Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.03.2011, Az. VII ZB 37/10

7. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 8722

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Gegenstand

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Fristversäumung nach Erledigungsvermerk in der Handakte des Rechtsanwalts


Leitsatz

Werden im Büro eines Anwalts zwei Fristenkalender geführt, die für die Fristenkontrolle maßgeblich sind, so darf ein Erledigungsvermerk in die Handakte erst dann aufgenommen werden, wenn die Fristen in beiden Kalendern eingetragen sind .

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Beklagten gegen den Beschluss der 5. Zivilkammer des [X.] vom 31. März 2010 wird auf seine Kosten verworfen.

[X.]: 3.813,87 €

Gründe

I.

1

1. Die Parteien machen gegenseitige Ansprüche aus einer Kfz-Reparatur geltend. Die Klägerin verlangt Reparaturkosten in Höhe von 2.241,69 €. Der Beklagte verlangt widerklagend unter anderem Sachverständigen- und Untersuchungskosten in Höhe von 2.547,26 €.

2

Das [X.] hat mit Urteil vom 19. Februar 2009 der Klage in Höhe von 2.133,23 €, der Widerklage in Höhe von 866,62 € stattgegeben und im Übrigen Klage und Widerklage abgewiesen.

3

Gegen das am 3. März 2009 dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten zugestellte Urteil hat dieser am 20. März 2009 Berufung eingelegt. Seinem Antrag vom 30. April 2009 auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist (Fristablauf: Montag, 4. Mai 2009) um einen weiteren Monat hat der Vorsitzende stattgegeben. Dies wurde dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten am 11. Mai 2009 mitgeteilt.

4

Am 26. Juni 2009 hat der Prozessbevollmächtigte des Beklagten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt und die Berufung begründet. Er hat gemeint, die Berufungsbegründungsfrist habe am 29. Mai 2009 geendet. Es sei versäumt worden, die Berufung innerhalb der Frist zu begründen.

5

Hierzu hat er vorgetragen und glaubhaft gemacht: In der Kanzlei würde ein [X.] in elektronischer Form und einer in Papierform geführt. Eine langjährige gut ausgebildete Fachangestellte habe die am 29. Mai 2009 ablaufende Frist nach der bewilligten Verlängerung im Kalender in Papierform mit zwei [X.] (15. Mai 2009 und 22. Mai 2009) notiert. Die beiden [X.] seien von ihr auch im [X.] eingetragen worden. Bedauerlicherweise habe sie es versäumt, die Frist vom 29. Mai 2009 in den elektronischen Kalender einzutragen. Die Kanzlei sei so organisiert, dass anhand des elektronischen Kalenders regelmäßig Ausdrucke der Fristen vorgenommen würden. Diese würden dem sachbearbeitenden Rechtsanwalt regelmäßig an einem Freitag der Woche für die kommende Woche vorgelegt. Dies sei auch hier so geschehen. Es sei irrtümlich nur eine Kontrolle des elektronischen Kalenders, nicht aber anhand der handschriftlichen Eintragungen vorgenommen worden. Anlässlich eines zufälligen Gesprächs mit dem Beklagten in der Woche vor dem 26. Juni 2009 sei die Fristversäumung festgestellt worden.

6

Nach Hinweis des [X.] auf organisatorische Mängel hinsichtlich der eingetragenen [X.] hat der Prozessbevollmächtigte des Beklagten ergänzend vorgetragen und glaubhaft gemacht, dass die Akten bei Ablauf der notierten [X.] dem sachbearbeitenden Rechtsanwalt von unterschiedlichen Mitarbeitern vorgelegt würden. Der Unterzeichner habe auch die Vorfrist in dieser Sache ordnungsgemäß kontrolliert, leider nicht aber den endgültigen Fristablauf, der bekanntlich nicht im [X.] eingetragen gewesen sei. Auf Anfrage des [X.]s hat der Prozessbevollmächtigte des Beklagten weiter mitgeteilt, dass Fristablauf und [X.] in den Handakten notiert würden, und die Handakten anlässlich der [X.] vorgelegt würden. Grundsätzlich würden zwei [X.] notiert, jeweils in den Handakten und auch im Kalender. Zuständig für die Fristüberwachung sei der sachbearbeitende Rechtsanwalt.

7

Das [X.] hat mit Beschluss vom 31. März 2010 den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und ausgeführt:

8

Da die Berufungsbegründungsfrist bereits falsch berechnet worden sei, bestünden Bedenken, ob tatsächlich entsprechend ausgebildete Fachkräfte eingesetzt worden seien. Dies könne jedoch dahingestellt bleiben. Das Versehen hätte spätestens erkannt werden müssen, wenn - wie vorgetragen - die Akten zu den [X.] vorgelegt worden seien. Dies könne nur einen Sinn haben, wenn entweder zu diesem Zeitpunkt eine Bearbeitung in der Sache stattfinde oder wenigstens geprüft werde, ob die weiteren Fristen entsprechend eingetragen worden seien. Zudem sei nicht ersichtlich, warum die Frist nicht eingehalten worden sei, wenn sie in Papierform festgehalten worden sei. Bei Überprüfung dieses Kalenders wäre keine Fristversäumung zu besorgen gewesen. Offensichtlich habe kein Abgleich stattgefunden. Somit sei die Kontrolle nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden. Auch dies spreche gegen eine ordnungsgemäße Organisation.

II.

9

Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft, aber unzulässig, weil es an den Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO fehlt. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist eine Entscheidung des [X.] zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) nicht erforderlich, da das [X.] den Wiedereinsetzungsantrag des Beklagten im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen hat.

1. Nicht zu beanstanden ist, worauf die Rechtsbeschwerde des Beklagten zu Recht hinweist, dass der Prozessbevollmächtigte des Beklagten die Berechnung der Berufungsbegründungsfrist und die Führung des [X.]s einer langjährig erprobten, gut ausgebildeten Fachangestellten überlassen hat; denn nach ständiger Rechtsprechung des [X.] kann der Anwalt die Berechnung der allgemein anfallenden einfachen Fristen sowie die Führung des [X.]s im Rahmen einer von ihm zu verantwortenden Büroorganisation auf sein geschultes, als zuverlässig erprobtes und sorgfältig überwachtes Personal zur selbständigen Erledigung übertragen ([X.], Beschluss vom 27. März 2001 - [X.], NJW-RR 2001, 1072 = [X.]R ZPO § 233 Fristenkontrolle 77). Nicht von entscheidungserheblicher Bedeutung ist es, dass die Berufungsbegründungsfrist fälschlich auf den 29. Mai 2009 und nicht auf den 4. Juni 2009 notiert worden ist.

2. Das Beschwerdegericht hat die beantragte Wiedereinsetzung im Ergebnis zu Recht versagt, weil nach dem [X.] ein dem Beklagten nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden seines Prozessbevollmächtigten an der Fristversäumnis nicht auszuschließen ist. Der Beklagte hat eine den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Organisation des [X.] genügende Fristenkontrolle im Büro des Prozessbevollmächtigten nicht dargetan.

a) Die Sorgfaltspflicht in [X.] verlangt von einem Rechtsanwalt, alles ihm Zumutbare zu tun, um die Wahrung von [X.] zu gewährleisten. Überlässt er die Berechnung und Notierung von Fristen einer gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Bürokraft, hat er durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass die Fristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert werden. Zu den zur Ermöglichung einer [X.] erforderlichen Vorkehrungen im Rahmen der Fristenkontrolle gehört insbesondere, dass die [X.] in der Handakte notiert werden und die Handakte durch entsprechende Erledigungsvermerke oder auf sonstige Weise erkennen lässt, dass die Fristen in den [X.] eingetragen worden sind. Wird dem Rechtsanwalt die Sache im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung zur Bearbeitung vorgelegt, hat er die Einhaltung seiner Anweisungen zur Berechnung und Notierung laufender [X.] einschließlich deren Eintragung in den [X.] eigenverantwortlich zu prüfen, wobei er sich grundsätzlich auf die Prüfung der Vermerke in der Handakte beschränken darf ([X.], Beschluss vom 8. Februar 2010 - [X.], [X.], 533 m.w.N.).

b) Soweit die Rechtsprechung Erledigungsvermerke des Büropersonals zu den jeweils in den Handakten eingetragenen Fristen fordert, soll sichergestellt werden, dass die Fristen tatsächlich eingetragen sind und dem Anwalt eine entsprechende Kontrolle anhand der Handakten möglich ist. Werden im Büro eines Anwalts zwei [X.] geführt, die für die Fristenkontrolle maßgeblich sind, so darf ein Erledigungsvermerk in die Handakte erst dann aufgenommen werden, wenn die Fristen in beiden Kalendern eingetragen sind. Das ist durch entsprechende organisatorische Anweisungen des Anwalts sicher zu stellen. Denn sonst besteht die Gefahr, dass der Erledigungsvermerk in der Handakte bereits nach der Eintragung in einen Kalender angebracht wird und die [X.] des Anwalts versagt, weil er nicht beurteilen kann, ob die Fristen in beiden Kalendern notiert sind.

c) Dem [X.] des Beklagten lässt sich nicht entnehmen, dass die Fristenkontrolle in dieser Weise organisiert worden ist. Der Beklagte hat schon nicht dargetan, dass in dem Büro des Prozessbevollmächtigten eine den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Organisation des [X.] genügende Fristenkontrolle vorgesehen war. Er hat nichts dazu vorgetragen, in welcher Weise er die [X.] in den Handakten zur Eintragung der Fristen organisiert hat. Der wiederholte Hinweis auf eine doppelte Fristenkontrolle reicht dazu nicht.

[X.]     

        

Kuffer     

        

Bauner

        

Eick     

        

Leupertz     

        

Meta

VII ZB 37/10

10.03.2011

Bundesgerichtshof 7. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Wiesbaden, 31. März 2010, Az: 5 S 10/09, Beschluss

§ 85 Abs 2 ZPO, § 233 ZPO, § 234 Abs 2 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.03.2011, Az. VII ZB 37/10 (REWIS RS 2011, 8722)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 8722

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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