Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.05.2020, Az. LwZB 1/19

Senat für Landwirtschaftssachen | REWIS RS 2020, 1766

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Gegenstand

Wiedereinsetzung in die Berufungsfrist in einer Landwirtschaftssache: Vertrauensschutz für den Berufungsanwalt und gerichtliche Fürsorgepflicht bei Falschangabe des Berufungsgerichts in der Rechtsmittelbelehrung


Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des [X.] - [X.] - vom 28. März 2019 wird auf Kosten der Kläger als unzulässig verworfen.

Der Gegenstandswert des [X.] beträgt 9.222 €.

Gründe

I.

1

Das Urteil des Amtsgerichts - Landwirtschaftsgericht - ist den Klägern am 6. November 2018 zugestellt worden. In der Rechtsmittelbelehrung wird das [X.] als zuständiges Berufungsgericht bezeichnet. Mit einem am 20. November 2018 bei dem [X.] eingegangenen Schriftsatz haben die Kläger Berufung eingelegt. Am 21. November 2018 hat die Geschäftsstelle bei dem Amtsgericht die Akten angefordert. Dem Vorsitzenden der Berufungskammer ist die Sache erstmalig am 8. Januar 2019 zur Entscheidung über den Antrag der Kläger auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist vorgelegt worden, dem er stattgab. Mit Verfügung vom 11. Februar 2019 - die Berufungsbegründung war am 6. Februar 2019 eingegangen - hat der Vorsitzende auf die Zuständigkeit des [X.] hingewiesen. Dort sind die Akten am 28. Februar 2019 eingegangen. Nach einem Hinweis darauf, dass die Berufung verspätet eingegangen sei, haben die Kläger wegen der Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und erneut Berufung eingelegt. Das [X.] - Senat für Landwirtschaftssachen - hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Hiergegen wenden sich die Kläger mit der Rechtsbeschwerde.

II.

2

Nach Ansicht des Berufungsgerichts ist die Berufung unzulässig, weil sie nicht innerhalb der am 6. Dezember 2018 abgelaufenen Berufungsfrist bei dem gemäß § 2 Abs. 1 Satz 3 [X.] zuständigen [X.] München eingegangen sei. Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand lägen nicht vor. Das Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Kläger, das ihnen nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen sei, werde durch die fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrung nicht ausgeschlossen. Diese habe nämlich nicht einmal den Anschein der Richtigkeit zu erwecken vermocht, da sich das zuständige Gericht auf der gesetzlichen Grundlage des § 2 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1 [X.] zweifelsfrei ermitteln lasse. Der Kausalzusammenhang zwischen dem Verschulden und der Versäumung der Berufungsfrist werde nicht durch einen Fehler des [X.] unterbrochen. Die übliche Praxis der [X.]e, Berufungen zunächst lediglich durch die Geschäftsstelle erfassen zu lassen und erst nach Eingang der Berufungsbegründung oder der Akten einer richterlichen Zuständigkeitsprüfung zu unterziehen, sei von [X.] wegen nicht zu beanstanden. Der an das [X.] gerichtete [X.] habe keinen Hinweis enthalten, dass es sich um eine Landwirtschaftssache handele. Dies habe sich lediglich aus dem anliegenden Urteil ergeben. Für die Geschäftsstelle habe deshalb zum Zeitpunkt der Berufungseinlegung kein Anlass bestanden, die Berufung unverzüglich dem [X.] zur Prüfung der Zuständigkeit vorzulegen. Die Prüfung der Zuständigkeit durch den Vorsitzenden der Berufungskammer sei erst nach Eingang der Berufungsbegründung erfolgt. Selbst wenn er diese Prüfung bereits bei Eingang des [X.] vorgenommen und die Akten noch am gleichen Tag dem zuständigen [X.] vorgelegt hätte, hätte dies nicht zum Erfolg geführt, da die Berufungsfrist zu diesem Zeitpunkt bereits seit mehr als einem Monat abgelaufen gewesen sei.

III.

3

Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg, weil sie unzulässig ist.

4

1. Das Rechtsmittel ist zwar gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 [X.] i.V.m. § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft. Es fehlt aber an den weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO. Die Sache hat weder grundsätzliche Bedeutung (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) noch ist eine Entscheidung des [X.] zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Insbesondere hat das Berufungsgericht den Klägern den Zugang zu der an sich gegebenen Berufung nicht unzumutbar erschwert und deren Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip, vgl. [X.] 77, 275, 284) nicht verletzt. Die Versagung der beantragten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist entspricht der Rechtsprechung des [X.], die weder fortzubilden noch zu ergänzen ist.

5

2. Dass die Rechtsmittelbelehrung des Amtsgerichts fehlerhaft war, weil sie entgegen § 2 Abs. 1 Satz 3 [X.] das [X.] und nicht das [X.] als zuständiges Berufungsgericht aufgeführt hat, steht einem Verschulden der Prozessbevollmächtigten an der Fristversäumung nicht entgegen. Die Vermutung des § 233 Satz 2 ZPO kommt nämlich nach der Rechtsprechung des Senats, auf die auch das Berufungsgericht verweist, nicht zum Tragen, wenn die Rechtsmittelbelehrung - ausgehend von dem bei einem Rechtsanwalt vorauszusetzenden Kenntnisstand - nicht einmal den Anschein der Richtigkeit zu erwecken vermochte. So liegt es bei einer Rechtsmittelbelehrung, die - wie hier - die Vorschrift des § 2 Abs. 1 Satz 3 [X.] nicht berücksichtigt (vgl. näher Senat, Beschluss vom 18. Oktober 2017 - [X.] 1/17, NJW 2018, 165 Rn. 7 f.). Hieran hält der Senat auch unter Berücksichtigung der Ausführungen der Rechtsbeschwerde fest.

6

3. Die Zulassung ist nicht deshalb veranlasst, weil das Berufungsgericht die Kausalität zwischen dem Verschulden und der Fristversäumung bejaht. Die Auffassung der Rechtsbeschwerde, das Verschulden der Prozessbevollmächtigten der Kläger habe sich wegen einer nachfolgenden Verletzung von Verfahrensgrundrechten durch das Gericht nicht mehr ausgewirkt, ist unzutreffend.

7

a) Anders als in Fällen, in denen fristgebundene [X.]sätze irrtümlich bei dem im vorangegangen Rechtszug mit der Sache bereits befassten Gericht eingereicht werden, besteht keine generelle Fürsorgepflicht des für die Rechtsmitteleinlegung unzuständigen Rechtsmittelgerichts, durch Hinweise oder andere geeignete Maßnahmen eine Fristversäumung des Rechtsmittelführers zu verhindern ([X.], Beschluss vom 24. Juni 2010 - [X.]/09, [X.], 774 Rn. 7 mwN; Beschluss vom 11. Dezember 2015 - [X.] 103/14, [X.], 446 Rn. 10). Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts „ohne Weiteres“ bzw. „leicht und einwandfrei“ zu erkennen ist und die nicht rechtzeitige Aufdeckung der nicht gegebenen Zuständigkeit auf einem offenkundig nachlässigen Fehlverhalten des angerufenen Gerichts beruht. In diesen Fällen stellt es für die Funktionsfähigkeit des angerufenen Gerichts keine nennenswerte Belastung dar, einen fehlgeleiteten Schriftsatz im Rahmen des üblichen Geschäftsganges an das zuständige Gericht weiterzuleiten. Geschieht dies nicht, geht die nachfolgende Fristversäumnis nicht zu Lasten des Rechtsuchenden; das Verschulden des Prozessbevollmächtigten wirkt sich dann nicht mehr aus (vgl. [X.], NJW 2006, 1579; [X.], Beschluss vom 24. Juni 2010 - [X.]/09, [X.], 774 Rn. 8; Beschluss vom 11. Dezember 2015 - [X.] 103/14, [X.], 446 Rn. 10). Solange die Akte im ordnungsgemäßen Geschäftsgang dem [X.] nicht vorgelegen hat, kommt es für die leichte Erkennbarkeit der Unzuständigkeit auf den Wissenstand des zuständigen Geschäftsstellenbeamten an ([X.], Beschluss vom 12. Oktober 2011 - I[X.] 17/10, NJW 2012, 78 Rn. 15; Beschluss vom 11. Dezember 2015 - [X.] 103/14, [X.], 446 Rn. 10).

8

b) Auf eine Verletzung der gerichtlichen Fürsorgepflicht können sich die Kläger indes nicht stützen.

9

aa) Dass die Berufungsfrist bei Eingang der Berufungsschrift bei dem [X.] noch mehr als zwei Wochen offen war, bedeutet entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nicht, dass die Kläger auf eine Weiterleitung an das [X.] noch innerhalb der Berufungsfrist vertrauen durften. Der Hinweis auf die Entscheidung des [X.] vom 1. Oktober 2015 ([X.]/15, juris Rn. 7) geht fehl, weil dort - anders als hier - das Rechtsmittel bei dem im vorangegangenen Rechtszug mit der Sache bereits befassten Gericht eingereicht worden war. Auch war es für den Geschäftsstellenbeamten, dem die Berufungsschrift nach deren Eingang vorgelegt worden war, nicht leicht und einwandfrei zu erkennen, dass zuständiges Berufungsgericht nicht das [X.], sondern das [X.] war. Hierbei ist zu berücksichtigten, dass die Prüfung der Zuständigkeit des Berufungsgerichts gemäß § 522 Abs. 1 ZPO Aufgabe des Gerichts in Gestalt der [X.] ist, nicht die der Geschäftsstellenbeamten (vgl. [X.], Beschluss vom 5. Oktober 2005 - [X.], NJW 2005, 3776, 3777). Dass in der Berufungsschrift anstelle eines „C“-Aktenzeichens ein „[X.] aufgeführt war, machte die Unzuständigkeit des [X.] für den Geschäftsstellenbeamten nicht offenkundig. Aus der von der Rechtsbeschwerde zitierten Rechtsprechung des [X.] (vgl. [X.], Beschluss vom 17. August 2011 - [X.]/11, NJW 2011, 3240 Rn. 25) ergibt sich nichts Anderes.

bb) Ein Verstoß gegen das Gebot eines fairen Verfahrens folgt auch nicht daraus, dass die Berufungsschrift dem Vorsitzenden nicht sofort bzw. am nächsten Arbeitstag zur Prüfung der Zuständigkeit des [X.] vorgelegt worden ist. Die aus diesem Gebot in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip folgende Fürsorgepflicht der staatlichen Gerichte (vgl. [X.], NJW 2006, 1579) führt nicht zu einer generellen Verpflichtung zur sofortigen Prüfung der Zuständigkeit bei Eingang der [X.] (vgl. Senat, Beschluss vom 18. Oktober 2017 - [X.] 1/17, NJW 2018, 165 Rn. 11 mwN). Die Praxis, eingehende Berufungen zunächst lediglich durch die Geschäftsstelle erfassen zu lassen und erst nach Eingang der Berufungsbegründung oder des Eingangs der Akten einer rechtlichen Zuständigkeitsprüfung zu unterziehen, ist von [X.] wegen nicht zu beanstanden (vgl. [X.], NJW 2006, 1579 f.). Sie entspricht einem ordnungsgemäßen Geschäftsgang (vgl. [X.], Beschluss vom 12. Oktober 2011 - I[X.] 17/10, NJW 2012, 78 Rn. 11). Da die Rechtslage insoweit geklärt ist, besteht entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde kein Anlass, das Recht fortzubilden.

cc) Ob der Vorsitzende der Berufungskammer des [X.] dessen Unzuständigkeit leicht erkennen konnte, als ihm die Sache erstmalig wegen des Antrags auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist am 8. Januar 2019 vorgelegt wurde, bedarf keiner Entscheidung. Denn zu diesem Zeitpunkt war die am 6. Dezember 2018 endende Berufungsfrist (§ 517 ZPO) bereits abgelaufen. Weder ein Hinweis an die Kläger noch die Weiterleitung der Berufungsschrift an das [X.] hätte an der Fristversäumnis etwas ändern können.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über den [X.] folgt aus § 48 Abs. 1 Satz 1 GKG, § 3 ZPO.

Stresemann               [X.]

Meta

LwZB 1/19

08.05.2020

Bundesgerichtshof Senat für Landwirtschaftssachen

Beschluss

Sachgebiet: False

vorgehend OLG München, 28. März 2019, Az: U 976/19 Lw

§ 2 Abs 1 S 3 LwVfG, § 20 Abs 1 Nr 4 LwVfG, § 48 Abs 1 S 1 LwVfG, § 85 Abs 2 ZPO, § 233 S 2 ZPO, § 234 ZPO, § 511 ZPO, § 517 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.05.2020, Az. LwZB 1/19 (REWIS RS 2020, 1766)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 1766

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V ZB 170/09

V ZB 103/14

IV ZB 17/10

V ZR 81/15

XII ZB 50/11

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