabe seiner Personalien verlassen.

3

2. Mit - hier nicht angegriffenem - Beschluss vom 13. August 2014 stellte das [X.] fest, dass die Freiheitsentziehung insgesamt rechtswidrig gewesen sei, weil jedenfalls eine unverzügliche richterliche Vorführung nicht erfolgt sei. Zweifel hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Ingewahrsamnahme, insbesondere mit Blick auf Art. 5 Abs. 1 Buchstaben b und [X.], wonach die Erzwingung der Erfüllung einer gesetzlichen Verpflichtung nicht beziehungsweise zumindest nicht in jedem Fall die Verhinderung einer Ordnungswidrigkeit zum Gegenstand haben könne, ließ das [X.] insofern genauso dahinstehen wie die Frage, ob vor Ort Platzverweise erteilt worden sind, deren Nichtbefolgung eine Ingewahrsamnahme gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 3 Nds. [X.] hätten rechtfertigen können.

4

3. Mit angefochtenem Urteil wies das [X.] die Klage des Beschwerdeführers auf Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 500 Euro als teilweise unzulässig, im Übrigen als unbegründet ab.

5

Soweit sich die Amtshaftungsklage gegen den Innenminister richte, sei sie mangels Passivlegitimation bereits unzulässig. Soweit sich die Klage im Übrigen zulässigerweise gegen das Land richte, stehe dem Beschwerdeführer der geltend gemachte Anspruch unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu. Ein Schmerzensgeldanspruch bestehe nur dann, wenn die Ingewahrsamnahme eine hinreichende Schwere aufweise und eine anderweitige Genugtuungsmöglichkeit nicht bestehe. Diese Voraussetzungen seien hier nicht erfüllt. Es fehle bereits an einer hinreichenden Schwere der Persönlichkeitsverletzung, denn die Rechtswidrigkeit der Ingewahrsamnahme beruhe allein darauf, dass eine Vorführung zur richterlichen Anhörung nicht unverzüglich erfolgt sei. Damit unterscheide sich der Fall signifikant von der Fallgestaltung, in der das [X.] im Beschluss vom 11. November 2009 ([X.], 389 ff.) eine Geldentschädigung als erforderlich angesehen habe. Insbesondere zähle der Beschwerdeführer zu den Teilnehmern der aufgelösten Versammlung, die sich gleichwohl nicht entfernt hätten, und habe sich somit rechtswidrig im Bereich des [X.] aufgehalten. Zudem habe er bereits Genugtuung dadurch erfahren, dass das [X.] die Rechtswidrigkeit der Ingewahrsamnahme festgestellt habe. Diese Feststellung sei auch nicht ohne Wert, da dem Gericht dienstlich bekannt sei, dass die Polizeieinsatzleitung in der Vergangenheit aus Entscheidungen in derartigen Freiheitsentziehungsverfahren Konsequenzen für die Einsatzplanung zur Absicherung der nächsten Castortransporte gezogen habe. Der Beschwerdeführer selbst sei im Übrigen offenbar nicht davon ausgegangen, dass die Bedingungen innerhalb des [X.] rechtswidrig gewesen seien, denn einen entsprechenden Feststellungsantrag habe er nicht gestellt. Konsequent habe er seine Klage auch nicht damit begründet, dass er persönlich im Rahmen oder durch den Rahmen der [X.]bedingungen persönlichen körperlichen Schaden erlitten habe, insbesondere er selbst mit Pfefferspray in Kontakt gekommen sei. Danach lasse sich hinsichtlich der Verletzung des immateriellen Persönlichkeitsrechts des Beschwerdeführers keine hinreichende Schwere feststellen, welche die Zahlung einer Geldentschädigung rechtfertigen könne. Auch aus Art. 5 Abs. 5 [X.] ergebe sich kein Anspruch auf Geldentschädigung unabhängig von Grund und Ausmaß der Freiheitsentziehung.

6

4. Die [X.] wies das [X.] mit ebenfalls angegriffenem Beschluss als unbegründet zurück.

7

5. Mit seiner Verfassungsbeschwerde macht der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 Satz 2, Art. 104 Abs. 1, 2 und 4 [X.], jeweils in Verbindung mit Art. 5 Abs. 3 und 5 [X.], sowie aus Art. 8 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4 und Art. 103 Abs. 1 [X.] geltend.

8

6. Dem [X.] und der Präsidentin des [X.] ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden. Die Akten des Ausgangsverfahrens haben dem [X.] vorgelegen.

9

Die Verfassungsbeschwerde wird gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b [X.] zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist. Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93c Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 93a Abs. 2 Buchstabe b [X.]).

1. Das [X.] hat die maßgeblichen Fragen bereits entschieden. Dies gilt insbesondere für die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Entscheidung über einen Geldentschädigungsanspruch wegen der Verletzung immaterieller Rechtsgüter, namentlich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts oder der Menschenwürde (vgl. [X.] 34, 269 <282>).

2. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang im Sinne des § 93c Abs. 1 Satz 1 [X.] offensichtlich begründet.

a) Die Rüge des Beschwerdeführers, die Gerichte hätten zu Unrecht einen Entschädigungsanspruch in Geld wegen der rechtswidrigen Ingewahrsamnahme verneint, betrifft in erster Linie die Auslegung und Anwendung der als Anspruchsgrundlage in Betracht kommenden zivilrechtlichen Vorschriften, hier des § 839 Abs. 1 BGB in Verbindung mit Art. 34 [X.]. Dies obliegt primär den Fachgerichten, deren Entscheidungen insoweit vom [X.] nur darauf überprüft werden können, ob ihnen eine grundsätzlich unrichtige Anschauung der betroffenen Grundrechte zugrunde liegt. Das ist der Fall, wenn die Normauslegung die Tragweite der Grundrechte nicht hinreichend berücksichtigt oder im Ergebnis zu einer unverhältnismäßigen Beschränkung der grundrechtlichen Freiheit führt (vgl. [X.] 18, 85 <92 f.>; 85, 248 <257 f.>; 134, 242 <353 Rn. 323>).

b) Nach diesem Maßstab können die angegriffenen Entscheidungen keinen Bestand haben, denn die Erwägungen, aufgrund derer das [X.] einen Anspruch des Beschwerdeführers auf Geldentschädigung für den erlittenen rechtswidrigen Freiheitsentzug verneint hat, werden der Bedeutung der Grundrechte aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 und Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 [X.] nicht gerecht.

aa) Das [X.] hat bereits entschieden, dass der Schutzauftrag des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch den Anspruch auf Ausgleich des immateriellen Schadens verwirklicht wird, wobei die Gerichte die Fundierung in der Menschenwürde zu beachten haben (vgl. [X.], 49 <52>). Dies gilt nicht weniger, wenn auch das Grundrecht auf Freiheit der Person betroffen ist, weil es bereits an einer Rechtsgrundlage für die freiheitsentziehende Maßnahme als solcher fehlte oder eine richterliche Entscheidung entgegen Art. 104 Abs. 2 Satz 2 [X.] nicht unverzüglich herbeigeführt wird. Zwar muss der hiernach gebotene Ausgleich, wie die angegriffenen Entscheidungen im Ausgangspunkt zutreffend festgestellt haben, nicht zwingend in der Zubilligung eines Zahlungsanspruchs bestehen (vgl. [X.], 49 <52>; 7, 120 <123 f.>). Daher begegnet es grundsätzlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, dass eine Geldentschädigung wegen der Verletzung immaterieller Persönlichkeitsbestandteile nach der zivilgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. [X.], 124 <133>; 161, 33 <36 f.>) nur unter der Voraussetzung einer hinreichenden Schwere und des Fehlens einer anderweitigen Genugtuungsmöglichkeit beansprucht werden kann (vgl. [X.] 34, 269 <286>; [X.], 389 <394 f.>). Dies begegnet auch im Lichte der bisherigen Rechtsprechung des [X.] keinen insoweit durchgreifenden Bedenken (vgl. [X.], Urteil der [X.] vom 25. März 1999 - 31195/96 -, [X.], [X.]> m.w.N.).

bb) Diese Anforderungen an die Verwirklichung grundrechtlichen Schutzes haben die angefochtenen Entscheidungen in verfassungsrechtlich nicht mehr tragfähiger Weise verkannt.

(1) Das [X.] hat seine Auffassung, dass die von dem Beschwerdeführer erlittene [X.] durch die gerichtlich festgestellte Rechtswidrigkeit des [X.] hinreichend ausgeglichen sei, allein auf eine Würdigung der - weitgehend unstreitigen - Umstände der Durchführung des [X.] gestützt. Zudem stützt es sich darauf, dass die Einsatzleitung der Polizei aus der alleinigen Feststellung der Rechtswidrigkeit bereits Konsequenzen für die Einsatzplanung zur Absicherung zukünftiger Castortransporte gezogen habe. Daran bestehen jedoch erhebliche Zweifel, was gerade das vorliegende Verfahren zeigt. Darüber hinaus wird die Verletzung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 [X.] zwar erwähnt, aber nicht in die gebotene Gesamtschau aller Umstände des Einzelfalles einbezogen, dass die Grundrechtsverletzung bereits in der rechtswidrigen Freiheitsentziehung selbst und damit unabhängig von den Bedingungen ihres Vollzuges zu sehen ist. Dies gilt für die Missachtung des [X.] des Art. 104 Abs. 2 Satz 2 [X.] auch im Lichte des Art. 5 Abs. 3 [X.], der sowohl eine zusätzliche verfahrensrechtliche als auch eine materielle Freiheitsgarantie entfaltet (vgl. [X.] 10, 302 <323>; [X.], Urteil der [X.] vom 3. Oktober 2006 - 543/03 -, NJW 2007, S. 3699 <3700>). Die Tatsache, dass das [X.] im Verfahren über die Frage der Rechtmäßigkeit der Ingewahrsamnahme verschiedene Zweifel an derselben geäußert und insbesondere eine Aufklärung hinsichtlich etwaig erteilter Platzverweise unterlassen hat, findet ebenfalls keine hinreichende Berücksichtigung.

(2) Zu beanstanden ist weiter, dass das [X.] in der mindestens achtstündigen Festsetzung des Beschwerdeführers keine nachhaltige Beeinträchtigung gesehen hat, ohne die abschreckende Wirkung zu erwägen, die einer derartigen Behandlung für den künftigen Gebrauch grundrechtlich garantierter Freiheiten - namentlich der durch Art. 8 Abs. 1 [X.] geschützten Teilnahme an [X.] - zukommen konnte und die der Rechtsbeeinträchtigung ein besonderes Gewicht verleihen kann (vgl. [X.] 90, 22 <25>; 99, 185 <197>; [X.], 389 <395 f.>). Die angegriffenen Entscheidungen haben auch hinsichtlich der Ausgleichs- und Genugtuungsfunktion, die sie dem landgerichtlichen Beschluss zugemessen haben, nicht berücksichtigt, dass dieser Beschluss erst mehrere Jahre nach dem Vollzug der angegriffenen Maßnahme ergangen ist und sich nicht ausdrücklich zu der Rechtmäßigkeit der Ingewahrsamnahme als solcher und den zusätzlichen Beeinträchtigungen beim Vollzug des [X.] verhalten hat.

(3) Soweit das [X.] zur Begründung der Abweisung der Geldentschädigung auf den Beschluss der [X.] des [X.] des [X.]s vom 11. November 2009 (vgl. [X.], 389 ff.) Bezug nimmt und ausführt, die Fallgestaltungen seien nicht vergleichbar, da sich der Beschwerdeführer im vorliegenden Verfahren rechtswidrig im Bereich des [X.] aufgehalten habe, während die Beschwerdeführer des damaligen Verfahrens in einer Entfernung von circa 3 km von den Bahnschienen in ihrem Auto angetroffen wurden, verkennt es, dass dies für die verfassungsrechtliche Beurteilung der Rechtmäßigkeit, Durchführung und Dauer der Ingewahrsamnahme gerade des Beschwerdeführers unbeachtlich ist und seine Entscheidung nicht rechtfertigt.

(4) Das Absehen von einer Entschädigung kann auch nicht darauf gestützt werden, dass die durchgeführte Freiheitsentziehung ohne richterliche Entscheidung lediglich ein Abwicklungsproblem der Polizei angesichts der großen Anzahl festgesetzter Versammlungsteilnehmer war. Die Polizei hat vielmehr über viele Stunden nicht die gebotenen Anstrengungen unternommen, um eine richterliche Entscheidung herbeizuführen oder die Festsetzung zu beenden. Nach den Feststellungen der angegriffenen Entscheidung wurde eine große Zahl von [X.] in den frühen Morgenstunden - der Beschwerdeführer gegen 4 Uhr - in [X.] genommen, ohne dass die Polizei die erforderlichen Anstalten traf, eine richterliche Entscheidung möglichst schnell herbeizuführen. Stattdessen wartete sie zunächst zu, richtete gegen Mittag [X.]n ein und begann erst dann - verbunden mit [X.] - mit den Entlassungen. Entsprechend stellte das [X.] in Abänderung der amtsgerichtlichen Entscheidung fest, dass die Freiheitsentziehung nicht nur teilweise, sondern insgesamt rechtswidrig war.

3. Hinsichtlich der vom Beschwerdeführer geltend gemachten Verstöße gegen Art. 8 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4 und Art. 103 Abs. 1 [X.] liegen [X.] nicht vor. Insoweit wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 [X.] von einer Begründung abgesehen.

4. Die angefochtenen Entscheidungen beruhen auf dem Grundrechtsverstoß. Sie sind daher aufzuheben. Die Sache ist an das [X.] zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen (§ 93c Abs. 2 i.V.m. § 95 Abs. 2 [X.]).

5. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 [X.]. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. [X.] 79, 365 <366 ff.>).

Meta

1 BvR 1717/15

29.06.2016

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 3. Kammer

Stattgebender Kammerbeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend LG Lüneburg, 8. Juni 2015, Az: 2 O 221/14, Beschluss

Art 1 Abs 1 GG, Art 2 Abs 1 GG, Art 2 Abs 2 S 2 GG, Art 8 Abs 1 GG, § 93c Abs 1 S 1 BVerfGG, Art 5 Abs 1 Buchst b MRK, Art 5 Abs 1 Buchst c MRK, Art 5 Abs 5 MRK, § 14 Abs 1 RVG, § 37 Abs 2 S 2 RVG, § 18 Abs 1 Nr 2 Buchst b SOG ND 2005, § 19 Abs 1 S 1 SOG ND 2005

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 29.06.2016, Az. 1 BvR 1717/15 (REWIS RS 2016, 9096)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 9096

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