Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.02.2010, Az. II ZB 10/09

2. Zivilsenat | REWIS RS 2010, 9596

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Gegenstand

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Kontrollpflichten des Rechtsanwalts zur Sicherstellung der Fristwahrung


Leitsatz

Zu den zur Ermöglichung einer Gegenkontrolle erforderlichen Vorkehrungen im Rahmen der Fristenkontrolle gehört, dass die Rechtsmittelfristen in der Handakte notiert werden und die Handakte durch entsprechende Erledigungsvermerke oder auf sonstige Weise erkennen lässt, dass die Fristen in den Fristenkalender eingetragen worden sind. Wird dem Rechtsanwalt die Sache im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung zur Bearbeitung vorgelegt, hat er die Einhaltung seiner Anweisungen zur Berechnung und Notierung laufender Rechtsmittelfristen einschließlich deren Eintragung in den Fristenkalender auch dann eigenverantwortlich zu prüfen, wenn die Handakte zur Bearbeitung nicht zugleich mit vorgelegt worden ist .

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Beklagten gegen den Beschluss des 8. Zivilsenats des [X.] vom 8. April 2009 wird auf seine Kosten als unzulässig verworfen.

[X.]: 89.167,89 €

Gründe

I.

1

Gegen das ihm am 29. August 2008 zugestellte Urteil des [X.], durch welches der Beklagte zur Zahlung und Freistellung verurteilt worden war, legte der Prozessbevollmächtigte des Beklagten am 26. September 2008 Berufung ein. Nachdem das [X.] mit Verfügung vom 5. November 2008 auf die Nichteinhaltung der Berufungsbegründungsfrist hingewiesen hatte, beantragte der Beklagte am 19. November 2008 die Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Begründung der Berufung und legte mit [X.] vom 21. November 2008 eine Berufungsbegründung vor.

2

Zur Begründung seines Wiedereinsetzungsbegehrens trug der Beklagte vor, sein Prozessbevollmächtigter habe im [X.] an die Zustellung des landgerichtlichen Urteils die für die Eintragung und Kontrolle von Fristen zuständige Büroangestellte angewiesen, die Berufungsfrist und die Berufungsbegründungsfrist im [X.] zu markieren. Die Überwachung von Notfristen sei in dem Büro so organisiert, dass die Fristen nach Weiterleitung der Vorgänge an die zuständige Bürokraft von dieser in einem besonderen [X.] notiert würden und jeweils zusätzlich eine Woche vor Fristablauf eine Vorfrist eingetragen werde. Bei Ablauf der Vorfrist werde dem sachbearbeitenden Rechtsanwalt ein roter Merkzettel zugeleitet, auf dem der Fristablauf notiert sei. Im vorliegenden Fall sei von der bisher zuverlässig arbeitenden Bürokraft versehentlich nur die Frist zur Berufungseinlegung, nicht aber die Begründungsfrist notiert worden, was dazu geführt habe, dass die Akten vor Ablauf der Begründungsfrist dem Prozessbevollmächtigten nicht vorgelegt worden seien.

3

Das [X.] hat den Antrag auf Wiedereinsetzung zurückgewiesen und die Berufung des Beklagten als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Beklagten.

II.

4

[X.] ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft, aber unzulässig, weil es an den Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO fehlt. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist eine Entscheidung des [X.] zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) nicht erforderlich, da das [X.] den Wiedereinsetzungsantrag des Beklagten im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen hat.

5

1. Das [X.] hat zur Begründung seiner die Wiedereinsetzung versagenden Entscheidung ausgeführt, dass es einem Rechtsanwalt unbenommen sei, die Führung eines [X.]s auf sein Büropersonal zu übertragen, sofern er dieses sorgfältig ausgewählt und belehrt habe und die Fristenwahrung durch Führung eines geeigneten [X.]s sowie Notierung der Fristen gesichert sei. Werde ihm im Zusammenhang mit der Fertigung der Berufungsschrift die Handakte vorgelegt, erstrecke sich die Kontrollpflicht des Rechtsanwalts auch auf die Erledigung der Notierung der Berufungsbegründungsfrist. Zur Erfüllung dieser Pflicht habe er die Anbringung von [X.] über die Notierung der Berufungsbegründungsfrist nicht nur anzuordnen, sondern nach diesen [X.] auch zu forschen. Weder dem Antrag auf Gewährung von Wiedereinsetzung noch der zur Glaubhaftmachung beigefügten eidesstattlichen Versicherung könne entnommen werden, ob Kontrollmaßnahmen ergriffen worden seien, um die Einhaltung der Begründungsfrist sicherzustellen. Aus der Aktenlage könne lediglich geschlossen werden, dass die Handakte dem Prozessbevollmächtigten vorgelegen habe, da die Berufungsschrift rechtzeitig gefertigt und an das Berufungsgericht übermittelt worden sei. Dabei sei der Prozessbevollmächtigte selbst zur Kontrolle der Berufungsbegründungsfrist gehalten gewesen, was bei Vorlage der Akte möglich und auch zumutbar gewesen sei.

6

2. Das [X.] hat die beantragte Wiedereinsetzung im Ergebnis zu Recht versagt, weil nach dem [X.] ein dem Beklagten nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden seines Prozessbevollmächtigten an der Fristversäumnis nicht auszuschließen ist. Der Beklagte hat weder das Vorhandensein einer den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Organisation des [X.] genügenden Fristenkontrolle im Büro des Prozessbevollmächtigten, noch die Erteilung einer konkreten Einzelanweisung zur Eintragung der Berufungsbegründungsfrist dargetan, auf deren Erledigung der Prozessbevollmächtigte ohne weiteres hätte vertrauen dürfen.

7

a) Die Sorgfaltspflicht in [X.] verlangt von einem Rechtsanwalt, alles ihm Zumutbare zu tun, um die Wahrung von [X.] zu gewährleisten. Überlässt er die Berechnung und Notierung von Fristen einer gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Bürokraft, hat er durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass die Fristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert werden ([X.], [X.]. v. 27. September 2007 - [X.], [X.]. 2008, 71; v. 5. Februar 2003 - [X.], [X.], 1050, 1051). Zu den zur Ermöglichung einer Gegenkontrolle erforderlichen Vorkehrungen im Rahmen der Fristenkontrolle gehört insbesondere, dass die [X.] in der Handakte notiert werden und die Handakte durch entsprechende Erledigungsvermerke oder auf sonstige Weise erkennen lässt, dass die Fristen in den [X.] eingetragen worden sind (vgl. [X.].[X.]. v. 26. Januar 2009 - [X.], [X.], 1083 [X.]. 11; [X.], [X.]. v. 5. Februar 2003 aaO; v. 21. April 2004 - [X.], [X.], 1183; v. 9. Dezember 2009 - [X.] 154/09 [X.]. 15). Wird dem Rechtsanwalt die Sache im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung zur Bearbeitung vorgelegt, hat er die Einhaltung seiner Anweisungen zur Berechnung und Notierung laufender [X.] einschließlich deren Eintragung in den [X.] eigenverantwortlich zu prüfen, wobei er sich grundsätzlich auf die Prüfung der Vermerke in der Handakte beschränken darf ([X.], [X.]. v. 22. Januar 2008 - [X.], [X.], 1670 [X.]. 6; v. 14. Juni 2006 - [X.], [X.], 2778 [X.]. 6; [X.].[X.]. v. 18. Juli 2005 - [X.]). Diese anwaltliche Prüfungspflicht besteht auch dann, wenn die Handakte zur Bearbeitung nicht zugleich mit vorgelegt worden ist ([X.], [X.]. v. 22. November 2000 - [X.] 28/00, [X.], 1143, 1145; v. 19. Dezember 2000 - [X.]/00, NJW-RR 2001, 782; v. 19. Februar 1991 - [X.], NJW-RR 1991, 827, 828), so dass in diesen Fällen die Vorlage der Handakte zur Fristenkontrolle zu veranlassen ist.

8

Dem [X.] des Beklagten lässt sich, wie das [X.] in dem angefochtenen [X.]uss zutreffend ausgeführt hat, nicht entnehmen, ob - und [X.] welche - Kontrollmaßnahmen in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten ergriffen worden waren, um die Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist, insbesondere deren Eintragung in den [X.], sicherzustellen. Der Beklagte hat daher schon nicht dargetan, geschweige denn glaubhaft gemacht, dass in dem Büro des Prozessbevollmächtigten eine den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Organisation des [X.] genügende Fristenkontrolle vorgesehen war. Damit spricht nach dem Vorbringen einiges für ein mögliches für die Fristversäumung [X.] Organisationsverschulden des Prozessbevollmächtigten. Denn bei sachgerechter Organisation der Fristenkontrolle wäre die unterbliebene Eintragung der Berufungsbegründungsfrist in dem [X.] wegen des fehlenden Erledigungsvermerks aus der Handakte ersichtlich gewesen und bei der im Zusammenhang mit der Fertigung der Berufungsschrift gebotenen Prüfung offenbar geworden.

9

b) Auf allgemeine organisatorische Vorkehrungen und Anweisungen für die Fristenwahrung in einer Anwaltskanzlei kommt es nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] allerdings dann nicht an, wenn der Rechtsanwalt einer Kanzleikraft, die sich bisher als zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete Einzelanweisung erteilt, welche bei Befolgung die Fristwahrung gewährleistet hätte ([X.].[X.]. v. 2. Juli 2001 - [X.], NJW-RR 2002, 60; [X.], [X.]. v. 25. Juni 2009 – [X.], [X.], 3036 [X.]. 6; v. 15. April 2008 - [X.], [X.], 54; v. 11. Februar 2003 - [X.], NJW-RR 2003, 935). Ein Rechtsanwalt darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass eine ausgebildete und bisher zuverlässig tätige Bürokraft eine konkrete Einzelanweisung, auch wenn sie mündlich erteilt wird, befolgt und ordnungsgemäß ausführt. Er ist deshalb im Allgemeinen nicht verpflichtet, sich über die Ausführung seiner Weisung zu vergewissern. Betrifft die Anweisung aber einen so wichtigen Vorgang wie die Eintragung einer Rechtsmittelfrist und wird sie nur mündlich erteilt, müssen in der Rechtsanwaltskanzlei ausreichende organisatorische Vorkehrungen dagegen getroffen sein, dass die mündliche Anweisung in Vergessenheit gerät und die Eintragung der Frist unterbleibt ([X.].[X.]. v. 26. Januar 2009 aaO 1085 [X.]. 16; [X.], [X.]. v. 15. April 2008 aaO; v. 2. April 2008 - [X.] 189/07, [X.], 2589 [X.]. 13; v. 4. März 2008 - [X.], NJW-RR 2008, 928 [X.]. 12; v. 4. November 2003 - [X.], NJW 2004, 688, 689).

Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde ist die Erteilung einer konkreten Einzelanweisung, auf deren Befolgung der Prozessbevollmächtigte des Beklagten ohne weiteres vertrauen durfte, mit dem [X.] ebenfalls nicht dargetan. Der Beklagte hat ohne nähere Angaben zu dem Inhalt und den näheren Umständen der Weisung lediglich vorgetragen, sein Prozessbevollmächtigter habe im [X.] an die Zustellung des landgerichtlichen Urteils eine Büroangestellte angewiesen, die Berufungs- und Berufungsbegründungsfrist im [X.] zu vermerken. Es erscheint schon fraglich, ob diese "Weisung“ zur Eintragung der [X.] als konkrete Einzelanweisung oder aber durch die zur organisatorischen Ausgestaltung des [X.] in der Kanzlei getroffenen allgemeinen Anordnungen erfolgte. Selbst wenn von einer konkreten Einzelanweisung auszugehen wäre, fehlte jeder Vortrag dazu, ob die [X.] oder mündlich erteilt wurde und die im Falle nur mündlicher Weisungserteilung erforderlichen organisatorischen Vorkehrungen in der Rechtsanwaltskanzlei getroffen waren.

Goette                               Caliebe                             Drescher

                    Löffler                              [X.]

Meta

II ZB 10/09

08.02.2010

Bundesgerichtshof 2. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend OLG Hamm, 8. April 2009, Az: I-8 U 174/08, Beschluss

§ 85 Abs 2 ZPO, § 233 ZPO, § 234 ZPO, § 520 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.02.2010, Az. II ZB 10/09 (REWIS RS 2010, 9596)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 9596


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. II ZB 10/09

Bundesgerichtshof, II ZB 10/09, 08.02.2010.


Az. 8 U 174/08

Oberlandesgericht Hamm, 8 U 174/08, 08.04.2009.


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